Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
Aufenthaltszwecke und Form der Aufenthaltsbewilligung 1995 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der S in W, vertreten durch den Vater SJ, dieser vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. Juni 1996, Zl. 103.447/3-III/11/94, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit einer am 1. September 1993 beim Landeshauptmann von Wien eingelangten Eingabe stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung und gab als Aufenthaltszweck Familienzusammenführung bzw. Familiengemeinschaft mit ihrer Mutter an.
Mit Bescheid vom 26. September 1994 wies der Landeshauptmann von Wien diesen Antrag gemäß den §§ 1 Abs. 1 iVm 13 Abs. 1 und 4 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) ab. Aus der Begründung geht hervor, daß die Mutter der Beschwerdeführerin keine Aufenthaltsbewilligung habe, weshalb gemäß § 4 Abs. 4 AufG auch der Beschwerdeführerin keine Bewilligung zu erteilen gewesen sei.
In der rechtzeitig dagegen erhobenen Berufung wurde vorgebracht, daß die Behörde unberücksichtigt gelassen habe, daß der Vater des unehelichen minderjährigen Kindes über eine bis zum 4. Februar 1996 gültige Aufenthaltsbewilligung verfüge und das Kind mit ihm im gemeinsamen Haushalt wohne. Als Beleg für die Vaterschaft wurde die im Akt erliegende Geburtsurkunde als auch die Eintragung des Kindes im Reisepaß des Kindesvaters genannt und ausdrücklich auf die diesbezüglichen Unterlagen verwiesen. Ergänzend wurde in der Berufung ausgeführt, daß auch die Mutter der Beschwerdeführerin an derselben Adresse in Lebensgemeinschaft mit dem Vater der Beschwerdeführerin wohne.
Mit dem nunmehr ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. Juni 1996 wurde die Berufung gemäß den §§ 3 Abs. 1 und 4 Abs. 3 AufG abgewiesen. Als Begründung wurde ausgeführt, daß der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für die Mutter der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 23. Jänner 1995 abgewiesen worden sei. Der Vater der Beschwerdeführerin, der mit der Mutter seiner Tochter nicht verheiratet sei, verfüge über eine gültige Aufenthaltsbewilligung bis 17. Juni 1996. Dennoch müsse im Fall der Beschwerdeführerin die Mutter-Kind-Beziehung auf Grund des Alters der Beschwerdeführerin den Ausschlag geben. Es entspreche der Lebenserfahrung, daß ein Mädchen ihres Alters vordergründig die Mutter als Bezugsperson brauche. Da dieser aber keine Aufenthaltsbewilligung erteilt worden sei, könne auch der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AufG und § 4 Abs. 3 AufG keine solche erteilt werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 3 Abs. 1 AufG haben unter anderem eheliche und außereheliche minderjährige Kinder von Fremden, die auf Grund einer Bewilligung, eines vor dem 1. Juli 1993 ausgestellten Sichtvermerkes oder sonst gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 bis 5 AufG rechtmäßig seit mehr als zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben (Z. 2), einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Z. 3 und 4 AufG, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1 AufG) vorliegt.
Die belangte Behörde stützte ihre abweisende Entscheidung auf § 4 Abs. 3 AufG. Gemäß dieser Bestimmung ist eine Bewilligung nach § 3 Abs. 1 und 4 AufG jeweils mit der gleichen Befristung zu erteilen wie die Bewilligung (unter anderem) des Elternteiles.
Gemäß § 6 Abs. 1 zweiter Satz AufG (sowohl in der Fassung vor als auch nach der AufG-Novelle 1995) ist im Antrag der Zweck des vorgesehenen Aufenthaltes genau anzugeben. Sah jedoch die Rechtslage vor der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 keine zeitliche Einschränkung für Zweckänderungen vor, so findet sich in der novellierten Fassung des § 6 Abs. 1 AufG im dritten Satz die Bestimmung, daß der Antragsteller den bei der Antragstellung angegebenen Zweck im Laufe des Verfahrens nicht ändern kann.
Die Beschwerdeführerin gab in ihrem Antrag als Aufenthaltszweck Familienzusammenführung bzw. Familiengemeinschaft (mit der Mutter) an. Aus der Berufung vom 10. November 1994, die beinahe ausschließlich in der Darlegung der aufenthaltsrechtlichen Situation des Vaters und der persönlichen Beziehung zwischen Vater und Tochter besteht, ist ableitbar, daß die Beschwerdeführerin nunmehr auch die Familiengemeinschaft mit ihrem Vater anstrebt. Die Beschwerdeführerin ist an derselben Adresse wohnhaft wie ihre beiden - nicht miteinander verheirateten - Elternteile, trägt den Familiennamen ihres Vaters und ist auch in seinem Paß eingetragen.
Die obzitierte Bestimmung des § 6 Abs. 1 letzter Satz AufG (Unzulässigkeit der Zweckänderung) trat mangels Übergangsbestimmung in der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 am 20. Mai 1995 in Kraft. Sie ist auf die mit der am 10. November 1994 eingelangten Berufung vorgenommene Ergänzung des Aufenthaltszweckes nicht anwendbar. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Beurteilung, ob die zu einem bestimmten Zeitpunkt vorgenommene Prozeßhandlung der Änderung des Aufenthaltszweckes zulässig war oder nicht, die im Zeitpunkt dieser Prozeßhandlung herrschende Rechtslage maßgeblich (vgl. hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1996, Zl. 95/19/1837).
§ 6 Abs. 1 letzter Satz AufG in der Fassung BGBl. Nr. 351/1995 stand daher im Beschwerdefall einer Änderung bzw. Ergänzung des Aufenthaltszweckes nicht entgegen. Wie der Verwaltungsgerichtshof im obgenannten Erkenntnis vom 19. Dezember 1996 ausgesprochen hat, gilt dies auch für Antragsänderungen im Berufungsverfahren. Eine Einschränkung des Umfangs der Berechtigung des § 10 Abs. 1 erster Satz AufG auf den bei der Antragstellung geltend gemachten Aufenthaltszweck ist dem § 10 Abs. 1 leg. cit. nicht zu entnehmen. Dem geltend gemachten Aufenthaltszweck kommt daher in erster Linie der Charakter einer Antragsbegründung zu. Die Beschwerdeführerin konnte daher zulässigerweise den mit Familiengemeinschaft mit der Mutter begründeten Antrag durch entsprechendes Vorbringen in der Berufung (auch) auf Familiengemeinschaft mit dem Vater stützen.
Angesichts des Berufungsvorbringens war daher davon auszugehen, daß die Beschwerdeführerin Familiengemeinschaft mit beiden Elternteilen anstrebt. Davon ist die belangte Behörde, folgt man der Begründung ihres Bescheides, auch ausgegangen.
Allerdings folgt aus dem systematischen Bezug des § 4 Abs. 3 AufG, daß - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - nur derjenige Elternteil gemeint sein kann, der über eine Aufenthaltsbewilligung verfügt. Diese Auffassung entspricht auch einer im Hinblick auf Art. 8 MRK verfassungskonformen Interpretation. Allein der Umstand, daß die Mutter der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht über eine Aufenthaltsbewilligung verfügte, berechtigte die belangte Behörde im vorliegenden Fall somit nicht zur Abweisung des auch auf Familiengemeinschaft mit ihrem Vater gerichteten Antrages der Beschwerdeführerin (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Februar 1997, Zl. 95/19/1777).
Der zwingende Charakter des § 3 Abs. 1 AufG schließt die Verweigerung einer Aufenthaltsbewilligung aus den im angefochtenen Bescheid angeführten Gründen jedenfalls aus. Die belangte Behörde verkennt ihre Aufgaben, wenn sie meint, sie wäre dazu berufen, zu entscheiden, ob für die Beschwerdeführerin das Leben in Gemeinschaft mit ihrer Mutter jenem in Gemeinschaft mit ihrem Vater im Interesse des Kindeswohles vorzuziehen sei (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 1997, Zl. 96/19/3352).
Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Stempelgebührenersatz war nur für zwei Ausfertigungen der Beschwerde und für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides zuzusprechen.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung wurde aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen, zumal die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert werden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
W i e n, am 30. Mai 1997
Schlagworte
Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996192247.X00Im RIS seit
11.07.2001