TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/27 W231 2198642-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.11.2020
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Entscheidungsdatum

27.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W231 2198643-1/31E
W231 2198642-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von (1.) XXXX , geb. XXXX , (2.) XXXX , geb. XXXX , beide afghanische Staatsangehörige, beide vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.05.2018, Zahlen (1.) XXXX , (2.) XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Den Beschwerden gegen Spruchpunkt I. wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Die übrigen Spruchpunkte werden ersatzlos behoben.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Die Erstbeschwerdeführerin (in Folge: „BF1“) stellte in Österreich am 21.03.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Anlässlich ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 21.03.2016 gab die BF1 an, Staatsangehörige Afghanistans, Angehörige der Volksgruppe der Paschtunen und dem sunnitischen Islam zugehörig zu sein. Sie stamme aus der Provinz Herat. Sie sei alleine nach Österreich gekommen, ihr Mann sei bereits seit sechs Jahren hier. Ihr Vater sei bereits verstorben. Ihre Mutter und ihre beiden Brüder seien noch in Afghanistan. Zu ihrem Fluchtgrund führte sie aus, sie habe Angst vor dem Krieg. Ihr Leben sei in Gefahr und sie befürchte im Fall einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, getötet zu werden.

I.3. Am 20.04.2017 wurde ein Antrag auf internationalen Schutz für den in Österreich nachgeborenen Sohn der BF1, den Zweitbeschwerdeführer (in Folge: „BF2“), gestellt. Für ihn wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

I.4. Am 28.02.2018 wurde die BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol (in Folge: „BFA“), niederschriftlich einvernommen.

Die BF1 gab an, sie stamme aus der Provinz Herat, Zendejan, wo sie für 40 Tage gelebt habe, dann seien ihre Eltern mit ihr in die Stadt Herat gezogen, wo sie in der Folge gelebt hätten und wo sie sich bis zu ihrer Ausreise aufgehalten habe. Ihr Vater sei Autoverkäufer gewesen und die finanzielle Situation der Familie sei gut gewesen. Sie habe zwölf Jahre lang die Schule in Herat besucht und die Schule auch abgeschlossen. Ab ihrem zwölften Lebensjahr habe sie mit ihrer Mutter als Frisörin gearbeitet. Dabei habe sie von Anfang 2012 bis Anfang 2014 fünf Semester lang an der Universität in Herat Zahnmedizin studiert. Mitte 2015 sei ihr Vater verstorben. Die BF1 habe im Jahr 2013 in Herat geheiratet, wobei ihr Mann bei der Hochzeit nicht anwesend, sondern in Österreich aufhältig gewesen sei. Ihre Mutter und ihre beiden Brüder seien noch in Afghanistan, sie habe jedoch seit zwei Jahren keinen Kontakt zu ihrer Familie. Sie habe weiters noch einen Onkel väterlicherseits und Cousins in Afghanistan.

Zu ihren Fluchtgründen gab sie zusammengefasst an, schon als sie ca. zwölf Jahre alt gewesen sei, sei gesagt worden, sie müsste einmal ihren Cousin, den Sohn ihres Onkels väterlicherseits, heiraten. Der Vater der BF1 habe immer Angst vor dem Onkel väterlicherseits gehabt und nicht gesagt, dass er damit nicht einverstanden sei. Auch später habe ihr Cousin BF1 immer wieder unter Druck gesetzt, dass sie ihn heiraten sollte. Der Cousin habe dann auch BF1 und ihren Vater bedroht. Als BF1 ihren Mann geheiratet habe, sei die Situation immer schlimmer geworden und der Onkel und der Cousin hätten die Familie immer mehr unter Druck gesetzt. Der Onkel habe den Vater aufgefordert, BF1 sollte sich scheiden lassen, der Vater sei aber damit nicht einverstanden gewesen. Eines Abends sei der Vater der BF1 auf dem Weg in die Moschee erschossen worden. Ihr Vater habe keine Feinde gehabt und sie seien sich sicher gewesen, dass der Onkel und der Cousin das getan hätten. Der Onkel habe die Familie bedroht, dass sie nicht zur Polizei gehen sollten, sonst würde er auch die zwei Brüder der BF1 töten. Nach dem Tod des Vaters habe BF1 nicht mehr zur Uni gehen dürfen und nach der Trauerfeier hätten der Onkel und der Cousin die BF1 und ihre Familie nach Zendejan gebracht. Der Cousin habe BF1 in einen Keller gebracht, sie dort zwei bis drei Monate getrennt von ihrer Familie eingesperrt und immer wieder vergewaltigt. Mit der Hilfe ihrer Mutter und der Ehefrauen des Cousins sei BF1 schließlich die Flucht gelungen und sie habe Afghanistan verlassen.

In Österreich habe BF1 vor der Geburt ihres Sohnes gemeinnützig in einem Altenheim gearbeitet und auch Deutschkurse besucht. Nach der Geburt ihres Sohnes sei sie nun bei ihrem Kind und lerne selbst zu Hause Deutsch. Sie lebe gemeinsam mit ihrem Mann, dem Vater ihres Sohnes. Sie habe auch viele österreichische Freunde. Sie würde gerne Deutsch lernen, arbeiten und ihr eigenes Geld verdienen und sie würde auch gerne ihr Studium wieder aufnehmen. Sie wolle sich hier ihr Leben und eine bessere Zukunft aufbauen und Fortschritte machen. Sie lebe hier in Freiheit, könne alleine entscheiden und ihre eigene Meinung vertreten. Sie würde ihren Sohn gerne wie einen Österreicher erziehen, sie hasse die afghanische Tradition. In Afghanistan habe sie mit einem vergleichsweise offenen Vater gelebt, und solange er am Leben gewesen sei, habe sie es aushalten können, er habe ihr aber trotzdem nicht erlaubt, ohne männliche Begleitung zum Bazar zu gehen. Wenn sie zur Schule gegangen sei, habe sie die Burka tragen müssen und entweder von ihrem Bruder oder ihrem Vater begleitet werden müssen.

I.5. Das BFA wies mit dem angefochtenen Bescheid vom 15.05.2018 den gegenständlichen Antrag der BF1 auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs.1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der BF1 gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG wurde gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG für auf Dauer unzulässig erklärt und der BF1 wurde gemäß § 58 Abs. 2 und 3 iVm § 55 AsylG 2005 eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt IV.).

Begründend heißt es, dass BF1 eine aktuelle asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat nicht glaubhaft habe machen können. Es sprächen auch keine Gründe für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz. Jedoch sei ein Aufenthaltstitel zu erteilen, da dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens mit BF2 iSd Art. 8 EMRK geboten sei.

I.6. Gegen die Spruchpunkte I., II. und III. dieses Bescheides richtet sich die vorliegende, fristgerecht eingebrachte und zulässige Beschwerde der BF1. Darin wurden nähere Ausführungen in Form einer Beschwerdeergänzung angekündigt.

I.7. Das BFA wies mit dem angefochtenen Bescheid vom 15.05.2018 den gegenständlichen Antrag des BF2 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 wurde dem BF2 der Status des subsidiär Schutzberechtigten (abgeleitet von seinem Vater) zuerkannt (Spruchpunkt II.). Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 15.05.2019 erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend heißt es, für den BF2 seien keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden; BF1 als seine gesetzliche Vertreterin habe eine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat nicht glaubhaft machen können. Jedoch komme BF2 im Rahmen des Familienverfahrens ein von seinem Vater abgeleiteter subsidiärer Schutz zu, dem mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.07.2014, Zl. W102 1421255-1/16E, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden war.

I.8. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides richtet sich die vorliegende, fristgerecht eingebrachte und zulässige Beschwerde des BF2.

I.9. Mit Schreiben vom 06.07.2018 wurde eine Beschwerdeergänzung übermittelt. Darin wurde u.a. ausgeführt, BF1 gehöre aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen in Afghanistan und aufgrund ihrer Verwestlichung einer Risikogruppe an. In Afghanistan habe BF1 mit vielen Einschränkungen leben müssen und sich nur vollverschleiert bewegen dürfen. Sie schätze es an Österreich, dass sie sich frei, ohne Furcht und ohne männliche Begleitung bewegen könne, dass sie lernen und arbeiten dürfe und Kontakt auch zu männlichen Freunden und Bekannten pflegen dürfe. Sie erziehe ihren Sohn nach der westlichen Lebensweise und spreche Deutsch mit ihm. Die Erziehung nach afghanischer Tradition lehne sie strikt ab.

I.10. Am 10.08.2020 langte die Verständigung von einer rechtskräftigen Verurteilung der BF1 beim Bundesverwaltungsgericht ein, wonach sie mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 29.07.2020, Zl. 33 Hv 22/20w, gemäß § 288 Abs. 1 StGB und § 288 Abs. 1 und 4 StGB (falsche Beweisaussage) zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 4,00 EUR, im Nichteinbringungsfall 120 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt wurde.

I.11. Am 21.10.2020 fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein der BF und ihrer Rechtsvertretung statt. Die belangte Behörde ist entschuldigt nicht erschienen. Auf die Verlesung des gesamten Akteninhalts wurde verzichtet. Dazu wurden von der erkennenden Richterin das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Afghanistan vom 13.11.2019 idF KI 21.07.2020“ sowie die aktuellen UNHCR-Richtlinien und EASO-Guidelines in das Verfahren eingeführt und weiters die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 05.01.2018 „Ehen in Afghanistan – Registrierung und Gültigkeit“. In der Verhandlung wurde die BF1 aufgefordert, diverse Unterlagen nachzureichen (Zeugnisse etc.). Dem kam die BF1 nach und übermittelte mit mehreren Eingaben diverse Dokumente.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person der BF und zu ihrem Leben in Österreich:

BF1 ist volljährig, führt den im Spruch angeführten Namen und das dort genannte Geburtsdatum, ist afghanische Staatsangehörige, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitische Muslima. Ihre Muttersprache ist Dari. Weiters spricht sie Paschtu, etwas Englisch sowie Deutsch.

Der in Österreich geborene minderjährige BF2, ebenfalls afghanischer Staatsangehöriger, ist der leibliche Sohn der BF1 und ihres Ex-Partners, eines afghanischen Staatsangehörigen, der in Österreich den Status des subsidiär Schutzberechtigten innehat (dieser wurde vom BVwG mit Erkenntnis vom 22.07.2014, Zl. W102 1421255-1/16E, zuerkannt; mit Erkenntnis des BVwG vom 09.09.2020, Zl. W231 1421255-2/18E, wurde die durch das BFA ausgesprochene Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ersatzlos behoben).

Es kann nicht festgestellt werden, dass BF1 und ihr genannter Ex-Partner rechtsgültig geheiratet haben bzw. verheiratet waren. BF1 lebt in Österreich als alleinerziehende Mutter gemeinsam mit ihrem Sohn, BF2. BF1 hat sich von ihrem Ex-Partner getrennt und hat zu diesem keinen Kontakt.

BF1 stammt aus der afghanischen Provinz Herat, Zendejan, und hat dort für 40 Tage gelebt. Dann sind ihre Eltern mit ihr in die Stadt Herat gezogen, wo sie in der Folge aufgewachsen ist und bis zu ihrer Ausreise aus Afghanistan gelebt hat. Ihr Vater war Autoverkäufer und die finanzielle Situation der Familie war gut. Der Vater der BF1 hatte eine vergleichsweise offene Einstellung und hat ihr eine Ausbildung ermöglicht. Dennoch war sie mehreren Einschränkungen unterworfen, etwa sich verschleiern zu müssen oder das Erfordernis, von ihrem Vater oder ihrem Bruder begleitet werden zu müssen. Die BF1 hat zwölf Jahre lang die Schule in Herat besucht und die Schule auch mit der Reifeprüfung mit sehr gutem Erfolg abgeschlossen. Ab ihrem zwölften Lebensjahr hat sie mit ihrer Mutter als Frisörin gearbeitet. Von 2012 bis Mitte 2014 hat sie nebenbei fünf Semester lang an der Universität in Herat Zahnmedizin studiert. Ihr Vater ist bereits verstorben. In Afghanistan leben noch die Mutter und die zwei Brüder der BF1, weiters ihr Onkel väterlicherseits sowie dessen Sohn, ihr Cousin, mit seinen zwei Frauen und seinen Kindern. Die BF1 hat zu ihrer Mutter Kontakt.

In Österreich hat BF1 vor der Geburt ihres Sohnes gemeinnützig in einem Altenheim als Hilfskraft gearbeitet und auch Deutschkurse bis zum Niveau B1 besucht. Sie hat das ÖSD-Zertifikat Deutsch und die Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau A2 absolviert und hat sich auch dementsprechend bereits gute Deutschkenntnisse angeeignet, eine Unterhaltung in Deutsch ist mit ihr auf einfachem Niveau möglich. Die BF1 organisiert ihren Alltag selbständig. Sie besucht weiterhin einen Deutschkurs und plant, das Niveau B2 abzuschließen. Sie hat ihre Deutschkurse selbst finanziert. Weiters hat sie in Österreich den Führerschein und einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht. Sie hat sich auch konkret bezüglich der Möglichkeit erkundigt, ihre Ausbildung in Österreich fortsetzen zu können. Sie möchte eine Ausbildung bei einem Zahnarzt machen oder auf die Universität gehen. Die BF1 hat seit einigen Monaten eine Rot-Weiß-Rot - Karte plus, gültig bis 17.06.2021. Sie sucht aktiv nach einem Arzt, bei dem sie halbtags arbeiten kann. Sie möchte ihr eigenes Geld verdienen und sich weiterbilden. Ihr Sohn, der BF2, geht in den Kindergarten und sie wünscht sich für ihn eine gute Ausbildung. Sie erzieht ihn nach ihren eigenen, liberalen Wertvorstellungen.

BF1 trifft sich regelmäßig mit einem ehemaligen Nachbarn, einem Professor, und er lernt mit ihr Deutsch, während dessen Frau mit BF2 spielt. In ihrer Freizeit betreibt die BF1 Sport. Sie unterhält auch Kontakte zu anderen Personen, die meisten davon Österreicher.

BF1 wurde mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 29.07.2020, Zl. 33 Hv 22/20w, wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 StGB und des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 und 4 StGB zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 4,00 EUR, im Nichteinbringungsfall 120 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt. Dieser Verurteilung liegt zugrunde, dass sie vor dem Landesgericht Innsbruck in ihrer förmlichen Vernehmung als Zeugin durch die Aussage „die Angaben, dass mein Mann mich bedroht haben soll, stimmen nicht. Ich habe das nicht gesagt (…)“, als Zeugin in einem Strafverfahren vor Gericht falsch ausgesagt hat; weiters, dass sie vor einer Polizeiinspektion als Zeugin bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache in einem Ermittlungsverfahren gegen ihren Ex-Partner durch die Aussage, dieser habe sie definitiv nicht geschlagen, in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung vor der Kriminalpolizei falsch ausgesagt hat.

Der minderjährige BF2 ist strafunmündig.

II.1.2. Zu den Fluchtgründen der BF1 und ihrer Situation im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan:

Die BF1 ist eine Frau, welche in ihrer Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als „westlich“ bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert ist. Sie lebt in Österreich nicht nach der konservativ-afghanischen Tradition, lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und kann sich nicht vorstellen, nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Sie bewältigt ihren Alltag als alleinerziehende Mutter in Österreich selbständig, strebt nach (Weiter-)Bildung und wirtschaftlicher Selbständigkeit und will in Österreich einen Beruf ergreifen. Sie hat Kontakte auch zu Österreichern geknüpft, betreibt Sport und nimmt am gesellschaftlichen Leben teil. Auch ihr Erscheinungsbild entspricht nicht den in Afghanistan für Frauen bestehenden Bekleidungsvorschriften.

Diese Einstellung steht im eindeutigen Widerspruch zu den in Afghanistan vorherrschenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Auffassungen hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Zugang zur Erwerbstätigkeit für Frauen bzw. zu den bestehenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind.

II.1.3. Zur aktuellen Situation in Afghanistan werden folgende Feststellungen getroffen:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan (in der Folge auch „LIB“) vom 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 1. Politische Lage).

COVID-19:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Afghanistan wurden bis 19. November 2020 43.851 Erkrankungsfälle registriert und 1.645 Todesfälle offiziell bestätigt (https://covid19.who.int/region/emro/country/af ).

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Stand 21.07.2020

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt, mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet. 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar. Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte. Am 18.7.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen. Die Regierung Afghanistans gab am 6.6.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19)).

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.7.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren. Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen ist, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunimmt. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Am Samstag den 18.7.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befinden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Die Weltbank genehmigte am 15.7.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 bzw. 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das von einem örtlichen Geschäftsmann in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde. Es gibt Berichte, dass 47,6 Prozent der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben, was bedeutet, dass oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

In der Provinz Daikundi gibt es ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Es gibt jedoch keine Auswertungsmöglichkeiten für COVID-19-Tests – es werden Proben entnommen und zur Laboruntersuchung nach Kabul gebracht. Es dauert Tage, bis ihre Ergebnisse von Kabul nach Daikundi gebracht werden. Es gibt Berichte, dass 90 Prozent der Menschen in Daikundi unter der Armutsgrenze leben und dass etwa 60 Prozent der Menschen in der Provinz stark von Ernährungsunsicherheit betroffen sind (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

In der Provinz Samangan gibt es ebenso ein Krankenhaus für COVID-19-Patienten mit 50 Betten. Wie auch in der Provinz Daikundi müssen Proben nach Kabul zur Testung geschickt werden. Eine unzureichende Wasserversorgung ist eine der größten Herausforderungen für die Bevölkerung. Nur 20 Prozent der Haushalte haben Zugang zu sauberem Trinkwasser (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird. Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen. Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind. Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Am 19.7.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.7.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Einreise und Bewegungsfreiheit

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.7.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Stand 29.06.2020

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt, mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangahar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden. In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt. Dem Lockdown Folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden. In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes. Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern. Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen. Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden. Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen. Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird. Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen. Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen. Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich. Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt. Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind; in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Stand: 18.05.2020

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert. Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig. COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird. Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt. In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden. Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden. Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen. Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil. Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei. Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung. Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung. 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten. Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans; dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert. Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen. Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden. Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert. In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt, wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar. Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt. Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze: Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen. Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden(LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise: 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte. In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommission gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen. Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

?        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

?        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel Länderspezifische Anmerkungen – COVID-19).

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89ff; LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mission (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417. Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17), landesweit betrug die Zahl 88 (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet. Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen. Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt. Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien. Die Taliban distanzierten sich von dem Angriff. Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB 13.11.2019 idF 21.07.2020, Kapitel 2. Sicherheitslage):

Taliban

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada– Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani Sohn des Führers des Haqqani-

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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