Index
E3R E02202000Norm
UStG 1994 §26 Abs5 liteBetreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision der R GmbH & Co. KG in W, vertreten durch die DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in 1090 Wien, Währinger Straße 2-4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 12. Februar 2020, Zl. RV/7200115/2017, betreffend Erlass/Erstattung von Eingangsabgaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: nunmehr Zollamt Österreich),
Spruch
1. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie den Spruchpunkt 5. des angefochtenen Erkenntnisses bekämpft, als unzulässig zurückgewiesen und
2. zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird in seinen Spruchpunkten 1. bis 4. und 6. bis 8. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in Höhe von 1.346,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Das damalige Zollamt Wien erließ gegenüber der Rechtsvorgängerin der revisionswerbenden Kommanditgesellschaft (Revisionswerberin) sieben Bescheide vom 7. September 2015, vom 19. November 2015, vom 13. Jänner 2016, vom 8. März 2016, vom 27. April 2016, vom 22. September 2016 und vom 5. Dezember 2016 jeweils betreffend „I. Zurücknahme einer begünstigenden Entscheidung“ und „II. Entrichtung der Einfuhrumsatzsteuer beim Zollamt Wien“. Mit Spruchpunkt I. des jeweiligen Bescheides würden die bei jeweils näher angeführten Zollanmeldungen ergangenen Entscheidungen über die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer durch das für einen jeweils näher bezeichneten Unternehmer zum Zeitpunkt der Entstehung der Abgabenschuld zuständige Finanzamt (§ 26 Abs. 3 Z 2 UStG - ‚EV‘) zurückgenommen. Mit Spruchpunkt II. des jeweiligen Bescheides wurde angeordnet, dass die zu diesen Zollanmeldungen buchmäßig erfassten und gemäß Art. 221 ZK bereits mitgeteilten Beträge an Einfuhrumsatzsteuer „(5EV)“ in jeweils näher angeführter Höhe beim Zollamt Wien innerhalb einer Frist von 10 Tagen nach Zustellung dieser Entscheidung zu entrichten seien.
2 Eine nachträgliche Überprüfung der gegenständlichen Abfertigungen habe ergeben, dass die in den Zollanmeldungen erklärten Waren nicht für das Unternehmen des jeweils näher bezeichneten indirekt Vertretenen eingeführt worden seien. Daher seien die begünstigenden Entscheidungen mit Wirkung ex tunc zurückzunehmen. Durch die Zurücknahme der (begünstigenden) Entscheidung habe die Einhebung der Einfuhrumsatzsteuer zuständigkeitshalber durch das Zollamt Wien zu erfolgen. Die Anmelderin, die [Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin], habe jeweils erklärt, als indirekter Vertreter des jeweils angeführten Unternehmers aufzutreten, sie sei neben diesem gemäß Art. 201 Abs. 3 ZK Zollschuldner.
3 Mit Schriftsätzen vom 24. September 2015, vom 30. November 2015, vom 22. Jänner 2016, vom 21. März 2016, vom 9. Mai 2016, vom 27. September 2016 und vom 12. Dezember 2016 erhob die Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin jeweils Beschwerde.
4 In denselben Schriftsätzen beantragte die Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin, „die festgesetzte Einfuhrumsatzsteuer gemäß Art. 239 ZK zu erstatten bzw. erlassen“ (Schriftsatz vom 24. September 2015) oder „die mit Bescheid des Zollamtes xxx vorgeschriebenen Eingangsabgaben .... zu erstatten bzw. zu erlassen“ (Schriftsätze vom 30. November 2015, vom 22. Jänner 2016, vom 21. März 2016, vom 9. Mai 2016, vom 27. September 2016 und vom 12. Dezember 2016).
5 Mit vier Bescheiden vom 16. November 2016 und mit Bescheiden vom 21. November 2016, vom 16. Jänner 2017 und vom 6. April 2017 wies das Zollamt Wien den jeweiligen Antrag auf Erlass der mit den näher genannten (mit den erwähnten Beschwerden bekämpften) Bescheiden „zur Entrichtung vorgeschriebenen Abgaben“ ab.
6 Die Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin brachte dagegen mit Schriftsätzen vom 13. Dezember 2016, vom 15. Dezember 2016, vom 20. Februar 2017 und vom 11. Mai 2017 Beschwerden ein, welche das Zollamt Wien mit Beschwerdevorentscheidungen vom 6. April 2017, vom 23. Juni 2017 und vom 3. August 2017 abwies.
7 Die Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin reichte mit Schriftsätzen vom 11. Mai 2017, vom 27. Juli 2017 und vom 16. August 2017 dagegen Vorlageanträge ein.
8 Mit Bescheid vom 19. November 2015 teilte das damalige Zollamt Wien der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin die nachträgliche buchmäßige Erfassung von für B.F. und sie entstandenen Eingangsabgaben in näher angeführter Höhe mit. Bei einer Betriebsprüfung des B.F. hätten die der Abgabenberechnung (mit Präferenzzollbegünstigung) zu vier näher angeführten Anmeldungen zu Grunde gelegten Warenverkehrsbescheinigungen nicht vorgelegt werden können.
9 Die Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin erhob dagegen mit Schriftsatz vom 30. November 2015 Beschwerde. Im selben Schriftsatz beantragte sie, diese Eingangsabgaben „gemäß Art § 239 ZK, insb. in Verbindung mit § 83 ZollR-DG zu erstatten bzw. zu erlassen.“
10 Mit Bescheid vom 16. November 2016 wies das Zollamt diesen Antrag ab.
11 Dagegen brachte die Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2016 Beschwerde ein, welche das Zollamt mit Beschwerdevorentscheidung vom 6. April 2017 abwies, wogegen die Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin mit Schriftsatz vom 11. Mai 2017 einen Vorlageantrag stellte.
12 Mit Spruchpunkten 1. bis 4. und 6. bis 8. des angefochtenen Erkenntnisses hob das Bundesfinanzgericht die vier Bescheide des Zollamtes vom 16. November 2016 (Spruchpunkte 1. bis 4.), den Bescheid des Zollamtes vom 21. November 2016 (Spruchpunkt 5.), den Bescheid des Zollamtes vom 16. Jänner 2017 (Spruchpunkt 7.) und den Bescheid des Zollamtes vom 6. April 2017 (Spruchpunkt 8.) auf.
13 Mit Spruchpunkt 5. des angefochtenen Erkenntnisses wies das Bundesfinanzgericht diese Beschwerde als unbegründet ab.
14 Schließlich sprach das Bundesfinanzgericht aus, dass eine Revision gegen das angefochtene Erkenntnis nach Art. 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig sei.
15 Die Spruchpunkte 1. bis 4. und 6. bis 8. begründete das Bundesfinanzgericht damit, dass sich der jeweilige Spruch der bekämpften Bescheide des Zollamtes auf die jeweils mit „Bescheiden“ vom 7. September 2015, vom 19. November 2015, vom 13. Jänner 2016, vom 8. März 2018 (gemeint offensichtlich 2016), vom 27. April 2016, vom 22. September 2016 und vom 5. Dezember 2016 beziehe. Da es sich bei diesen als Bescheid bezeichneten Erledigungen des Zollamtes um keine buchmäßige Erfassung und Mitteilung von Eingangsabgaben, sondern lediglich um Zahlungsaufforderungen handle, lägen den bekämpften Bescheiden keine einem Erlass oder einer Erstattung zugänglichen Eingangsabgaben zu Grunde. Die von der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin gestellten Anträge seien wohl so auszulegen, dass sie die buchmäßig erfassten und mitgeteilten Eingangsabgaben in Fällen zwischen dem 12. September 2012 und dem 6. Februar 2014 beträfen, über welche vom Zollamt erstmalig abzusprechen sein werde.
16 Den Spruchpunkt 5. des angefochtenen Erkenntnisses begründete das Bundesfinanzgericht damit, dass kein besonderer Fall im Sinne des Art. 239 ZK vorliege, wenn die Warenverkehrsbescheinigungen für die betreffenden Anmeldungen nicht vorgelegt werden könnten. Eine Existenzgefährdung, wie sie § 83 ZollR-DG als Erlass- oder Erstattungsgrund für die Einfuhrumsatzsteuer nenne, liege bei einem Betrag von rund 2.400 € an Einfuhrumsatzsteuer bei der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin nicht vor.
17 Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 8. Juni 2020, E 1039/2020-9, die Behandlung der vor ihm gegen das angefochtene Erkenntnis erhobenen Beschwerde abgelehnt und die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
18 Die sodann erhobene außerordentliche Revision legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.
19 Die Revisionswerberin erachtet sich u.a. im Recht auf Erstattung der Eingangsabgaben verletzt.
20 Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein (§ 36 VwGG), das damalige Zollamt Wien reichte mit Schriftsatz vom 3. November 2020 eine Revisionsbeantwortung ein.
21 Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
22 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
23 Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden; er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
24 Die Revisionswerberin trägt zur Zulässigkeit ihrer Revision u.a. zusammengefasst vor, das Bundesfinanzgericht weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 5.9.2019, Ra 2018/16/0118) ab, indem es den jeweiligen Spruchpunkt II. der Bescheide des Zollamtes vom 7. September 2015, vom 19. November 2015, vom 13. Jänner 2016, vom 8. März 2016, vom 27. April 2016, vom 22. September 2016 und vom 5. Dezember 2016 nicht als normativen Spruchteil eines Bescheides angesehen und deshalb die Bescheide des Zollamtes über die Anträge auf Erlass der mit jenen Bescheiden „vorgeschriebenen“ Abgaben aufgehoben habe.
25 Die Revision ist, soweit sie die Spruchpunkte 1. bis 4. und 6. bis. 8. des angefochtenen Erkenntnisses bekämpft, zulässig und berechtigt.
26 Die Revisionswerberin führt zutreffend aus, dass der Verwaltungsgerichtshof im von ihr zitierten Erkenntnis vom 5. September 2019, Ra 2018/16/0118, gerade nicht ausgesprochen hat, dass der Spruchteil II. des dort in Rede stehenden Bescheides des Zollamtes, welcher den im vorliegenden Revisionsfall fraglichen Bescheiden völlig gleicht, keinen normativen Spruchteil eines Bescheides darstelle, sondern er hat obiter darauf hingewiesen, dass das Rechtsmittel gegen jenen Spruchteil nicht Gegenstand jenes Revisionsverfahrens und damals noch nicht erledigt war.
27 Mit seinem dieselbe Revisionswerberin betreffenden Erkenntnis vom heutigen Tag, Ra 2020/16/0140, hat der Verwaltungsgerichtshof zu einer solchen Fallgestaltung ausgesprochen, dass ein solcher Spruchteil II. eines Bescheides eine (nachgeholte) Setzung einer Zahlungsfrist darstelle. Gegen einen solchen normativen Spruch(bestandteil) eines Bescheides kann Beschwerde erhoben werden.
28 Dergestalt sind die durch solch einen Spruchbestandteil „vorgeschriebenen“ Abgabenbeträge, auf welche die in Rede stehenden Anträge der Rechtsvorgängerin der Revisionswerberin auf Erlass oder Erstattung abzielen, entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichtes durchaus „einem Erlass oder einer Erstattung zugängliche Eingangsabgaben“. Mit der bloßen Mitteilung der buchmäßigen Erfassung der Eingangsabgaben und der (hier späteren) Setzung einer Zahlungsfrist dieser Eingangsabgaben werden dieselben Abgaben angesprochen. Das Bundesfinanzgericht hätte somit über die Beschwerden zu entscheiden gehabt, ob und allenfalls inwieweit der jeweils begehrte Erlass der Abgaben zu gewähren ist oder ob der jeweilige Antrag zur Gänze oder allenfalls teilweise abzuweisen ist.
29 Das angefochtene Erkenntnis war daher mit seinen Spruchpunkten 1. bis 4. und 6. bis 8. gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
30 Mit Spruchpunkt 5. des angefochtenen Erkenntnisses hat das Bundesfinanzgericht gerade eine solche Abweisung des Erlassantrages im Instanzenzug ausgesprochen, weshalb das oben wiedergegebene Zulässigkeitsvorbringen hier nicht einschlägig ist.
31 Soweit die weitere Begründung der Zulässigkeit der Revision eine Berichtigung der Vertreterindikation anspricht, geht sie ins Leere, weil ein diesbezüglicher Antrag im Revisionsfall nicht Gegenstand des dem Spruchpunkt 5. des angefochtenen Erkenntnisses zu Grunde liegenden Beschwerde- und Revisionsverfahrens ist.
32 Soweit die Revisionswerberin in der Begründung der Zulässigkeit ihrer Revision die Gutgläubigkeit ihrer Rechtsvorgängerin ins Treffen führt, zitiert sie selbst zutreffend den § 26 Abs. 5 lit. e des Umsatzsteuergesetzes 1994 (UStG). Der mit Spruchpunkt 5. des angefochtenen Erkenntnisses im Instanzenzug abgewiesene Erlassantrag betraf aber einerseits vor allem Beträge an Zoll, welche den Regelungen des UStG nicht unterliegen. Die Frage der Gutgläubigkeit des Anmelders ist, soweit andererseits auch Einfuhrumsatzsteuer erfasst ist, nach der Bestimmung des § 26 Abs. 5 lit. e UStG jedoch bei der Frage zu prüfen, ob der Anmelder überhaupt Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist. Diese Frage betrifft die Rechtmäßigkeit einer Mitteilung der buchmäßigen Erfassung von Eingangsabgaben oder auch der Setzung einer Zahlungsfrist und ist allenfalls in einem Rechtsmittelverfahren dazu zu prüfen. Die Rechtmäßigkeit einer Mitteilung der buchmäßigen Erfassung oder eines Bescheides über die Setzung einer Zahlungsfrist ist jedoch nicht Gegenstand eines Erlassverfahrens nach § 83 ZollR-DG in der im Revisionsfall noch maßgeblichen Fassung des Art. 11 des Abgabenänderungsgesetzes 2010, BGBl. I Nr. 34/2010 (vgl. auch VwGH 20.1.2018, Ra 2018/16/0071).
33 Auch die in der Zulässigkeitsbegründung zuletzt aufgeworfene Frage einer Weiterbeförderung der Waren in einen anderen Mitgliedstaat betrifft ausschließlich die Einfuhrumsatzsteuer und dabei wieder eine Rechtmäßigkeit der Mitteilung der buchmäßigen Erfassung von behauptetermaßen nicht entstandenen Eingangsabgaben.
34 Die Revisionswerberin zeigt somit nicht auf, dass die Revision, soweit sie Spruchpunkt 5. des angefochtenen Erkenntnisses betrifft, von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG abhinge.
35 Die Revision war daher, soweit sie den Spruchpunkt 5. des angefochtenen Erkenntnisses betrifft, gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
36 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-AufwErsV. Das abgewiesene Mehrbegehren findet in diesen Bestimmungen keine Deckung.
Wien, am 11. Jänner 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020160142.L00Im RIS seit
16.03.2021Zuletzt aktualisiert am
16.03.2021