Entscheidungsdatum
09.12.2020Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W123 2210464-1/12E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerde des XXXX , geboren XXXX , Staatsangehörigkeit Serbien, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH – ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.10.2018, Zl. 13765310-180537998:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid des unabhängigen Asylsenates vom 06.06.2003, Zl. XXXX wurde der Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.11.2002, Zl. 02 12.778-BAE, gemäß § 11 Abs. 1 AsylG stattgegeben und dem Beschwerdeführer durch Erstreckung Asyl gewährt.
2. Mit Aktenvermerk vom 11.06.2018 stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) unter dem Betreff „Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten“ fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung infolge Straffälligkeit und geänderter Verhältnisse im Herkunftsstaat nicht mehr vorlägen.
3. Am 18.09.2018 fand die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers statt.
4. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid der belangten Behörde vom 15.10.2018 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 04.06.2003 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 1 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig sei und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte IV.-VI.).
Die Begründung lautet auszugsweise:
„Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten:
Aus dem Akt geht hervor, dass Ihnen der Asylstatus ausschließlich aufgrund der Erstreckung auf Ihre Mutter zuerkannt worden ist.
Die Nichtfeststellbarkeit einer Verfolgung in Ihrem Herkunftsstaat beruht einerseits darauf, dass Sie im gesamten Verfahren, wie auch in der letzten Einvernahme vor dem BFA am 18.09.2018 keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen vorgebracht haben.
Andererseits gelten Serbien, sowie auch die Teilrepublik Kosovo […] als sichere Herkunftsstaaten. Dies bedeutet, dass in diesem Staat definitiv eine staatliche Verfolgung nicht stattfindet und jedenfalls Schutz vor privater Verfolgung und Rechtsschutz gegen erlittene Menschenrechtsverletzungen gewährt wird.
Es ist festzuhalten, dass Sie im Kosovo über eine größere Familienstruktur verfügen und Sie laut eigenen Angaben seit der Asylantragstellung zweimal auf Familienbesuch im Kosovo waren.
Befragt, ob Sie Befürchtungen im Falle einer Rückkehr nach Serbien bzw. Kosovo hätten, gaben Sie an, dass Sie keine Befürchtungen hätten, jedoch nicht zurückkehren möchten.
[…]
E) Rechtliche Beurteilung
[…]
Zu Spruchpunkt I.:
[…]
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass in Ihrem Fall keine aktuelle Verfolgung iSd. GFK im Herkunftsstaat vorliegt.
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
Eine gegen Sie gerichtete, vom Staat Serbien bzw. Kosovo ausgehende oder diesem zurechenbare, aktuelle Verfolgungsgefahr wurde von Ihnen im Verfahren nicht vorgebracht, sondern das Vorliegen einer solchen explizit verneint.
Der alleinige Umstand, dass Sie der ethnischen Minderheit der Albaner angehören, vermag eine asylrelevante Verfolgung nicht zu begründen. Eine Verfolgung von Mitgliedern der dieser oder anderen Minderheiten in Serbien besteht nicht. Wenn auch allfällige allgemeine Diskriminierungen auch zukünftig nicht ausgeschlossen werden können, mangelt es diesen an einer hinreichenden Intensität um eine Asylrelevanz zu erreichen.“
5. Gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.
6. Am 23.11.2018 erließ die belangte Behörde einen Berichtigungsbescheid zu Spruchpunkt I.
7. Gegen den Berichtigungsbescheid vom 23.11.2018 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Serbien und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG; seine Identität steht aufgrund der Geburtsurkunde fest.
1.2. Der Beschwerdeführer reiste am 14.05.2002 gemeinsam mit seiner Mutter, Frau XXXX , und seinen Schwestern illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Am selben Tag stellte die Mutter (als damalige gesetzliche Vertreterin) für den Beschwerdeführer beim (damaligen) Bundesasylamt einen Asylantrag gemäß § 10 iVm § 11 Abs. 1 AsylG 1997.
1.3. Mit mündlich verkündetem Bescheid des (damaligen) Unabhängigen Bundesasylsenates vom 04.06.2003 wurde Frau XXXX Asyl gewährt.
Mit Bescheid des (damaligen) Unabhängigen Bundesasylsenates vom 06.06.2003, Zl. XXXX , wurde dem Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 1997 stattgegeben und diesem durch Erstreckung Asyl gewährt. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 12 AsylG 1997 kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
1.4. Mit Aktenvermerk vom 11.06.2018 wurde gegen den Beschwerdeführer ein Aberkennungsverfahren eingeleitet.
1.5. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 04.07.2007, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 142 Abs. 1, 15 und 91 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten bedingt (Probezeit 3 Jahre) rechtskräftig verurteilt.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 24.10.2008, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 15, 127 und 129 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Wochen rechtskräftig verurteilt.
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 14.07.2010, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens nach § 83 Abs. 1 StGB zu einem Schuldspruch ohne Strafe rechtskräftig verurteilt.
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Meidling vom 03.07.2012, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und § 27 Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 3 Wochen bedingt (Probezeit 3 Jahre) rechtskräftig verurteilt.
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde. Ergänzend wurden Auszüge aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister und dem AJ-WEB Auskunftsverfahren zum vorliegenden Akt eingeholt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid der Status eines Asylberechtigten abzuerkennen, wenn
1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;
2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder
3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.
Gemäß Art. 1 Abschnitt C der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlichgskonvention - GFK), BGBl. Nr. 55/1955 und 78/1974, wird dieses Abkommen auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr angewendet werden, wenn sie
1. sich freiwillig wieder unter den Schutz ihres Heimatlandes gestellt hat; oder
2. die verlorene Staatsangehörigkeit freiwillig wieder erworben hat; oder
3. eine andere Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz des neuen Heimatlandes genießt; oder
4. sich freiwillig in den Staat, den sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen oder nicht betreten hat, niedergelassen hat; oder
5. wenn die Umstände, aufgrund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist. bestehen und sie daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen.
6. staatenlos ist und die Umstände, aufgrund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen, sie daher in der Lage ist, in ihr früheres Aufenthaltsland zurückzukehren.
3.2. Gegenständlich ist festzuhalten, dass dem damals minderjährigen Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten nicht aufgrund einer individuellen Gefährdung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern im Wege der nationalen Regelungen des AsylG 1997 über die Asylerstreckung – abgeleitet vom Status seiner Mutter – zuerkannt worden war.
3.3. Zur Begründung der Aberkennung des derart zuerkannten Status unter Anwendung der „Wegfall der Umstände“-Klausel vertrat die Behörde im angefochtenen Bescheid – vereinfacht gesagt – die Ansicht, dass der straffällig gewordene Beschwerdeführer keine aktuelle individuelle asylrelevante Verfolgung in seinem Herkunftsstaat zu befürchten habe.
3.4. Jener von der belangten Behörde vertretenen Rechtsansicht ist der Verwaltungsgerichtshof in seiner zwischenzeitig ergangenen Entscheidung vom 23.10.2019, Ra 2019/19/0059-6, nicht gefolgt; der Verwaltungsgerichtshof führte in jenem Erkenntnis näher aus (vgl. Rz 24 f), dass es auf die Frage, ob einem Familienangehörigen im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung iSd § 3 Abs. 1 AsylG 2005 droht, für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nach § 34 Abs. 2 AsylG 2005 gerade nicht ankomme und es daher den Bestimmungen des § 34 AsylG 2005 über das Familienverfahren zuwiderlaufen würde, wenn für die Frage, ob der nach diesen Bestimmungen zuerkannte Status des Asylberechtigten abzuerkennen sei, auf das Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung beim Familienangehörigen abgestellt würde. Ebenso wenig sei für die Asylaberkennung in einem solchen Fall maßgeblich, ob alle Voraussetzungen des § 34 AsylG 2005 für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Familienverfahren (also etwa die im Revisionsfall, wie auch im vorliegenden Beschwerdefall, nicht mehr gegebene fehlende Straffälligkeit iSd § 34 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005) noch vorliegen. Auch gebe es keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber die auf Grund des Verweises in § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 anzuwendende (völkerrechtliche) Beendigungsklausel des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK auf eine nationalstaatliche Regelung wie jene des § 34 AsylG 2005, welche die Anerkennung als Flüchtling gerade unabhängig von den Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorsieht, angewendet wissen wollte.
In Bezug auf die Anwendung der „Wegfall der Umstände“-Klausel in Fällen der Aberkennung eines Status des Asylberechtigten, welcher ursprünglich abgeleitet von einem Familienangehörigen zuerkannt worden war, führte der Verwaltungsgerichtshof in der erwähnten Entscheidung (vgl. Rz 26 ff) weiter aus, dass die in Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK vorgesehene „Wegfall der Umstände“-Klausel im Unterschied zu allen anderen Aberkennungstatbeständen des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 nicht gesondert für einen Familienangehörigen, der seinen Asylstatus von einer Bezugsperson abgeleitet hat, geprüft werden kann. Es ist nämlich bei einer Person, welcher die Flüchtlingseigenschaft unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zukommt, der Wegfall solcher Umstände von vornherein nicht denkbar.
Dies würde aber dazu führen, dass der Aberkennungstatbestand des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK hinsichtlich von Personen, denen der Status des Asylberechtigten im Familienverfahren (bzw. durch Asylerstreckung) zuerkannt wurde, ins Leere liefe. Familienangehörigen könnte dieser Status also selbst dann nicht aberkannt werden, wenn sich die Umstände, auf Grund deren ihre Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und die Bezugsperson es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Es kann dem Gesetzgeber aber nicht unterstellt werden, dass er eine solche Rechtsfolge bei der Ersetzung der Asylerstreckung durch das Familienverfahren durch die AsylG-Novelle 2003 trotz der ersatzlosen Aufhebung des auf die Asylerstreckung Bezug nehmenden Aberkennungstatbestandes des § 14 Abs. 1 Z 2 AsylG bewirken wollte.
Die Beendigungsklauseln des Art. 1 Abschnitt C GFK beruhen auf der Überlegung, dass internationaler Schutz nicht mehr gewährt werden sollte, wo er nicht mehr erforderlich oder nicht mehr gerechtfertigt ist. Bei der „Wegfall der Umstände“-Klausel ist dies dann der Fall, wenn die Gründe, die dazu führten, dass eine Person ein Flüchtling wurde, nicht mehr bestehen. Zweck der Regelungen über das Familienverfahren nach dem AsylG 2005 sei es, Familienangehörigen die Fortsetzung des Familienlebens mit einer Bezugsperson in Österreich zu ermöglichen. Bestehen jene Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr, und könne es die Bezugsperson daher nicht weiterhin ablehnen, sich unter den Schutz ihres Heimatstaates zu stellen, bestehe weder nach dem Zweck des internationalen Flüchtlingsschutzes noch nach jenem des Familienverfahrens nach dem AsylG 2005 eine Rechtfertigung dafür, den Asylstatus des Familienangehörigen, der diesen Status von der Bezugsperson nur abgeleitet hat, aufrecht zu erhalten.
Für die Aberkennung des einem Familienangehörigen im Familienverfahren (bzw. durch Asylerstreckung) zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände komme es also darauf an, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Diese Frage habe die Behörde (bzw. das Verwaltungsgericht) ohne Bindung an eine allfällige diesbezügliche Entscheidung im Verfahren über die Aberkennung des Asylstatus des Familienangehörigen selbstständig zu beurteilen.
Gelange die Behörde (bzw. das Verwaltungsgericht) in so einem Fall zu der Beurteilung, dass die genannten Umstände nicht mehr vorliegen, ist der Asylstatus eines Familienangehörigen, dem dieser Status im Familienverfahren (bzw. durch Asylerstreckung) zuerkannt worden ist, abzuerkennen, sofern im Entscheidungszeitpunkt hinsichtlich des Familienangehörigen nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (drohende Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK) vorliegen (vgl. in diesem Sinn auch EuGH 2.3.2010, C-175/08 u.a., Aydin Salahadin Abdulla u.a., Rn. 81 ff).
3.5. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
§ 28 Abs. 3 VwGVG lautet:
„Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.“
3.6. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (VwGH 12.8.2019, Ra 2019/20/0192, mwN).
Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 20.2.2018, Ra 2017/20/0498; 18.10.2018, Ra 2018/19/0146, jeweils mwN).
Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. wiederum VwGH 12.8.2019, Ra 2019/20/0192, mwN).
3.5. Unstrittig wurde der Mutter des Beschwerdeführers, Frau XXXX , am 04.06.2003 durch den damaligen Unabhängigen Bundesasylsenates Asyl gewährt (vgl. Hinweis im Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 06.06.2003; AS 21). Im gesamten Verfahrensakt findet sich jedoch kein Hinweis, wonach Umstände vorlägen, auf Grund deren die Bezugsperson (= Mutter des Beschwerdeführers) als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Diese entscheidungserhebliche Frage wurde demzufolge von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid nicht beurteilt, womit aber eine offenkundige Ermittlungslücke vorliegt.
Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes liegen gegenständlich die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG nicht vor, da die belangte Behörde im Hinblick auf den Asylstatus der Mutter des Beschwerdeführers jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterließ. Die diesbezüglich abschließende Prüfung ist iSd Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedenfalls durch die belangte Behörde vorzunehmen, da es sich hierbei nicht um „(lediglich) ergänzende Ermittlungen“ handelt.
3.6. Da der angefochtene Bescheid bereits aufgrund der Bestimmung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben war, musste auf das übrige Vorbringen in der Beschwerde nicht mehr eingegangen werden.
Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass mit der Behebung des angefochtenen Bescheides auch der (später erlassene) Berichtigungsbescheid der belangten Behörde obsolet wurde.
3.7. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Der Sachverhalt ist im Gegenstand aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt, weshalb gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben konnte.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (vgl. die unter A) zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Schlagworte
Asylaberkennung Asylerstreckung Ermittlungspflicht Familienangehöriger Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Wegfall der GründeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W123.2210464.1.00Im RIS seit
16.02.2021Zuletzt aktualisiert am
16.02.2021