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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AVG §45 Abs3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des A W R, vertreten durch Dr. Eva Jana Messerschmidt, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Salztorgasse 2/6, gegen das am 1. Oktober 2019 mündlich verkündete und mit 21. Oktober 2019 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W114 2177221-1/22E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 26. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, seine Schwester hätte einen älteren Mann heiraten sollen. Da jedoch die Schwester und die Familie gegen diese Heirat gewesen seien, seien sie von diesem Mann und dessen einflussreichen Söhnen bedroht worden.
2 Mit Bescheid vom 20. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).
4 Das BVwG führte am 12. Februar 2018 in Anwesenheit des Revisionswerbers und zwei seiner Schwestern, die als Zeuginnen erschienen waren, eine mündliche Verhandlung durch. Am 1. Oktober 2019 setzte das BVwG die mündliche Verhandlung in Anwesenheit der beiden Schwestern fort und verkündete am Ende der Verhandlung das Erkenntnis. Der Revisionswerber, der ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden war, nahm an dieser nicht teil. Ein anwesender Cousin des Revisionswerbers teilte mit, dieser habe einen Schwächeanfall erlitten und könne daher nicht zur Verhandlung erscheinen.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Begründend führte das BVwG, auf das hier Wesentliche zusammengefasst, aus, der Revisionswerber habe zwar eine drohende Verfolgung in Kabul und in seiner Geburtsprovinz (Panjsher) durch jenen Mann glaubhaft machen können, mit welchem seine Schwester zwangsverheiratet werden hätte sollen. Hingegen sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er von diesem Mann und dessen Söhnen erkannt und verfolgt werden würde, wenn er sich in Herat oder in Mazar-e Sharif niederlasse. Die Sicherheitslage in diesen Städten sei stabil. Auch eine Grundversorgung sei vorhanden. Der Revisionswerber spreche eine Landessprache, sei im erwerbsfähigen Alter und arbeitsfähig und verfüge über eine Universitätsausbildung, wodurch er über einen Ausbildungsvorteil verfüge. Infolge der zu erwartenden Unterstützung durch seine Familie sei nicht davon auszugehen, dass er in eine existenzbedrohende Lage geraten werde.
7 Zur Rückkehrentscheidung führte das BVwG aus, der Revisionswerber halte sich seit November 2015 im Bundesgebiet auf und habe abgesehen vom bloß vorübergehenden Aufenthaltsrecht während des Asylverfahrens nie über ein Aufenthaltsrecht verfügt. Der Revisionswerber habe weiterhin Bindungen zu seinem Herkunftsstaat, in dem er den weit überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe, und Kontakte zu Familienmitgliedern dort. Der Revisionswerber habe zwar Deutschkenntnisse erworben, aber keine weiteren bzw. herausragenden Integrationsschritte gesetzt. Er sei in Österreich nie erwerbstätig gewesen, lebe von Leistungen der Grundversorgung und sei nicht selbsterhaltungsfähig. Sein Interesse an der Aufrechterhaltung bestehender privater Kontakte sei dadurch geschwächt, dass er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus hätte bewusst sein müssen. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Bestimmungen überwiege daher das private Interesse des Revisionswerbers an einem Verbleib im Bundesgebiet.
8 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 21. September 2020, E 4360/2019-13, ablehnte und die Beschwerde mit Beschluss vom 27. Oktober 2020, E 4360/2019-15, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht vollständig ermittelt und sei dadurch von seinen amtswegigen Ermittlungspflichten abgewichen. An der Anberaumung einer weiteren mündlichen Verhandlung und der Ladung von Zeugen zeige sich, dass das BVwG selbst von der Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes ausgegangen sei. Die vorliegende Konstellation sei mit Fällen vergleichbar, in denen ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 Abs. 7 BFA-VG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werde. Durch die fortgesetzte mündliche Verhandlung in Abwesenheit des Revisionswerbers habe das BVwG auch gegen dessen Recht auf Parteiengehör verstoßen. Hätte das BVwG den Revisionswerber nochmals einvernommen, sei nicht auszuschließen, dass er die noch bestehenden Unklarheiten bezüglich seines Fluchtvorbringens beseitigen hätte können. Zudem hätte er sich zur Situation bei einer Rückkehr nach Herat bzw. Mazar-e Sharif äußern und die Integrationsschritte, die er in den eineinhalb Jahren seit der ersten mündlichen Verhandlung gesetzt habe, darlegen können.
13 Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei deren Vermeidung in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 29.11.2019, Ro 2019/19/0003, mwN).
14 Die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein ausreichend ermittelter Sachverhalt vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung dar (vgl. VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0494, mwN).
15 Es kann dahinstehen, ob das BVwG zu Recht die fortgesetzte mündliche Verhandlung in Abwesenheit des (nach Ausweis der Akten ordnungsgemäß geladenen) Revisionswerbers durchgeführt hat. Die Revision führt nämlich nicht konkret aus, zu welchen anderen Feststellungen das BVwG hinsichtlich des Fluchtvorbringens, der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat und Mazar-e Sharif und hinsichtlich des Privat- und Familienlebens des Revisionswerbers auf Grund einer weiteren mündlichen Verhandlung gekommen wäre. Sie legt somit nicht dar, dass bzw. inwiefern sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt seit der Durchführung der mündlichen Verhandlung am 12. Februar 2018 so maßgeblich geändert hätte, dass die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung überhaupt notwendig gewesen wäre (vgl. zum Erfordernis der Relevanz bei Behauptung eines derartigen Verfahrensfehlers - auch im Anwendungsbereich von Art. 47 GRC bzw. von Art. 6 EMRK - VwGH 12.10.2020, Ra 2020/19/0230, mwN).
16 Ebenso wenig zeigt die Revision konkret auf, dass das Verwaltungsgericht bei Beurteilung der Frage, ob ein hinreichend ermittelter Sachverhalt vorlag, von den Leitlinien der hg. Rechtsprechung abgewichen wäre.
17 Auch die (allfällige) Verletzung des Parteiengehörs bewirkt nur dann einen wesentlichen Mangel, wenn das Verwaltungsgericht bei dessen Vermeidung zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können. Der Revisionswerber muss deshalb die entscheidenden Tatsachen behaupten, die dem Verwaltungsgericht wegen des Verfahrensmangels unbekannt geblieben sind. Er darf sich nicht darauf beschränken, den Mangel bloß zu rügen, sondern muss konkret darlegen, welches Vorbringen er im Fall der Einräumung des vermissten Parteiengehörs erstattet hätte und inwiefern das Verwaltungsgericht dadurch zu einer anderen (für ihn günstigeren) Entscheidung hätte gelangen können (vgl. VwGH 5.3.2020, Ra 2019/19/0071, mwN). Diesen Anforderungen entspricht die Revision, wie bereits ausgeführt, nicht.
18 Auch mit dem bloß allgemein gehaltenen Vorbringen, die Zeuginnen hätten sowohl zum Fluchtvorbringen als auch zum Privatleben des Revisionswerbers in Österreich entscheidungserhebliche Angaben machen können, weshalb nicht auszuschließen sei, dass die Entscheidung des BVwG entsprechend anders ausgefallen wäre, legt die Revision die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht dar. Dazu wäre nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes konkret auszuführen, was die betreffenden Personen im Fall ihrer (hier: weiteren) Vernehmung aussagen hätten können und welche anderen Feststellungen aufgrund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. VwGH 30.11.2020, Ra 2020/19/0342, mwN).
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 18. Jänner 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190431.L00Im RIS seit
01.03.2021Zuletzt aktualisiert am
01.03.2021