TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/11 W233 2229141-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.12.2020
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Entscheidungsdatum

11.12.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52

Spruch


W233 2229141-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Andreas FELLNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörige von Tadschikistan, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 25.01.2020, Zl. 1199472609-190789331, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.11.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III. des angefochtenen Bescheids wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkt IV., V., und. VI. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist. XXXX wird gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 und § 58 Abs. 2 iVm § 55 AsylG der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

I.1. Vorverfahren

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Tadschikistans, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 18.07.2018 ihren (ersten) Antrag auf internationalen Schutz.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten mit Bescheid vom 16.11.2018 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurück und sprach aus, dass Litauen gemäß Artikel 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zur Prüfung ihres Antrags zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung der Beschwerdeführerin angeordnet und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Litauen zulässig sei.

Die gegen diesen Bescheid fristgerecht erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.12.2018, W144 2210820-1/3E, als unbegründet abgewiesen. In der Folge wurde die Beschwerdeführerin von Österreich nach Litauen überstellt.

I.2. Beschwerdegegenständliches Zweitverfahren:

I.2.1. Die Beschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihrem Sohn XXXX , geboren am XXXX , (Beschwerdeverfahren zu W233 2229139-1) abermals unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 02.08.2019 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag erfolgte ihre Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes betreffend die Frage, ob Österreich für das Verfahren zuständig ist. Die Beschwerdeführerin führte zusammengefasst an, ihr Sohn sei in Litauen geboren. Nach seiner Geburt habe sie sich noch weitere drei Monate in Litauen aufhalten dürfen, dann habe sie jedoch ausreisen müssen. Sie wolle in Österreich bleiben, da ihr Ehemann hier aufhältig sei.

I.2.2. Im Rahmen ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 19.08.2019 wurde sie zu ihrem Gesundheitszustand, zu ihren Reisebewegungen, zum Verfahren in Litauen über ihren Antrag auf internationalen Schutz sowie zu ihrem Privat- und Familienleben in Österreich befragt.

Mit Aktenvermerk vom selben Tag wurde das Verfahren vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zugelassen.

I.2.3. Am 04.10.2019 erfolgte eine weitere Einvernahme der Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, im Zuge welcher sie zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates sowie ihrem Privat- und Familienleben in Österreich befragt wurde. Ferner wurde der Ehemann der Beschwerdeführerin als Zeuge zum gemeinsamen Familienleben einvernommen.

Zu den Fluchtgründen führte die Beschwerdeführerin zusammengefasst an, sie sei im Jahr 2017 mit ihren Eltern und Geschwistern aus Tadschikistan ausgereist, da ihre Eltern Probleme gehabt hätten und sie die Beschwerdeführerin nicht zuhause alleine zurücklassen hätten wollen. Persönlich habe die Beschwerdeführerin keine Probleme gehabt. Vor kurzem habe ihr Vater ihr am Telefon mitgeteilt, dass sie in Tadschikistan gesucht würden. Der Grund, warum sie die Behörden nunmehr suchen würden, sei, dass sie im Ausland um Asyl angesucht hätten. Zu den Problemen ihrer Eltern führte sie an, ihrem Vater sei sein Geschäft weggenommen worden bzw. er aus diesem Geschäft gedrängt worden. Zudem hätte die Familie den Herkunftsstaat verlassen, da ihre Schwester krank gewesen sei und von den Ärzten nicht gut behandelt worden sei.

I.2.4. Mit Schriftsatz vom 17.10.2019 erstattete die Beschwerdeführerin im Wege ihrer rechtsfreundlichen Vertreterin eine Stellungnahme.

I.2.5. Mit gegenständlichen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.01.2020 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Tadschikistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Tadschikistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI.).

I.2.6. Am 25.02.2020 erhob die Beschwerdeführerin lediglich gegen die Spruchpunkte IV. bis VI. des angefochtenen Bescheides Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

I.2.7. Die Beschwerde sowie die Bezug habenden Verwaltungsakte langten am 02.03.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

I.2.8. Mit Schriftsatz vom 11.11.2020 legte die Beschwerdeführerin im Wege ihrer Vertretung zwei Bestätigungen über die Teilnahme an Deutschkursen in Vorlage.

I.2.9. Am 18.11.2020 erfolgte eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, in welcher die Beschwerdeführerin zu ihrem Leben im Herkunftsstaat, zu ihren Flucht- und Verfolgungsgründen sowie zum Privat- und Familienleben in Österreich befragt wurde. Ferner wurde XXXX als Zeuge zum gemeinsamen Familienleben in Österreich einvernommen.

Ihr Fluchtvorbringen präzisierte die Beschwerdeführerin dahingehend, dass es zwei Gründe für die Ausreise gegeben habe. Ihr Vater sei selbstständig gewesen und habe ein Geschäft geführt, welches ihm weggenommen worden sei. Die näheren Gründe dafür kenne sie jedoch nicht. Ferner sei ihre Schwester krank gewesen und es habe Probleme mit den Ärzten gegeben. Ihre Eltern hätten daher beschlossen, den Herkunftsstaat zu verlassen, und hätten die Beschwerdeführerin nicht alleine zurücklassen wollen.

I.2.10. Am 02.12.2020 erstattete die Beschwerdeführerin im Wege ihrer Vertretung eine Stellungnahme betreffend das bestehende Familienleben in Österreich.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin

Die XXXX -jährige Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Tadschikistans, ist die Mutter des minderjährigen tadschikischen Beschwerdeführers im Beschwerdeverfahren zu W233 2229139-1. Sie führt den im Spruch genannten Namen, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islams. Neben ihrer Erstsprache Dari spricht sie ferner Russisch und ein wenig Karelisch.

Die Beschwerdeführerin ist in Duschanbe geboren und hat im Herkunftsstaat elf Jahre die Schule besucht. In weiterer Folge hat sie als Sekretärin sowie als Verkäuferin gearbeitet. Sie ist gesund und arbeitsfähig. Im Herkunftsstaat leben noch die Großeltern, eine Tante sowie zwei Onkel der Beschwerdeführerin. Zu ihren Großeltern und ihrer Tante pflegt sie nach wie vor Kontakt.

Im Jahr 2017 reiste die Beschwerdeführerin mit einem von der litauischen Vertretungsbehörde ausgestellten Schengen-Visum der Kategorie C über Litauen in das Schengen-Gebiet ein, setzte ihre Reise nach Deutschland fort und hielt sich dort von November 2017 bis Mitte Juli 2018 auf.

In weiterer Folge reiste sie unrechtmäßig in Österreich ein, wo sie am 18.07.2018 ihren (ersten) Antrag auf internationalen Schutz stellte. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 16.11.2018 zurück ohne in das Verfahren einzutreten, ordnete die Außerlandesbringung der Beschwerdeführerin an und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Litauen zulässig ist. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.12.2018 abgewiesen. Im Jänner 2019 wurde die Beschwerdeführerin von Österreich nach Litauen überstellt. In Litauen wurde ihr Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen.

Der Sohn der Beschwerdeführerin wurde am XXXX in Litauen geboren. Die Beschwerdeführerin reiste in der Folge gemeinsam mit ihrem minderjährigen Sohn abermals unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 02.08.2019 für sich und ihren Sohn jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

II.1.1.2. Zu den Flucht- und Verfolgungsgründen

Die Beschwerdeführerin war vor ihrer Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat keinen unmittelbaren Bedrohungen oder konkreten Gefahren ihre körperliche Unversehrtheit betreffend ausgesetzt.

Die Beschwerdeführerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihr im Fall der Rückkehr aufgrund der beruflichen Probleme ihres Vaters Verfolgung droht.

Ebenso wenig steht fest, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat aufgrund der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in Europa der realen Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt wäre.

In Tadschikistan drohen ihr sohin keine physischen oder psychischen Gewalthandlungen durch staatliche Behörden oder nichtstaatliche Personen.

Es kann insgesamt nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr in den Herkunftsstaat aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe oder zu einer sozialen Gruppe von staatlicher Seite oder von privaten Dritten verfolgt wird.

Weiters steht nicht fest, dass die Beschwerdeführerin im Falle der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tadschikistan in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Ferner steht nicht fest, dass die Beschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr nach Tadschikistan Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

II.1.1.3. Zum Privat- und Familienleben in Österreich

Während ihres Aufenthalts in Deutschland hat die Beschwerdeführerin XXXX , ihren nunmehrigen Ehemann, kennengelernt. XXXX , ein tadschikischer Staatsangehörige, verfügt seit Mitte Dezember 2012 über einen Hauptwohnsitz in Österreich. Seinem Vater wurde in Österreich der Status des Asylberechtigten zuerkannt und wurde der Schutzstatus im Rahmen eines Familienverfahrens auf XXXX aufgrund seiner damaligen Minderjährigkeit erstreckt.

Die Beschwerdeführerin ist während ihres Aufenthalts in Deutschland mit XXXX eine Beziehung eingegangen und hat ihn in Deutschland nach muslimischer Tradition geheiratet. Nach der Stellung ihres ersten Antrags auf internationalen Schutz in Österreich ist sie zu ihm gezogen und hat mit ihm bis zu ihrer Überstellung nach Litauen in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Am 28.09.2018 haben sie in Wien eine zivilrechtliche Ehe geschlossen.

XXXX , der Sohn der Beschwerdeführerin und ihres Ehemanns, wurde am XXXX in Litauen geboren. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom heutigen Tag ist ihm im Verfahren zu W233 2229139-1 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG iVm § 34 Abs. 2 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden.

Die Beschwerdeführerin wohnt in Österreich gemeinsam mit ihrem minderjährigen Sohn in einer Unterkunft der Caritas, verbringt den überwiegenden Teil ihrer Zeit jedoch gemeinsam mit ihrem Sohn bei ihrem Ehemann in dessen Unterkunft. Die Beschwerdeführerin ist die Hauptbetreuungs- und Bezugsperson des gemeinsamen Sohnes.

Der Familie ist es derzeit nicht möglich, im Apartment des Ehemanns einen gemeinsamen Haushalt zu begründen, da dieses lediglich 22,55 m² groß und für zwei Personen ausgestattet ist, sodass eine dritte Person in dieser Unterkunft nicht gemeldet werden kann.

Abgesehen von ihrem Sohn, ihrem Ehemann sowie den Angehörigen ihres Ehemanns verfügt die Beschwerdeführerin in Österreich über keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte oder über andere besonders berücksichtigungswürdige soziale Bindungen.

Aktuell besucht die Beschwerdeführerin einen Deutschkurs zur Erreichung des Sprachniveaus A2. Eine Deutschprüfung oder einen Werte- und Orientierungskurs hat sie nicht absolviert.

Den Lebensunterhalt bestreitet sie für sich und ihren Sohn aus staatlichen Mitteln. Die Beschwerdeführerin ist in Österreich unbescholten.

II.1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat

II.1.2.1. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt Tadschikistan

Sicherheitslage

Die politische Lage ist insgesamt ruhig (AA 26.11.2019a). Spannungen im Vorfeld der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen lassen sich beobachten (AA 26.7.2019). Die Hauptstadt Duschanbe ist relativ sicher (FCO 6.11.2019; vgl. Garda 30.11.2019). Die Kriminalitätsrate ist nicht sehr hoch (Garda 30.11.2019). Politische Proteste sind selten, kommen jedoch in isolierten Bergregionen vereinzelt vor (Garda 30.11.2019).

Die Mehrzahl der tadschikischen Anti-Terror-Aktivitäten im Inland richtet sich gegen Organisationen und Personen, die angeblich mit dem islamistischen Terrorismus in Tadschikistan in Verbindung stehen, aber die Regierung verhaftet auch Terrorverdächtige, die aus Afghanistan, Irak, Russland und Syrien zurückkehren (USDOS 10.2019). Nach Angaben des Generalstaatsanwaltes wurden im Jahr 2019 mehr als 1.060 Straftaten im Zusammenhang mit Terrorismus und Extremismus registriert, das sind 306 Fälle mehr als im Vorjahr (RO 26.1.2020). Bei der Bekämpfung von Extremismus wird nicht zwischen gewalttätigem und gewaltfreiem Extremismus unterschieden und eine sehr weit gefasste Kriminalisierung wird auch genutzt, um gegen alle Arten von Oppositionsgruppen vorzugehen (NBR 24.6.2019).

Offiziellen Angaben zufolge verließen etwa 2.000 tadschikische Bürger das Land, um sich in mehreren Ländern dem Islamischen Staat (IS) anzuschließen (RO 30.12.2019; vgl. USDOS 10.2019). Mehrere hundert von ihnen sind bei Kampfeinsätzen in Syrien und im Irak gefallen, einige sind in ihre Heimat zurückgekehrt (RO 30.12.2019; vgl. USDOS 10.2019).

Die Situation an der Grenze zu Afghanistan ist angespannt (MSZ 24.2.2020). Es kommt vereinzelt zu Schusswechseln zwischen afghanischen Drogenschmugglern, tadschikischen Grenztruppen und der Drogenkontrollbehörde (BMEIA 8.10.2019; vgl. Eurasianet 12.4.2019). Der Drogenschmuggel durch Tadschikistan wird auf 30-50 % des BIP geschätzt (CIA 7.2.2020; vgl. NBR 24.6.2019). Der durch Korruption begünstigte Drogenhandel gilt als Sicherheitsbedrohung und als wichtige Finanzierungsquelle für terroristische Gruppierungen (Diplomat 25.9.2019; vgl TASS 21.5.2019, RtP 10.11.2019, NBR 24.6.2019) insbesondere in den nördlichen Provinzen Afghanistans (TASS 21.5.2019; vgl. RtP 10.11.2019, NBR 24.6.2019). Entlang der Schmuggelrouten durch Tadschikistan ist vermehrt Drogenhandel und Drogenmissbrauch festzustellen, was lokal die Kriminalität erhöht. Kriminalität im Zusammenhang mit organisiertem Verbrechen wie Erpressung, Entführungen oder Schießereien ist in Tadschikistan jedoch relativ selten (Garda 30.11.2019).

Militant-islamistische Aktivitäten im Norden Afghanistans, jenseits der durchlässigen Grenze entlang des Flusses Pandsch, stellen eine Bedrohung für Tadschikistan dar (Garda 30.11.2019). Laut Russländischem Geheimdienst (FSB) versuchen IS-Kämpfer, vorwiegend Staatsbürger der zentralasiatischen Länder, die zentralasiatischen Staaten von den nördlichen Provinzen Afghanistans aus, zu infiltrieren (TASS 21.5.2019; vgl. RE 19.3.2018, Lenta 18.12.2019). Die Sicherheitsprobleme der jüngsten Jahre waren jedoch heimischer Natur, trotz des Versuches seitens der Regierung diese als aus dem Ausland herrührend darzustellen. Die Sicherheitslage in Afghanistan und im Nahen Osten hat wenig Wirkung auf die innere Stabilität Tadschikistans, trotz der Behauptungen der Regierung, dutzende Terroranschläge aus dem Lager der ausländischen Opposition verhindert zu haben (BS 2018; vgl. Diplomat 20.11.2019, A+ 5.3.2020). Abgesehen von Einzelereignissen wie im August 2018, als im Gebiet Farchor bei einem Angriff von afghanischer Seite aus zwei Menschen getötet wurden (MSZ 24.2.2020; vgl. RFE/RL 22.11.2018) wird die Sicherheitslage Tadschikistans von der Aktivität von kriminellen Banden, die Verbindungen mit korrupten tadschikischen Sicherheitskräften haben, bestimmt (A+ 5.3.2020).

Die Regierung Tadschikistans unternimmt Schritte zur Sicherung der Grenze (USDOS 10.2019; vgl. RE 19.3.2018, RT 28.6.2019); Afghanistan ist zur Grenzsicherung nur bedingt in der Lage (A+ 5.3.2020). Jedoch sind die Mittel der tadschikischen Armee, externe Bedrohungen abzuwehren, beschränkt und sie ist stark auf Unterstützung aus Russland angewiesen (Garda 30.11.2019). Die Armee erhält Unterstützung aus Russland (RT 28.6.2019) und Kasachstan (Eurasianet 12.4.2019). China und Tadschikistan führen gemeinsame militärische Übungen durch. Die wichtigste Priorität für China ist die Abschreckung radikaler Kräfte an der Grenze zum Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang (CABAR 19.2.2020).

Der allererste jemals vom IS auf tadschikischem Staatsgebiet durchgeführte terroristische Vorfall geschah am 29.7.2018, als in Danghara vier ausländische Touristen gezielt getötet wurden (Spiegel 1.8.2018; vgl. AT 1.8.2018, CIA 7.2.2020, JF 7.9.2018), die mutmaßlichen Täter wurden in Folge von Sicherheitskräften liquidiert (AT 1.8.2018; vgl. JF 7.9.2018). Seither wurden noch drei Vorfälle unter Beteiligung des IS in Tadschikistan gemeldet (Novastan 9.11.2019). Die Gefängnisaufstände vom 7.11.2018 in Chudschand mit bis zu 50 Todesopfern (Diplomat 27.11.2018; vgl. Reuters 8.11.2018, Akhbor 6.11.2019) und vom 19.5.2019 in Wahdat mit mindestens 27 Toten wurden von Gefangenen angeführt, die wegen Verbindungen zum IS verurteilt worden waren (A+ 14.6.2019; vgl. BBC 20.5.2019, Akhbor 6.11.2019). Bei einem Angriff auf den Grenzposten Ischkobod an der Grenze zu Usbekistan wurden laut Angaben des IS zehn Grenzschützer bzw. gemäß offiziellen tadschikischen Angaben drei Beamte getötet. Laut offiziellen Angaben wurden 15 Angreifer getötet und fünf weitere verhaftet (Novastan 9.11.2019; vgl. Akhbor 6.11.2019). Unter den getöteten Angreifern waren Frauen und Kinder (FN 8.11.2019; vgl. A+ 26.11.2019, RO 10.12.2019). Die offiziellen Angaben zu den Hintergründen des Angriffes werden von einzelnen Quellen in Zweifel gezogen (RO 30.12.2019, RBC 6.11.2019, A+ 7.11.2019a, A+ 7.11.2019b, Eurasianet 8.11.2019).

Die Landgrenzen zwischen Tadschikistan, Usbekistan und Kirgisistan sind nicht vollständig deliminiert (CABAR 19.2.2020; vgl. Kurmanalieva 2.2019, FCO 6.11.2019). Es gibt bilaterale Gespräche zwischen den Staaten, um den Grenzverlauf festzulegen (Kurmanalieva 2.2019, AKI 7.2.2020, Diplomat 15.1.2020, A+ 15.3.2019, CPC 30.1.2020), auch auf Ebene der Staatsoberhäupter (CABAR 19.2.2020; vgl. Kurmanalieva 2.2019, AKI 7.2.2020, Diplomat 15.1.2020, A+ 15.3.2019). Im Jänner 2020 meldeten usbekische Behörden die Fertigstellung der Minenräumung ihres Abschnitts an der Grenze zu Tadschikistan. In der Frage der Grenzziehung zwischen Tadschikistan und Usbekistan wird allmählich eine vollständige Übereinkunft erwartet (CABAR 19.2.2020).

Die Situation an der tadschikisch-kirgisischen Grenze, insbesondere die Enklave Woruch im kirgisischen Gebiet Batken in Kirgisistan, stellt sich komplexer dar (CABAR 19.2.2020). Seit mehreren Jahren kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Grenzschutzbeamten und/oder Anwohnern beiderseits der Grenze (CABAR 19.2.2020, CPC 30.1.2020, GK 18.9.2019; vgl. Diplomat 15.1.2020, 24.kg 10.1.2020, RE 19.9.2019, RIA 22.7.2019, A+ 15.3.2019), teilweise auch mit Todesopfern (CPC 30.1.2020, GK 18.9.2019; vgl. A+ 15.3.2019, RIA 22.7.2019, RE 19.9.2019). Die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Staaten werden dadurch belastet (GK 18.9.2019; vgl. CABAR 19.2.2020). Im Februar 2020 einigten sich die beiden Staaten auf einen Gebietsaustausch, um die Deliminierung von 114 km Grenzverlauf um die Exklave Woruch verbindlich festzulegen (CPC 30.1.2020; vgl. AKI 24.2.2020).

Die Sicherheitskräfte unterdrücken weiterhin alle Dissidentenbewegungen in den peripheren Regionen des Rascht-Tales und Gorno-Badachschan (BS 2018). In Chorugh, Autonome Region Berg-Badachschan, sind die Spannungen seit September 2018 gestiegen. Es kommt immer wieder zu Zusammenstößen zwischen einheimischen Jugendlichen und der Polizei, zuletzt wurde im Jänner 2020 eine Person verletzt (FCO 6.11.2019). Nach dem bewaffneten Konflikt zwischen den Sicherheitsbehörden und den Bewohnern von Chorugh im Sommer 2012 wurden Waffen, darunter auch Gewehre von Jägern, in der Region konfisziert. Da es in der Region Berg-Badachschan im Winter häufig zu Angriffen auf Menschen und Vieh durch Wölfe kommt (Winter 2018/19: zwei Todesopfer) stattet die Polizei Mitglieder des Jägervereins wieder mit Jagdgewehren zum Erschießen von Wölfen aus. In Dörfern, in denen es keine einheimischen Jäger gibt, wird ein 24-Stunden-Dienst durch Sicherheitsbeamte organisiert (A+ 10.1.2020).

[…]

Religionsfreiheit

Die Verfassung gewährt Religionsfreiheit; wozu das individuelle Recht zählt, die Religion frei zu wählen, bzw. keine Religion zu haben, sowie an religiösen Zeremonien teilzunehmen (USDOS 21.6.2019; vgl. AA 26.7.2019). Mehr als 90 % der Bevölkerung ist muslimisch, wobei der Großteil der Muslime der Hanafi-Schule des sunnitischen Islam folgt. Etwa vier Prozent der Muslime sind ismailitische Schiiten, die größtenteils in der Autonomen Region Berg-Badachschan (Kuhistoni Badachschon) leben. Andere religiöse Minderheiten sind Christen, Bahai, Hare Krishna und Juden. Unter den Christen ist die russisch-orthodoxe Gemeinde die größte (USDOS 21.6.2019).

Die „normale Religionsausübung“ des traditionellen hanafitischen Islam ist weitgehend uneingeschränkt möglich (AA 26.7.2019). Religiöse Gruppen, die sich nicht an die staatlicherseits bevorzugte Auslegung des Islam halten, werden besonders ins Visier genommen (BS 2018; vgl. FH 4.2.2019).

Hunderte nicht-gewalttätige Muslime wurden festgenommen und wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen islamischen Gruppierung zu langen Haftstrafen verurteilt, meist ohne faires, öffentliches Gerichtsverfahren (BS 2018; vgl. AA 26.7.2019). Anzumerken ist, dass Verurteilungen nicht mit politischen Verfehlungen begründet werden, sondern z. B. mit Drogenhandel, sexuellen oder Wirtschaftsstraftaten (AA 26.7.2019). Nicht-muslimische Gruppen, mehrere christliche Kirchen mit eingeschlossen, sind weiterhin Opfer von bürokratischer und administrativer Verfolgung (BS 2018).

Staatliche Repressionen gegen bestimmte Personen wegen ihrer Ethnie, Religion oder Nationalität sind die Ausnahme. Spürbare Repression gibt es aus Sorge vor Radikalisierung auch gegen echte oder vermeintliche Vertreter extremistischer Spielarten des Islam, vor allem gegen Salafisten (AA 26.7.2019; vgl. USDOS 21.6.2019). Die Regierung hat eine sehr weit gefasste Definition von Extremismus kriminalisiert und unterscheidet nicht zwischen gewalttätigem und gewaltfreiem Extremismus. Vorwürfe des Extremismus werden auch genutzt, um gegen Personen vorzugehen, die Religion auf die von ihnen gewählte Weise ausüben (NBR 24.6.2019).

Als extremistisch und potenziell terroristisch eingestufte Personen laufen Gefahr, zu langen Haftstrafen verurteilt zu werden. Die Justiz ist auch in dieser Hinsicht williger Handlanger der Sicherheitsdienste (AA 26.7.2019; vgl. USDOS 21.6.2019). Zu den in Tadschikistan präsenten Gruppen gehörten die Hizb ut-Tahrir, al-Qaida, die Muslimbruderschaft, die Taliban, die Jamaat Tabligh, die Islamische Gruppe (Islamische Gemeinschaft von Pakistan) und die Islamische Bewegung Ostturkestan, Islamische Partei Turkestans (ehemalige Islamische Bewegung Usbekistans - IMU), Lashkar-e-Tayba, Tojikistoni Ozod, Sozmoni Tablighot, Salafi-Gruppen, Jamaat Ansarullah und die Partei der Islamischen Wiedergeburt Tadschikistans (IRPT) (USDOS 21.6.2019).

Moscheen und Imame unterliegen einer immer enger werdenden Kontrolle (Videoüberwachung, Vorgabe für und Abhören von Predigten), der die wahltaktisch bedingte Wiedereröffnung einiger in den letzten Jahren geschlossenen Moscheen zu Beginn des Ramadan 2019 nicht entgegensteht. Religiöse Studien im Ausland lösen automatisch Verdacht und Verfolgungsmaßnahmen aus. Zu Jahresbeginn 2018 wurde verfügt, dass Geistliche, die ihre religiöse Ausbildung ganz oder teilweise im Ausland erhalten haben, nicht mehr tätig sein dürfen, nachdem schon 2012 das Religionsstudium im Ausland verboten worden war. Personen unter 18 Jahren ist der Besuch von Moscheen untersagt; Frauen haben nur Zugang zu Moscheen, wenn diese über einen abgetrennten Frauenbereich verfügen. Zwangsmaßnahmen gibt es gelegentlich auch gegen Frauen, die den Hidschab tragen, und junge Männer mit langen Bärten, wobei solche aber durchaus auf den Straßen zu sehen sind. In jüngster Zeit reglementiert der Staat bestimmte Lebenstraditionen stärker und schränkt z. B. Trauerbekundungen und Hochzeitsfeiern ein, teils mit empfindlichen Strafen (AA 26.7.2019; vgl. USDOS 21.6.2019, FH 4.2.2019, HRW 14.1.2020).

Es gibt keine Berichte über anti-semitische Übergriffe oder behördliche Maßnahmen gegen die kleine jüdische Gemeinde (USDOS 11.3.2020). Religiöse Minderheitengruppen, einschließlich der Zeugen Jehovas, werden daran gehindert, sich behördlich zu registrieren (USDOS 21.6.2019).

[…]

Frauen

Die Verfassung garantiert die Gleichheit der Geschlechter. Frauen sind jedoch auf allen Ebenen der politischen Entscheidungsfindung unterrepräsentiert (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 26.7.2019). In den vergangenen Jahren hat Tadschikistan Fortschritte bei der Herstellung von Gender-Gerechtigkeit gemacht (EU-EEAS 15.11.2019). Tadschikistan ist eine konservative Gesellschaft mit hoher sozialer Kontrolle, in der traditionelle Rollenmuster vorherrschen. Seit der Unabhängigkeit 1991 verstärkt sich dieser Trend vor allem in ländlichen Gebieten (AA 26.7.2019; vgl. MPI 14.11.2019).

Vergewaltigung wird mit bis zu 20 Jahren Haft bestraft. Es gibt kein eigenes Gesetz gegen Vergewaltigung innerhalb der Ehe (USDOS 11.3.2020), der staatliche Schutz vor sexueller Gewalt innerhalb der Ehe ist kaum gegeben (AA 26.7.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Die Justizbehörden empfehlen Frauen meistens, keine Anklage zu erheben, doch werden diese aufgenommen, wenn die Opfer darauf bestehen. Gewalt gegen Frauen, auch innerhalb der Ehe, bleibt ein weit verbreitetes Problem. Häusliche Gewalt wird kaum zur Anzeige gebracht, was für die Täter praktisch Straffreiheit garantiert. Behörden weigern sich oft, häusliche Gewalt zu verfolgen und bezeichnen diese als Familienangelegenheit (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 19.9.2019).

Im April 2016 wurden vom Innenministerium offizielle Handlungsanleitungen herausgegeben, wie bei Fällen von häuslicher Gewalt vorzugehen ist, während es keinen spezifischen Paragrafen im Strafrecht dazu gibt. Diese Fälle werden als normale Gewalttat mit einem speziellen Aktenvermerk aufgenommen. Das Innenministerium kann bei häuslicher Gewalt Betretungsverbote aussprechen, jedoch werden in der Regel von der Polizei nur Verwarnungen, kurzzeitige Verhaftungen oder Geldstrafen wegen Verwaltungsübertretungen verhängt. Die Regierungsstelle für Frauenangelegenheiten hat ein begrenztes Budget um Opfer häuslicher Gewalt zu unterstützen, aber lokale Vertreter dieser Stelle verweisen Frauen an Notunterkünfte (USDOS 11.3.2020).

Die Zunahme von gesetzlich verbotener, aber weitgehend tolerierter Polygamie (Heirat mit Zweitfrau vor Imam) bringt diese Frauen und ihre Kinder in eine rechtlich prekäre Situation (u. a. Entzug des Sorgerechts, keine Eigentumsansprüche an Wohneigentum, etc.). Zwangsheiraten kommen vor (AA 26.7.2019; vgl. FH 4.2.2019, HRW 19.9.2019). In den meisten Fällen liegt die Entscheidung über den Ehepartner eher bei den Eltern als bei den Betroffenen. Töchter haben kaum eine Chance, sich diesen Zwängen nicht zu unterwerfen. Söhnen droht der – zumindest temporäre – Bruch mit den Eltern. Insbesondere für junge Männer gibt es die Ausweichmöglichkeit der Arbeitsmigration nach Russland (AA 26.7.2019).

Sexuelle Ausbeutung und/oder Zwangsprostitution kommen vor allem aus wirtschaftlicher Not vor, sind aber kein leicht auszumachendes Alltagsphänomen. Darüber hinaus existiert ein internationaler Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung vor allem in die Golfstaaten (AA 26.7.2019).

Eine der wichtigsten Auswirkungen der männlich dominierten Arbeitsmigration ist Abwesenheit. Laut einer Umfrage ist aus 30 % der tadschikischen Haushalte zumindest ein Mitglied ins Ausland ausgewandert. Die Kinder werden von ihren Müttern oder Großeltern betreut. Traditionell sind Frauen für die Familienbetreuung zuständig und arbeiten nicht außer Haus, sondern sind auf das Einkommen ihrer Ehemänner und Kinder angewiesen. Doch der Mangel an Männern in den Sommermonaten hat zu einer zunehmenden Feminisierung der Landwirtschaft geführt, der Anteil der Frauen an den landwirtschaftlichen Arbeitskräften ist von 59 % im Jahr 1999 auf heute 75 % gestiegen. Die Belastung der Familien durch die langfristige Migration hat ebenfalls zu gescheiterten Familien beigetragen. Nach Angaben der tadschikischen Regierung haben sich die Scheidungsraten zwischen 2005 und 2010 verdoppelt (MPI 14.11.2019).

[…]

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz garantiert Bewegungsfreiheit; in der Praxis gibt es jedoch einige Einschränkungen. In einzelnen Fällen werden Reisen ins Ausland untersagt (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.2.2019). In Gebieten an der Grenze zu Afghanistan und in Berg-Badachschan gibt es Beschränkungen für den Personenverkehr (MSZ 24.2.2020). Der ordentliche Wohnsitz muss bei den Behörden gemeldet werden (FH 4.2.2019). Flüchtlingen aus Afghanistan ist eine Wohnsitznahme in größeren Städten untersagt (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 26.7.2019). Der Straßenzustand ist schlecht, es gibt häufige Kontrollen von Polizei und Militär (MSZ 24.2.2020).

[…]

Grundversorgung

In den ersten Jahren der staatlichen Souveränität trat die Wirtschaft Tadschikistans eine rasante Talfahrt an. Etliche Industriezweige kamen gänzlich zum Erliegen. Mit der Jahrtausendwende trat Tadschikistan gesamtwirtschaftlich in eine Phase des Wachstums ein. Das anhaltende, im Zuge der internationalen Finanzkrise 2008/09 lediglich vorübergehend gebremste Wirtschaftswachstum, mag als Indikator einer gewissen Konsolidierung zu verstehen sein, entbehrt aber weitgehend einer soliden Grundlage. Es ist in erster Linie makroökonomisch begründet und basiert zu einem überaus hohen Prozentsatz auf Arbeitsmigration sowie zwei Exportgütern, die beide in bis heute staatseigenen bzw. -kontrollierten Betrieben hergestellt werden: Aluminium und Baumwolle. Die Preise für diese Güter sind auf dem Weltmarkt unbeständig. Die einseitige Zusammensetzung der Exporte setzte sich über die Jahre fort, auch wenn in jüngster Zeit hier eine leichte Diversifizierung und statistisch ein zunehmender Anteil des Dienstleistungssektors am BIP zu konstatieren sind (GIZ 12.2019d).

Migration ist die wichtigste Einkommensquelle für Tadschikistan und Rücküberweisungen ein wichtiger Motor des Wirtschaftswachstums. Die Rücküberweisungen machten im Jahr 2018 ca. 2,2 Milliarden US-Dollar bzw. 30 % des BIP aus. Durch Rücküberweisungen hat sich die Armutsrate seit Beginn des Jahrhunderts halbiert (2012: 37 %, 2017: 29 %). Jedoch durch die Abhängigkeit von der Migration ist die tadschikische Wirtschaft anfällig für exogene Schocks. Infolge der fallenden Ölpreise und der Sanktionen gegen Russland nach der Invasion der Krim 2014 hat sich der Wert der von Russland nach Tadschikistan transferierten Gelder bis Ende 2015 halbiert, was zu Inflation und einer Liquiditätskrise im tadschikischen Bankensektor führte (MPI 14.11.2019; vgl. GIZ 12.2019d). Laut offiziellen Angaben betrug die Inflationsrate im Jahr 2018 5,4 % (TAJSTAT o.D.).

Die offizielle Arbeitslosigkeit von 2,5 % ist nach inoffiziellen Schätzungen mindestens viermal so hoch. Die tadschikische Wirtschaft schafft nicht genügend neue Jobs für das ständig wachsende Arbeitskräftepotenzial (GIZ 12.2019d). Für viele junge Tadschiken ist eine Tätigkeit im Drogenhandel die einzige Alternative zur Arbeitsmigration (Diplomat 25.11.2019). Der durch Korruption begünstigte Drogenschmuggel durch Tadschikistan wird auf 30-50 % des BIP geschätzt (CIA 7.2.2020; vgl. NBR 24.6.2019).

Private ausländische Direktinvestitionen stagnieren seit Jahren auf dem sehr niedrigen Niveau von unter 5 % des BIP. Dem Ausbau des Energiesektors räumt die Tadschikische Regierung hohe Priorität ein. Hierbei geht es weniger darum, die eigene, mangelhafte Energieversorgung sicherzustellen, als vielmehr darum, Strom zu exportieren (GIZ 12.2019d).

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist im Großen und Ganzen gewährleistet (AA 26.7.2019; vgl. GIZ 12.2019e). Mietbarer Wohnraum steht insbesondere in der Hauptstadt in ausreichender Menge zur Verfügung (GIZ 12.2019e). Für bedürftige Personen gibt es nur eine marginale und unzureichende Unterstützung (AA 26.7.2019). Insbesondere in ländlichen Gebieten sind informelle Netzwerke und erweiterte Familienbande für die soziale Sicherheit bedeutsam (BS 2018).

Das öffentliche Wohlfahrtssystem ist seit der Unabhängigkeit am Erodieren (BS 2018; vgl. GIZ 12.2019e). Das Beihilfesystem für Pensionen sowie das Recht auf Unterstützung im Krankheitsfall, bei Invalidität, Arbeitslosigkeit und Schwangerschaft werden zwar respektiert, doch sind die diesbezüglichen finanziellen Zuwendungen dermaßen niedrig, dass viele vulnerable Personen von der staatlichen Unterstützung alleine nicht überleben könnten, sondern nur durch zusätzliche Zuwendungen Dritter. Eine signifikante Zahl von Arbeitslosen erhält eine Unterstützung. Nur zwei Prozent des Bruttosozialproduktes werden für das Gesundheitssystem ausgegeben, wovon die Hälfte für die Gehälter und die Erhaltung der Einrichtungen bestimmt sind (BS 2018).

Die Rücküberweisungen der Arbeitsemigranten stellen für zwei Drittel der Bevölkerung ein alternatives Netz der sozialen Sicherheit dar (BS 2018). Rücküberweisungen von Migranten decken einen großen Teil der Alltagsausgaben der zurückgebliebenen Familie, aber die meisten Haushalte können keine Investitionen tätigen (MPI 14.11.2019; vgl. GIZ 12.2019d).

Der derzeitige Mindestlohn beträgt 400 Tadschikische Somoni (TJS; ca. EUR 38) und das Durchschnittsgehalt TJS 1.375 (ca. EUR 131) (A+14.2.2020).

[…]

Sozialbeihilfen

Anmerkung: Ein Euro entspricht ca. 10,4 Tadschikischen Somoni (TJS) (U24 25.2.2020).

Die Sozialversicherung deckt Arbeitnehmer mit einem Arbeitsvertrag, Unternehmer, Einzelpersonen, Mitglieder von landwirtschaftlichen Familienbetrieben (Dekhan-Farmen) sowie Arbeitsmigranten (auf freiwilliger Basis) ab. Versicherungsbeiträge werden als Sozialsteuer eingezogen und dann der Agentur für Sozialversicherung und Rente zugeteilt, die die Leistungen ausbezahlt. Die Sozialversicherung umfasst Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenrenten, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Familienbeihilfen, Arbeitslosengeld, eine Bestattungsbeihilfe für ein Mitglied einer armen Familie sowie individuelle Ansparkonten (ILO 30.4.2018; vgl. USSSA 3.2019).

Leistungen aus der Sozialhilfe erfolgen in Form von staatlich finanzierten Leistungen und Subventionen für besondere Kategorien von Bürgern, wie z.B. Veteranen, Menschen mit Behinderungen, Kinder, Arbeitslose und arme Familien. Die größten Sozialhilfeprogramme in Bezug auf Finanzierung und Reichweite sind die Sozialrenten für Alter, Invalidität und Hinterbliebene (ILO 30.4.2018; vgl. USSSA 3.2019). Die Targeted Social Assistance (TSA), die von der Weltbank mitfinanziert wird, wird gezielt an besonders vulnerable Gruppen ausgezahlt (WB 30.1.2018; vgl. ILO 30.4.2018)

Eine Alterspension im Zuge der Sozialversicherung sowie des Umlagesystems gilt für Männer ab 63 Jahren mit mindestens 25 Jahren versicherter Arbeitstätigkeit, für Frauen ab 58 Jahren mit 20 Jahren versicherter Arbeitstätigkeit. Die Anzahl der Jahre für eine volle Alterspension wird für Frauen mit fünf Kindern oder mit behinderten Kindern reduziert. Eine Mindestpension wird an versicherte Personen mit mindestens fünf Jahren versicherter Arbeitstätigkeit ausgezahlt. Die Höhe der Pension ist von den Beiträgen abhängig. Die Mindestpension beträgt TJS 180, die Maximalpension TJS 850. Eine Alterspension von 60 % der Mindestpension wird im Zuge der Sozialhilfe für Männer ab 65 Jahren und Frauen ab 60 Jahren, die nicht durch die Sozialversicherung erfasst sind, bezahlt (USSSA 3.2019). Die durchschnittliche Pension beträgt TJS 303 (A+ 14.2.2020).

Als Behindertenpension werden je nach Ausmaß der Behinderung und der Beitragsdauer mindestens 60 bis 100 Prozent der Mindestpension ausbezahlt. Im Krankheitsfall wird 60 % des Gehaltes bei einer Beschäftigungsdauer von weniger als acht Jahren ausgezahlt, ansonsten wird 70 % des Gehaltes bezahlt. Es gibt kein spezielles Unterstützungsprogramm bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten (USSSA 3.2019).

Als Waisenrente wird 60 % der Mindestpension (bzw. 100 % falls Vollwaise) ausbezahlt. Als Hinterbliebenenrente wird die Umlagenkomponente der Pension des Verstorbenen unter den bezugsberechtigten Hinterbliebenen aufgeteilt (USSSA 3.2019).

Bei der Geburt eines Kindes erfolgt die volle Lohnfortzahlung im Zeitraum 70 Tage vor bis 70 Tage nach dem errechneten Geburtstermin; bei einer schwierigen Geburt steigt dieser Zeitraum auf je 86 Tage und bei Mehrlingsgeburten auf je 110 Tage. Die einmalige Geburtenunterstützung beträgt TJS 150 für das erste, TJS 100 für das zweite und TJS 50 für jedes weitere Kind, unabhängig davon ob ein oder beide Elternteile berufstätig sind. Die monatliche Kinderbeihilfe bis zum Alter von anderthalb Jahren beträgt TJS 50, wenn zumindest ein Elternteil berufstätig ist (USSSA 3.2019).

Arbeitslosenunterstützung erhält, wer mindestens 18 Monate in den letzten drei Jahren in Beschäftigung war, beim staatlichen Arbeitsamt registriert ist, fähig und willig ist zu arbeiten und kein Einkommen aus Arbeit erhält. Für den ersten Monat erhalten Anspruchsberechtigte 50 % ihres durchschnittlichen Bruttoeinkommens der letzten sechs Monate, im zweiten Monat 40 % und im dritten Monat 30 %. Die Mindestunterstützung beträgt den gesetzlichen Mindestlohn von TJS 400 (USSSA 3.2019).

Ende 2019 wurde angekündigt, Pensionen um 15 % und Zuwendungen für Behinderte um 50 % zu erhöhen (A+ 14.2.2020).

[…]

Medizinische Versorgung

Krankenhäuser entsprechen nicht dem europäischen Standard (BMEIA 8.10.2019; vgl. AA 26.7.2019, MAE 6.9.2019, MSZ 24.2.2020). Primär im öffentlichen Gesundheitswesen existieren Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Maßnahmen durchgeführt werden können und/oder chronische Krankheiten behandelt werden. Diese haben aber nur sehr beschränkte finanzielle Möglichkeiten (AA 26.7.2019). Nicht alle Medikamente, insbesondere gegen lebensgefährliche Erkrankungen (z.B. Krebs), sind erhältlich (AA 26.7.2019; vgl. MAE 6.9.2019). Medikamente werden aus Russland und anderen Ländern importiert; individueller Import von Medikamenten ist möglich, sofern finanzielle Mittel und die notwendigen Beziehungen zu Personen im Ausland vorhanden sind, die Medikamente beschaffen können (AA 26.7.2019). Entgegen gesetzlicher Bestimmungen ist eine Behandlung für viele Patienten in der Praxis oft nicht kostenlos, zumal die Gehälter im medizinischen Bereich oft nicht existenzsichernd sind (AA 26.7.2019). Es besteht ein hohes Infektionsrisiko bei ärztlicher Behandlung (insbesonders Hepatitis C, Tbc). Unfallhilfe bei Notfällen ist nicht immer gewährleistet (BMEIA 8.10.2019; vgl. MSZ 24.2.2020).

Ähnlich wie im Bildungsbereich haben zu niedrige Gehälter und ein geringer Haushaltsetat im staatlich geführten Gesundheitssektor zu einer erheblichen Erosion geführt: Missmanagement, Personalmangel, sinkende Qualifikation, fehlende technische Ausstattung, Zerfall bestehender Einrichtungen und hohe Korruption. Besonders stark vom Verfall betroffen ist die medizinische Grundversorgung im ländlichen Raum. Diese Umstände tragen zweifelsohne zu der erhöhten Kindersterblichkeit und gesunkenen Lebenserwartung bei, ebenso wie zu einer verstärkten Gefahr der Ausbreitung von Seuchen und Infektionskrankheiten. Der Gesundheitssektor leidet weiterhin unter chronischer Unterfinanzierung, schlechter Qualität und geringer Nutzung. Gegen die medizinische Unterversorgung im ländlichen Raum hatte die WHO 2011 ein Programm zur Entwicklung eines Hausärztewesens aufgelegt, das aber nur sehr langsam voranschreitet (GIZ 12.2019b).

In der Regel werden die Behandlungskosten vom Patienten selbst getragen, mit Ausnahmen für bestimmte soziale Gruppen und Patienten mit bestimmten Krankheiten. Sie umfassen Medikamente, Behandlungen und ggf. Verpflegung im Krankenhaus. Das Ministerium für Gesundheit und Sozialschutz entwickelte ein Basisleistungspaket für bedürftige Patienten und formellen Selbstbehalten für andere Bevölkerungsgruppen. So sollen informelle Zahlungen durch die Schaffung eines transparenten Systems von Patientenrechten und -pflichten reduziert werden (BDA 13.6.2018).

[…]

Rückkehr

Es ist davon auszugehen, dass rückgeführte Asylantragsteller von den Sicherheitsbehörden umfassend befragt werden. Eine Asylantragstellung im Ausland allein wird bei der Rückkehr nach Tadschikistan noch nicht zu staatlichen Maßnahmen führen (AA 26.7.2019). Es gibt keine staatlichen oder sonstigen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrerinnen und Rückkehrer (AA 26.7.2019). Rückkehrer werden – soweit erforderlich – von ihren Familien aufgenommen (AA 26.7.2019).

Es gibt Berichte über Änderungen am tadschikischen Staatsbürgerschaftsgesetz, wonach es möglich ist, Personen, die sich im Ausland terroristischen Organisationen anschließen, die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Tadschikistan bietet solchen Personen jedoch auch eine Amnestie an; gem. Artikel 401 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs können Personen begnadigt werden, die ihr kriminelles Verhalten freiwillig einstellen. Die Begnadigung ist abhängig von einer Überprüfung der jeweiligen Kriminalgeschichte während des Engagements bei terroristischen Vereinigungen im Ausland (ISPI 3.10.2019). Einige Rückkehrer wurden als Söldner in ausländischen terroristischen Organisationen verurteilt (A+ 18.2.2020). Es gibt Berichte, dass Rückkehrer trotz zugesagter Amnestie verhaftet wurden (RFE/RL 13.10.2019). Die meisten Rückkehrer werden unter behördlicher Überwachung in die Gesellschaft reintegriert (A+ 18.2.2020).

Im Zeitraum April 2018 bis März 2019 sind mehr als 424.000 Arbeitsmigranten aus dem Ausland zurückgekehrt. Über 200.000 Tadschiken wurde in diesem Zeitraum die Wiedereinreise nach Russland untersagt. Für diese Personen wurde von der Regierung ein Beschäftigungsprogramm begonnen, unter anderem durch den Bau von 19.000 verschiedenen Infrastruktureinrichtungen und der Schaffung von 100.000 neuen Arbeitsplätzen (OHCHR 4.4.2019).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie im März 2020 werden nach Tadschikistan einreisende Personen unter bestimmten Umständen in verpflichtende zweiwöchige Quarantäne genommen (A+ 3.3.2020b; vgl. TJ-MFA 5.3.2020, TJ-MoH 27.2.2020).

[…]

II.1.2.2. Zur Situation aufgrund der Covid-19-Pandemie

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Mit Stichtag vom 07.12.2020 werden von der World Health Organization (WHO) in Tadschikistan 12.389 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei im Fall von 87 der infizierten Personen der Todesfall bestätigt worden ist. Ebenso zeigt eine von der „Johns Hopkins University“ veröffentlichte Statistik, dass mit Stichtag 07.12.2020 in Tadschikistan 12.428 bestätigte COVID-19 Erkrankungen gezählt werden bzw. 87 Todesfälle in diesem Zusammenhang zu beklagen sind.


II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Zur Person der Beschwerdeführerin

Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin (Staatsangehörigkeit, Alter, Name), zu ihrer Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit, zu ihren Sprachkenntnissen, ihrer Herkunft, ihrer Schulbildung, ihrer Berufserfahrung, ihren Familienangehörigen im Herkunftsstaat sowie dem aufrechten Kontakt zwischen ihr und ihren Angehörigen ergeben sich aus dem Akteninhalt sowie aus dem bezüglich dieser Feststellungen widerspruchsfreien und daher glaubhaften Vorbringen der Beschwerdeführerin im gesamten Verfahren, insbesondere jedoch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 18.11.2020.

Die Feststellung zu ihrem Gesundheitszustand ergibt sich aus ihren Angaben in der Verhandlung am 18.11.2020, wonach sie gesund sei und keine Medikamente nehme. Aufgrund ihres Gesundheitszustandes, ihres Alters sowie ihren Ausführungen zu ihren beruflichen Plänen in Österreich war weiter festzustellen, dass sie arbeitsfähig ist.

Ebenso gründen die Feststellungen zu ihren Reisebewegungen, zur Zurückweisung ihres ersten Antrags auf internationalen Schutz, ihrer Überstellung nach Litauen, der Abweisung ihres Antrags auf internationalen Schutz in Litauen sowie zum gegenständlichen Verfahren auf den Angaben der Beschwerdeführerin in Verbindung mit dem unbestrittenen Akteninhalt.

II.2.2. Zu den Flucht- und Verfolgungsgründen

Hinsichtlich der Flucht- und Verfolgungsgründe der Beschwerdeführerin ist vorwegzunehmen, dass sie weder im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch im Beschwerdeverfahren behauptet hat, vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat einer gezielt gegen ihre Person gerichteten Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein (Verhandlung 18.11.2020, S. 19; Einvernahme 04.10.2019, AS 229).

Aus ihren Angaben zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates lässt sich ebenso wenig ableiten, dass sie im Fall ihrer Rückkehr nach Tadschikistan Verfolgung zu gewärtigen hätte. Vielmehr brachte sie vor, dass ihre Familie den Herkunftsstaat aufgrund der Probleme ihres Vaters und ihrer Schwester verlassen habe und die Eltern die Beschwerdeführerin nicht alleine zurücklassen hätten wollen, zumal sie auch ihr Haus verkauft hätten (Verhandlung 18.11.2020, S. 19; Einvernahme 04.10.2019 AS 229).

Hinsichtlich ihres Vorbringens, wonach ihr Vater im Herkunftsstaat selbstständig erwerbstätig gewesen sei und man ihm sein Geschäft weggenommen habe, gab die Beschwerdeführerin überdies an, ihre Eltern hätten ihr über diese Probleme nichts erzählt (Verhandlung 18.11.2020, S. 19, Einvernahme 04.10.2019, AS 231). Sie war sohin nicht in der Lage darzulegen, aus welchem Grund ihrem Vater das Geschäft weggenommen worden sei. Ihrem Vorbringen ist sohin nicht schlüssig zu entnehmen, dass sie aufgrund der beruflichen Schwierigkeiten ihres Vaters aktuell im Herkunftsstaat einer Verfolgung ausgesetzt wäre.

Auch aus ihren Angaben, wonach ein weiteres Motiv für die Ausreise ihrer Familie gewesen sei, dass ihre Schwester gesundheitliche Probleme gehabt und im Herkunftsstaat keine angemessene medizinische Behandlung erhalten habe, lässt sich in keiner Weise ableiten, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr nach Tadschikistan einer Gefährdung ausgesetzt wäre.

Insoweit die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weiter vorbrachte, ihr drohe im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Verfolgung aufgrund der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in Europa, ist festzuhalten, dass sich ihre Angaben auf bloß vage und nicht weiter substantiierte Angaben beschränkten. So führte sie in diesem Zusammenhang lediglich an, ihr Vater habe einen Anruf erhalten um Angaben zum Aufenthaltsort sowie zum Ehemann der Beschwerdeführerin zu machen. Ferner sei ihr Onkel zweimal von der Polizei zum Aufenthaltsort der Familie befragt worden (Einvernahme 04.10.2019, AS 229f.). Ihren Angaben ist jedoch nicht zu entnehmen, wer ihren Vater kontaktiert habe. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin weder in der verfahrensgegenständlichen Beschwerde noch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 18.11.2020 erwähnt hat, aufgrund der in Europa geführten Asylverfahren im Herkunftsstaat einer Verfolgung ausgesetzt zu sein. Auch die Frage, ob gegen sie in Tadschikistan ein Gerichtsverfahren anhängig sei oder sie von den Behörden des Herkunftsstaates gesucht werde, verneinte sie (Verhandlung 18.11.2020, S. 19).

Insgesamt ist sohin nicht glaubhaft, dass die Beschwerdeführerin aufgrund der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in Europa in das Blickfeld der tadschikischen Behörden geraten ist.

Aus den der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichten geht ebenso wenig hervor, dass tadschikische Staatsangehörige, welche in Europa Anträge auf internationalen Schutz stellen, im Fall ihrer Rückkehr generell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt wären. So ist zwar davon auszugehen, dass rückgeführte Asylantragsteller von den Sicherheitsbehörden umfassend befragt werden. Eine Asylantragstellung im Ausland allein wird nach den Berichten bei der Rückkehr nach Tadschikistan aber noch nicht zu staatlichen Maßnahmen führen (vgl. Punkt II.1.2.1. „Rückkehr“).

Die Beschwerdeführerin hat sohin nicht glaubhaft gemacht, dass ihr im Fall der Rückkehr nach Tadschikistan aufgrund der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in Europa mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht.

Im Übrigen sind auch keine sonstigen Anhaltspunkte hervorgekommen, dass die Beschwerdeführerin im Fall der Rückkehr nach Tadschikistan Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zu gewärtigen hätte, gab sie doch an, bisher im Herkunftsstaat nicht aufgrund ihrer politischen oder religiösen Überzeugung verfolgt worden zu sein. Ihren Angaben nach ist ferner kein Gerichtsverfahren gegen sie anhängig und wird sie auch nicht von den tadschikischen Sicherheitsbehörden gesucht (Verhandlung 18.11.2020, S. 19).

II.2.3. Zum Privat- und Familienleben in Österreich

Die Feststellungen zum Privatleben der Beschwerdeführerin in Österreich beruhen auf den dahingehend glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin im Verfahren, den vorgelegten Unterlagen sowie den amtswegig eingeholten Auszügen aus öffentlichen Registern.

Die Feststellung zur zivilrechtlichen Eheschließung der Beschwerdeführerin stützt sich auf die im Akt aufliegende Heiratsurkunde. Ferner gründen die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und zum aufenthaltsrechtlichen Status ihres Ehemanns auf den vorgelegten Auszügen aus seinem Konventionsreisepass sowie seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung, wonach er durch seinen Vater Asyl bekommen habe, da dieser Probleme gehabt habe (Verhandlung 18.11.2020, S.18.). Diese Angaben stehen ferner in Einklang mit der ergänzenden Anmerkung des Behördenvertreters, wonach im Rahmen des seinerzeitigen Familienverfahrens der Schutzstatus von seinem Vater auf ihn erstreckt worden sei, zumal er damals noch minderjährig gewesen sei. Die Feststellung betreffend den Hauptwohnsitz des Ehemanns in Österreich beruht zudem auf dem unbestrittenen Akteninhalt (vgl. AS 277f.).

Die Feststellungen zum Kennenlernen der Beschwerdeführerin und ihres Ehemanns sowie zur Schließung einer religiösen Ehe in Deutschland ergeben sich aus ihren übereinstimmenden Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung. Ferner werden durch einen Auszug aus dem zentralen Melderegister ihre Angaben, wonach sie während des ersten Aufenthalts der Beschwerdeführerin in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hätten, bescheinigt.

Die Feststellungen zur Geburt des Sohnes ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin in Verbindung mit der litauischen Geburtsbescheinigung. Ferner gründen sich die Feststellungen zum Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz ihres Sohnes sowie zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auf den Gerichts- und Verwaltungsakt im Verfahren zu W233 2229139-1.

Die Feststellung, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin der Vater ihres Sohnes ist, gründet auf den nachvollziehbaren Angaben der Beschwerdeführerin im gesamten Verfahren, an welchen das Bundesverwaltungsgericht keine Zweifel hegt und welche auch vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im gegenständlichen Verfahren nicht bestritten wurden.

Aufgrund der Angaben der Beschwerdeführerin und ihres Ehemanns kommt das erkennende Gericht ferner zu dem Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin die hauptsächliche Betreuungs- und Bezugsperson des gemeinsamen Sohnes ist. Konkret gab die Beschwerdeführerin an, dass sie ihr Ehemann bei der Kinderbetreuung unterstütze, dies vor allem, wenn sie die Wohnung putze oder sie ihren Deutschkurs besuche (Verhandlung 18.11.2018, S. 9). Auch der Ehemann antwortete auf Nachfrage, wie er das Familienleben mit seiner Frau und seinem Kind gestalte, sie würden viel gemeinsam machen und helfe er seiner Frau beispielsweise dann, wenn sie in den Deutschkurs gehe (Verhandlung 18.11.2018, S. 9). Insgesamt besteht sohin kein Zweifel daran, dass die Beschwerdeführerin die hauptsächliche Betreuung des Kindes übernimmt, während ihr Ehemann die Betreuung nur gelegentlich für einen auf wenige Stunden begrenzten Zeitraum eigenständig übernimmt.

Die Angaben der Beschwerdeführerin, wonach sie und ihr Sohn an der aktuellen Adresse ihres Ehemanns keinen Hauptwohnsitz begründen könnten, zumal dort nur zwei Personen gemeldet sein dürfen, wurde durch die Bestätigung des Heimbetreibers vom 25.11.2020 bescheinigt. Ferner ist dieses Vorbringen auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Unterkunft des Ehemanns nach dem vorgelegten Heimnutzungsvertrag lediglich 22,55 m² groß ist, plausibel. Nachvollziehbar sind ferner die Angaben der Beschwerdeführerin, wonach sie dennoch gemeinsam mit ihrem Sohn den überwiegenden Teil ihrer Zeit bei ihrem Ehemann verbringe.

Insoweit das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im angefochtenen Bescheid in seiner rechtlichen Beurteilung ausführt, dass zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann kein Familienleben bestehe (Bescheid 25.01.2020, S. 52), ist der Vollständigkeit halber festzuhalten, dass das Bundesamt weder im angefochtenen Bescheid noch im Beschwerdeverfahren nachvollziehbar dargetan hat, es liege zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann lediglich eine Scheinehe vor. Vielmehr legte es dem Bescheid als Sachverhalt zugrunde, dass zwischen ihnen ein Familienleben besteht, dieses jedoch nicht als schützenswert erachtet werde (Bescheid 25.01.2020, S. 37). Auch angesichts des – vom Bundesamt unbestrittenen - Umstands, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann einen gemeinsamen Sohn haben, ist nicht von einer Scheinehe auszugehen.

Anhaltspunkte, dass die Beschwerdeführerin abgesehen von ihrem Sohn und ihrem Ehemann sowie dessen Angehörigen in Österreich über familiären Anknüpfungspunkte oder sonstige besonders berücksichtigungswürdige soziale Bindungen verfügt, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Der Besuch von Deutschkursen wurde von der Beschwerdeführerin durch die Vorlage von zwei Teilnahmebestätigungen bescheinigt. Hinweise, dass sie bereits eine Deutschprüfung absolviert oder einen Werte- und Orientierungskurs besucht hat, bestehen nicht und wurde ein solcher Sachverhalt auch nicht behauptet.

Aus einem Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem ergibt sich weiter, dass die Beschwerdeführerin in Österreich keiner rechtmäßigen Erwerbstätigkeit nachgeht, sondern den Unterhalt für sich und ihren Sohn aus staatlichen Mitteln bestreitet.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit ergibt sich aus einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister.

II.2.4. Zu den Länderfeststellungen

Die diesem Erkenntnis zugrundeliegenden Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Tadschikistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit sich diese Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat auf Berichte älteren Datums beziehen, ist auszuführen, dass sich die darin angeführten Umstände für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation in Hinblick auf das Vorbringen der Beschwerdeführer nicht wesentlich geändert haben.

Die Beschwerdeführerin ist den Länderinformationen im Übrigen weder im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 18.11.2020 noch in ihrer Stellungnahme vom 02.12.2020 konkret entgegentreten.

II.2.5. Zu den Feststellungen zur Covid-19-Pandemie

Die unstrittigen Feststellungen zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus erge

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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