Index
L92007 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung TirolNorm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Wurzer, über die Revision des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 14. Jänner 2020, Zl. LVwG-2019/31/1706-5, betreffend Mindestsicherung (mitbeteiligte Partei: A S in I), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck - dem nunmehrigen Amtsrevisionswerber - vom 6. August 2019 wurde dem Mitbeteiligten für den Zeitraum vom 1. August 2019 bis zum 30. September 2019 eine monatliche Unterstützung für Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes in der Höhe von € 398,47 zuerkannt.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 14. Jänner 2020 wurde der dagegen vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde dahin Folge gegeben, dass von der gemäß § 19 Abs. 1 lit. a Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG) vorgenommenen Richtsatzkürzung in der Höhe von € 265,64 abgesehen werde und die monatlich zustehende Leistung € 664,11 zu betragen habe (Spruchpunkt 1.). Weiters wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt 2.).
3 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss sich die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, die nach Ansicht des Revisionswerbers die Zulässigkeit der Revision begründet, aus der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe ergeben. Der Verwaltungsgerichtshof überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG sohin (nur) im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe. Eine wesentliche Rechtsfrage gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn die Beurteilung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes von der Lösung dieser Rechtsfrage „abhängt“. Dies ist dann der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. In der Revision muss daher gemäß § 28 Abs. 3 VwGG konkret dargetan werden, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. VwGH 30.3.2020, Ra 2019/10/0180-0182, 0187; 25.3.2020, Ra 2020/10/0015; 27.2.2020, Ra 2019/10/0121).
7 In den Zulässigkeitsausführungen der vorliegenden außerordentlichen Revision wird geltend gemacht, es sei die grundsätzliche Rechtsfrage zu lösen, „ob die Kündigung eines Beschäftigungsverhältnisses durch den Mindestsicherungsbezieher den Tatbestand des § 19 Abs. 1 lit. a TMSG“ erfülle. Das Verwaltungsgericht verkenne bei der Lösung dieser Rechtsfrage die Rechtslage, „indem es die Konzeption der Bestimmung des § 19 Abs. 1 TMSG unrichtig“ interpretiere. Das Verwaltungsgericht berücksichtige nämlich die „besonderen Umstände des Einzelfalles, die gegenständlich zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Mindestsicherungsempfänger geführt“ hätten, bereits „bei der Prüfung des Vorliegens der vorsätzlichen bzw. grob fahrlässigen Herbeiführung der Notlage und nicht - wie im Gesetz vorgesehen und der Intention des Gesetzgebers entsprechend - in der daran anschließenden Ermessensentscheidung betreffend das Ausmaß der Richtsatzkürzung“.
8 Mit diesem Vorbringen wird eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht aufgezeigt:
9 Ob die Kündigung eines Beschäftigungsverhältnisses (hier: die Auflösung eines Lehrverhältnisses innerhalb der ersten drei Monate) durch den Mindestsicherungsbezieher den Tatbestand des § 19 Abs. 1 lit. a TMSG erfüllt, hängt nach dem insofern klaren Wortlaut dieser Bestimmung davon ab, ob der Mindestsicherungsbezieher dadurch seine Notlage vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Entgegen der vom Amtsrevisionswerber offenbar vertretenen Ansicht erfordert die Prüfung des Vorliegens grober Fahrlässigkeit - die im Revisionsfall vom Amtsrevisionswerber bejaht, vom Verwaltungsgericht hingegen verneint wurde - eine Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles: Grobe Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn der Schaden als wahrscheinlich vorhersehbar war, wenn das Versehen mit Rücksicht auf seine Schwere oder Häufigkeit nur bei besonderer Nachlässigkeit und nur bei besonders nachlässigen oder leichtsinnigen Menschen vorkommt sowie nach den Umständen die Vermutung des „bösen Vorsatzes“ naheliegt. Dabei ist auch das Element der schweren subjektiven Vorwerfbarkeit einzubeziehen: Zum Umstand, dass ein Verstoß objektiv ohne Zweifel als besonders schwer anzusehen ist, muss hinzutreten, dass er auch subjektiv schwerstens vorwerfbar ist. Bei der Beurteilung des Vorliegens grober Fahrlässigkeit sind stets die Umstände des Einzelfalles heranzuziehen (vgl. etwa VwGH 27.5.2014, 2011/11/0025, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes). Die dem wiedergegebenen Zulässigkeitsvorbringen zugrunde liegende Annahme, die „besonderen Umstände des Einzelfalles, die gegenständlich zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Mindestsicherungsbeziehers geführt“ hätten, seien bei der Prüfung des Vorliegens der grob fahrlässigen Herbeiführung der Notlage von vornherein nicht zu berücksichtigen, trifft demnach nicht zu.
10 Soweit in der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Überprüfung von behördlichen Ermessensentscheidungen durch das Verwaltungsgericht behauptet wird, genügt es darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidung nicht etwa auf eine andere Ermessensübung in Bezug auf eine vorzunehmende Richtsatzkürzung, sondern vielmehr darauf gestützt hat, dass die Richtsatzkürzung schon dem Grunde nach nicht zu Recht vorgenommen worden sei, weil vor dem Hintergrund der individuellen Fallkonstellation das Verhalten des Mitbeteiligten nicht als grob fahrlässige Herbeiführung einer Notlage zu qualifizieren sei. Daran ändern auch die - eingangs der rechtlichen Erwägungen vom Verwaltungsgericht vorgenommenen - Ausführungen dazu, dass nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes eine erstmalige Richtsatzkürzung im Bereich von 20 % angemessen erschiene, nichts, stellen diese Überlegungen doch keine die Entscheidung tragenden Begründungselemente dar.
11 Soweit in der Zulässigkeitsbegründung im Weiteren Verfahrensfehler geltend gemacht werden, weil das Verwaltungsgericht sich „auf nicht näher überprüfte Aussagen“ des Mitbeteiligten in der mündlichen Verhandlung stütze, während es „begründete und faktisch bewiesene Einwendungen der belangten Behörde“ völlig unberücksichtigt lasse, ohne dies in der Entscheidung zu begründen, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach die Zulässigkeit der Revision neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraussetzt, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann im Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird, das heißt, dass dieser abstrakt geeignet sein muss, im Falle eines mangelfreien Verfahrens zu einer anderen Sachverhaltsgrundlage zu führen (vgl. VwGH 8.10.2020, Ra 2020/10/0136; 30.3.2020, Ra 2019/10/0180-0182, 0187; 28.5.2019, Ro 2019/10/0002). Eine diesbezügliche Relevanzdarstellung enthält die Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Amtsrevision aber nicht.
12 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 5. Jänner 2021
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020100028.L00Im RIS seit
22.02.2021Zuletzt aktualisiert am
22.02.2021