TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/9 L511 2230454-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.12.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

09.12.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


L511 2230454–1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a JICHA als Vorsitzende und den Richter Dr. DIEHSBACHER sowie den fachkundigen Laienrichter RR PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice Landesstelle XXXX vom 10.03.2020, Zahl: OB XXXX , betreffend Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Behindertenpasses, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und gemäß § 40 iVm § 41 Abs. 1 Bundesbehindertengesetz (BBG) festgestellt, dass der Grad der Behinderung fünfzig von Hundert (50 v. H.) beträgt und die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses vorliegen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang und Verfahrensinhalt

1.       Verfahren vor dem Sozialministeriumservice [SMS]

1.1.    Die Beschwerdeführerin stellte am 26.11.2019 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses, sowie für den Fall, dass die Aktenlage die Vornahme von Zusatzeintragungen rechtfertige, die Aufnahme der entsprechenden Zusatzeintragungen in den Behindertenpass (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 2.6). Die Beschwerdeführerin legte dazu im Verfahren medizinische Befunde vor (AZ 2.7-2.18).

1.2.    Das SMS holte in der Folge ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin sowie der Orthopädie und der orthopädischen Chirurgie ein. Dieses Gutachten vom 31.01.2020 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 28.01.2020 und unter Einbeziehung eines Vorgutachtens aus dem Jahr 2015 sowie der vorgelegten aktuellen Befunde erstattet. Als Ergebnis der Begutachtung wurden die Funktionseinschränkungen den entsprechenden Leidenspositionen nach der Einschätzungsverordnung zugeordnet und ein Gesamtgrad der Behinderung [GdB] von 30 v.H. sowie die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt (AZ 2.23).

1.3.    Mit Bescheid des SMS vom 10.03.2020, Zahl: XXXX , wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 26.11.2019 gemäß §§ 40, 41 und 45 BBG abgewiesen, da sie mit einem Grad der Behinderung von 30 v.H. die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle (AZ 2.26).

Begründend verwies das SMS auf die Ergebnisse des Gutachtens vom 31.01.2020, welches als schlüssig erkannt wurde. Das Gutachten wurde als Beilage zum Bescheid übermittelt.

1.4.    Mit Schreiben vom 02.04.2020, verbessert mit Schreiben vom 05.06.2020 (OZ 3), erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde [Bsw] gegen den Bescheid des SMS vom 10.03.2020 (AZ 1.2).

Darin führt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, ihre Beschwerden würden sich durch die durchgeführten Operationen zwar gebessert haben, sie benötige jedoch nach wie vor Spritzen hinsichtlich ihrer Bewegungseinschränkungen beim Gehen oder Bücken und sie könne mit der linken Hand aufgrund eines Problems mit dem Daumen fast nichts greifen oder halten. Sie legte einen weiteren Befund vor.

2.       Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 22.04.2020 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des gegenständlichen Gerichtsaktes OZ 1 [=AZ 1.1-1.2, 2.1 -2.26]).

2.1.    Das BVwG holte ein weiteres Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der Orthopädie ein (OZ 6). Dieses Gutachten vom 05.08.2020 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin unter Einbeziehung der Vorgutachten und aller Befunde erstellt. Als Ergebnis der Begutachtung wurden die Funktionseinschränkungen den entsprechenden Leidenspositionen nach der Einschätzungsverordnung zugeordnet und ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. sowie die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgestellt.

2.2.    Mit Parteiengehör vom 20.08.2020, zugestellt am 21.08.2020 im elektronischen Rechtsverkehr an das SMS sowie am 25.08.2020 per Rsa an die Beschwerdeführerin, übermittelte das BVwG den Verfahrensparteien das Sachverständigengutachten vom 05.08.2020 mit dem Ersuchen um Stellungnahme und dem Hinweis, dass das BVwG beabsichtige, sich auf dieses Gutachten zu stützen (OZ 7).

2.3.    Keine der Verfahrensparteien nahm dazu Stellung.

II.      Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1.    Die Beschwerdeführerin ist in Österreich wohnhaft und stellte am 26.11.2019 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.

1.2.    Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos.Nr.

Gdb %

1

Chronisches Schmerzsyndrom Lendenwirbelsäule bei beträchtlicher Bandscheibendegeneration. Vorfall L4/5 Wirbelkanalenge berichtete Vorfußheberschwäche (heute klinisch nicht verifizierbar MR ist geplant)

02.01.02

40

2

Gelenkersatz Knie bds. Z.n. Wechsel des Tibiateils re. Bei Infektlockerung. Leichte Bewegungseinschränkung geringer Reizzustand re.

02.05.19

30

3

Z.n. Magenbypass. Bisher 50 kg Gewichtsabnahme kompensatorische Vitamin Verabreichung

07.04.02

20

4

Beinverkürzung li. knapp 1 cm

02.05.01

10

5

Bluthochdruck seit Gewichtsabnahme nicht mehr behandlungsbedürftig

05.01.01

10

6

Impingementbeschwerden re. Schulter, leichte Bewegungseinschränkung

02.06.01

10

7

Arthrose Daumensattelgelenk bds.

02.06.26

10

8

Krampfadern Z.n. Beinvenenthrombose re. Unterschenkelödem re.

05.08.01

20

1.3.    Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt 50 v.H.

1.4.    Das Grundleiden sind die Einschränkungen der Wirbelsäule bei beträchtlich degenerativen Veränderungen. Durch die Einschränkungen nach Gelenkersatz beider Knie verstärken sich die Beschwerden, weshalb der GdB um eine Stufe angehoben wird. Die übrigen Leiden haben keine Wechselwirkung bzw. steigern den GdB wegen Geringfügigkeit nicht.

1.5.    Keinen Grad der Behinderung erreichen folgende diagnostizierte Gesundheitsschädigungen der Beschwerdeführerin:

-        -Astigmatismus

-        -Beginnender Cataract

-        -Beginnende Coxarthrose

1.6.    Eine Nachuntersuchung ist für Dezember 2021 vorgesehen.

2.       Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

2.1.    Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt (OZ 1), aus denen sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt. Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:

?        Sachverständigengutachten vom 31.01.2020 (AZ 2.23) und vom 05.08.2020 (OZ 6)

?        Bescheid des SMS vom 10.03.2020 (AZ 2.26)

?        Beschwerde vom 02.04.2020 (AZ 1.2; OZ 3)

?        Einsicht in das Zentrale Melderegister ZMR

?        Einsicht in das Zentrale Melderegister ZMR

2.2.    Beweiswürdigung

2.2.1.  Die allgemeinen Feststellungen (Punkt 1.1.) ergeben sich aus der Antragstellung und sind unstrittig (AZ 2.6).

2.2.2.  Im Hinblick auf die festgestellten Funktionseinschränkungen und den Gesamtgrad der Behinderung und die vorgesehene Nachuntersuchung (Punkt 1.2.-1.6) folgt der entscheidende Senat den Ausführungen im orthopädischen Gutachten vom 05.08.2020 (OZ 6), welches zu einer höheren Einschätzung des GdB kommt, als das allgemeinmedizinische Vorgutachten. Das Gutachten ist nicht nur das zeitlich jüngere Gutachten, sondern auch eines aus dem Fachgebiet der Orthopädie, dem die Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin vorrangig zuzuordnen sind. Die Feststellungen im Gutachten sind nachvollziehbar, schlüssig und in sich widerspruchsfrei und basieren auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin. Das Gutachten berücksichtigt alle vorgelegten Befunde und Vorgutachten (AZ 2.7-2.18; OZ 3) und steht weder mit diesen, noch mit dem Gutachten aus dem Fachgebiet der Allgemeinmedizin vom 31.01.2020 (AZ 2.23) in Widerspruch (vgl. dazu VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004). Auch die Subsumtion unter die jeweiligen Positionsnummern der Einschätzungsverordnung sind nachvollziehbar.

2.2.2.1. Dass sich der GdB zwischen den genannten Gutachten um 20% erhöhte, ergibt sich daraus, dass das Schulterleiden rechts, die Arthrose beider Daumensattelgelenke und das postthrombotische Syndrom rechts im späteren Gutachten zur Berücksichtigung kamen. Weiters wurde das Wirbelsäulenleiden wegen der deutlichen radiologischen Veränderungen sowie das Knieleiden aufgrund der Wechseloperation rechts, des Infekts und der Bewegungseinschränkung um eine Stufe höher eingestuft.

2.2.2.2. Weder die Beschwerdeführerin noch das SMS sind den Feststellungen des Gutachtens oder der Subsumtion unter die Positionsnummern im Verfahren entgegengetreten (OZ 6).

3.       Entfall der mündlichen Verhandlung

3.1.    Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).

3.2.    Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der sich aus dem Akteninhalt ergebende Sachverhalt basiert zur Gänze aus den der Beschwerdeführerin bekannten vorliegenden Aktenteilen und ist in den entscheidungswesentlichen Punkten weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig (vgl. dazu VwGH 19.09.2018, Ra2018/11/0145).

4.       Rechtliche Beurteilung

4.1.1.  Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Senat ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 45 Bundesbehindertengesetz [BBG]. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das SMS im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).

4.1.2.  Die Beschwerde gegen den Bescheid des SMS ist rechtzeitig und zulässig.

4.1.3.  Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten auszugsweise:

§ 1. (2) Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen […].

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) […] Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn […] ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt (Z3).

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird. [...]

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

§§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt (Teilstrich 1) oder zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen (Teilstrich 2).

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

4.2.    Stattgabe der Beschwerde

4.2.1.  Die bei der Beschwerdeführerin festgestellten Funktionseinschränkungen sind nicht nur vorübergehend, weshalb eine Behinderung im Sinne des § 1 BBG vorliegt. Sie hat den ordentlichen Wohnsitz in Österreich und stellte am 26.11.2019 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses, womit die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG erfüllt sind.

4.2.2.  Der Grad der Behinderung ist im verfahrensgegenständlichen Fall gemäß § 40 und § 41 Abs. 1 BBG unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen (VwGH 21.06.2017, Ra201 7/11/0040).

Das vom BVwG eingeholte Sachverständigengutachten vom 05.08.2020 ist, wie bereits im Zuge der Beweiswürdigung dargelegt, richtig, vollständig und schlüssig und die aktuellen Funktionseinschränkungen der Beschwerdeführerin wurden gemäß der Einschätzungsverordnung eingestuft. Der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt zum Entscheidungszeitpunkt 50 v.H. und sie erfüllt somit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist.

4.2.3.  Der Beschwerde ist daher stattzugeben und spruchgemäß festzustellen, dass die Voraussetzungen zur Ausstellung eines Behindertenpasses vorliegen. Das SMS ist gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG an die Rechtsansicht des BVwG gebunden und hat der Beschwerdeführerin ein Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. auszustellen.

4.3.    Hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin beantragten Vornahme von Zusatzeintragungen in den Behindertenpass ist festzuhalten, dass der angefochtene Bescheid ausschließlich die Abweisung des Antrags auf Ausstellung eines Behindertenpasses zum Gegenstand hatte.

4.3.1.  Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist "Sache" des Rechtsmittelverfahrens vor dem Verwaltungsgericht – ungeachtet des durch § 27 VwGVG vorgegebenen Prüfumfangs – jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. dazu für viele VwGH 30.06.2016, Ra2016/11/0044 RS3 mwN). Aufgrund dieser Beschränkung der Sache des Beschwerdeverfahrens ist das Verwaltungsgericht nicht befugt, über von der Behörde nicht behandelte Anträge abzusprechen. Ebenso wenig darf das Verwaltungsgericht ein zusätzliches Begehren zum Gegenstand seiner Entscheidung machen, welches über den bei der belangten Behörde gestellten und entschiedenen Antrag hinausginge.

4.3.2.  Das BVwG ist daher verfahrensgegenständlich nicht berechtigt über die Vornahme von Zusatzeintragungen abzusprechen.

III.    ad B) Unzulässigkeit der Revision:

Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf eine umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum BBG. Die angewendeten Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind - soweit für den vorliegenden Fall maßgeblich - eindeutig. Zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage (trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) etwa VwGH 28.05.2014, Ro2014/07/0053. Zur Schlüssigkeit von Gutachten VwGH 27.06.2018, Ra2018/09/0079; 28.06.2017, Ra2017/09/0015; zur Form der Auseinandersetzung mit dem Gutachten insbesondere VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004.

Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L511.2230454.1.00

Im RIS seit

16.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten