TE OGH 2020/11/26 5Ob204/20s

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Veröffentlicht am 26.11.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Grundbuchsache der Antragstellerin M*****, vertreten durch Mag. Stephan Moser, öffentlicher Notar in Neumarkt am Wallersee, wegen Einverleibung der Herrenlosigkeit ob der Liegenschaft EZ ***** KG *****, über den Revisionsrekurs des Einschreiters J*****, vertreten durch Dr. Christof Joham, Mag. Andreas Voggenberger, Rechtsanwälte in Eugendorf, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 4. August 2020, AZ 53 R 85/20m, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Neumarkt bei Salzburg vom 5. März 2020, TZ 611/2020, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die Antragstellerin begehrte aufgrund einer notariell beglaubigten Dereliktionserklärung vom 26. 2. 2020 die Einverleibung der Herrenlosigkeit der in ihrem Alleineigentum stehenden Liegenschaft, die aus dem Grundstück Nr 904/8 besteht. Im Grundbuch ist als Nutzung dieses Grundstücks „Sonst (10): Sonstige (Straßenverkehrsanlagen)“ ausgewiesen. Unter C-LNr 20 dieser Liegenschaft ist die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechts unter anderem zugunsten des Grundstück 904/21 der EZ ***** einverleibt. Der Revisionsrekurswerber ist Eigentümer des herrschenden Grundstücks.

Das Erstgericht gab dem Antrag statt.

Dagegen richtete sich der Rekurs des Eigentümers der herrschenden Liegenschaft, dem das Gericht zweiter Instanz nicht Folge gab. Bei verbücherten Liegenschaften erfolge die Preisgabe durch die Einverleibung der Herrenlosigkeit. Die aus dem Grundbuch ersichtliche Angabe bei der dienenden Liegenschaft „Sonstige (Straßenverkehrsanlagen)“ bezeichne die Benützungsart entsprechend § 10 Abs 1 VermG, ohne dass daraus geschlossen werden könne, dass das Grundstück eine Privatstraße sei. Damit könne die Behauptung des Einschreiters in seinem Rekurs, die Antragstellerin wolle sich unliebsamer Verpflichtungen im Zusammenhang mit einer Straße entledigen, obwohl ihr die vormalige Öffentlichkeitserklärung den Vorteil gebracht habe, dass die Grundstücke bebaubar gemacht und folglich verkauft haben werden können, im Grundbuchverfahren als einem reinen Urkundenverfahren nicht geklärt werden. Auch die mit dem Rekurs im Weg einer Neuerung vorgelegten Urkunden „Öffentlichkeitserklärung und Verhandlungsschrift vom 12. 7. 1996“ änderten an dieser Einschätzung nichts. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Straßengrundstück derelinquiert werden könne, „insbesondere wenn dieses offensichtlich zur Erschließung mehrerer Grundstücke dient, denen auch Geh- und Fahrtrechte ob dem Straßengrundstück eingeräumt seien“.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des einschreitenden Eigentümers der herrschenden Liegenschaft, der aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt ist.

Rechtliche Beurteilung

1. Im

Grundbuchsverfahren ist neben dem Antragsteller regelmäßig nur derjenige rekursberechtigt, der geltend machen kann, durch die angefochtene Entscheidung in seinen bücherlichen Rechten verletzt zu sein, weil diese Rechte belastet, abgetreten, beschränkt oder aufgehoben werden (RIS-Justiz RS0006710). Die erforderliche materielle Beschwer folgt schon daraus, dass der Rechtsmittelwerber durch den angefochtenen Beschluss in seinen bücherlichen Rechten beeinträchtigt worden sein könnte. Da der dienstbarkeitsberechtigte Einschreiter eine Beschränkung seines Rechts durch die Einverleibung der Herrenlosigkeit des dienende Guts behauptet, hat das Rekursgericht seine Rechtsmittellegitimation zu Recht bejaht. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist eine Frage der meritorischen Beurteilung und damit der Berechtigung des Rekurses (RS0006710 [T9]; RS0006677 [T4]).

2. Nach der Rechtsprechung (RS0110725; zuletzt 3 Ob 47/20p) und der herrschenden Lehre (Klang in Klang² II 256; Spielbüchler in Rummel³ § 387 Rz 1; Winner in Rummel/Lukas, ABGB4 § 387 Rz 1; Schickmair in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 387 Rz 1; Eccher/Riss in KBB6 § 387 Rz 1; Holzner in Klang³ § 387 Rz 1; Mader in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 387 Rz 1; Höller in Kodek, Grundbuchsrecht² § 4 GBG² Rz 62 ff) besteht die Möglichkeit der Preisgabe unbeweglicher Sachen und deren Aneignung. Bei verbücherten Liegenschaften muss nach den das österreichische Sachenrecht beherrschenden Grundsätzen (§ 444 ABGB) die Preisgabe des Eigentums im öffentlichen Buch eingetragen werden, was durch die Einverleibung der Herrenlosigkeit bewirkt wird (RS0110726).

3.1 Zur Frage, ob die Belastung einer Liegenschaft mit der Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechts ihrer Preisgabe und der Einverleibung dieses Umstands (der Herrenlosigkeit) im Grundbuch entgegensteht, hat der Oberste Gerichtshof noch nicht Stellung genommen. In zweiter Instanz wurde dazu die Ansicht vertreten, dass ein auf der Liegenschaft lastendes Geh- und Fahrrecht zugunsten mehrerer herrschenden Liegenschaften die Dereliktion des dienenden Guts nicht hindert (LGZ Graz, 1 R 415/93 NZ 1994/299, 192). Diese Entscheidung wurde von Hoyer unter Hinweis auf den Willen des historischen Gesetzgebers ausdrücklich begrüßt (NZ 1994, 192 ff). Die dinglich an der (preisgegebenen) Liegenschaft sonst Berechtigten seien durch die Dereliktion (der Einverleibung der Herrenlosigkeit) in ihren Rechten nicht beeinträchtigt, weil sie an bestehenden persönlichen Haftungen nichts ändert und die Sachhaftung bestehen bleibt, die allenfalls gegen einen zu bestellenden Kurator geltend zu machen ist.

3.2 Dass eine auf der Liegenschaft lastende Dienstbarkeit kein Hindernis für eine Dereliktion ist, wird auch in der Literatur vertreten (vgl etwa Spielbüchler aaO § 387 Rz 1; Winner aaO § 387 Rz 1; Schickmair aaO § 387 Rz 3; Eccher/Riss aaO § 387 Rz 2; Holzner aaO § 387 Rz 3; Mader aaO § 387 Rz 1). Hiezu wird darauf verwiesen, dass die Dienstbarkeit auch bei einverleibter Herrenlosigkeit weiter bestehen und eingetragen bleibt. Eine Einschränkung findet sich verschiedentlich lediglich insoweit, als einige Kommentatoren die Meinung vertreten, die Preisgabe der Liegenschaft dürfe keine öffentlich-rechtlichen Schutzvorschriften vereiteln. Soweit solche Schutzvorschriften nicht schon ihrem Wortlaut nach unabhängig vom Fortbestehen des Liegenschaftseigentums greifen würden, sei die Dereliktion soweit unbeachtlich, als die Fortdauer der persönlichen Haftung nach dem Normzweck der öffentlich-rechtlichen Vorschrift nicht ausreiche. Ebenso soll der Bestand einer Reallast der Dereliktion einer verbücherten Liegenschaft entgegenstehen (Spielbüchler aaO § 387 Rz 2; Winner aaO § 387 Rz 3; Holzner in aaO § 387 Rz 3 [mwN in FN 27]).

3.3 Nach § 1 AllGAG sind in die Grundbücher alle Liegenschaften mit Ausnahme jener aufzunehmen, die den Gegenstand eines Eisenbahnbuchs (oder Bergbuchs) bilden. Abs 3 dieser Bestimmung ordnet dazu an, dass diese Liegenschaft von Amts wegen in die Grundbücher aufzunehmen sind. Dass das Eigentum an einer Liegenschaft im Grundbuch eingetragen ist, bildet demgegenüber keine Voraussetzung dafür, dass sie Gegenstand eines Grundbuchs sein kann. Damit bleibt eine Liegenschaft auch dann Teil des Grundbuchbestands, wenn ihre Herrenlosigkeit einverleibt wird, sodass auch kein Zweifel daran bestehen kann, dass die Belastung der Liegenschaft mit einem Geh- und Fahrrecht und die damit bewirkte Sachhaftung zugunsten der herrschenden Liegenschaft fortbesteht. Der Fachsenat teilt daher die in der Literatur vertretene Meinung, dass die Dienstbarkeit eines Geh- und Fahrrechts einer Dereliktion der dadurch belasteten Liegenschaft nicht entgegensteht. Eine gegenteilige Aussage kann entgegen der Annahme des Revisionsrekurswerbers der Entscheidung zu 5 Ob 116/11m auch als „obiter dictum“ nicht entnommen werden.

4.1 Der einschreitende Eigentümer des herrschenden Guts macht auch nicht den Umstand der Belastung der Liegenschaft mit einer Dienstbarkeit an sich als Hindernis für die Einverleibung der Herrenlosigkeit geltend, sondern beruft sich darauf, dass das Grundstück eine dem öffentlichen Verkehr dienende Privatstraße gemäß § 40 Salzburger Landesstraßengesetz 1972 (LStG 1972), LGBl 1972/119 idgF sei. Mit den Mitteln des Grundbuchverfahrens ist im vorliegenden Verfahren aber nicht ausgewiesen, dass es sich bei dem Grundstück Nr 904/8 um eine öffentliche Privatstraße im Sinn der genannten Gesetzesstelle handelt:

4.2 Eine Privatstraße dient nach § 40 Abs 1 LStG 1972 dann dem öffentlichen Verkehr, wenn sie nicht durch äußere Kennzeichen (Abschrankungen, ausdrückliches Benützungsverbot usw) diesen Verkehr ausschließt. Eine solche Ausschließung darf soweit nicht erfolgen, als

a) die Privatstraße durch den Grundeigentümer für den allgemeinen Verkehr dauernd gewidmet wurde,

b) die Privatstraße in zumindest 20-jähriger Übung aufgrund eines dringenden Verkehrsbedürfnisses allgemein und ungehindert benutzt wurde.

4.3 Im Grundbuch ist das die EZ ***** bildende Grundstück Nr 904/8 als „Sonst (10): Sonstige (Straßenverkehrsanlagen)“ ausgewiesen. Diese Bezeichnung ist allerdings nur die Angabe der Benützungsart (entsprechend § 10 Abs 1 VermG samt Anhang zum VermG; siehe dazu auch Höller in Kodek, Grundbuchsrecht2 § 2 GBG Rz 16). Daraus kann nicht darauf geschlossen werden, dass das Grundstück eine Privatstraße ist, die dem öffentlichen Verkehr dient. Das ist gemäß § 40 Abs 1 LStG 1972 nur der Fall, wenn der öffentliche Verkehr nicht durch äußere Kennzeichen ausgeschlossen ist. Zu dem für die Beurteilung des

Grundbuchsgesuchs maßgeblichen

Zeitpunkt seines Einlangens (dazu § 93 GBG; RS0061117) fehlte es daher an dem für das Grundbuchverfahren erforderlichen urkundlichen Nachweis, ob die betreffende Eigenschaft des Grundstücks 904/8 als eine dem öffentlichen Verkehr dienende Privatstraße tatsächlich gegeben ist (vgl 5 Ob 116/11m; 5 Ob 21/14w).

4.4 § 122 Abs 2 GBG statuiert abweichend von § 49 AußStrG für das Rechtsmittelverfahren in Grundbuchsachen ein strenges Neuerungsverbot. Im Rekurs dürfen weder neue Angaben gemacht, noch dürfen ihm – von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen – neue Urkunden beigelegt werden (vgl dazu Kodek in Kodek, Grundbuchsrecht2 § 122 Rz 67). Maßgeblich für die Entscheidung der Rechtsmittelgerichte ist daher stets die Aktenlage zur Zeit der Entscheidung des Erstgerichts (RS0060754; Kodek aaO § 126 GBG Rz 3). Die vom Einschreiter mit seinem Rekurs vorgelegten Urkunden sind nicht solche gemäß § 82a Abs 2 GBG, deren Fehlen zum Gegenstand eines Verbesserungsverfahrens in erster Instanz gemacht werden hätten können (dazu 5 Ob 82/15t) und können daher wegen des im Grundbuchverfahren geltenden Neuerungsverbots nicht berücksichtigt werden. Die Behauptung, die Dereliktionserklärung der Antragstellerin diene dazu, dass sich die Antragstellerin unliebsamer Verpflichtungen als Straßenerhalterin mit der Folge entledige, dass es für die Straße keinen Erhalter/Verwalter mehr gebe, kann im Grundbuchverfahren als einem reinen Urkundenverfahren nicht geklärt werden (vgl 5 Ob 21/14w).

5. Dem Revisionsrekurs ist damit ein Erfolg zu versagen.

Textnummer

E130499

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00204.20S.1126.000

Im RIS seit

13.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

07.05.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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