TE Bvwg Beschluss 2020/10/12 L526 2234722-1

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Veröffentlicht am 12.10.2020
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Entscheidungsdatum

12.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


L526 2234722-1/15E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Petra Martina Schrey, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. TÜRKEI, vertreten durch die ARGE-Rechtsberatung, Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.08.2020, Zl. XXXX beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde vom 27.08.2020 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.08.2020, Zl. XXXX wird gem. § 28 Abs. 3 VwGVG, Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz), BGBL I 33/2013 idgF der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verwiesen.

B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge auch kurz „BF“ genannt) ist türkischer Staatsangehöriger und hält sich seit dem Jahr 1988 im österreichischen Bundesgebiet auf. Von 15.10.2003 bis 04.05.2019 war der Beschwerdeführer im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels.

I.2. Während seines Aufenthalts wurde der BF im Bundesgebiet wiederholt straffällig. Insgesamt wurde er acht Mal von inländischen Strafgerichten rechtskräftig verurteilt.

I.3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der nunmehr belangten Behörde (in weiterer Folge auch kurz „bB“ genannt), vom 04.07.2019, Zl. XXXX wurde der Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen sowie eine Rückkehrentscheidung erlassen und ein sechsjähriges Einreiseverbot über den BF verhängt.

I.4. Seit seiner Entlassung aus der Strafhaft am 24.07.2020 wird der Beschwerdeführer in Schubhaft angehalten.

I.5. Am 27.07.2020 stellte der Beschwerdeführer im Stande der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.6. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) vom 03.08.2020 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz mit dem zuvor genannten Bescheid der bB gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Der Beschwerde wurde gem. § 18 (1) Z 1 und 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.).

I.7. Gegen den o.a. Bescheid wurde binnen offener Frist vollumfänglich Beschwerde erhoben. Nach Wiederholung des Verfahrensganges wird die Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens gerügt. Im Wesentlichen wird vorgebracht, dass die bB keine neue Rückkehrentscheidung erlassen habe, obwohl neue Tatsachen hervorgekommen seien, deren Beurteilung zu Gunsten des BF zu werten seien. Ferner wurde vorgebracht, dass keine Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF und keine Auseinandersetzung mit der Situation des BF im Falle einer Rückkehr in der Türkei erfolgt seien. Der BF habe eine asylrelevante Verfolgung vorgebracht und habe unmittelbare Verhaftung sowie Folter und im schlimmsten Fall auch seine Ermordung zu erwarten. Der BF habe in Österreich auch an Demonstrationen gegen den türkischen Präsidenten teilgenommen. Der BF habe keinen familiären Anschluss in der Türkei und die Behörde habe nicht geprüft, wie sich der drogensüchtige BF dort selber erhalten könne. Der BF sei vom Drogenkonsum auch schwer gezeichnet und habe keine Möglichkeit, am Erwerbsleben teilzunehmen. Zudem seien auch die hohe Arbeitslosigkeit und die Situation aufgrund der Corona-Pandemie zu beachten. Im Weiteren werden Berichte zur Situation im Land angeführt, das Vorliegen einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den BF bestritten und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

I.8. Im Rahmen des Schubhaftverfahrens wurde festgestellt, dass der BF haftfähig ist. Im Schubhaftverfahren kam auch hervor, dass der BF in Anhaltug Suchtgiftersatzmedikamente (Methadon) erhält und gesundheitliche Probleme hat, die mit der Substitutionstherapie in Einklang stehen – der BF sei Entzugsepileptiker.

I.9. Mit Schreiben vom 7.9.2020 wurde die belangte Behörde aufgefordert, alle bezughabenden Aktenteile und Akten, die zur Beurteilung der Rechtssache erforderlich sind, vorzulegen.

I.10. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.09.2020 wurde der BF aufgefordert, zum Ergebnis der Beweisaufnahme (Anfragebeantwortungen und Berichte zur Drogen- (Ersatz-) Therapie und der medizinischen Versorgung in der Türkei) Stellung zu nehmen.

I.11. In seiner Stellungnahme zu den vom Gericht übermittelten länderkundlichen Berichten brachte der BF zusammengefasst vor, dass die übermittelten Berichte zum Teil veraltet seien, es in der Türkei keine Methadontherapie gebe und aktuelle Berichte sich lediglich mit einem anderen Drogenersatzstoff befassen würden. Er sei in einem sehr schlechten Allgemeinzustand und sei Entzungsepileptiker. Er sei in der Türkei nicht versichert, habe dort keine Verwandten und ein Umstieg auf den Drogenersatzstoff Bupensan könne bei methadonabhängigen Patienten nachteilige Folgen zeitigen und das Auftreten von Entzugserscheinungen beschleunigen. Der BF brauche Zugang zum türkischen Gesundheitssystem und Hilfe organisatorischer Natur und würde im Falle seiner Verbringung in die Türkei nicht in der Lage sein, für seine existentiellen Grundbedürfnisse zu sorgen.

I.13. Mit einer weiteren Stellungnahme wurden Unterlagen vorgelegt, aus welchen ersichtlich ist, dass der BF an einer Hepatitis-Erkrankung leidet. Dazu wurde neuerlich ausgeführt, dass der BF in der Türkei nicht versichert sei, auch diese Erkrankung könne daher nicht behandelt werden. Ferner wurde ein Rezept des behandelnden Arztes für eine Drogenersatztherapie vorgelegt.

I.14. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.09.2020 wurde der Beschwerde die aufschiebenden Wirkung zuerkannt.

I.15. Am 21.09. 2020 wurde die belangte Behörde neuerlich um dringende Übermittlung der fehlenden Vorakten ersucht. Bislang wurden jedoch lediglich elektronische Versionen verschiedener Bescheide vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen (Sachverhalt):

Der relevante Sachverhalt ergibt sich aus den unter I getroffenen Ausführungen.

II.2. Beweiswürdigung:

Der für die Zurückverweisung relevante Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden und von den Parteien grundsätzlich nicht beanstandeten Aktenlage fest.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

II.3.1. Zuständigkeit

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

II.3.2. Zurückverweisung

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

* Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters mit Erkenntnis vom 10.09.2014, Ra 2014/08/0005 die im Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 angeführten Grundsätze im Hinblick auf Aufhebungs- und Zurückweisungsbeschlüsse des Verwaltungsgerichtes gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG nochmals bekräftigt und führte ergänzend aus, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden mündlichen Verhandlung im Sinn des § 24 VwGVG zu vervollständigen sind.

Im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28.02.2017, Ra 2015/11/0089 betonte dieser weiters das Interesse der Rechtsunterworfenen an einer raschen Entscheidung und führte dazu aus, dass es nicht zu erkennen sei, weshalb es nicht im Interesse der Raschheit gelegen sein sollte, wenn das Verwaltungsgericht – ausgehend freilich von einer zutreffenden Beurteilung der entscheidenden Rechtsfrage – selbst die notwendige Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens veranlasst und den entscheidungsrelevanten Sachverhalt feststellt.

II.3.3. Einzelfallbezogen ergibt sich hieraus Folgendes:

II.3.3.1. Im gegenständlichen Fall wurde der maßgebliche Sachverhalt mangelhaft ermittelt, indem die belangte Behörde die notwendigen Ermittlungen des Sachverhalts unterließ. die Feststellungen bzw. die beweiswürdigenden Ausführungen der Behörde sind in wesentlichen Punkten auch nicht nachvollziehbar; im Einzelnen:

Die bB führt an, sie habe unter anderem Beweis erhoben durch Einsicht in den Akt eines früheren Verfahrens betreffend den BF. Die darauf basierenden Feststellungen sind für das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht nachvollziehbar, zumal der genannte Akt dem Bundesverwaltungsgericht trotz mehrfacher Urgenz bislang nicht vorgelegt wurde.

Aus diesem Grunde ist für das Bundesverwaltungsgericht auch nicht feststellbar, ob das genannte Verfahren tatsächlich in Rechtskraft erwachsen ist. Ob ein Antrag auf Wiedereinsetzung, wie in der Beschwerde angegeben, tatsächlich bei der Behörde eingebracht und von dieser auch in Bearbeitung genommen wurde, ist dem Gericht ebenfalls nicht bekannt.

Die vom BF in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen sind mit der belangten Behörde zu klären.

Sofern die bB anführt, sie habe im gegenständlichen Verfahren in eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 03.08.2020 Einsicht genommen, ist anzumerken, dass aufgrund der vorliegenden Aktenlage aber nicht ersichtlich ist, um welche Anfragebeantwortung es sich dabei handelt, was die Behörde daraus ableitete und ob die genannte Anfragebeantwortung auch dem Parteiengehör unterzogen wurde.

Der BF wurde am 30. und 31.07.2020 von der Behörde einvernommen, wobei der Beschwerde zu entnehmen ist, dass die Wiederholung der Einvernahme vom 30.07.2020 unter Beiziehung einer Rechtsvertreterin offenbar aufgrund eines monierten Verfahrensfehlers erfolgte. Die beweiswürdigenden Ausführungen der bB lassen jedoch nicht erkennen, auf welches der im Akt erliegenden Protokolle sich in ihrer Entscheidung stützt. Dies ist aber vor allem deshalb nicht unwesentlich, da der BF nur am 30.07.2020 einer genaueren Befragung zu der behaupteten politischen Verfolgung unterzogen wurde.

Sofern die belangte Behörde feststellt, die vom BF behauptete Hepatitis Erkrankung liege nicht vor und dies mit einer Auskunft der Sanitätsstation des PAZ begründet, ist dies ebenfalls nicht nachvollziehbar, zumal dem Behördenakt keine Dokumentation des in der Bescheidbegründung erwähnten Gespräches (etwa in Form eines Aktenvermerkes) entnommen werden kann. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass mittlerweile Unterlagen vorgelegt wurden, aus welchen ersichtlich ist, dass der BF tatsächlich an einer Hepatitis-Erkrankung leidet.

Dem BF ist darin Recht zu geben, dass sich die Behörde auch nicht ausreichend mit seiner Rückkehrsituation und seiner Transportfähigkeit auseinandergesetzt hat. Wiewohl die Behörde feststellt, dass der BF die Türkei gefahrlos erreichen und sich dort in ein Krankenhaus begeben könne, so begründet sie nicht, worauf sie diesen Annahmen stützt. Es werden insbesondere keine Feststellungen darüber getroffen, in welchem Allgemeinzustand sich der BF befindet und ob eine adäquate Behandlung seiner Sucht- und allenfalls anderer Erkrankungen in der Türkei erhältlich ist, die für den BF auch zugänglich ist. Die im Schubhaftverfahren attestierte Haftfähigkeit des BF ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des in Punkt II. des Bescheides enthaltenen Spruches nicht hinreichend, zumal der BF im Anhalte-Zentrum medizinische Versorgung und eine Drogenerstatztherapie erhält, wohingegen die im gegenständlichen Verfahren relevante Frage einer im Sinne des Art. 3 EMRK notwendigen Versorgung im Herkunftsstaat, nicht hinreichend erörtert wird.

Zwar führt die Behörde aus, dass es kein Methadon in der Türkei, jedoch andere Wirkstoffe zur Substitution und auch verschiedenen Krankenhäuser gebe, in welchen Drogentherapien angeboten würden. Gerade vor dem Hintergrund der Aussage des BF, im Falle des Entzuges sei mit epileptischen Anfällen und Gesundheitsbeeinträchtigungen zu rechnen, hätte die Behörde aber nähere Ermittlungen zum Gesundheitszustand des BF anstellen müssen, um die Zugänglichkeit dieser Leistungen für den BF zu prüfen. In diesem Zusammenhang wären auch Feststellungen dahingehend zu treffen gewesen, ob der BF in der Türkei auch versichert ist, ob bzw. welche Schritte für Rückkehrer zu setzen sind, um in den Genuß von medizinischen Leistungen zu kommen.

Eine Würdigung der Aussagen des BF im Hinblick auf die gesundheitlichen Folgen im Falle einer nicht adäquaten Behandlung sowie eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein rascher Umstieges auf das in der Türkei verfügbare Bupensan relevante gesundheitliche Schäden verursachen würde unterblieb genauso wie eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob im Herkunftsland ein familiäres Netzwerk – oder allenfalls auch sonstige Unterstützung – verfügbar wäre. Die Angabe des BF, er habe im Herkunftsland keine Verwandten mehr, wurde vielmehr ebenfalls übergangen und keiner Würdigung unterzogen.

Die Einsicht in den Akt des erst im Juli abgeschlossenen Vor-Verfahrens wurde dem Bundesverwaltungsgericht – trotz mehrfacher Urgenzen – nicht ermöglicht. Den übermittelten elektronischen Bescheiden aus verschiedenen Verfahren des BF lassen sich jedenfalls keine Informationen entnehmen, durch welche dem Bundesverwaltungsgericht eine Vervollständigung des Sachverhaltes oder der Abgleich der Angaben des BF zu seiner Rückkehrsituation mit allenfalls früheren Aussagen ermöglicht würde. Vielmehr lässt sich diesen Unterlagen entnehmen, dass keine persönliche Einvernahme des BF in dem im Juli abgeschlossenen fremdenrechtlichen Verfahren erfolgte.

Sofern in der Beschwerde ausgeführt wird, dass eine neue Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen wäre, zumal sich mittlerweile Sachverhalte ereignet hätten, die zu Gunsten des BF zu bewerten seien, ist anzumerken, dass dies aufgrund des fehlenden Verfahrensaktes für das Gericht ebenfalls nicht beurteilbar ist.

II.3.3.2. Im Hinblick auf das gegenständliche Verfahren, in welchem über die Anträge des BF auf Asyl und subsidiären Schutz abgesprochen werden soll, wird die Behörde folgende Ermittlungsschritte zu setzen haben:

Die bB wird zunächst zu ermitteln haben, welche Erkrankungen beim BF tatsächlich vorliegen und in welchem Allgemeinzustand sich dieser befindet. Dazu wird die bB einen geeigneten Sachverständigen beizuziehen haben.

Die belangte Behörde wird insbesondere zu ermitteln haben, welche Therapien und Medikamente der BF erhält und ob diese im Herkunftsstaat auch erhältlich sind. In Bezug auf die dem BF verschriebene Therapie mit Methadon ist anzumerken, dass eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Verfügbarkeit von Methadon in der Türkei aus dem Jahr 2011 datiert, welche als veraltet zu betrachten ist.

Sollten die dem BF in Österreich verordneten Behandlungen, Therapien und Medikamente nicht erhältlich sein, so wird die bB zu ergründen haben, ob dafür adäquater Ersatz zur Verfügung steht oder ob allenfalls ein gänzlicher Abbruch einer Drogentherapie unter Beachtung der Judikatur zu Art. 3 EMRK möglich wäre. In diesem Zusammenhang ist der Sachverständige vor allem dahingehend zu befragen, welche Auswirkungen eine Einstellung oder Unterbrechung der aktuellen Behandlung zeitigen würde, ob der aktuelle Gesundheitszustand eine Überstellung in die Türkei zulässt und wie rasch eine ärztliche Behandlung im Heimatland erfolgen müsste.

Sollte die Behandlung im Herkunftsstaat grundsätzlich mit anderen Medikamenten fortgesetzt werden könnte, ist zu erfragen, ob die Angaben des BF, eine Behandlung mit anderen Wirkstoffen würde Schäden nach sich ziehen und es sei auch die lange Halbwertszeit von Methadon zu berücksichtigen; das in der Türkei erhältliche Bupensan könne das Auftreten von Entzugserscheinungen bei methadonabhängigen Patienten beschleunigen etc. (siehe dazu die Eingaben des BF), nachvollziehbar sind. Der Sachverständige ist vor allem dahingehend zu befragen, ob in Anbetracht der dem BF aktuell verabreichten Rezeptur (siehe dazu das im Rechtsmittelverfahren vorgelegte Rezept) eine Behandlung mit Bupensan tatsächlich zu Schäden führen könnte, ob allenfalls bzw. unter welchen Umständen eine Umstellung auf Bupensan oder ein anderes in der Türkei erhältliches Medikament erfolgen könnte, wie lange eine derartige Umstellung dauern würde, welche Vorkehrungen dabei zu treffen sind und ob für die Phase einer Umstellung oder allenfalls auch danach ärztliche Aufsicht notwendig wäre.

Sollte es den abschiebenden Behörden möglich sein, dem BF größere Mengen des aktuell bezogenen Medikamentes oder eines anderen adäquaten Medikamentes, welches ihm sogleich verabreicht werden könnte, zur Verfügung zu stellen, so ist der Sachverständige auch zu befragen, ob dem BF aufgrund der augenblicklichen körperlichen Verfassung eine Selbstbehandlung zugemutet werden kann und welche Vorkehrungen getroffen werden müssten, damit gesundheitliche Schäden im Sinne des Art. 3 EMRK vermieden werden.

Die belangte Behörde wird sich auch mit der Behauptung, der BF verfüge in der Türkei über keine Versicherung, auseinanderzusetzen und der Frage nachzugehen haben, welche Schritte allenfalls für die Erlangung oder Aktivierung eines Versicherungsschutzes notwendig sind.

Darauf basierend wird sich die belangte Behörde vor allem unter Beachtung des gesundheitlichen Zustandes des BF mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob der Beschwerdeführer augenblicklich imstande ist, alle erforderlichen Schritte zu setzen, um eine eine adäquate Behandlung zu organisieren.

Ferner wird zu erheben sein, ob eine Behandlung in der Türkei allenfalls ohne Unterstützung eines familiären Netzwerkes möglich ist oder ob allenfalls andere Möglichkeiten bzw. Einrichtungen zu einer allenfalls notwendigen Unterstützung des BF bestehen.

Die belangte Behörde wird zu allen relevanten Themenbereichen Feststellungen zu treffen und diese auch nachvollziehbar zu begründen haben.

Die belangte Behörde wird ferner zu ermitteln haben, ob der BF (grundsätzlich) arbeitsfähig ist, sodass er sich – allenfalls nach einer erfolgten Behandlung – auch ohne familiäre Anknüpfungspunkte eine Existenz aufbauen kann oder ob der BF Anspruch auf Unterstützung durch das Sozialsystem in der Türkei hat, sodass er in keine Notlage im Sinne des Art. 3 EMRK gerät.

Die bB wird bei Abspruch über den Antrag auf internationalen Schutz auch darauf zu achten haben, dass die diesbezüglichen Aussagen in einer ordnungsgemäßen Einvernahme erfolgen und vom Gericht auch verwertet werden können. Sie wird ihre Entscheidung auch nachvollziehbar zu begründen haben.

Zusammengefasst und in einer Gesamtschau vermochte es die belangte Behörde nicht, ihre Entscheidung tragfähig zu begründen und geht aus der Aktenlage vielmehr hervor, dass die Behörde kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt hat.

Im vorliegenden Fall ist schon aufgrund des organisatorischen Aufbaues des Gerichtes und der belangten Behörde sowie aufgrund des Aufenthaltsortes des BF und der gesetzlichen Anordnung des § 28 Abs. 2 u 3 VwGVG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten oder mit einer wesentlichen Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens im Falle einer Weiterführung des Verfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht zu rechnen.

Im vorliegenden Fall ist vor allem zu beachten, dass die die belangte Behörde als „Spezialbehörde“ eingerichtet wurde und es grundsätzlich zu ihren Aufgaben gehört, die für die Beurteilung von Rechtssachen erforderlichen Berichte, wie etwa Berichte über Behandlungsmethoden im Herkunftsland, zu organisieren oder notwendige Aktualisierungen zu veranlassen. Zudem kann gerade in dringlichen Fällen – der BF befindet sich in Schubhaft – erwartet werden, dass alle für eine rasche Entscheidung des Gerichtes notwendigen Ermittlungen, etwa über den Gesundheitszustand eines BF und dessen Rückkehrsituation, von der Behörde getätigt werden. Im gegenständlichen Fall entstand jedoch der Eindruck, dass die zur Beurteilung der Rechtssache notwendigen Ermittlungen, vor allem im Hinblick auf die zu Art. 3 EMRK relevanten Themenbereiche, an das Bundesverwaltungsgericht delegiert wurden. Zudem war die Behörde trotz mehrerer Urgenzen seit Einlangen des Aktes am 04.09.2020 beim Bundesverwaltungsgericht nicht imstande, angeforderte Verfahrensakten vorzulegen, um dem Bundesverwaltungsgericht zu ermöglichen, allenfalls darin dokumentierte Ermittlungsschritte im Vorverfahren zur Feststellung des Sachverhaltes heranzuziehen und die Rechtssache einer raschen Erledigung zuzuführen.

Der Bescheid war daher nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

Im weiteren Verfahren wird die belangte Behörde auch die zwischenzeitlich vorgelegten Dokumente und Stellungnahmen zu berücksichtigen haben.

Der Vollständigkeit halber sei auch noch auf die Wahrung der Grundsätze des Parteiengehörs hingewiesen.

Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. der angefochtene Bescheid zu beheben war.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. beispielshaft Erk. d. VwGH v. 16.12.2009, GZ. 2007/20/0482; Erk. d. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0167) auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Arbeitsfähigkeit Behandlungsmöglichkeiten Erkrankung Ermittlungspflicht familiäre Situation Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständiger

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L526.2234722.1.00

Im RIS seit

16.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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