TE Vwgh Beschluss 2020/12/21 Ra 2020/01/0359

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.12.2020
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §18 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwGG §41

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der F A, in W, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Februar 2020, Zl. W277 2171430-1/20E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin, eine somalische Staatsangehörige, stellte am 9. Juli 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid vom 28. August 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Somalia zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser hob die angefochtene Entscheidung mit Erkenntnis vom 8. Juni 2020, E 1043/2020-10, soweit sie die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia und die darauf aufbauenden Spruchpunkte betraf, wegen Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf. Im Übrigen - sohin hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten - lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie - über nachträglichen Antrag - mit Beschluss vom 3. August 2020, E 1043/2020-12, dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung ab.

5        In der Folge erhob die Revisionswerberin die vorliegende gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten gerichteten Revision.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vorgebracht, das BVwG sei von der - näher genannten - hg. Rechtsprechung zur Begründungspflicht abgewichen, weil die Revisionswerberin neben der Verfolgung durch die Al-Shabaab auch weitere geschlechterspezifische Verfolgung vorgebracht habe, auf die das BVwG nicht ausreichend eingegangen sei. Darüber hinaus weiche das angefochtene Erkenntnis von näher angeführter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur amtswegigen Ermittlungspflicht ab, weil das BVwG es unterlassen habe, die Revisionswerberin zu einer befürchteten geschlechterspezifischen Verfolgung zu befragen. In diesem Zusammenhang hätte das BVwG auch aktuelle Berichte zu Gewalt an Frauen in Somalia einholen müssen.

10       Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob eine aktuelle Verfolgungsgefahr vorliegt, eine Einzelfallentscheidung ist, die grundsätzlich - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist. Der Revisionswerberin muss, um den Status einer Asylberechtigten zu erhalten, bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 23.9.2020, Ra 2020/01/0329, mwN).

11       Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt ebenfalls einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 27.7.2020, Ra 2020/01/0130, mwN). Eine derartige Fehlbeurteilung vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

12       Werden Verfahrensmängel - wie hier Begründungs- und Ermittlungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel dargelegt werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für die Revisionswerberin günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise, also fallbezogen darzulegen (vgl. erneut VwGH 27.7.2020, Ra 2020/01/0130, mwN). Diesen Anforderungen wird die Revision nicht gerecht.

13       Sofern die Revision eine drohende Zwangsheirat vorbringt, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt, wonach der Revisionswerberin im Herkunftsland keine Zwangsheirat drohe und wird bereits deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt (vgl. zum Nichtvorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung bei Abweichen vom festgestellten Sachverhalt etwa VwGH 28.6.2018, Ra 2018/19/0266, mwN).

14       Das BVwG sprach auch dem weiteren (Flucht-)Vorbringen die Glaubwürdigkeit ab. Dass diese Beweiswürdigung - auch unter Berücksichtigung, dass die Revisionswerberin bei ihrer Antragstellung minderjährig war - eine krasse Fehlbeurteilung im Sinne der hg. Rechtsprechung darstellt, zeigt die Revision nicht auf.

15       Zum Vorbringen einer „westlichen Orientierung“ ist darauf hinzuweisen, dass nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthaltes in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, dazu führt, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden müsste (vgl. VwGH 5.8.2019, Ra 2018/20/0320, mwN).

16       Dem Vorbringen der Asylwerberin kommt zentrale Bedeutung zu. Das geht auch aus § 18 Abs. 1 AsylG 2005 deutlich hervor, wonach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und das Bundesverwaltungsgericht in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Diese Pflicht bedeutet aber nicht, ohne entsprechendes Vorbringen der Asylwerberin oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen (vgl. VwGH 12.3.2020, Ra 2019/01/0472, mwN).

17       Sofern die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung in diesem Zusammenhang vorbringt, das BVwG hätte sich mit der Frage einer Reinfibulation auseinandersetzen müssen, steht der Berücksichtigung dieses Vorbringens im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof das aus § 41 VwGG abzuleitende Neuerungsverbot entgegen, weil die Revisionswerberin eine Verfolgung aus diesen Gründen im gesamten Verfahren nicht vorgebracht hat (vgl. zum Neuerungsverbot etwa VwGH 7.7.2020, Ra 2020/14/0147, mwN).

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 21. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010359.L00

Im RIS seit

22.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten