TE Vwgh Erkenntnis 1997/5/30 96/19/0278

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Veröffentlicht am 30.05.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/05 Reisedokumente Sichtvermerke;

Norm

FrG 1993 §10 Abs1 Z6;
Sichtvermerkspflicht Aufhebung Jugoslawien 1965 Art1 Abs1;
Sichtvermerkspflicht Aufhebung Jugoslawien 1965 Art1 Abs2;
Sichtvermerkspflicht Aufhebung Jugoslawien 1965 Art3 Abs3 litb;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,

Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der V in H, vertreten durch Mag. G, Rechtsanwalt in F, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. Mai 1995, Zl. 301.356/2-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesministerium für Inneres) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin brachte am 27. Juni 1994 bei der österreichischen Botschaft in Laibach einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ein. In einer im erstinstanzlichen Verfahren am 25. Jänner 1995 erstatteten Eingabe gab sie an, seit April 1994 in Österreich aufhältig zu sein. Als ihren Wohnsitz gab sie eine österreichische Adresse an.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 13. Februar 1995 wurde dieser Antrag gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 6 des Fremdengesetzes (FrG) abgewiesen. Die Beschwerdeführerin sei zunächst vermutlich im Februar 1994 nach Österreich eingereist. Sie habe am 25. Februar 1994 einen österreichischen Staatsangehörigen geehelicht. Bis 7. März 1994 sei sie in Österreich aufhältig gewesen.

Im April 1994 sei die Beschwerdeführerin neuerlich nach Österreich eingereist. Den Antrag bei der österreichischen Botschaft Laibach habe sie nicht persönlich, sondern durch eine dritte Person eingebracht. Der Beschwerdeführerin sei keine Einreisebewilligung einer Sicherheitsdirektion nach der Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen aus Bosnien-Herzegowina, BGBl. Nr. 368/1994, erteilt worden. Es sei daher davon auszugehen, daß die Beschwerdeführerin sichtvermerksfrei als Touristin eingereist sei und sich somit seit Juli 1994 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung, in der sie den Tatsachenfeststellungen der erstinstanzlichen Behörde nicht mit einem konkreten Tatsachenvorbringen entgegentrat. Sie vertrat allerdings die Auffassung, sie habe durch ihre Antragstellung im Ausland der Bestimmung des § 6 Abs. 2 AufG Genüge getan. Ein Sichtvermerksversagungsgrund liege nicht vor. Darüber hinaus verwies die Beschwerdeführerin auf ihre durch ihre Ehe mit einem österreichischen Staatsangehörigen begründeten familiären Interessen im Bundesgebiet. Schließlich behauptete sie, sie sei aufgrund des in ihrem Heimatstaat, Bosnien-Herzegowina, herrschenden Kriegszustandes berechtigt, sich im Bundesgebiet aufzuhalten.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres wurde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG - unter anderem - in Verbindung mit § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei sichtvermerksfrei in das Bundesgebiet eingereist und wolle ihren damit begonnenen Aufenthalt mit dem vorliegenden Antrag auf Aufenthaltsbewilligung verlängern. Sie habe sich vor, während und nach der Antragstellung in Österreich aufgehalten. Damit sei der Sichtvermerksversagungsgrund im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG gegeben. Die Erteilung einer Bewilligung sei ausgeschlossen.

Die öffentlichen Interessen an der Versagung einer Bewilligung überwögen die privaten Interessen der Beschwerdeführerin auf Familienzusammenführung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, nach Ablehnung ihrer Behandlung durch den Verfassungsgerichtshof dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 5 Abs. 1 und § 12 AufG in der aufgrund des Datums der Zustellung des angefochtenen Bescheides (29. Mai 1995) anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. Nr. 351/1995, lauten:

"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist.

§ 12. (1) Für Zeiten erhöhter internationaler Spannungen, eines bewaffneten Konfliktes oder sonstiger die Sicherheit ganzer Bevölkerungsgruppen gefährdender Umstände kann die Bundesregierung mit Verordnung davon unmittelbar betroffenen Gruppen von Fremden, die anderweitig keinen Schutz finden, ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet gewähren.

...

(4) Wird infolge der längeren Dauer der in Abs. 1 genannten Umstände eine dauernde Integration erforderlich, kann in der Verordnung festgelegt werden, daß für bestimmte Gruppen der Aufenthaltsberechtigten abweichend von § 6 Abs. 2 eine Antragstellung im Inland zulässig ist."

§ 10 Abs. 1 und § 14 FrG lauten auszugsweise:

"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn

...

6. der Sichtvermerk zeitlich an einen Touristensichtvermerk anschließen oder nach sichtvermerksfreier Einreise (§ 12 Aufenthaltsgesetz oder § 14) erteilt werden soll;

§ 14. (1) Sofern die Bundesregierung zum Abschluß von Regierungsübereinkommen gemäß Art. 66 Abs. 2 B-VG ermächtigt ist, kann sie zur Erleichterung des Reiseverkehrs unter der Voraussetzung, daß Gegenseitigkeit gewährt wird, vereinbaren, daß Fremde berechtigt sind, ohne Sichtvermerk in das Bundesgebiet einzureisen und sich in diesem aufzuhalten.

...

(3) In Übereinkommen gemäß Abs. 1 und in Verordnungen gemäß Abs. 2 kann unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit vorgesehen werden, daß Fremden ein Sichtvermerk auch nach sichtvermerksfreier Einreise erteilt werden kann."

Bis 14. April 1995 wurde das Abkommen zwischen der Bundesregierung der Republik Österreich und der Regierung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht, BGBl. Nr. 365/1965, in vollem Umfang gegenüber der Republik Bosnien-Herzegowina pragmatisch weiter angewendet. Art. 1 und 3 dieses Abkommens lauten auszugsweise:

"Artikel 1

(1) Die Staatsbürger der Vertragsstaaten, die einen der im Artikel 3 angeführten Reiseausweise mit sich führen, können ohne Sichtvermerk des anderen Vertragsstaates die Grenzen der Vertragsstaaten überschreiten und sich drei Monate auf dem Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten.

(2) Den Personen, die sich länger als drei Monate auf dem Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten wollen, können die zuständigen Behörden dieses Vertragsstaates die Aufenthaltsberechtigung verlängern.

...

Artikel 3

...

(3) Der Grenzübertritt aufgrund dieses Abkommens ist jugoslawischen Staatsbürgern, die Inhaber eines der nachstehend angeführten gültigen Reiseausweise sind, gestattet:

a)

Reisepaß (persönlicher oder Familienreisepaß)

b)

Diplomatenpaß

...

              e)              Kinderausweis

..."

Mit Wirksamkeit vom 15. April 1995 wurde die Anwendung des Art. 3 Abs. 3 lit. a, c, d, e, f und g des im beiderseitigen Einverständnis zwischen der Republik Österreich und der Republik Bosnien-Herzegowina pragmatisch weiter angewendeten Abkommens BGBl. Nr. 365/1965 bis auf weiteres ausgesetzt (BGBl. Nr. 252/1995).

Im Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheides stand die am 28. Dezember 1994 ausgegebene Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, BGBl. Nr. 1038/1994, in Kraft. § 1 und § 2 dieser Verordnung lauteten auszugsweise:

"§ 1. (1) Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und deren Ehegatten und minderjährige Kinder, die aufgrund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mußten, anderweitig keinen Schutz fanden und vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, haben ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet.

(2) Dieses Aufenthaltsrecht besteht weiters für die nach dem 1. Juli 1993 eingereisten und einreisenden Personen gemäß Abs. 1, sofern die Einreise über eine Grenzkontrollstelle erfolgte, bei der sich der Fremde der Grenzkontrolle stellte und ihm entsprechend internationaler Gepflogenheiten die Einreise gestattet wurde.

(3) Ungeachtet der Staatsangehörigkeit kann ein solches Aufenthaltsrecht auch Personen aus Grenzstädten zur ehemaligen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina gewährt werden, sofern die übrigen Voraussetzungen nach dem Abs. 1 gegeben sind.

...

§ 2. Personen, auf die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 und 3 zutreffen, können im Hinblick auf eine zwischenzeitig erfolgte teilweise Integration bei der Erteilung von Bewilligungen im Rahmen der Übergangsregelung des § 13 des Aufenthaltsgesetzes bevorzugt berücksichtigt werden."

Von der Ermächtigung gemäß § 12 Abs. 4 AufG hat die Bundesregierung erst nach Erlassung des angefochtenen Bescheides mit § 2 der Verordnung BGBl. Nr. 389/1995 Gebrauch gemacht.

Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie habe die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 AufG erfüllt. Aufgrund der Eintragungen in ihrem Reisepaß sei es keinesfalls erwiesen, daß sie seit April 1994 nicht aus Österreich ausgereist sei. Des öfteren komme es vor, daß Ein- und Ausreise in das bzw. aus dem österreichischen Bundesgebiet ohne Eintragungen im Reisepaß eines Fremden erfolgten. Zweifelsfrei sei davon auszugehen, daß die Beschwerdeführerin rechtmäßig nach Österreich eingereist und dort aufhältig sei. Ein Sichtvermerksversagungsgrund liege daher nicht vor.

Diese Beschwerdeausführungen enthalten keine auf konkreten Tatsachenbehauptungen fußenden Argumente gegen die Annahme der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin sei im April 1994 sichtvermerksfrei in das Bundesgebiet eingereist und halte sich dort seither auf. Auch der gleichen Annahme der erstinstanzlichen Behörde trat die Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren nicht mit einem konkreten Tatsachenvorbringen über ihren Aufenthalt seit April 1994 entgegen.

Für die Beurteilung der Frage, ob der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG vorliegt, ist die Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgeblich (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 1995, Zl. 95/19/1402).

Im Hinblick auf das Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides (29. Mai 1995) hatte die belangte Behörde die Rechtslage nach dem Außerkrafttreten des Art. 3 Abs. 3 lit. a, c, d, e, f und g des Abkommens BGBl. Nr. 365/1965 im Verhältnis zur Republik Bosnien-Herzegowina anzuwenden. Mit dem Begriff "den Personen" in Art. 1 Abs. 2 des Abkommens BGBl. Nr. 365/1965 ist offenkundig nicht jedermann gemeint, vielmehr nimmt Art. 1 Abs. 2 mit diesem Begriff auf den in Art. 1 Abs. 1 umschriebenen Personenkreis, also auf Staatsbürger der Vertragsstaaten, die einen der in Art. 3 angeführten Reiseausweise mit sich führen, Bezug. Daraus folgt jedoch, daß nach der im Zeitpunkt der Bescheiderlassung geltenden Rechtslage nur noch Inhabern von Diplomatenpässen der Republik Bosnien-Herzegowina (Art. 3 Abs. 3 lit. b) die Aufenthaltsberechtigung nach Art. 1 Abs. 2 dieses Abkommens verlängert werden konnte. Diese Bestimmung stand daher der Anwendung des Sichtvermerksversagungsgrundes des § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG gegenüber der Beschwerdeführerin, welche nicht Inhaberin eines Diplomatenpasses ist, nicht entgegen.

Insoweit sich die Beschwerdeführerin auf ein vorläufiges Aufenthaltsrecht als Staatsangehörige Bosniens und der Herzegowina beruft, ist ihr zunächst zu entgegnen, daß durch den angefochtenen Bescheid in ein ihr behauptetermaßen zustehendes vorläufiges Aufenthaltsrecht aufgrund der Verordnung BGBl. Nr. 1038/1994 nicht eingegriffen worden wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 1994, Zl. 94/18/0104).

Als eine nach dem 1. Juli 1993 eingereiste Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina stand ihr nach der Verordnung BGBl. Nr. 1038/1994 kein Recht auf Inlandsantragstellung zu. § 2 dieser Verordnung ist auf sie nicht anzuwenden.

Die Frage, ob die Einräumung eines Rechtes auf Inlandsantragstellung aufgrund einer gemäß § 12 Abs. 4 AufG ergangenen Verordnung der Anwendung des Sichtvermerksversagungsgrundes des § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG entgegenstünde, kann daher im Fall der Beschwerdeführerin dahingestellt bleiben.

Insoweit sich die Beschwerdeführerin schließlich auch auf die durch die Anwesenheit ihres österreichischen Ehegatten im Bundesgebiet begründeten familiären Interessen beruft, ist ihr zu entgegnen, daß bei einer auf § 10 Abs. 1 Z. 6 FrG gestützten Entscheidung eine Bedachtnahme auf private oder familiäre Interessen des Fremden aus den im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 1993, Slg. Nr. 13.497, genannten Gründen nicht in Betracht kommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. März 1996, Zl. 96/19/0404).

Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996190278.X00

Im RIS seit

13.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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