TE Vfgh Erkenntnis 2020/9/21 E2618/2020

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Veröffentlicht am 21.09.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
StGG Art15
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen irakischen Staatsangehörigen auf Grund mangelhafter Prüfung der Asylrelevanz der Taufe

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist – nach eigenen Angaben – ein irakischer Staatsangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Kurden an und war bis zur Ausreise aus dem Herkunftsstaat muslimischen Glaubens. Der Beschwerdeführer stellte am 5. Dezember 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 29. Jänner 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wies es den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak ab. Weiters erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005, erließ gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG und stellte gemäß §52 Abs9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß §46 FPG zulässig sei. Schließlich wurde eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit hier angefochtenem Erkenntnis vom 29. Juni 2020 als unbegründet ab.

Das Bundesverwaltungsgericht begründet seine Entscheidung hinsichtlich der Nicht-Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auf das Wesentliche zusammengefasst damit, dass die vorgebrachte Konversion nicht von tiefer innerer Überzeugung getragen gewesen, sondern nur zur Erlangung eines möglichen Nachfluchtgrundes für das laufende Asylverfahren vorgenommen worden sei. Das Gericht schließe dies aus dem Verhalten des Beschwerdeführers, der außergewöhnlich kurzen Taufvorbereitung bzw den grob widersprüchlichen Angaben zur Länge der Taufvorbereitung sowie den nicht glaubhaften Aussagen zu den Motiven der Konversion. Es sei vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer Interesse am Christentum gehegt habe. Der Taufvorbereitungskurs sei wesentlich von den zeitlichen Vorgaben der Evangelischen Kirche abgewichen. Die Aussagen des als Zeugen einvernommenen Kurators der Pfarre Voitsberg ergäben das Bild, dass es sich bei der durchgeführten Taufe im Wesentlichen um eine aus asyltaktischen Gründen durchgeführte Scheinkonversion handle. Die Angaben zum zeitlichen Ablauf ließen sich nicht mit den festgestellten Geschehensabläufen in Einklang bringen. Dass "diese Taufe mit Unterstützung der Evangelischen Kirche in erster Lin[i]e aus asyltaktischen Gründen vorgenommen" worden sei, ergebe sich auch aus einer Bestätigung vom 9. Oktober 2019, worin ausgeführt werde, dass der Beschwerdeführer "selig ist, endlich seinen Glauben gefunden und ihn ohne die Angst ständiger Verfolgung ausleben zu dürfen". Diese Bestätigung sei mit den Angaben des Beschwerdeführers nicht in Einklang zu bringen.

4. Dagegen richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird. Dem Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 11. August 2020 Folge gegeben.

Begründend wird in der Beschwerde insbesondere ausgeführt, dass die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes den Anforderungen, die der Verwaltungsgerichtshof und der Verfassungsgerichtshof an die Würdigung eines die Konversion betreffenden Vorbringens im Asylverfahren stellten, nicht gerecht werde. Das Bundesverwaltungsgericht gestehe dem Beschwerdeführer zu, dass dieser in seiner Pfarre sehr gut verankert sei, er am gesellschaftlichen und kulturellen Leben rege teilnehme und in der Kirche zahlreiche Unterstützungspersonen gefunden habe. Das Bundesverwaltungsgericht unterstelle der Evangelischen Kirche, die "asyltaktische" Konversion des Beschwerdeführers "unterstützt" zu haben. Angesichts der konkreten Regelungen, die für die Taufvorbereitung erlassen worden seien und welche von den gesetzlich anerkannten christlichen Religionsgemeinschaften penibel eingehalten würden, erscheine diese Begründung als unhaltbare Unterstellung. Es sei festzuhalten, dass die Frage der Taufvorbereitung und der Wunsch der taufwerbenden Person, sich taufen zu lassen, der Beurteilung durch Amtsträger der Katholischen und Evangelischen Kirche unterliege. Tatsache sei, dass die Evangelische Kirche den Beschwerdeführer nach eingehender Prüfung als reif für die Taufe erachtet habe.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber unter Verweis auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung Abstand genommen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Gemäß Art14 StGG ist jedermann die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet. Gemäß Art9 Abs1 EMRK hat jedermann das Recht auf Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit des Einzelnen, seine Religion einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben. Art9 Abs2 EMRK normiert einen materiellen Gesetzesvorbehalt: Demnach darf die Religionsfreiheit "nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind". Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit ist ein höchstpersönliches Recht, welches Inländern und Ausländern gleichermaßen zukommt (vgl Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12, 2019, Rz 935, unter Hinweis auf VfSlg 13.513/1993).

3. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

4. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

4.1. Maßgeblich für die Gewährung von Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention sind – wie auch in §3 Abs2 AsylG 2005 zum Ausdruck kommt – nicht nur jene Gründe, die den Antragsteller zum Verlassen des Herkunftsstaates bewogen haben, sondern auch jene, die zum Entscheidungszeitpunkt eine asylrelevante Verfolgung begründen können (vgl zB VfGH 27.2.2018, E2958/2017 mwN).

4.2. Das Bundesverwaltungsgericht begründet seine Entscheidung maßgeblich damit, dass es sich bei der erfolgten Taufe des Beschwerdeführers um eine von der Evangelischen Kirche unterstützte Scheinkonversion aus asyltaktischen Gründen gehandelt habe. Mit dieser Argumentation verkennt das Bundesverwaltungsgericht die Prüfkompetenzen, die staatlichen Behörden im Falle eines Glaubenswechsels in laufenden Asylverfahren zukommen:

4.2.1. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes betrifft die Frage der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche oder Religionsgesellschaft (jedenfalls auch) eine innere Angelegenheit der Kirche oder Religionsgesellschaft iSd Art15 StGG; ob eine Person einer Kirche oder Religionsgesellschaft angehört, ist nach den Regelungen der Kirche bzw Religionsgesellschaft zu bestimmen (VfSlg 11.574/1987, 19.813/2013).

Die Vornahme einer Taufe und die Kirchenmitgliedschaft als solche sind somit als innerkirchliche Vorgänge von staatlichen Behörden nicht in Frage zu stellen, sondern vielmehr ihren Entscheidungen zu Grunde zu legen. Dies gilt selbst für den Fall, dass Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Religionswechsel nicht auf einer persönlichen Glaubensentscheidung beruhte, sondern lediglich deshalb durchgeführt wurde, um einen positiven Ausgang in einem laufenden Asylverfahren zu erwirken.

4.2.2. Dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in weiterer Folge dem Bundesverwaltungsgericht obliegt nur die Prüfung, ob sich die Glaubensüberzeugung oder Glaubensbetätigung in einer die Furcht vor Verfolgung im Herkunftsstaat begründenden Weise manifestieren und aus diesem Grund die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 AsylG 2005 im jeweiligen Fall vorliegen.

Bei dieser Prüfung erfordert die Beachtung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Glaubens- und Gewissensfreiheit im Asylverfahren nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes im konkreten Fall, dass sich das Bundesverwaltungsgericht unter Berücksichtigung aller Umstände der persönlichen Glaubwürdigkeit sowie darauf aufbauend einer ins Einzelne gehenden Beweiswürdigung und allenfalls der Einvernahme von Personen, die Auskunft über den Glaubenswechsel und die diesem zugrunde liegenden Überzeugungen geben können, einen detaillierten Eindruck darüber verschafft, ob auf Grund der nunmehrigen Glaubensüberzeugung oder Glaubensbetätigung des Beschwerdeführers die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten iSd §3 AsylG 2005 vorliegen.

4.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem vorliegenden Erkenntnis seine Prüfkompetenzen überschritten:

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes baut maßgeblich auf der Prämisse auf, dass die Taufe des Beschwerdeführers mit Unterstützung der Evangelischen Kirche in erster Linie aus asyltaktischen Gründen vorgenommen worden sei. So habe die Taufvorbereitung die von der Evangelischen Kirche vorgegebene Länge deutlich unterschritten. Auch sei in der vorgelegten Bestätigung etwas "bestätigt" worden, das den bisherigen Angaben des Beschwerdeführers grob widerspreche. Mit seiner Argumentation unterstellt das Bundesverwaltungsgericht, dass die Voraussetzungen für eine Taufe im vorliegenden Fall nicht vorgelegen sind bzw die Taufe von der Evangelischen Kirche in erster Linie aus rechtsmissbräuchlichen Motiven vorgenommen worden ist. Damit nimmt das Bundesverwaltungsgericht eine Beurteilung vor, die ihm angesichts der dargestellten Rechtslage nicht zusteht.

4.4. Indem das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Entscheidungsbegründung die Rechtslage in grober Weise verkannte, hat es sein Erkenntnis mit Willkür belastet. Im weiteren Verfahren wird das Bundesverwaltungsgericht nunmehr darzulegen haben, ob auf Grund des Religionswechsels des Beschwerdeführers die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 AsylG 2005 vorliegen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis in dem durch ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie die Eingabengebühr gemäß §17a VfGG iHv € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Religionsfreiheit, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E2618.2020

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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