TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/19 L511 2189918-1

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Veröffentlicht am 19.03.2020
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Entscheidungsdatum

19.03.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


L511 2189918–1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a JICHA als Vorsitzende und den Richter Dr. DIEHSBACHER sowie den fachkundigen Laienrichter RR PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice Landesstelle XXXX vom 06.02.2018, Zahl: OB XXXX , betreffend Abweisung des Antrags auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang und Verfahrensinhalt

1.       Verfahren vor dem Sozialministeriumservice [SMS]

1.1.    Die Beschwerdeführerin verfügt seit 19.05.2017 über einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 50 % (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 2.20). Am 19.05.2017 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis), welcher auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass gilt (AZ 2.4). Die Beschwerdeführerin legte dazu im Verfahren medizinische Befunde vor (AZ 2.5-2.14).

1.2.    Das SMS holte in der Folge zur Feststellung des Grades der Behinderung sowie zur Zusatzeintragung ein Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Chirurgie, sowie eine ergänzende Stellungnahme ein. Dieses Gutachten vom 13.10.2017 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 09.10.2017 und unter Einbeziehung der vorgelegten Befunde erstattet. Als Ergebnis der Begutachtung wurde zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zusammengefasst ausgeführt, dass ein Anmarschweg zu einem öffentlichen Verkehrsmittel für die Beschwerdeführerin bewältigbar und das Ein- und Aussteigen möglich sei (AZ 2.17.1, 2.19).

1.3.    Mit Bescheid des SMS vom 06.02.2018, Zahl: XXXX , wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 19.05.2017 gemäß §§ 42 und 45 BBG abgewiesen, da bei der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorlägen (AZ 2.22).

Begründend verwies das SMS auf die Ergebnisse des Gutachtens vom 13.10.2017, welches als schlüssig erkannt wurde. Das Gutachten wurde als Beilage zum Bescheid übermittelt.

1.4.    Mit Schreiben vom 13.03.2018 erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde [Bsw] gegen den oben bezeichneten Bescheid des SMS (AZ 1.3).

Darin führt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, dass es ihr unmöglich sei, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen und legte dazu einen aktuellen Arztbrief und einen Entlassungsbericht eines Reha-Aufenthaltes vor.

2.       Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 04.07.2018 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des gegenständlichen Gerichtsaktes OZ 1 [=AZ 1.1-1.4, 2.1 -2.22]).

2.1.    Das BVwG holte ein weiteres Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der Orthopädie und orthopädischen Chirurgie ein (OZ 3). Dieses Gutachten vom 12.09.2019 wurde auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 12.09.2019 sowie unter Einbeziehung des Vorgutachtens sowie aller vorliegenden Befunde erstattet und bestätigte die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.

2.2.    Mit Parteiengehör vom 19.09.2019 übermittelte das BVwG der Beschwerdeführerin das Sachverständigengutachten vom 12.09.2019 mit dem Ersuchen um Stellungnahme und dem Hinweis, dass das BVwG beabsichtige, sich auf dieses Gutachten zu stützen (OZ 6).

2.3.    Mit Schreiben vom 03.10.2019 erstattete die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme zum Gutachten vom 12.09.2019 (OZ 9), worin sie ausführte, dass sich ihre Beschwerden in keiner Weise gebessert hätten und sie auf ihren PKW angewiesen sei.

II.      Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1.    Die Beschwerdeführerin ist in Österreich wohnhaft und verfügt über einen gültigen Behindertenpass mit einem eingetragenen Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. (AZ 2.20).

1.2.    Im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sind folgende Feststellungen zu treffen (AZ 2.17, OZ 3):

Die Beschwerdeführerin leidet an Verschleißerkrankung der Lendenwirbelsäule mit Bandscheibendegenerationen, Verschleißerkrankung beider Hüft- und beider Kniegelenke, wobei bereits 2004, 2008 und 2012 Gelenksprothesen (Hüfte beidseits und rechtes Knie) eingesetzt wurden, sowie an einem Engpasssyndrom der rechten Schulter.

Unter Berücksichtigung eines orthopädisch-traumatologischen Leistungskalküls sind Gehstrecken von 300 Meter unter Verwendung von Unterarmstützkrücken für die Beschwerdeführerin möglich. Das Ein- und Aussteigen ist unter Zuhilfenahme eines Geländers bzw. von Stützkrücken ebenso möglich, wie das Anhalten und das Aufstehen aus sitzender Position. Auch die Haltefähigkeit in öffentlichen Verkehrsmitteln ist unter Verwendung der stabilen Gegenhand sicher.

2.       Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

2.1.    Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt (OZ 1), aus denen sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt. Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:

?        Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Chirurgie vom 13.10.2017 (AZ 2.17.1) samt Ergänzung vom 05.02.2018 (AZ 2.19), der Orthopädie und orthopädischen Chirurgie vom 12.09.2019 (OZ 3)

?        Bescheid des SMS vom 06.02.2018 (AZ 2.22)

?        Beschwerde vom 13.03.2018 (AZ 1.3)

?        Stellungnahmen vom 25.10.2017 (AZ 2.15) und vom 03.10.2019 (OZ 9)

?        Datenstammblatt Behindertenpass (AZ 2.20)

?        Einsicht in das Zentrale Melderegister [ZMR] (OZ 10)

2.2.    Beweiswürdigung

2.2.1.  Die allgemeinen Feststellungen (Punkt 1.1.) ergeben sich aus der Antragstellung und dem Behindertenpass der Beschwerdeführerin, sowie dem ZMR und sind unstrittig (AZ 2.4, 2.20; OZ 10).

2.2.2.  Die Feststellungen zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ergeben sich insbesondere aus dem Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der der Orthopädie und orthopädischen Chirurgie vom 12.09.2019 (OZ 3). Die Feststellungen im Gutachten sind nachvollziehbar, schlüssig und in sich widerspruchsfrei. Das Gutachten basiert auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, berücksichtigt die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befunde (AZ 1.2, 1.4, 2.5-2.14) und steht mit diesen auch nicht in Widerspruch (vgl. dazu VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004).

2.2.2.1. Im Gutachten wurde insbesondere berücksichtigt, dass für die Beschwerdeführerin im häuslichen Bereich das Stiegensteigen unter Zuhilfenahme eines Geländers bzw. einer Stützkrücke möglich ist, die bereits implantierten Kunstgelenke eine regelrechte Funktion aufweisen und es zu keiner Änderung des Behandlungskonzeptes, vor allem zu keiner Intensivierung der Schmerzbehandlung (eine Parkemed täglich), gekommen ist. Dass eine Indikation zum Knieprothesenwechsel [Anmerkung: rechts] vorhanden sei, wie in einem von der Beschwerdeführerin vorgelegten Arztbrief angemerkt (AZ 1.2.), war nicht objektivierbar. In Summe wurden zwei Gutachten eingeholt, und beide Gutachter kamen übereinstimmend zum Ergebnis, dass die von der Beschwerdeführerin subjektiv eingeschätzte Gehstreckenlimitierung ohne darüberhinausgehende neurologische Symptomatik nicht objektiv nachvollziehbar ist.

2.2.2.2. In ihrer Stellungnahme vom 03.10.2019 führte die Beschwerdeführerin (nur) aus, dass sich ihre Beschwerden nach einer (weiteren) Knieimplantation „in keiner Weise gebessert haben“, womit sie den Feststellungen der Gutachten nur pauschal und nicht ausreichend substantiiert entgegentritt und auch keine begründeten Widersprüche oder eine weitere Ergänzungsbedürftigkeit aufzeigt (vgl. VwGH 24.10.2013, 2013/07/0088).

2.2.2.3. Das SMS ist den Feststellungen der Gutachten nicht entgegengetreten (AZ 1.1, OZ 3-9).

2.2.2.4. Zusammenfassend folgt der erkennende Senat den im Gutachten getroffenen Feststellungen, da das das subjektive Empfinden der Beschwerdeführerin letztlich medizinisch nicht objektivierbar war.

3.       Entfall der mündlichen Verhandlung

3.1.    Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 24 VwGVG) ist kein absoluter. Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).

3.2.    Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich zur Gänze aus den der Beschwerdeführerin bekannten vorliegenden Aktenteilen und war weder ergänzungsbedürftig (vgl. dazu VwGH 19.09.2018, Ra2018/11/0145) noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig.

4.       Rechtliche Beurteilung

4.1.1.  Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Senat ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 45 Bundesbehindertengesetz [BBG]. Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das SMS im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).

4.1.2.  Die Beschwerde gegen den Bescheid des SMS ist rechtzeitig und zulässig.

4.1.3.  Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des BBG lauten auszugsweise:

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen […].

§ 42. (1) […] Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. […]

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

4.1.4.  § 1 der Verordnung über die Ausstellung von [VO] Behindertenpässen und Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idF BGBl. II Nr. 263/2016, lautet auszugsweise:

§ 1 (4) Z 3: Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen: [...] die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten (Teilstrich 1) oder erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit (Teilstrich 2) oder erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen (Teilstrich 3) oder eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems (Teilstrich 4) oder eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d (Teilstrich 5) vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

4.2.    Abweisung der Beschwerde

4.2.1.  Die Beschwerdeführerin verfügt über einen gültigen Behindertenpass mit einem eingetragenen Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H, womit die grundsätzliche Voraussetzung für die Vornahme einer Zusatzeintragung gemäß § 42 BBG erfüllt ist.

4.2.2.  Die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist im verfahrensgegenständlichen Fall gemäß § 1 Abs. 5 VO Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen. Die eingeholten Sachverständigengutachten vom 13.10.2017 und vom 12.09.2019 sind (wie bereits im Zuge der Beweiswürdigung dargelegt) richtig, vollständig und schlüssig und die Art und Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung sowie deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sind in nachvollziehbarer Weise dargestellt worden (vgl. VwGH 19.12.2017, Ra2017/11/0288; 21.06.2017, Ra2017/11/0040 mwN).

4.2.3.  In den Erläuterungen zur Stammfassung der VO Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen wird hinsichtlich der hier maßgeblichen Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 (vormals: § 1 Abs. 2 Z 3) – soweit im gegenständlichen Fall relevant – insbesondere Folgendes ausgeführt: Durch die Verwendung des Begriffes 'dauerhafte Mobilitätseinschränkung' hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses. [...] Die Begriffe ‚erheblich' und ‚schwer' werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend. Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen. Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

4.2.4.  Die Beschwerdeführerin kann sich im öffentlichen Raum selbständig fortbewegen und das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, die Judikatur geht hier von 300 bis 400 Metern aus (VwGH 27.05.2014, Ro2014/11/0013), zu Fuß aus eigener Kraft, wenn auch unter Zuhilfenahme von Stützkrücken, ist ebenso gegeben wie das Überwinden üblicher Niveauunterschiede zum sicheren Ein- und Ausstieg in bzw. aus öffentliche(n) Verkehrsmittel(n) und die sichere Beförderung im öffentlichen Verkehrsmittel.

4.2.4.1. Darüber hinaus kommt es bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel entscheidend auf die Art und Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel an, nicht jedoch auf andere Umstände, etwa jene der Entfernung zwischen der Wohnung und der nächstgelegenen Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel (VwGH 19.12.2017, Ra2017/11/0288; 21.06.2017, Ra2017/11/0040 mwN). Auf die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Umstände, wonach sie mit dem Taxi zu den Untersuchungen habe fahren müssen, sie Einkäufe mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht bewältigen und soziale Kontakte nicht aufrechterhalten könne, wenn sie auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sei, kommt es demnach nicht an.

4.2.5.  Da somit die Voraussetzungen zur Vornahme der beantragten Zusatzeintragung in den Behindertenpass nicht vorliegen, ist die Beschwerde spruchgemäß abzuweisen.

4.3.    Im Hinblick auf den gestellten Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO wird der Vollständigkeit halber angemerkt, dass es zwar zutrifft, dass dem Begehren der Beschwerdeführerin auf Ausfolgung eines Parkausweises nach § 29b StVO erst dann entsprochen werden könnte, wenn im Behindertenpass die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung" vorgenommen wurde. Dennoch kann die bescheidmäßige Erledigung dieses Antrags nicht dadurch ersetzt werden, dass (lediglich) am Ende des nunmehr angefochtenen Bescheides angemerkt wird, dass die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen würden.

III.    ad B) Unzulässigkeit der Revision:
Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist zu begründen (§ 25a Abs. 1 VwGG). Die Revision ist (mit einer hier nicht zum Tragen kommenden Ausnahme) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art. 133 Abs. 4 B-VG).

Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf eine umfangreiche und einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum BBG. Die angewendeten Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind – soweit für den vorliegenden Fall maßgeblich – eindeutig. Zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage (trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) etwa VwGH 28.05.2014, Ro2014/07/0053. Zur Schlüssigkeit von Gutachten VwGH 27.06.2018, Ra2018/09/0079; 28.06.2017, Ra2017/09/0015; zur Form der Auseinandersetzung mit dem Gutachten insbesondere VwGH 26.02.2016, Ro2014/03/0004. Zu den Voraussetzungen zur Vornahme der verfahrensgegenständlichen Zusatzeintragung VwGH 19.12.2017, Ra2017/11/0288; 21.06.2017, Ra2017/11/0040 mwN.

Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L511.2189918.1.00

Im RIS seit

12.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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