Entscheidungsdatum
25.11.2020Norm
BVergG 2018 §12 Abs1Spruch
W139 2236884-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Kristina HOFER über den Antrag der XXXX , vertreten durch Harrer Schneider Rechtsanwälte GmbH, Jasomirgottstraße 6/5, 1010 Wien, auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung betreffend das Vergabeverfahren „A09 Pyhrn Autobahn, GESB Edlach-Trieben-Gaishorn, Örtliche Bauaufsicht“ der Auftraggeberin Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft, Rotenturmstraße 5-9, 1011 Wien, vertreten durch die ASFINAG Bau Management GmbH, Modecenterstraße 16, 1030 Wien:
A)
Dem Antrag, „der Auftraggeberin wird für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung des BVwG untersagt, im Vergabeverfahren ‚A09 Pyhrn Autobahn, GESB Edlach-Trieben-Gaishorn, Örtliche Bauaufsicht‘ den Zuschlag zu erteilen“, wird stattgegeben.
Der Auftraggeberin wird für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens untersagt, im Vergabeverfahren „A09 Pyhrn Autobahn, GESB Edlach-Trieben-Gaishorn, Örtliche Bauaufsicht“ den Zuschlag zu erteilen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Vorbringen der Parteien/Verfahrensgang:
1. Am 13.11.2020 stellte die Antragstellerin den gegenständlichen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, verbunden mit einem Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung vom 06.11.2020, einem Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, auf Akteneinsicht bzw auf Ausnahme von der Akteneinsicht sowie einem Antrag auf Gebührenersatz.
Begründend führte die Antragstellerin zusammengefasst im Wesentlichen Folgendes aus:
Die Auftraggeberin führe unter der Bezeichnung „A09 Pyhrn Autobahn, GESB Edlach-Trieben-Gaishorn, Örtliche Bauaufsicht“ ein offenes Verfahren für Dienstleistungen im Oberschwellenbereich nach dem Bestbieterprinzip durch. Der Preis werde mit 50 % und die Qualität mit 50 % gewichtet. Die Antragstellerin habe binnen offener Angebotsfrist ein Angebot gelegt.
Mit Schreiben vom 06.11.2020 habe die Auftraggeberin der Antragstellerin bekanntgegeben, dass sie beabsichtige, den Zuschlag im Vergabeverfahren ID-Nr. 52841 ÖBA mit einem Gesamtpreis von XXXX ) an XXXX (präsumtive Zuschlagsempfängerin bzw. mitbeteiligte Partei) zu erteilen.
Aus der Tatsache, dass die Antragstellerin sich am gegenständlichen Vergabeverfahren beteiligt habe und zeitgerecht ein ausschreibungskonformes Angebot gelegt habe, sei ihr Interesse am Vertragsabschluss evident. Die gegenständlich angefochtene Zuschlagsentscheidung der Auftraggeberin sei rechtswidrig. Bei rechtskonformem Vorgehen hätte die Auftraggeberin das Angebot der präsumtiven Zuschlagsempfängerin jedenfalls ausscheiden müssen. Die Antragstellerin sei zur Erbringung der ausgeschriebenen Leistungen geeignet und bereit, an die Stelle der präsumtiven Bestbieterin zu treten, um Geschäftspartnerin der Auftraggeberin zu werden. Die Antragstellerin erleide durch die rechtswidrige Entscheidung der Auftraggeberin einen Schaden aufgrund der bisherigen Anstrengungen der Antragstellerin zur Wahrung ihrer Rechtsposition (Kosten für die Rechtsverfolgung und sonstige mit der Verfahrensteilnahme verbundenen Kosten), einen Schaden durch die Nichtabdeckung des projektgegenständlichen Deckungsbeitrags samt entgangenem Gewinn und es entgehe ihr zudem durch die rechtswidrige Zuschlagsentscheidung die Chance auf die Erlangung eines Referenzprojekts für künftige Vergabeverfahren.
Die Antragstellerin erachte sich durch die angefochtene Auftraggeberentscheidung in folgenden Rechten verletzt: im Recht auf Durchführung eines vergaberechtskonformen Vergabeverfahrens, insbesondere auf Einhaltung der Grundsätze des fairen und lauteren Wettbewerbs und der Gleichbehandlung aller Bieter und die Verpflichtung zur Vergabe an geeignete Bieter zu angemessenen Preisen, im Recht auf Ausscheiden von Angeboten von Bietern bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen und jener die die Eignungskriterien nicht erfüllen, im Recht auf Durchführung einer ausschreibungs- und vergaberechtskonformen Angebotsprüfung und einer vertieften Angebotsprüfung, im Recht auf Einhaltung der von der Auftraggeberin getroffenen Festlegungen, im Recht auf Zuschlagserteilung, sowie im Recht auf Widerruf bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen.
Die Antragstellerin gehe davon aus, dass die präsumtive Zuschlagsempfängerin nicht die Anforderungen an die Verfügbarkeit aller anzugebenden Schlüsselpersonen erfülle, weil die Schlüsselpersonen zumindest teilweise bereits bei anderen Projekten eingesetzt werden würden, die sich mit dem gegenständlichen Projekt zeitlich überschneiden würden. Gemäß den bestandsfesten Ausschreibungsunterlagen hätten die Bieter bereits mit dem Angebot verbindlich Schlüsselpersonen zu benennen gehabt, die im Auftragsfall eingesetzt werden. Weiters hätten die Bieter aufbauend auf die Leistungsbeschreibung einen verbindlichen Personaldispositionsplan vorzulegen gehabt. Zur Sicherstellung, dass das angebotene Schlüsselpersonal tatsächlich im angebotenen Ausmaß zur Verfügung stehe, seien im Leistungsverzeichnis (Pos 00D184A) zusätzliche Festlegungen getroffen worden. In der LV-Position 251110 Personaleinsatz sei zudem festgelegt, dass die Schlüsselpersonen ÖBA-Leiter, Stv ÖBA-Leiter, Techniker und auch der Bauwart von Baubeginn bis Baufertigstellung zu 100% vor Ort (Einsatzgrad vor Ort) eingesetzt werden müssen.
Die Antragstellerin listete in ihrem Antrag jene Schlüsselpersonen bzw. weitere Projektpersonen der präsumtiven Zuschlagsempfängerin auf, von welchen sie aufgrund der Homepage der mitbeteiligten Partei und ihrer eigenen Marktkenntnis vermute, dass sie für das vorliegende Projekt namhaft gemacht worden seien. Zusätzlich listete die Antragstellerin die Großprojekte der mitbeteiligten Partei auf, welche erst im Herbst 2022 oder danach eine Baufertigstellung vorsehen würden. Der präsumtiven Zuschlagsempfängerin stünde daher keine ausreichende Anzahl an Schlüsselpersonen bzw weiteres Personal für das gegenständliche Projekt zur Verfügung, das die Anforderungen an die Mindesteinsatzzeit erfülle.
Daraus folge, dass das Angebot der präsumtiven Zuschlagsempfängerin der Ausschreibung widerspreche und gemäß § 141 Abs 1 Z 7 BVergG zwingend auszuscheiden sei. Weiters folge daraus, dass die präsumtive Zuschlagsempfängerin einen falschen „verbindlichen Personaldispositionsplan“ und eine falsche Angabe zur Auslastung der Schlüsselpersonen abgegeben habe. Diese sei daher auch gem § 78 Abs 1 Z 11 lit c BVergG wegen einer irreführenden Information betreffend die Verfügbarkeit von Schlüsselpersonen an die Auftraggeberin auszuschließen.
Die Zuschlagsentscheidung sei diesbezüglich auch aufgrund der mangelhaften Angebotsprüfung durch die Auftraggeberin rechtswidrig.
Weiters gehe die Antragstellerin davon aus, dass einzelne Positionen im Leistungsverzeichnis einen unplausiblen Preis aufweisen würden und dieser nur durch eine vergaberechtliche unzulässige Spekulation zu erklären sei. Konkret gehe die Antragstellerin davon aus, dass die präsumtive Zuschlagsempfängerin in ihrem Angebot zumindest bei 3 Positionen einen betriebswirtschaftlich nicht erklärbaren Preis angeboten habe. Dies betreffe die LV-Positionen 259802B Z Kosten - zusätzliche Software für "digitale Baustelle", 259802C Z Bereitstellung IT Experte für zus. Software, und 259802A V Sonstige Sachkosten. Der negative Zuschlag, der zu einer Unterdeckung der tatsächlichen Kosten führe, sei betriebswirtschaftlich weder erklär- noch nachvollziehbar. Dies könne nur damit erklärt werden, dass die präsumtive Zuschlagsempfängerin damit spekuliert habe, dass diese Positionen von der Auftraggeberin nicht beauftragt werden würden.
Die präsumtive Zuschlagsempfängerin hätte daher nach einer vertieften Angebotsprüfung zwingend ausgeschieden werden müssen. Es müsse davon ausgegangen werden, dass eine vertiefte Angebotsprüfung hinsichtlich der unplausiblen Teilpreise nicht bzw nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Die Zuschlagsentscheidung sei daher bereits aufgrund der unterbliebenen bzw nicht ordnungsgemäßen vertieften Angebotsprüfung aufzuheben.
Bei einem rechtmäßigen Ausscheiden des Angebotes der präsumtiven Zuschlagsempfängerin sei die Antragstellerin Bestbieterin und es hätte die Zuschlagsentscheidung zu ihren Gunsten getroffen werden müssen.
Zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung führte die Antragstellerin im Wesentlichen folgendes aus:
Die Rechtsposition der Antragstellerin könne nur durch die Erlassung einer einstweiligen Verfügung abgesichert werden, welche dem Auftraggeber verbiete, den Zuschlag zu erteilen. Die einstweilige Verfügung sei schon deshalb zwingend erforderlich, weil die Auftraggeberin ansonsten durch die (rechtswidrige) Zuschlagserteilung unumkehrbare Tatsachen schaffen könne. Bei einer Nicht-Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung drohe der Antragstellerin insbesondere ein Schaden aus entgangenem Gewinn. Hinsichtlich der sonstigen unmittelbar drohenden Schäden verwies die Antragstellerin auf ihr Vorbringen zum Nachprüfungsantrag. Einer Untersagung der Zuschlagserteilung für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens würden keine vergleichbaren Interessen der Auftraggeberin und der sonstigen Mitbewerber entgegenstehen. Auch einer Erlassung einer einstweiligen Verfügung entgegenstehende öffentliche Interessen lägen im gegenständlichen Fall nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liege in der Sicherstellung der Auftragserteilung an den tatsächlichen Bestbieter ein öffentliches Interesse. Weiters sei der Aspekt des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen, wonach im Zweifel dem provisorischen Rechtschutz Vorrang einzuräumen sei. Die begehrte einstweilige Verfügung stelle zudem die gelindeste noch zum Ziel führende vorläufige Maßnahme dar.
Die Antragstellerin beantrage daher die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit der der Auftraggeberin für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung des BVwG untersagt werde, im Vergabeverfahren „A09 Pyhrn Autobahn, GESB Edlach-Trieben-Gaishorn, Örtliche Bauaufsicht“ den Zuschlag zu erteilen.
2. Am 17.12.2020 erteilte die Auftraggeberin, allgemeine Auskünfte zum Vergabeverfahren. Zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung wurde kein Vorbringen erstattet.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt:
Aufgrund der vorgelegten Stellungnahmen sowie der Bezug nehmenden Beilagen und Unterlagen des Vergabeverfahrens wird im Rahmen des Provisorialverfahrens folgender entscheidungserheblicher Sachverhalt festgestellt:
Auftraggeberin ist die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-AG (ASFINAG), vergebende Stelle die ASFINAG Baumanagement GmbH.
Im September 2020 schrieb sie den verfahrensgegenständlichen Dienstleistungsauftrag, mit dem CPV Code 71500000-3 Dienstleistungen im Bauwesen und 71520000-9 Bauaufsicht in einem offenen Verfahren im Oberschwellenbereich nach dem Bestbieterprinzip, mit folgenden Zuschlagskriterien: Preis (50 %) und Qualität (50 %), aus.
Die Ausschreibung blieb unangefochten. Sowohl die Antragstellerin als auch die in Aussicht genommene Zuschlagsempfängerin beteiligten sich durch die Abgabe von Angeboten am Vergabeverfahren.
Mit Schreiben vom 06.11.2020 wurde der Antragstellerin bekannt gegeben, den Zuschlag an XXXX erteilen zu wollen.
Mit Schriftsatz vom 13.11.2020, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am selben Tag, brachte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag gegen die Zuschlagsentscheidung ein und beantragte die Untersagung der Zuschlagserteilung hinsichtlich des gegenständlichen Vergabeverfahrens für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgericht. Die Antragstellerin entrichtete die Pauschalgebühr in entsprechender Höhe.
Es wurde weder der Zuschlag erteilt noch wurde eine Widerrufsentscheidung bekanntgegeben oder der Widerruf erklärt.
2. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung
1. Zur Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts und zur Zulässigkeit des Antrages
Gemäß Art 135 Abs 1 B-VG iVm § 2 VwGVG und § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 328 Abs 1 BVergG 2018 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in den Angelegenheiten des § 327, soweit es sich nicht um die Entscheidung über einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe für die Einbringung eines Feststellungsantrags, die Entscheidung über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, die Entscheidung über den Gebührenersatz oder die Entscheidung über einen Verfahrenseinstellung nach Zurückziehung eines Nachprüfungs- oder Feststellungsantrages handelt, in Senaten. Vorliegend hat das Bundesverwaltungsgericht über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zu entscheiden. Somit liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.
Auftraggeberin im Sinne des § 2 Z 5 BVergG 2018 ist die ASFINAG. Sie ist öffentliche Auftraggeberin gemäß § 4 Abs 1 Z 2 BVergG 2018. Bei der gegenständlichen Ausschreibung handelt es sich gemäß § 7 BVergG 2018 um einen Dienstleistungsauftrag. Der geschätzte Auftragswert liegt über dem relevanten Schwellenwert des § 12 Abs 1 BVergG 2018, sodass es sich um ein Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich handelt.
Der gegenständliche Beschaffungsvorgang liegt somit im sachlichen und persönlichen Geltungsbereich des BVergG. Die allgemeine Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Überprüfung des Vergabeverfahrens und damit zur Erlassung einstweiliger Verfügungen und zur Durchführung von Nachprüfungsverfahren entsprechend § 334 Abs 2 BVergG 2018 iVm Art 14b Abs 2 Z 1 B-VG ist sohin gegeben.
Schließlich geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Antragstellerin die Antragsvoraussetzungen nach § 350 BVergG 2018 nicht offensichtlich fehlen.
Da darüber hinaus laut Stellungnahme der Auftraggeberin das Vergabeverfahren nicht widerrufen und der Zuschlag noch nicht erteilt wurde, ist das Bundesverwaltungsgericht damit gemäß § 334 Abs 2 BVergG zur Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen eines Auftraggebers und zur Erlassung einstweiliger Verfügungen zuständig.
Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass der Antrag auf Erlassung der begehrten einstweiligen Verfügung gemäß § 350 Abs 1 BVergG 2018 zulässig ist, wobei auch die Voraussetzungen des § 350 Abs 2 BVergG 2018 vorliegen. Die Pauschalgebühr wurde in entsprechender Höhe bezahlt (§ 318 Abs 1 Z 1 und 4 BVergG 2018 iVm § 1 BVwG-PauschGebV Vergabe). Der Nachprüfungsantrag richtet sich gegen die Zuschlagsentscheidung. Dabei handelt es sich um eine gesondert anfechtbare Entscheidung gemäß § 2 Z 15 lit a sublit aa BVergG 2018.
2. Inhaltliche Beurteilung des Antrages
Gemäß § 350 Abs 1 BVergG 2018 hat das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag eines Unternehmers, dem die Antragsvoraussetzungen nach § 342 Abs 1 BVergG 2018 nicht offensichtlich fehlen, durch einstweilige Verfügung unverzüglich vorläufige Maßnahmen anzuordnen, die nötig und geeignet erscheinen, um eine durch die behauptete Rechtswidrigkeit einer gesondert anfechtbaren Entscheidung entstandene oder unmittelbar drohende Schädigung von Interessen des Antragstellers zu beseitigen oder zu verhindern.
Gemäß § 351 Abs 1 BVergG 2018 hat das Bundesverwaltungsgericht vor der Erlassung einer einstweiligen Verfügung die voraussehbaren Folgen der zu treffenden Maßnahme für alle möglicherweise geschädigten Interessen des Antragstellers, der sonstigen Bewerber oder Bieter und des Auftraggebers sowie ein allfälliges besonderes öffentliches Interesse an der Fortführung des Vergabeverfahrens gegeneinander abzuwägen. Ergibt diese Abwägung ein Überwiegen der nachteiligen Folgen einer einstweiligen Verfügung, ist der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung abzuweisen.
Gemäß § 351 Abs 3 BVergG 2018 können mit einer einstweiligen Verfügung das gesamte Vergabeverfahren oder einzelne Entscheidungen des Auftraggebers bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über eine allfällige Nichtigerklärung vorübergehend ausgesetzt oder sonstige geeignete Maßnahmen angeordnet werden. Dabei ist die jeweils gelindeste noch zum Ziel führende vorläufige Maßnahme zu verfügen.
Gemäß § 351 Abs 4 BVergG 2018 ist in einer einstweiligen Verfügung die Zeit, für welche diese Verfügung getroffen wird, zu bestimmen. Die einstweilige Verfügung tritt nach Ablauf der bestimmten Zeit, spätestens jedoch mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über den Antrag auf Nichtigerklärung außer Kraft, in dem die betreffende Rechtswidrigkeit geltend gemacht wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat die einstweilige Verfügung unverzüglich auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, sobald die Voraussetzungen, die zu ihrer Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat die einstweilige Verfügung unverzüglich auf Antrag oder von Amts wegen zu erstrecken, wenn die Voraussetzungen, die zu ihrer Erlassung geführt haben, nach Ablauf der bestimmten Zeit fortbestehen.
Die Antragstellerin behauptet die Rechtswidrigkeit der Entscheidung der Auftraggeberin, der XXXX den Zuschlag erteilen zu wollen. Diese Behauptung erscheint im Hinblick auf das oben wiedergegebene Vorbringen zumindest nicht denkunmöglich. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die von der Antragstellerin geltend gemachten Rechtswidrigkeiten zumindest teilweise zutreffen. Über die inhaltliche Begründetheit ist im Provisorialverfahren nicht abzusprechen. Diese wird im Hauptverfahren durch den zuständigen Senat zu beurteilen sein.
Da der Antragstellerin bei Fortführung des Vergabeverfahrens die Vereitelung einer Zuschlagschance mit allen daraus erwachsenden Nachteilen droht, ist es erforderlich, das Vergabeverfahren bis zur Entscheidung in der Hauptsache in einem Stand zu halten, der die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht ins Leere laufen lässt und der die grundsätzliche Möglichkeit der Auftragserteilung an die Antragstellerin im Rahmen eines vergaberechtskonformen Verfahrens wahrt (siehe zum Zweck einer einstweiligen Verfügung auch EBRV 69 BlgNr XXVI. GP 203).
Im Rahmen der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin ua auf finanzielle Einbußen, nämlich ua Umsatzentgang und den frustrierten Aufwand der Angebotslegung, sowie auf den Verlust eines wertvollen Referenzprojektes verweist. Am Vorliegen dieses drohenden Schadens besteht dem Grunde nach kein Zweifel. Die entsprechende Behauptung ist plausibel. Ins Einzelne gehende (genaueste) Darlegungen sind nicht geboten (siehe VwGH 22.06.2011, 2009/04/0128; VwGH 24.02.2006, 2004/04/0127). Beim Verlust eines Referenzprojektes handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung um einen im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigenden (Vermögens)Nachteil (VwGH 14.04.2011, 2008/04/0065; BVwG 20.03.2014, W139 2003185-1/11E; BVA 21.02.2007, N/0012-BVA/07/2007-13; BVA 09.06.2010, N/0008-BVA/02/2010-7 uva).
Im Rahmen der Interessenabwägung ist auch auf die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs hinsichtlich des Vorrangs des primären – durch Nichtigerklärung rechtswidriger Auftraggeberentscheidungen zu gewährleistenden – Rechtsschutzes (EuGH 28.10.1999, Rs C-81/98, Alcatel Austria AG ua; 18.06.2002, Rs C-92/00, Hospital Ingenieure Krankenhaustechnik Planungs-Gesellschaft mbH) sowie die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs Bedacht zu nehmen, wonach in der Sicherstellung der Auftragserteilung an den tatsächlichen Bestbieter ein öffentliches Interesse liegt (VfGH 25.10.2002, B1369/01; siehe insb. bereits BVA 25.01.2002, N-128/01-45 uvm).
Die Auftraggeberin hat sich nicht gegen die Erlassung der einstweiligen Verfügung ausgesprochen. Sie hat keine gegen die Erlassung einer einstweiligen Verfügung sprechenden Interessen benannt und keine besondere Dringlichkeit der Vergabe ins Treffen geführt. Dem Bundesverwaltungsgericht sind auch keine möglicherweise geschädigten Interessen der präsumtiven Zuschlagsempfängerin bzw sonstiger Bieter sowie sonstige besondere öffentliche Interessen, die gegen die Erlassung der einstweiligen Verfügung sprechen würden, bekannt und wurden solche auch nicht von der präsumtiven Zuschlagsempfängerin bezeichnet.
Abgesehen davon hat ein gewissenhafter Auftraggeber nach ständiger Rechtsprechung die durch die Einleitung von Vergabekontrollverfahren allenfalls eintretenden zeitlichen Verzögerungen schon bei seiner Ablaufplanung einzukalkulieren und zu berücksichtigen (ua BVwG 16.11.2018, W139 2209121-1/9E; BVwG 30.05.2014, W139 2008219-1/10E; bereits BVA 09.01.2004, 10N-3/04-4; BVA 14.06.2010, N/0047-BVA/09/2010-14 uva).
Unter Zugrundelegung obiger Überlegungen ist ein Überwiegen der nachteiligen Folgen einer einstweiligen Verfügung gemäß § 351 Abs 1 BVergG 2018 nicht anzunehmen, sondern vielmehr das Interesse der Antragstellerin an der Prüfung der angefochtenen Entscheidung der Auftraggeberin als überwiegend anzusehen, weswegen die im Spruch ersichtliche Sicherungsmaßnahme als gelindeste noch zum Ziel führende Maßnahme iSd § 351 Abs 3 BVergG 2018 auszusprechen war, als damit die Schaffung von unumkehrbaren Tatsachen zum Nachteil der Wettbewerbsposition der Antragstellerin im gegenständlichen Vergabeverfahren vermieden wird.
Zur Dauer der Provisorialmaßnahme ist auszuführen, dass nach nunmehr ständiger Rechtsprechung eine einstweilige Verfügung für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens gemäß § 351 Abs 4 BVergG 2018 als hinreichend befristet zu bewerten ist (ua BVwG 10. 01. 2014, W187 2000170-1/11; BVwG 20.03.2014, W139 2003185-1/11E; BVwG 23.10.2014, W114 2013254-1/6E; BVA 10.02.2011, N/0011-BVA/10/2011-9, BVA 10.05.2011, N/0035-BVA/08/2011-12 mwN; siehe auch VwGH 10.12.2007, AW 2007/04/0054). Durch die Begrenzung der einstweiligen Verfügung mit der Dauer des abzusichernden Nachprüfungsverfahrens wird die Dauer der einstweiligen Verfügung bestimmbar gemacht (Kodek in Angst/Oberhammer, Kommentar zur Exekutionsordnung³ [2015], § 391 Rz 2).
Über den Antrag auf Gebührenersatz wird gesondert entschieden werden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl dazu VwGH 06.11.2002, 2002/04/0138; 30.06.2004, 2004/04/0028; 01.02.2005, 2005/04/0004; 29.06.2005, 2005/04/0024; 24.02.2006, 2004/04/0127; 01.03.2007, 2005/04/0239; 27.06.2007, 2005/04/0254; 29.02.2008, 2008/04/0019; 14.01.2009, 2008/04/0143; 14.04.2011, 2008/04/0065; 22.06.2011, 2009/04/0128; 29.09.2011, 2011/04/0153; 10.12.2007, AW 2007/04/0054) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Angebot ausschreibungswidrig Dauer der Maßnahme Dienstleistungsauftrag einstweilige Verfügung Entscheidungsfrist Interessenabwägung Nachprüfungsantrag Nachprüfungsverfahren öffentliche Interessen Provisorialverfahren Schaden Untersagung der Zuschlagserteilung Vergabeverfahren wirtschaftliche Interessen Zuschlagsverbot für die Dauer des NachprüfungsverfahrensEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W139.2236884.1.00Im RIS seit
15.02.2021Zuletzt aktualisiert am
15.02.2021