TE Vfgh Erkenntnis 2020/12/10 V17/2019 (V17/2019-18)

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Veröffentlicht am 10.12.2020
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Index

L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z3
Tir RaumOG 2016 §29 Abs2
VfGG §7 Abs1

Leitsatz

Aufhebung eines Bebauungsplans einer Tiroler Gemeinde hinsichtlich eines Grundstücks mangels Abwägung der öffentlichen Interessen mit den Interessen des (einzigen) Eigentümers bei Verhängung einer Bausperre

Spruch

I. Der Bebauungsplan einschließlich des ergänzenden Bebauungsplanes "BP 166", beschlossen vom Gemeinderat der Stadtgemeinde Schwaz am 24. Jänner 2018, kundgemacht durch öffentlichen Anschlag von 31. Jänner bis 15. Februar 2018, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für Tirol verpflichtet.

III. Die Stadtgemeinde Schwaz ist schuldig, der antragstellenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antragsvorbringen

Mit dem auf Art139 Abs1 Z3 B-VG gestützten Antrag begehrt die antragstellende Partei, die Eigentümerin des Grundstückes Nr 1263, KG 87007 Schwaz, ist, "den Bebauungsplan inklusive eines ergänzenden Bebauungsplans der Stadtgemeinde Schwaz, im Bereich des Grundstücks Nummer 1263, KG 87007 Schwaz, […] beschlossen vom Gemeinderat der Stadtgemeinde Schwaz in der Sitzung vom 24.01.2018 gemäß des Entwurfs vom 07.11.2017, Zahl BP 166, kundgemacht am 25.01.2018," aufzuheben.

II. Rechtslage

Die einschlägigen Bestimmungen des im Zeitpunkt des Beschlusses des angefochtenen Bebauungsplanes durch den Gemeinderat der Stadtgemeinde Schwaz am 24. Jänner 2018 maßgeblichen Tiroler Raumordnungsgesetzes 2016 (TROG 2016), LGBl 101/2016 (WV) lauteten auszugsweise:

"§27

Aufgaben und Ziele der örtlichen Raumordnung

(1) Die örtliche Raumordnung dient der geordneten räumlichen Entwicklung der Gemeinde. Sie hat im Einklang mit den Raumordnungsprogrammen und, soweit solche nicht bestehen, unter Bedachtnahme auf die Ziele und Grundsätze der überörtlichen Raumordnung zu erfolgen. Weiters ist auf die örtlichen Raumordnungsinteressen der Nachbargemeinden, insbesondere im Bereich der gemeinsamen Grenzen, Bedacht zu nehmen.

(2) Ziele der örtlichen Raumordnung sind insbesondere:

a) die Erhaltung und Entwicklung des Siedlungsraumes und die Verhinderung der Zersiedelung durch die bestmögliche Anordnung und Gliederung der Bebauung, insbesondere des Baulandes im Hinblick auf die Erfordernisse des Schutzes des Landschaftsbildes, der Sicherung vor Naturgefahren, der verkehrsmäßigen Erschließung, insbesondere auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln, der Erschließung mit Einrichtungen zur Wasser-, Löschwasser- und Energieversorgung, zur Abwasserbeseitigung und Abfallentsorgung sowie der Schaffung sonstiger infrastruktureller Einrichtungen, wie Kindergärten, Schulen und dergleichen,

b) die Ausweisung ausreichender Flächen zur Befriedigung des dauernden Wohnbedarfes der Bevölkerung zu leistbaren Bedingungen und für die Erhaltung und Weiterentwicklung der Wirtschaft entsprechend dem bei einer zweckmäßigen und Boden sparenden Bebauung im jeweiligen Planungszeitraum (§31a) gegebenen Bedarf,

c) die weitestmögliche Vermeidung von Nutzungskonflikten und wechselseitigen Beeinträchtigungen beim Zusammentreffen verschiedener Widmungen, insbesondere auch unter Bedachtnahme auf die Standorte von Seveso-Betrieben und die für die Ansiedlung oder Erweiterung solcher Betriebe vorgesehenen Standorte,

d) die Vorsorge für die bestimmungsgemäße Verwendung des Baulandes und der bestehenden Bausubstanz insbesondere zur Deckung des Grundbedarfes an Wohnraum und an Flächen für Zwecke der Wirtschaft zu angemessenen Preisen, insbesondere durch Maßnahmen nach §33,

e) die Vorsorge für eine zweckmäßige und Boden sparende, auf die Bedürfnisse der Bevölkerung und die Erfordernisse des Schutzes des Orts-, Straßen- und Landschaftsbildes abgestimmte Bebauung unter Berücksichtigung der Möglichkeiten verdichteter Bauformen einschließlich der nachträglichen Verdichtung bestehender Bauformen,

f) die Vorsorge für eine zweckmäßige und Boden sparende verkehrsmäßige Erschließung der bebauten und zu bebauenden Gebiete unter Berücksichtigung auch der Erfordernisse des öffentlichen Verkehrs sowie des Fußgänger- und Radverkehrs,

g) die Vorsorge für eine ausreichende und einwandfreie Wasser- und Löschwasserversorgung und eine geordnete Abwasserbeseitigung,

h) die Erhaltung zusammenhängender landwirtschaftlich nutzbarer Gebiete, insbesondere unter Berücksichtigung ihrer Bodenbonität,

i) die Erhaltung zusammenhängender Waldgebiete unter Berücksichtigung ihrer Eignung im Hinblick auf die Wirkungen des Waldes,

j) die Erhaltung ökologisch besonders wertvoller Flächen und die Bewahrung erhaltenswerter natürlicher oder naturnaher Landschaftselemente und Landschaftsteile,

k) die Erhaltung zusammenhängender Erholungsräume,

l) die Sicherung geeigneter Grundflächen für Einrichtungen des Gemeinbedarfs,

m) die Schaffung der erforderlichen Verkehrsflächen der Gemeinde unter weitestmöglicher Vermeidung von nachteiligen Auswirkungen des Verkehrs auf die Bevölkerung und die Umwelt,

n) die Bewahrung erhaltenswerter Orts- und Straßenbilder sowie erhaltenswerter Gebäudegruppen,

o) die Stärkung und Belebung gewachsener Ortskerne."

"§29

Planungsinstrumente

(1) Jede Gemeinde hat durch Verordnung ein örtliches Raumordnungskonzept, einen Flächenwidmungsplan sowie nach Maßgabe des §54 Bebauungspläne zu erlassen. Die Stadt Innsbruck kann das örtliche Raumordnungskonzept auch in Form von Teilkonzepten für einzelne Stadtteile und den Flächenwidmungsplan in Form von Teilplänen für größere funktional zusammenhängende Gebiete erlassen.

(2) Das örtliche Raumordnungskonzept besteht aus textlichen Festlegungen sowie aus Karten und Plänen samt Planzeichenerläuterung. Der Flächenwidmungsplan und die Bebauungspläne bestehen aus Plänen samt Planzeichenerläuterung und aus ergänzenden textlichen Festlegungen. Dem örtlichen Raumordnungskonzept, dem Flächenwidmungsplan und den Bebauungsplänen sind Erläuterungen anzuschließen, die eine zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Entscheidungsgrundlagen zu enthalten haben.

(3) Die örtlichen Raumordnungskonzepte, die Flächenwidmungspläne und die Bebauungspläne sind in digitaler Form zu erstellen. Die Flächenwidmungspläne sind weiters auf der Grundlage digitaler Daten zu beschließen und elektronisch kundzumachen. Die digitalen Daten müssen ein Format aufweisen, das die Aufwärtskompatibilität gewährleistet, und in einem zuverlässigen Prozess erzeugt werden. Digitale Daten, denen ein Beschluss des Gemeinderates zugrunde liegt, dürfen nicht mehr geändert und gelöscht werden.

(4) Die Landesregierung hat durch Verordnung nähere Bestimmungen über die Erstellung, die digitalen Formate, die Form und den Maßstab der örtlichen Raumordnungskonzepte, der Flächenwidmungspläne und der Bebauungspläne zu erlassen. Dabei sind insbesondere die zu verwendenden Pläne und Daten sowie die darin zu verwendenden Planzeichen und Bezeichnungen zu regeln. Die Verpflichtungen aus den Durchführungsbestimmungen nach Art4 Abs7, Art7 Abs1, Art16, Art17 Abs8 und Art21 Abs4 der INSPIRE-Richtlinie 2007/2/EG sind zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Flächenwidmungspläne ist weiters die von der Landesregierung zur Verfügung zu stellende EDV-Anwendung einschließlich des Zuganges, der Schnittstellen, der Übermittlungsvorgänge und der Mindestanforderungen an die Datensicherheit zu regeln."

"§54

Bebauungspläne

(1) In den Bebauungsplänen sind unter Berücksichtigung der Ziele der örtlichen Raumordnung, des örtlichen Raumordnungskonzeptes, des Flächenwidmungsplanes und der Ergebnisse der Bestandsaufnahme die verkehrsmäßige Erschließung und die Art der Bebauung des Baulandes, von Sonderflächen und von Vorbehaltsflächen festzulegen. Die Bebauungspläne mit Ausnahme der ergänzenden Bebauungspläne (Abs9) sind möglichst für größere funktional zusammenhängende Gebiete zu erlassen.

(2) Bebauungspläne sind für die nach §31 Abs5 erster Satz im örtlichen Raumordnungskonzept festgelegten Gebiete und Grundflächen zu erlassen, sobald

a) diese Gebiete bzw Grundflächen als Bauland, als Sonderflächen oder als Vorbehaltsflächen gewidmet sind und

b) die Gemeinde finanziell in der Lage ist, die verkehrsmäßige Erschließung und die Erschließung dieser Gebiete bzw Grundflächen mit Einrichtungen zur Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung vorzunehmen.

(3) Für die im örtlichen Raumordnungskonzept nach §31 Abs5 festgelegten Gebiete können Bebauungspläne auch dann erlassen werden, wenn diese noch nicht als Bauland, als Sonderflächen oder als Vorbehaltsflächen gewidmet sind.

(4) Die Verpflichtung zur Erlassung von Bebauungsplänen nach Abs2 besteht nicht für bereits bebaute Grundstücke, sofern die verkehrsmäßige Erschließung und die Erschließung dieser Grundstücke mit Einrichtungen zur Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung bereits besteht und die Erlassung von Bebauungsplänen zur Gewährleistung einer geordneten weiteren Bebauung derselben nicht erforderlich ist.

(5) Bebauungspläne sind unter der Voraussetzung nach Abs2 litb weiters für jene Grundflächen zu erlassen, die als Sonderflächen für Beherbergungsgroßbetriebe, Sonderflächen für Handelsbetriebe oder Sonderflächen für Einkaufszentren gewidmet sind oder auf denen Gebäude, deren höchster Punkt mehr als 20 m über dem anschließenden Gelände liegt, errichtet werden sollen. Wurde das Gelände durch die Bauführung oder im Hinblick auf die beabsichtigte Bauführung verändert, so ist vom Geländeniveau nach dieser Veränderung auszugehen.

(6) Bebauungspläne können unbeschadet des Abs3 für Gebiete und Grundflächen im Freiland erlassen werden, wenn dies insbesondere im Zusammenhang mit Bauvorhaben nach den §§42, 42a und 42b im Interesse einer geordneten baulichen Entwicklung der betreffenden Freilandbereiche gelegen ist. Dabei ist auf den Gebäudebestand und auf dessen zulässige Erweiterungen, auf die Erfordernisse des Schutzes des Orts-, Straßen- und Landschaftsbildes, insbesondere im Hinblick auf die Größe der Gebäude und deren Größenverhältnisse zueinander, Bedacht zu nehmen. Die Erlassung entsprechender Bebauungspläne ist jedenfalls zulässig, wenn dies zur Gewährleistung der Einhaltung der Bestimmungen der §§42, 42a und 42b erforderlich scheint.

(7) Bebauungspläne können unter der Voraussetzung nach Abs2 litb weiters für sonstige Gebiete oder Grundflächen erlassen werden, die als Bauland, als Sonderflächen oder als Vorbehaltsflächen gewidmet sind.

(8) Für Gebiete oder Grundflächen, die aufgrund der Lage, Form oder Größe der einzelnen Grundstücke insgesamt einer geordneten und Boden sparenden Bebauung entsprechend den Festlegungen des örtlichen Raumordnungskonzeptes nicht zugänglich sind, darf ein Bebauungsplan nicht erlassen werden.

(9) Im Fall der Festlegung einer besonderen Bauweise (§60 Abs4) ist zusätzlich zum Bebauungsplan ein ergänzender Bebauungsplan zu erlassen."

"§56

Inhalte

(1) Im Bebauungsplan sind hinsichtlich der verkehrsmäßigen Erschließung die Straßenfluchtlinien (§58) und hinsichtlich der Bebauung die Baufluchtlinien (§59 Abs1 und 2), die Bauweisen (§60), die Mindestbaudichten (§61) und die Bauhöhen von Gebäuden (§62 Abs1) festzulegen.

(2) Ist im Bebauungsplan eine besondere Bauweise festgelegt, so sind in einem ergänzenden Bebauungsplan die Festlegungen nach §60 Abs4 dritter und vierter Satz zu treffen. Weiters können ergänzende Festlegungen über Bauhöhen getroffen werden.

(3) Im Bebauungsplan können weiters die Höchstgröße der Bauplätze, die Mindest- und die Höchstnutzfläche (§61 Abs5 zweiter und dritter Satz), die Firstrichtungen und Dachneigungen, die Baugrenzlinien (§59 Abs3) und die Höhenlage (§62 Abs7) festgelegt sowie ergänzende Festlegungen über die Baudichten (§61) und die Bauhöhen (§62 Abs1 bis 5) getroffen werden. Weiters kann das zulässige Ausmaß der Veränderung des Geländeniveaus im Verhältnis zum Geländeniveau vor der Bauführung festgelegt werden. Ferner kann festgelegt werden, dass statt der Mindestabstände nach §6 Abs1 litb der Tiroler Bauordnung 2011 jene nach §6 Abs1 lita der Tiroler Bauordnung 2011 einzuhalten sind. Gegenüber den Grenzen zu Grundstücken, für die diese Festlegung nicht gilt, sind jedoch stets die Mindestabstände nach §6 Abs1 litb der Tiroler Bauordnung 2011 einzuhalten. Schließlich können textliche Festlegungen über die Fassadengestaltung, die Gestaltung der Dachlandschaften, das zulässige Ausmaß von Geländeveränderungen und dergleichen getroffen werden."

"§60

Bauweisen

(1) Durch die Bauweise wird die Art der Anordnung der Gebäude gegenüber den nicht straßenseitig gelegenen Grundstücksgrenzen bestimmt. Dabei kann eine geschlossene, offene oder besondere Bauweise festgelegt werden.

(2) Bei geschlossener Bauweise sind die Gebäude, soweit keine Baugrenzlinien festgelegt sind, an den an die Baufluchtlinie anstoßenden Grundstücksgrenzen zusammenzubauen. Gegenüber den anderen Grundstücksgrenzen sind die Gebäude frei stehend anzuordnen.

(3) Bei offener Bauweise sind die Gebäude allseits frei stehend anzuordnen. Durch eine entsprechende Festlegung im Bebauungsplan kann abweichend davon das Zusammenbauen von Gebäuden an einer Grundstücksgrenze für zulässig erklärt werden (gekuppelte Bauweise).

(4) Soweit dies im Interesse einer zweckmäßigen Bebauung von Grundstücken erforderlich ist, kann eine besondere Bauweise festgelegt werden. Für unterirdische Gebäude oder Teile von Gebäuden gilt eine besondere Bauweise nur dann, wenn dies durch eine zusätzliche Festlegung bestimmt wird. Im Fall der Festlegung einer besonderen Bauweise ist die Anordnung und Gliederung der Gebäude festzulegen, wobei untergeordnete Bauteile außer Betracht bleiben. An Festlegungen können zwingende Festlegungen oder Festlegungen über Mindest- oder Höchstausmaße getroffen werden. Gegenüber Grundstücken, für die die offene Bauweise festgelegt ist, sind jedenfalls die Mindestabstände nach der Tiroler Bauordnung 2011 einzuhalten. Wird jedoch eine besondere Bauweise für ein Grundstück festgelegt, auf dem nach den baurechtlichen Vorschriften rechtmäßig ein anderes als nach der Tiroler Bauordnung 2011 in den Abstandsflächen zulässiges Gebäude besteht, so darf eine Bebauung im Umfang des §6 Abs9 und 10 der Tiroler Bauordnung 2011 ermöglicht werden."

III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Mit Beschluss vom 24. Jänner 2018 erließ der Gemeinderat der Stadtgemeinde Schwaz gemäß §66 TROG 2016 den Bebauungsplan einschließlich des ergänzenden Bebauungsplanes "BP 166". Dieser wurde durch Anschlag an der Amtstafel von 31. Jänner bis 15. Februar 2018 kundgemacht.

2. Im Erläuterungsbericht vom 13. November 2017 wird zum Entwurf des Bebauungsplanes einschließlich des ergänzenden Bebauungsplanes "BP 166" unter anderem Folgendes ausgeführt (Hervorhebungen nicht übernommen):

"Die Stadtgemeinde Schwaz beabsichtigt für den Bereich […] einen Bebauungsplan inkl. eines ergänzenden Bebauungsplanes zu erlassen.

Derzeit werden die Räumlichkeiten des Gebäudes […] zur Unterbringung von Asylwerbern genutzt. Die Genehmigung wurde befristet auf 5 Jahre erteilt und läuft im Dezember 2020 aus. Nach Ablauf dieser Genehmigung ist beabsichtigt, die Liegenschaft einem neuen Verwendungszweck zuzuführen.

Seitens der Stadtgemeinde Schwaz besteht die Absicht, in diesem Bereich zur Wahrung des Orts- und Straßenbildes Einfluss auf die Gestaltung eines geplanten Projektes zu haben.

Zur Sicherstellung soll daher vorerst ein ergänzender Bebauungsplan mit besonderer Bauweise erlassen werden, in dem der jetzige Bestand festgeschrieben wird. Bei Vorlage eines entsprechenden Projektes kann der Bebauungsplan dann geändert und auf das Vorhaben abgestimmt werden.

Der Planungsbereich umfasst das Grundstück Gst. Nr 1263.

Die Straßenfluchtlinie verläuft entlang der Grundgrenze zum angrenzenden öffentlichen Gut. Die Baufluchtlinie wurde auf die bestehende Gebäudeflucht des dem öffentlichen Gut am nähest stehenden Baukörper gelegt.

In der besonderen Bauweise, Höchstabmessungen Gebäude und Nebengebäude, sind die derzeit bestehenden Gebäude hinsichtlich deren Abmessungen erfasst.

Mit den höchsten Gebäudepunkten sind die Bestandshöhen der bestehenden Baukörper festgehalten. Weiters sind die zwingenden Firstrichtungen entsprechend dem Bestand festgelegt.

Die Mindest-Baumassendichte ist mit 1,50 festgelegt, somit wird dem gesetzlichen Grundsatz des Bodensparens entsprochen.

Weitere zusätzliche Festlegungen sind nicht erforderlich.

[…]

Der von gegenständlicher Planung betroffene Bereich wird von keiner Gefahrenzone berührt. Auch sonst bestehen keinerlei Nutzungsbeschränkungen."

3. Zur Begründung ihrer Antragslegitimation führt die antragstellende Partei insbesondere aus, sie sei Eigentümerin des Grundstückes Nr 1263, EZ 1083, KG 87007 Schwaz. Es sei die Adaptierung des bestehenden Gebäudes zur weiteren Büronutzung geplant. In diesem Zusammenhang solle das Gebäude, das mangels Lift nicht barrierefrei sei, für eine barrierefreie Nutzung erschlossen werden. Auf Grund des angefochtenen Bebauungsplanes sei eine solche Nutzung jedoch nicht umsetzbar, weil dieser einem Liftanbau entgegenstehe. Zusätzlich bringt sie vor, den Umbau zu einer Wohnhausanlage (auch in Form von betreutem Wohnen) zu erwägen, sollte eine Verwertung im Rahmen der Büronutzung mangels Nachfrage nicht möglich sein. Dafür würden das Dach angehoben und beide Dachgeschoße ausgebaut werden. Zur Untermauerung ihrer Bauabsichten legte sie ua eine Machbarkeitsstudie vor.

4. Ihre Bedenken gegen den angefochtenen Bebauungsplan legt die antragstellende Partei wie folgt dar:

4.1. Der Bebauungsplan betreffe ausschließlich das Grundstück Nr 1263, KG 87007 Schwaz. Es bestehe weder eine Verpflichtung noch die Notwendigkeit zur Erlassung eines Bebauungsplanes für dieses Grundstück. Die Festschreibung der aktuellen baulichen Konfiguration des Gebäudekomplexes bis ins letzte Detail sei keinesfalls im Interesse einer zweckmäßigen Bebauung erforderlich.

4.2. Es lägen keine Erläuterungen samt Darstellung der wesentlichen Entscheidungsgrundlagen vor oder es seien diese zumindest nicht ausreichend kundgemacht worden. Der Bebauungsplan sei daher unvollständig. Dem Vertreter der antragstellenden Partei sei während der Auflagefrist ausschließlich Einsicht in den Bebauungsplan gewährt worden, nicht jedoch in die sonstigen Unterlagen.

4.3. Eine Entscheidungsgrundlage für den angefochtenen Bebauungsplan sei nicht ersichtlich. Erläuterungen lägen scheinbar nicht vor, obwohl dies von Gesetzes wegen zwingend erforderlich sei. Es scheine fraglich, ob sich der Gemeinderat mit den vor Erlassung des Bebauungsplanes erstatteten Stellungnahmen der antragstellenden Partei ausreichend auseinandergesetzt habe. Es sei auch zu bezweifeln, dass der Gemeinderat ein Gutachten oder andere, als Entscheidungsgrundlage geeignete Unterlagen in ausreichendem Maß eingeholt habe.

4.4. Der Bebauungsplan lasse lediglich das bestehende Bürogebäude zu und widerspreche damit dem örtlichen Raumordnungskonzept, das die vorwiegende Nutzung zu Wohnzwecken vorsehe. Es widerspreche auch dem Flächenwidmungsplan, in dem für das Grundstück die Widmung "Kerngebiet" ausgewiesen sei.

4.5. Der Bebauungsplan bewirke einen Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der antragstellenden Partei auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK, der nicht im öffentlichen Interesse liege. Mit der Erlassung des Bebauungsplanes werde das Ziel verfolgt, einem (näher genannten) privaten Unternehmen den Erwerb der gegenständlichen Liegenschaft zu ermöglichen, um dort ein Dienstleistungs- und Schulungszentrum betreiben zu können. Der Eingriff sei auch nicht verhältnismäßig, denn mit dem angefochtenen Bebauungsplan werde zentimetergenau der aktuelle bauliche Zustand festgeschrieben. Dabei würden nicht nur die Außengrenzen des Gebäudes, sondern insgesamt vier Gebäudeteile sowie eine Sonderfläche exakt umschrieben und festgelegt. Darüber hinaus würden auch die Firstrichtungen exakt vorgegeben, was in aller Regel nur in Gebieten mit einem historischen Ortskern erfolge, wovon hier aber keine Rede sein könne. Die Errichtung eines anderen (Wohn-)Gebäudes sei auf Grund dieses Bebauungsplanes nicht mehr möglich. Auch gemäß Art11 Tiroler Landesordnung 1989 liege ein unzulässiger Eigentumseingriff vor.

4.6. Der angefochtene Bebauungsplan widerspreche zudem Art7 B-VG, weil sich für seine Erlassung keine sachliche Rechtfertigung finde. Darüber hinaus würden die an die Liegenschaft der antragstellenden Partei anschließenden und in gleicher Lage befindlichen Grundflächen, für die kein Bebauungsplan erlassen worden sei, krass bevorzugt, weil bei diesen keine vergleichbaren Beschränkungen der Baufreiheit vorgenommen worden seien. Die Erlassung des angefochtenen Bebauungsplanes sei zudem willkürlich und ausschließlich zur Begünstigung des genannten Unternehmens erfolgt.

5. Die Tiroler Landesregierung und die verordnungserlassende Behörde, der Gemeinderat der Stadtgemeinde Schwaz, legten Verordnungsakten vor. Die verordnungserlassende Behörde erstattete eine Äußerung, in der sie beantragt, den Antrag abzuweisen.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 Z3 B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 8594/1979, 15.527/1999, 16.425/2002 und 16.426/2002).

1.2. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Anfechtung von Flächenwidmungsplänen (vgl zB VfSlg 17.079/2003), die auch auf die Anfechtung von Bebauungsplänen übertragbar ist (vgl VfSlg 19.979/2015), ist die Bekundung konkreter Bauabsichten notwendig, um als Grundeigentümer einen aktuellen Eingriff in die Rechtssphäre durch die in der angefochtenen Verordnung getroffenen Festlegungen darzutun (VfSlg 15.144/1998, 18.684/2009). Der bloße Hinweis auf eine Beeinträchtigung der künftigen Bebaubarkeit bewirkt mangels aktueller Betroffenheit keine Antragslegitimation (VfSlg 11.128/1986, 19.075/2010).

1.3. Die antragstellende Partei legt nachvollziehbar dar, dass sie konkrete Bauabsichten auf dem in ihrem Eigentum stehenden Grundstück habe. Ein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des – behaupteterweise – rechtswidrigen Eingriffes steht der antragstellenden Partei nach der Tiroler Bauordnung 2018 nicht zur Verfügung (vgl VfSlg 19.949/2015, 19.979/2015, jeweils zur Tir BO 2011).

1.4. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist begründet:

2.3. Eine der grundlegenden Anforderungen bei der Erlassung oder Änderung von Flächenwidmungs- oder anderen Raumordnungsplänen, durch die – wie im vorliegenden Fall – eine davor zulässige Bebauung eines bestimmten Grundstückes eingeschränkt wird, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Abwägung der für die Erlassung bzw Änderung sprechenden (öffentlichen) Interessen mit den Interessen des Grundeigentümers (vgl etwa VfSlg 19.083/2010, 19.819/2013). Diese Interessenabwägung samt den zugrunde liegenden, konkret auf das jeweilige Grundstück bezogenen Grundlagenerhebungen muss im Verordnungsakt dokumentiert sein (vgl VfSlg 19.819/2013 mwN). Gemäß §29 Abs2 TROG 2016 sind dem Bebauungsplan Erläuterungen anzuschließen, die eine zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Entscheidungsgrundlagen zu enthalten haben.

2.4. Aus dem Erläuterungsbericht vom 13. November 2017 zum Entwurf des angefochtenen Bebauungsplanes geht hervor, dass dieser der verordnungserlassenden Behörde die Einflussnahme auf "die Gestaltung eines geplanten Projektes" ermöglichen sollte. Zur "Sicherstellung" sollte vorerst ein ergänzender Bebauungsplan mit besonderer Bauweise erlassen werden, in dem der jetzige Bestand festgeschrieben werde. Bei Vorlage eines entsprechenden Projektes könne der Bebauungsplan dann geändert und auf das Vorhaben abgestimmt werden. Die verordnungserlassende Behörde bringt in ihrer Äußerung an den Verfassungsgerichtshof vor, dass sie die Festlegung des Bestandes als notwendig erachte, damit zum einen das bestehende, prägende und charakteristische Orts- und Straßenbild erhalten bleibe und zum anderen im Falle einer geplanten Umgestaltung allenfalls notwendige, geänderte Festlegungen im ergänzenden Bebauungsplan zur Wahrung des Orts- und Straßenbildes getroffen werden könnten. Die aktuell vorhandene Ausprägung solle geschützt und erhalten werden.

2.5. In der Niederschrift über die Beschlussfassung des Gemeinderates vom 24. Jänner 2018 finden sich im Wesentlichen gleichlautende Ausführungen. Darin wurde auch die im Auflageverfahren erstattete Stellungnahme der antragstellenden Partei zusammengefasst wiedergegeben.

2.6. Auf die durch die Erlassung des Bebauungsplanes berührten Interessen der antragstellenden Partei wurde jedoch an keiner Stelle eingegangen. Eine Abwägung dieser Interessen mit den für die Erlassung sprechenden öffentlichen Interessen fand nicht statt.

2.7. Aus den dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Verordnungsakten geht somit nicht hervor, dass der Erlassung des angefochtenen Bebauungsplanes eine ausreichende Auseinandersetzung mit den Interessen der antragstellenden Partei im Hinblick auf deren Grundstück vorausging, obwohl dieses als einziges vom angefochtenen Bebauungsplan betroffen ist. Es wurde auch nicht nachvollziehbar dargelegt, weshalb die Erlassung eines Bebauungsplanes gerade und ausschließlich für das Grundstück der antragstellenden Partei im öffentlichen Interesse der Wahrung des Orts- und Straßenbildes gelegen sein sollte. Zudem führt die Vorgangsweise der verordnungserlassenden Behörde dazu, dass auf Grund des angefochtenen Bebauungsplanes im Ergebnis der Effekt einer vollständigen Bausperre über das in Rede stehende Grundstück verhängt wurde (vgl zur Bausperre §§74 ff. TROG 2016). Dafür fehlt es aber im vorliegenden Fall wegen des Fehlens jeglicher Abwägung mit den Interessen der antragstellenden Partei an einer sachlichen Rechtfertigung.

2.8. Vor diesem Hintergrund vermag die verordnungserlassende Behörde nicht schlüssig darzulegen, warum sie die Voraussetzungen für die Erlassung des angefochtenen Bebauungsplanes als gegeben erachtete.

2.9. Der Verfassungsgerichtshof kommt somit zum Ergebnis, dass der angefochtene Bebauungsplan mit Gesetzwidrigkeit belastet ist, weil im Vorfeld der Verordnungserlassung die nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes erforderliche Interessenabwägung nicht durchgeführt wurde.

2.10. Auf die weiteren im Antrag aufgeworfenen Bedenken ist daher nicht einzugehen.

V. Ergebnis

1. Der Bebauungsplan einschließlich des ergänzenden Bebauungsplanes "BP 166", beschlossen vom Gemeinderat der Stadtgemeinde Schwaz am 24. Jänner 2018, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel von 31. Jänner bis 15. Februar 2018, ist daher als gesetzwidrig aufzuheben.

2. Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 litj Tiroler Landes-Verlautbarungsgesetz 2013.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §61a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Raumordnung, Widmung, Bebauungsplan, Verordnungserlassung, Baurecht, VfGH / Weg zumutbarer, Bebauungsvorschriften, Bausperre, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:V17.2019

Zuletzt aktualisiert am

06.04.2022
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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