TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/17 W200 2235638-1

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Veröffentlicht am 17.11.2020
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Entscheidungsdatum

17.11.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
VOG §1 Abs1
VOG §10
VOG §4 Abs5
VOG §6a
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W200 2235638-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Scherz als Vorsitzende und durch den Richter Dr. Kuzminski sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Svoboda als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX . geb XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (SMS) vom 28.08.2020, Zl. 214-616669-007,

I.       betreffend die Abweisung des Antrags auf Pauschalentschädigung für Schmerzensgeld zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) idgF abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II.      betreffend die Abweisung des Antrags auf Kostenersatz für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung zu Recht beschlossen:

A)       In Erledigung der Beschwerde werden die angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, zurückverwiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 09.09.2019 einen Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen für Opfer nach dem Verbrechensopfergesetz, konkret auf Pauschalentschädigung für Schmerzensgeld sowie Heilfürsorge in Form physiotherapeutischer Krankenbehandlung.

Das Verbrechen hätte sich im Februar 2010 im Berufsschulinternat XXXX ereignet. Im März 2010 sei er als fünfzehnjähriger von drei Mitschülern, die damals mit ihm dieselbe Berufsschule besuchten und ein Zimmer im Internat geteilt hätten, sexuell missbraucht und von diesen vergewaltigt worden. Der Beschwerdeführer gab die drei potentiellen Täter namentlich bekannt und gab an, dass das Verbrechen bei der Staatsanwaltschaft St. Pölten angezeigt, jedoch von diese eingestellt worden sei.

Dem Akt ist ein ärztliches Attest eines Arztes für Allgemeinmedizin sowie ein Aktenvermerk, aufgenommen in der Berufsschule XXXX , zu entnehmen. Der AV gestaltet sich wie folgt:

„Aktenvermerk

Schüler: XXXX , wohnhaft: XXXX
ÜBA:          Wifi NÖ
Klasse:         1. NF/LS 2
Eltern:          XXXX

Der Schüler XXXX reist am Sonntag, 7.2.2010 für den III. Lehrgang an der LBS XXXX ins Schülerheim an.

Montag, 8.2.2010

Der Schüler wendet sich am Abend an den diensthabenden Erzieher Vtl XXXX mit den Worten: „Ich kann in der Schule nicht auf diesen Sesseln sitzen, ich möchte nicht bis 16:20 Uhr Unterricht haben — das bin ich nicht gewohnt. ich will den Lehrer im weißen Mantel nicht, ich will den Lehrer mit dem braunen Mantel, ich will die Englisch-Lehrerin nicht, ich habe immer einen eigenen Lehrer gehabt, usw." Der Schüler verbringt einen Großteil des Abends „verzweifelt" beim Erzieher und geht auch mit zum Fußballspielen.

Dienstag, 9.2.2010

Klassenvorstand Vtl XXXX kommt mit dem Schüler in die Direktion und der Schüler XXXX stellt wieder diese o. a. Forderungen. Daraufhin erkläre ich ihm, dass dies bei uns nicht üblich ist. Einen Wunsch erfülle ich und tausche die Englischgruppe XXXX - XXXX . Ich rede ihm gut zu und ersuche Frau Vtl XXXX die Klasse zu sensibilisieren und ihm zu helfen sich zu integrieren.

Mittwoch, 10.2.2010

Der Schüler XXXX verbringt jede freie Minute in den Pausen damit Frau Vtl XXXX ausfindig zu machen „Wo is die XXXX ?". Frau Vtl XXXX hilft ihm so gut es geht.

Donnerstag, 11.2.2010

XXXX klagt unter Bauchschmerzen und weigert sich in die Schule zu gehen. um 7:30 Uhr berichten 2 Schülerinnen aus dem LS 2 Vtl XXXX , dass sie gehört haben, der Mitbewohner von XXXX — XXXX — hätte XXXX ins Frucade „gepinkelt". Vtl XXXX kommt sofort zu mir und berichtet mir von den Anschuldigungen. Daraufhin gibt es sofort ein Gespräch mit XXXX , bei dem er unter Tränen gesteht, dass der Vorwurf stimmt, es ihm aber sehr leid tue. Ich verwarne ihn strengstens und teile ihm mit, dass ich seine Eltern informieren werde und mir jede andere Vorgehensweise offenhalte. Außerdem wollte ich noch mit den Eltern von XXXX sprechen. Ich schicke XXXX und seine beiden Mitbewohner zur anwesenden Sozialarbeitern, die mit ihnen ein langes Gespräch führt.

Ich rufe danach Frau XXXX an und ersuche Sie ihren Sohn, der an Bauchschmerzen leidet, abzuholen. Die Eltern kommen noch im Laufe des Vormittages und ich erzähle ihnen von dem Vorkommnis aus dem Internat. Ich frage die Eltern, ob sie einverstanden sind, dass XXXX XXXX weiter im Internat bleibt und sich in Zukunft mit den Mitbewohnern verstärkt um XXXX kümmern wird mit Schulsozialarbeiterin Frau XXXX abgesprochen). Die Eltern stimmen meinem Vorschlag zu. Ich rufe XXXX Vater an und berichte von dem Vorfall und den Konsequenzen (schriftliche Verwarnung, Sozialdienst).

Freitag, 12.2.2010

XXXX wird am Morgen wieder von seinen Eltern in die Schule gebracht. Es geht ihm nicht gut im Unterricht. Er wird vom Klassenlehrer in die Kanzlei gebracht und sitzt wieder einen Großteil des Tages in der Direktion und weint und klagt über diverse Schmerzen. Er betont mehrmals, dass er nicht im Internat bleiben will und beruhigt sich nur sehr schwer.

Samstag, 13.2.2010

Bereits um 8:00 Uhr wird XXXX von Vtl XXXX wieder weinend in die Dion gebracht. Ich setze ihn zu mir ins Büro. Er betont, dass es ihm nicht gut geht, er nicht da bleiben will und Bauchschmerzen hat. Er erzählt mir, dass Vtl XXXX ihm gesagt hätte, er könne auch mit dem Taxi in die Schule fahren. Ich gebe ihm eine Tasse Tee und versuche ihn zu beruhigen. Ich sage ihm, dass ich die Rettung hole, wenn die Schmerzen sehr arg sind. Daraufhin er: „Kommt die dann mit Blaulicht?" Nachdem er sich nicht wirklich beruhigt, rufe ich seinen Vater an und ersuche ihn zu kommen. Er ist sehr verärgert und will zuerst nicht gleich kommen. Vater und Mutter kommen dann ca. 1 Stunde später doch. Der Vater ist weiter sehr verärgert und zeigt dies auch seinem Sohn sehr eindeutig. Ich erkläre dem Vater nochmals, dass ich nur 2 Möglichkeiten bei Krankheit am Samstag habe: entweder Abholung durch Eltern oder Einlieferung ins Krankenhaus. Der Vater ist auch einverstanden dies in Zukunft weiter bei Krankheit so abzuwickeln. Die Eltern nehmen ihren Sohn mit nach Hause.

Montag, 15.2.2010

Frau XXXX meldet XXXX telefonisch krank.

Dienstag, 16.2.2010

Frau XXXX ruft mich vormittags an und behauptet XXXX wäre im Internat von seinen Mitbewohnern verletzt (blaue Flecken am Oberkörper) und sexuell missbraucht worden. Auf meine Frage, welch sexuelle Belästigung dies gewesen wäre, antwortet sie: „er hat einen Mitschüler einen blasen sollen." Ich ersuche sie daraufhin eine Anzeige gegen die Mitbewohner zu machen: was sie jedoch sofort ablehnt. Weiters betont sie, dass sie beim Arzt war und der Arzt auch die Verletzungen attestiert hat. Ich ersuche Frau XXXX sofort mit dem Befund und den Anschuldigungen ihres Sohnes (die sie angeblich schriftlich hat) in die Schule zu kommen. Sie will jedoch erst am Donnerstag kommen. Ich weise sie daraufhin, dass das viel zu spät ist bei diesen Anschuldigungen und ich sofortige Aufklärung verlange. Sie schlägt daraufhin vor am Mittwoch zu kommen, was ich ebenfalls für zu spät gefunden habe. Ich ersuche sie nochmals am Dienstag in die Schule zu kommen. Im Gespräch betont sie mehrmals keine Anzeige machen zu wollen. Ich höre am Dienstag nichts mehr von der Familie XXXX .

Mittwoch, 17.2.2010

Ich versuche Frau XXXX tel. zu erreichen. Einmal wird aufgelegt, beim 2- Mal nimmt sie ab und ist sehr kurz angebunden. Ich ersuche sie nochmals dringendst in die Schule zu kommen, bekomme jedoch keine konkrete Antwort.

Frau XXXX — Wifi NÖ, Bezirksstelle XXXX — ruft mich am Vormittag an und fragt mich, was mit XXXX los ist. Sie habe einen Anruf vom Praktikumsplatz erhalten mit den Anschuldigungen w. o. a. Daraufhin erzähle ich ihr von unseren Bemühungen und den Vorfällen. Sie meint „Ich habe mir gleich gedacht, dass es mit XXXX Probleme geben wird. Sie kennt die Mutter sehr gut. Sie berichtet mir, dass XXXX nicht mehr in die Schule kommen wird.

Wir vereinbaren einen Termin am Dienstag nächster Woche in der LBS XXXX um 9 Uhr.

Herr und Frau XXXX stehen dann plötzlich Nachmittag in der Dion und holen XXXX Schulsachen. Herr XXXX : „Mit der Schule haben wir halt Pech gehabt." Daraufhin erkläre ich ihm nochmals, was wir alles für seinen Sohn unternommen haben und wie wir uns um ihn bemüht haben. Ich schlage ihm für seinen Sohn, in Absprache mit der Schulpsychologin, eine Therapie bzw. einen Besuch bei dem Verein „Möwe" vor, gebe ihm nochmals die Tel. Nr. der Schulpsychologie und der Schulsozialarbeit. Beide Elternteile sind jedoch nicht einsichtig.

Auf meinen Wunsch gibt der Vater das ärztliche Attest zum Kopieren frei. Im Attest scheint nichts über „blaue Flecken" auf. Das Attest bezieht sich nur auf Aussagen — nicht auf Tatsachen. Die Eltern übergeben mir keine Namensliste usw. Der Vater erwähnt mündlich den Namen XXXX und den „Blonden", der ihn immer so ängstlich anschaut, wenn er seinen Sohn abholt.

Die beschuldigten Mitbewohner bestreiten die Vorwürfe (siehe Beilage).

XXXX , 13.2.2010 BD XXXX “

Der Beschwerdeführer wurde am 19.12.2018 von der Landespolizeidirektion Niederösterreich, Landeskriminalamt, zeugenschaftlich einvernommen.

Grob zusammengefasst gab er an, dass er im März 2010 die Schule verlassen hätte, da er sexuell missbraucht worden sei. In der ersten Schulwoche hätten sie sich einigermaßen gut verstanden. Aber vor dem ersten Wochenende, seien sie in der Nacht mit einem Polster gekommen und hätten dann mit diesem sexuelle Bewegungen gemacht. Sie hätten es ihm auf den Rücken gelegt, um ihn niederdrücken zu können. Dann hätten sie sich auf ihn draufgesetzt und hätten diese sexuellen Bewegungen gemacht, während er auf dem Bauch gelegen sei. Einer sei in Reiterstellung gesessen, der andere hätte ihn vorne am Kopf gehalten, sodass er kaum noch Luft bekommen hätte und der dritte hätte sich auf seine Füße gesetzt. Der auf ihm Sitzende hätte dann so stoßende Bewegungen gemacht. Er hätte versucht sich zu wehren, hätte jedoch keine Chance gehabt. Jede Nacht sei es dann immer ärger geworden. Irgendwann hätten sie ihm den Pyjama ausgezogen und sich selbst ausgezogen, hätten ihn festgehalten, seien ohne Gewand auf ihm gesessen, dann hätten sie ihn umgedreht, alle drei hätten sich auf ihn gesetzt und dann hätten sie ein Anzeichen gesetzt und dann hätten sie „einen Frieden“ gegeben. Er sei im Tiefschlaf gewesen und sei ausgezogen munter geworden. Befragt, ob er am Bauch oder am Rücken gelegen sei, antwortete er, normalerweise nicht am Bauch zu schlafen, es könne nur seitlich oder am Rücken gewesen sein. Er sei dann am Rücken gelegen und sie seien auf ihm gesessen, ohne Kleidung. Danach hätten sie einfach nur mit ihren halbsteifen „Schwänzen“ auf ihn eingeschlagen. Er könne sich nicht erinnern, dass einer von ihnen etwas gesagt hätte. Er hätte sie gebeten aufzuhören. Dann hätten sie ihn umgedreht und am Rücken hätten sie das Gleiche gemacht. Dann seien sie weggegangen und er hätte wieder geschlafen. Sie wären in einem Vierbettzimmer gewesen. In der Woche drauf sei alles schlimmer gekommen, in der letzten Zeit sei er benommen gewesen – vielleicht hätte er irgendetwas bekommen, er hätte alles nur komisch wahrgenommen. Eine Therapeutin hätte gesagt, dass das eine Möglichkeit wäre, dass er sich deshalb so gefühlt hätte. Er sei bei fünf Therapeuten gewesen und alle fünf hätten gesagt, dass er Medizin bekommen hätte und sich deshalb so gefühlt hätte. Er hätte sich wie eine Puppe gefühlt, er hätte zuschauen können, was mit ihm passiert ist, sich jedoch nicht wehren können. Wie er die Medizin erhalten hätte sollen, wisse er nicht.

Befragt, was dann passiert sei, antwortete er, sich immer noch dafür zu schämen – alle drei hätten auf ihn „abgespritzt“. Deswegen würden alle sagen, dass er schwul sei. Sie hätten sich einfach einen „runtergeholt“. Er wisse nur, dass er benommen gewesen sei und in der Mitte des Zimmers gesessen oder gekniet sei und nicht aufstehen hätte können. Er hätte nur mitbekommen, was passiert sei. Alle drei hätten das Gleiche gemacht, gesprochen hätten sie nicht, jedoch gestöhnt. Sie hätten auf seinen ganzen nackten Körper gespritzt. Irgendwann einmal in der Nacht hätten ihn die Burschen ausgezogen und dann sei er in der Mitte gesessen. Er könne sich nur noch erinnern, dass er dann sauber und angezogen wieder schlafen gegangen sei. Er müsse also duschen gegangen sein.

Ende der zweiten Woche – ein oder zwei Tage später – hätte er wieder Medikamente bekommen. Er konnte Arme und Beine nicht bewegen und konnte wie eine Puppe zuschauen. Wie das Mittel verabreicht worden sei, wisse er nicht. Sie hätten ihn wie eine Puppe bedient: Er sei in der Mitte gesessen, alle seien nackt gewesen. Sie hätten ihn zuvor im Bett ausgezogen und dann wie eine Puppe in die Mitte gesetzt. Danach sei der schlimmste Moment passiert – einer hätte seinen Penis in den Mund gesteckt, einer den Penis anal eingeführt und einer hätte seinen Penis in den Mund genommen und dies alles gleichzeitig. Sie hätten wiederrum auf ihn „abgespritzt“ und hätten ihm einen „runtergeholt“. Danach sei er mit den Nerven am Ende gewesen, hat geweint und nicht mehr weitergewusst. Er hätte warten müssen, bis die Wirkung nachgelassen hätte, hätte sich dann abgewischt oder sei duschen gegangen – er wisse es nicht mehr. Er wisse nicht mehr, welcher der drei Burschen welche Handlung gemacht hätte. Danach sei es zu weiteren Übergriffen gekommen: Alle drei hätten in einen Wasserbecher gespritzt und er hätte das trinken sollen. Das hätte er nicht gemacht.

Bereits nach der ersten Woche hätte er seinem Vater gesagt, dass etwas Schlimmes passiert sei und er ihn holen solle. In der nächsten Woche hätte er seinen Vater angerufen und aufgefordert ihn zu holen. Dieser hätte ihn dann abgeholt und hätte zuvor mit der Direktorin gesprochen. Er hätte ihm angesehen, wie schlecht es ihm gehe.

Nach drei Jahren hätte er seinem Vater von dem sexuellen Missbrauch erzählt und dieser hätte ihm gesagt, dass er schon damals eine Vorahnung gehabt hätte. Sein Vater hätte die Anzeige erstatten wollen, aber die Direktorin sei damals dagegen gewesen, weil sie den Ruf der Schule nicht aufs Spiel setzen hätte wollen.

Befragt, wem er in der Schule von dem Vorfall erzählt hätte, antwortete er, nicht sicher zu sein – es könne aber sein, dass er sich den Mädels in der Schule anvertraut hätte. Er wisse aber nicht, welchem Mädel er was erzählt hätte. Sonst hätte er mit niemandem gesprochen.

Nach Beweisen befragt antwortete er, dass er gleich nachdem zum Hausarzt gegangen sei und dieser ihm ein Attest erstellt hätte. Auch von einem Psychologen hätte er noch ein Attest. Er sei seither in psychologischer Betreuung.

Er leide nunmehr an Verfolgungswahn, Angst- und Panikattacken, PTBS, könne mit Stress und Druck nicht wirklich umgehen und hätte depressive Episoden. Er sei auch nicht mehr arbeitsfähig. Er nehme Antidepressiva ein. Abschließend war es ihm noch wichtig auszusagen, dass die Tür im Zimmer immer versperrt sei, obwohl das von den Lehrern verboten gewesen sei. Die Mädels hätten vielleicht auch beim Fenster hineingeschaut, er wisse aber nicht, was diese alles gesehen hätten. Sie hätten bei der Zimmertür hineinwollen, diese sei jedoch versperrt gewesen. Die Mädchen hätten ihn getröstet, da sie gewusst hätten, dass ihm etwas Schlimmes passiert sei. Die drei vom Beschwerdeführer beschuldigten Burschen wurden jeweils von der Polizei einvernommen und bestritten die erhobenen Vorwürfe. Sie beschrieben den Beschwerdeführer als bereits zum damaligen Zeitpunkt als verhaltensauffällig und weinerlich sowie, dass er an Heimweh gelitten hätte.

Die Staatsanwaltschaft St. Pölten stellte das Verfahren wegen Vergewaltigung gegen die drei Zimmerkollegen des Beschwerdeführers gemäß § 190 Z 2 StPO ein, dies mit der Begründung, dass die Tatvorwürfe aufgrund der zwischenzeitig verstrichenen Zeit, der leugnenden Einlassung der Beschuldigten sowie mangels weiterer objektivierbarer Beweisergebnisse nicht mit der für das Strafverfahren erforderlichen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erweislich sein.

Dem Akt sind diverse psychologische und psychotherapeutische Unterlagen zu entnehmen, unter anderem auch ein Auszug aus einer Kartei, der den Beschwerdeführer behandelnden Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie. In dieser Kartei wird beschrieben, dass der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben im Internat sexuell missbraucht worden sei. Weiters ist jedoch auch vermerkt, dass das Elternhaus sehr schwierig sein dürfte und latente Eifersucht auf die Schwester spürbar sei, dass der Patient schwer einzuordnen sei, was wirklich im Hintergrund sei, dass der Beschwerdeführer an epileptischen Anfällen leide, und in weiterer Folge Angst vor neuerlichem Anfall hätte, einsam sei und an Liebeskummer leide, dass er ängstlich – zwänglich sei, aber erstmals erkenne, dass seine Ängste mit der Angsterkrankung der Mutter zusammenhängen würden und sich der Patient außer Stande fühle, irgendeine Ausbildung zu machen bzw. von zu Hause auszuziehen. Im November 2018 wurde beschrieben, dass er familiendynamisch sehr belastet sei, er müsse den rehabedürftigen Vater zu den Therapien führen und den Haushalt „schupfen“, weil es die Mutter nicht schaffe. Er hätte erstmals über die Dominanz der Grußmutter und Tante mütterlicherseits berichtet, da diese Geld hätten und zahn- und psychotherapeutische Behandlungen bezahlen würden – es würden sich Abhängigkeiten auftun. Es sei finanziell extrem eng und die Mutter sei Frühpensionistin. Im Jahr 2019 wurde festgehalten, dass die Mutter an einer Lungenembolie gelitten hätte und er selbst zu Hause viel übernehmen hätte müssen, weil die Schwester auch krank geworden sei.

In weiterer Folge holte das Sozialministeriumservice ein Gutachten einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie ein. Dem Gutachtensauftrag wurde folgender Sachverhalt zu Grunde gelegt:

Der Beschwerdeführer sei durch zumindest einen Schüler mit Kissen in Bauchlage niedergedrückt und auf ihm sitzend seien stoßende sexuelle Bewegungen ausgeführt worden. Darüber hinaus hätte sich zumindest einer der Mitschüler nackt auf ihn gesetzt und mit seinem Penis auf ihn eingeschlagen. Zumindest ein nackter Zimmerkollege hätte masturbiert und auf ihn abgespritzt und ihm seinen Penis in den Mund gesteckt. Die Feststellungen könnten aufgrund der Aussagen in der Zeugenvernehmung, der unmittelbar nach der Tat in der Schuldirektion vorgebrachten Anschuldigungen, der Angaben der Mutter gegenüber der Direktorin, dass ihr Sohn ihr anvertraut hätte, dass er von den Mitbewohnern gezwungen worden sei, ihnen einen zu „blasen“, dem ebenfalls unmittelbar darauffolgenden Besuch bei der Psychotherapie samt Angaben zum sexuellen Missbrauch, dem Umstand, dass der Beschwerdeführer durchgehend seit 2010 immer wieder einen sexuellen Missbrauch während des Aufenthaltes in der Berufsschule angeführt hätte – was sich aus diversen vorgelegten und eingeholten Befunden ergebe und dem vor der Direktorin zugegebenem Mobbing, dass der Zimmerkollege in die Frucadeflasche des Beschwerdeführers uriniert hätte, mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden.

Laut dem eingeholten Gutachten leide der Beschwerdeführer an einer abhängigen Persönlichkeitsstörung F 60.2 sowie an einer Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten F 81, Epilepsie G 40.9 und rezidivierender depressiven Episode F 33.

Die psychischen Gesundheitsschädigungen seien nicht kausal auf die angeführten Verbrechen zurückzuführen. Die Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten sei bereits im Vorschulalter erkannt worden und er hätte eine störungsspezifische Unterstützung in der Schule erhalten. Zum Zeitpunkt des Missbrauchs sei er 15 bis 16 Jahre alt gewesen. Es wäre angenommen, dass die Charakterbildung (Persönlichkeit) in der Pubertät abgeschlossen sei. Zeichen asthenischer Charakterzüge mit pathologischer Ausprägung (Persönlichkeitsstörung) sind bei dem Beschwerdeführer laut vorgelegter Dokumentation bereits vor dem Verbrechen dokumentiert. Depressive Störungen hätten eine multikausale Genese und verändern sich vermehrt bei Personen mit asthenischer (abhängiger) Persönlichkeit.

Mit Bescheid des Sozialministeriumservice vom 26.08.2020 wurde unter Spruchpunkt I. der Antrag auf Gewährung einer Pauschalentschädigung für Schmerzensgeld gemäß § 1 Abs. 1, § 6a sowie § Abs. 1 VOG abgewiesen. Unter Spruchpunkt II. wurde der Antrag auf Kostenersatz für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung nach dem VOG für die aufgrund der Vorfälle vom Februar 2010 erlittenen Gesundheitsschädigungen gemäß § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 5 sowie § 10 VOG abgewiesen.

Zu Spruchpunkt I. wurde begründende auf die Fristversäumnis gemäß § 10 Abs. 1 verwiesen. Zu Spruchpunkt II wurde auf das eingeholte Gutachten verwiesen. Gegend diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer stellte am 09.09.2019 einen Antrag auf Pauschalentschädigung sowie auf Heilfürsorge in Form physiotherapeutischer Krankenbehandlung wegen eines angeblich im Februar 2010 an ihm begangenen Verbrechens.

2. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 9d Abs.1 VOG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat, dem ein fachkundiger Laienrichter angehört. Es liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Zu A)

Ad I.)

§ 1 Abs. 1 Z. 1 VOG besagt:

Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist.

Gemäß § 2 Z 10 ist als Hilfeleistungen Pauschalentschädigung für Schmerzengeld vorgesehen.

Leistungen nach § 2 dürfen nur von dem Monat an erbracht werden, in dem die Voraussetzungen hiefür erfüllt sind, sofern der Antrag binnen zwei Jahren nach der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 1) gestellt wird. Wird ein Antrag erst nach Ablauf dieser Frist gestellt, so sind die Leistungen nach § 2 Z 1, 2, 3 bis 7 und 9 mit Beginn des auf den Antrag folgenden Monates zu erbringen. Anträge auf Leistungen gemäß § 4 Abs. 5 unterliegen keiner Frist. (§ 10 Abs. 1 VOG auszugsweise idF des BGBl. I Nr. 58/2013)

Der § 6a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 58/2013 tritt mit 1. April 2013 in Kraft. Der § 6a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 58/2013 ist auf Handlungen im Sinne des § 1 Abs. 1 anzuwenden, die ab dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes begangen wurden. § 10 Abs. 1 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 58/2013 ist hinsichtlich § 2 Z 1, 7 und 9 auf Handlungen im Sinne des § 1 Abs. 1 anzuwenden, die ab dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes begangen wurden, und hinsichtlich § 2 Z 10 mit der Maßgabe anzuwenden, dass für Anträge auf Grund der Rechtslage vor diesem Zeitpunkt der Fristenlauf mit dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes beginnt. (§ 16 Abs. 13 VOG auszugsweise)

Der Gesetzgeber hat mit der Erlassung des Bundesgesetzes BGBl. I. Nr. 58/2013 bewusst den vorherigen § 10 Abs. 1 letzter Satz VOG, wonach Anträge auf Leistungen gemäß § 6a VOG keiner Frist unterliegen, gestrichen und die Frist zur Antragstellung von zwei Jahren auch für Anträge auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld vorgesehen.

Durch die unmissverständliche Formulierung des § 10 Abs. 1 VOG idF des BGBl. I Nr. 58/2013 hat der Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebracht, dass alle Leistungen außer Kostenersatz für Psychotherapie binnen zwei Jahren nach der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 1 VOG) zu beantragen sind. Nach Ablauf der Zweijahresfrist, sind alle Leistungen - außer Krisenintervention, Ersatz der Bestattungskosten und Pauschalentschädigung für Schmerzengeld - erst ab Antragsfolgemonat zu erbringen.

Nach Ansicht des erkennenden Senates begann die Frist für den Beschwerdeführer mit 1. April 2013 zu laufen und endete mit 1. April 2015.

Weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht wird ein Ermessen eingeräumt, von den Konsequenzen des Fristversäumnisses gemäß § 10 Abs. 1 VOG abzusehen.

Die belangte Behörde hätte jedenfalls die Tatsache der Fristversäumung in einem zu gewährenden Parteiengehör dem Beschwerdeführer zur Kenntnis bringen müssen. Dabei handelt es sich jedoch ausschließlich um einen Verfahrensfehler der belangten Behörde, der zu keinem anderen inhaltlichen Ergebnis führt.

Da der Antrag auf Hilfeleistungen in Form von Pauschalentschädigung für Schmerzengeld am 09.09.2019 und sohin nach Ablauf der in § 10 Abs. 1 VOG normierten zweijährigen Antragsfrist bei der belangten Behörde verspätet eingelangt ist, war ohne auf den Sachverhalt einzugehen spruchgemäß zu entscheiden.

Ad II.)

Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, sofern die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt hervorgehoben (vgl etwa das hg. Erkenntnis vom 10. September 2014, Ra 2014/08/0005), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.

Der Umstand, dass gegebenenfalls (punktuelle) ergänzende Einvernahmen durchzuführen wären, rechtfertigt nicht die Zurückverweisung; vielmehr wären diese Einvernahmen, sollten sie wirklich erforderlich sein, vom Verwaltungsgericht - zweckmäßigerweise im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - durchzuführen. (Ra 2015/08/0178 vom 27.01.2016)

In § 28 VwGVG 2014 ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs 3 zweiter Satz leg cit vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (Hinweis E vom 17. Dezember 2014, Ro 2014/03/0066, mwN). Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Hinweis E vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/22/0087, mwN). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (Hinweis E vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, mwN). (Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016)

Das SMS hat folgenden Sachverhalt seiner Entscheidung zu Grunde gelegt:

Der Beschwerdeführer wurde durch zumindest einen Schüler mit Kissen in Bauchlage niedergedrückt und auf ihm sitzend seien stoßende sexuelle Bewegungen ausgeführt worden. Darüber hinaus hatte sich zumindest einer der Mitschüler nackt auf ihn gesetzt und mit seinem Penis auf ihn eingeschlagen. Zumindest ein nackter Zimmerkollege hatte masturbiert und auf ihn abgespritzt und ihm seinen Penis in den Mund gesteckt.

Die Feststellungen basierten laut SMS auf der Aussagen in der Zeugenvernehmung, den unmittelbar nach der Tat in der Schuldirektion vorgebrachten Anschuldigungen, den Angaben der Mutter gegenüber der Direktorin, dass ihr Sohn ihr anvertraut hätte, dass er von den Mitbewohnern gezwungen worden sei, ihnen einen zu „blasen“, dem ebenfalls unmittelbar darauffolgenden Besuch bei der Psychotherapie samt Angaben zum sexuellen Missbrauch, dem Umstand, dass der Beschwerdeführer durchgehend seit 2010 immer wieder einen sexuellen Missbrauch während des Aufenthaltes in der Berufsschule angeführt hätte – was sich aus diversen vorgelegten und eingeholten Befunden ergebe und dem vor der Direktorin zugegebenem Mobbing, dass der Zimmerkollege in die Frucadeflasche des Beschwerdeführers uriniert hätte, mit der für das VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden.

Wie das SMS zu seinen Feststellungen gekommen ist, lässt sich für den erkennenden Senat nicht nachvollziehen.

Eine Gegenüberstellung der Aussagen des Beschwerdeführers zum Inhalt des Aktenvermerks der Direktion ergibt, dass der Beschwerdeführer am Sonntag, 7.2.2010, in das Schülerheim der Berufsschule angereist ist. Dort hielt er sich durchgehend bis Donnerstag, 11.2.2010, auf. Am 12.2.2010 wurde er von seinen Eltern wieder in die Schule gebracht und er wurde am Samstag, 13.2.2010 wieder von seinen Eltern abgeholt. Am Montag, 15.2.2010, meldete ihn seine Mutter krank und ab diesem Zeitpunkt besuchte er weder die Berufsschule weiter noch hielt er sich im Schülerheim auf. Konkret bedeutet dies, dass sich der Beschwerdeführer rund eine Woche (Montag bis Donnerstag, Freitag bis Samstag) in der Schule und im Schülerheim aufgehalten hat.

Der Zeugeneinvernahme des Beschwerdeführers vom 19.12.2018 bei der Landespolizeidirektion Niederösterreich, Landeskriminalamt, wiederum sind folgende Aussagen des Beschwerdeführers zu entnehmen:

1.       „In der ersten Schulwoche haben wir uns einigermaßen gut verstanden. (…) vor dem ersten Wochenende sind die in der Nacht mit dem Kissen gekommen und machten dann mit dem Kissen so sexuelle Bewegungen.“

2.       „(…) die Woche drauf ist alles schlimmer gekommen. (…) ich weiß nur, dass ich in der letzten Zeit benommen war, dh ich muss vielleicht irgendetwas bekommen haben, ich habe es nur so komisch wahrgenommen.“

3.       „Irgendwann Ende der zweiten Woche – ein oder zwei Tage später – (…) ich habe wieder ein Medikament bekommen. Ich konnte Arme und Beine nicht bewegen oder ich konnte zuschauen wie eine Puppe. (…). Sie haben mich wie eine Puppe bedient, d.h. ich bin in der Mitte gesessen, wir waren alle nackt.“

4.       Bereits nach der ersten Woche habe ich meinem Papa gesagt, dass etwas Schlimmes passiert ist in der Schule und er mich holen soll. (…) In der nächsten Woche habe ich meinen Papa angerufen und ihm gesagt „Hol mich hier raus, es ist etwas Schlimmes passiert, es ist mein Ernst.“. Mein Papa hat mich geholt und hatte davor noch mit der Direktorin gesprochen. Er hat mir angesehen, wie schlecht es mir geht.

5.       Nach drei Jahren habe ich meinem Papa von dem sexuellen Missbrauch in der Berufsschule erzählt und er hat mir gesagt, dass er schon damals (…) eine Vorahnung hatte (…). Mein Papa wollte damals eine Anzeige für mich machen, aber die Direktorin war dagegen, weil sie den Ruf der Schule nicht aufs Spiel setzen wollte.

Der Beschwerdeführer war keine „Woche drauf“ bzw. eine „zweite Woche“ oder eine „nächste Woche“ in der Berufsschule bzw. im Landesschulheim aufhältig. Er ist nach dem 13.2.2010 nach einem Aufenthalt bei seinen Eltern nicht mehr zurückgekehrt.

Auch ist dem Aktenvermerk vom 18.2.2010 der Direktorin zu entnehmen, dass diese die Mutter des Beschwerdeführers ersucht hat, eine Anzeige gegen den Mitbewohner zu machen, den der Beschwerdeführer laut eigenen Angaben oral befriedigen hätte sollen. Dies wurde von der Mutter jedoch verweigert.

Weiters ist festzuhalten, dass im ärztlichen Attest vom 15.2.2010 ausschließlich auf die glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers verwiesen wird, die von der Mutter behaupteten Hämatome sind dem Attest nicht zu entnehmen.

Auch dem Befund der klinisch-psychologischen Untersuchung vom 14.3.2010 ist nur zu entnehmen, dass sich die untersuchende Psychologin auf das Attest vom 15.2.2010 bezieht mit den Diagnosen „psychosomatische Schmerzzustände und Traumatisierung nach mehreren Tagen Demütigung und sexueller Belästigung im Schülerheim“, der Beschwerdeführer jedoch nicht über die Geschehnisse berichten wollte.

Die Mutter des Beschwerdeführers äußerte am 14.2.2010 im SMZ Ost die Befürchtung, dass man ihrem Sohn Drogen ins Essen/Trinken gegeben hätte, da er am Montag, 14.2.2010 und am Donnerstag, 11.2.2010 erbrochen hätte. Diagnostiziert wurde eine psychische Belastung, die empfohlene stationäre Aufnahme wurde von der Mutter abgelehnt.

Grundsätzlich ist dem Aktenvermerk vom 18.2.2010 zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer bereits ab dem ersten Tag in der Berufsschule und im Schulheim schwere psychische Probleme an den Tag legte (Er kann nicht auf diesen Sesseln sitzen, möchte nicht bis 16:20 Uhr Unterricht haben, will den Lehrer mit dem weißen Mantel nicht, sondern den mit dem braunen…..).

Auch sind die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer durch zumindest einen Schüler mit Kissen in Bauchlage niedergedrückt und auf ihm sitzend stoßende sexuelle Bewegungen ausgeführt worden seien, dass sich zumindest einer der Mitschüler nackt auf ihn gesetzt und mit seinem Penis auf ihn eingeschlagen hätte und zumindest ein nackter Zimmerkollege masturbiert und auf ihn abgespritzt und ihm seinen Penis in den Mund gesteckt hätte, weder mit den Aussagen des Beschwerdeführers noch mit den Aussagen der drei Zimmerkollegen vereinbar, sondern hat das SMS eine völlig eigenständige Variante eines stattgefundenen Sachverhalts festgestellt: Der Beschwerdeführer hat bei der der Landespolizeidirektion Niederösterreich, Landeskriminalamt, ausgesagt, dass er am Rücken gelegen sei und sie (Plural) seien auf ihm gesessen, ohne Kleidung. Danach hätten sie (Plural) einfach nur mit ihren halbsteifen „Schwänzen“ auf ihn eingeschlagen. (…) alle drei hätten auf ihn „abgespritzt“.

Wie das SMS zu seinen Feststellungen gekommen ist, dass das Verbrechen mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, lässt sich anhand des vorliegenden Aktes nicht nachvollziehen, im Gegenteil sind die getroffenen Feststellungen schlichtweg aktenwidrig.

Im weiteren Verfahren wird daher primär eine Einvernahme des Beschwerdeführers zu erfolgen haben, unverzüglich eine Niederschrift aufzunehmen sein, wobei die Niederschrift den Anforderungen an § 14 AVG zu entsprechen hat.

Der Beschwerdeführer wird zu den Divergenzen seiner Aussagen bei der Landespolizeidirektion Niederösterreich, Landeskriminalamt, mit dem Aktenvermerk der Direktion der LBS XXXX , zu befragen sein, insbesondere wird er darauf hinzuweisen sein, dass er laut Aktenvermerk der LBS XXXX ab 13.2.2010 nicht mehr die Schule besucht hat und im Internat nicht aufhältig war, weshalb die behaupteten Vorfälle in der zweiten Woche von seiner Seite aufzuklären sein werden, um den entscheidungsrelevanten Sachverhalt ordnungsgemäß festzustellen zu können – je nach Aussagen des Beschwerdeführers wird auch eine Einvernahme der Direktorin XXXX oder auch der drei Zimmerkollegen zu erfolgen haben müssen.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche wahrscheinliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückzuverweisen.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG).

Die Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist (§ 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG).

Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. (§ 24 Abs. 3 VwGVG)

Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. (§ 24 Abs. 4 VwGVG)

Der Sachverhalt zu Spruchpunkt I. ist durch die Aktenlage geklärt.

Zu Spruchpunkt B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Antragsfristen Einvernahme Ermittlungspflicht Fristenlauf Fristversäumung Kassation Kostenersatz mangelnde Sachverhaltsfeststellung Pauschalentschädigung Schmerzengeld VerbrechensopferG

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W200.2235638.1.00

Im RIS seit

15.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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