TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/23 W245 2178675-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.10.2020
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Entscheidungsdatum

23.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W245 2178675-1/21E
W245 2178669-1/16E
W245 2178672-1/15E
W245 2178683-1/15E
W245 2178681-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard SCHILDBERGER, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , 3. XXXX , geb. XXXX , 4. XXXX , geb. XXXX und 5. XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien vertreten durch XXXX gegen den Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.10.2017 und 13.11.2017, 1. Zahl: XXXX , 2. Zahl: XXXX , 3. Zahl: XXXX , 4. Zahl: XXXX und 5. Zahl: XXXX betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde von XXXX wird stattgegeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Den Beschwerden von XXXX , XXXX , XXXX und XXXX wird stattgegeben und ihnen gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

III. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

I.1.    Die Zweitbeschwerdeführerin XXXX (in der Folge auch „BF2“) und ihr Sohn, der Drittbeschwerdeführer XXXX (in der Folge auch „BF3“), beide syrische Staatsangehörige, reisten illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellten am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2.    Im Rahmen der am XXXX erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die BF2 für sich und ihren minderjährigen Sohn BF3 an, dass sie wegen der Sicherheitslage Syrien verlassen habe. Wenn sie ein Flugzeug gehört habe, habe sie Angst bekommen. Bei einer Rückkehr habe sie keine Befürchtungen.

I.3.    Am XXXX wurde der Viertbeschwerdeführer XXXX (in der Folge auch „BF4“) in XXXX , Österreich geboren.

I.4.    Der Erstbeschwerdeführer XXXX (in der Folge auch „BF1“), ein syrischer Staatsangehöriger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.5.    Im Rahmen der am XXXX erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF1 an, dass er wegen des Krieges seine Heimat verlassen habe. Bei einer Rückkehr habe er Angst vor dem Assad-Regime und vor dem IS.

I.6.    Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge „belangte Behörde“, auch „bB“) am 28.09.2017 gab der BF1 an, dass er sich Ende 2011 in der Stadt XXXX , in der Nähe von Damaskus aufgehalten habe. Zu dieser Zeit sei diese Stadt von den Regierungstruppen kontrolliert worden. Die Soldaten der Regierungstruppen hätten die Bewohner sehr schlecht behandelt. Darüber habe der BF1 im Internet berichtet. Daraufhin sei er von den Regierungstruppen festgenommen und eingesperrt worden. Auch sei der BF1 in Haft schlecht behandelt worden. Nach 20 Tagen Arrest sei er wieder entlassen worden.

Anschließend habe der BF1 Hilfsorganisationen unterstützt; er habe Lebensmittel an Flüchtlinge verteilt. Aufgrund dieser Tätigkeit sei der BF1 von einem Reporter via Skype kontaktiert und interviewt worden. Daraufhin sei der BF1 wieder von den Regierungstruppen gesucht worden. Deshalb habe der BF1 Damaskus verlassen und sei nach XXXX , in Aleppo zurückgekehrt. Während seines Aufenthaltes sei Aleppo massiv bombardiert worden. Auch ihr Haus sei zerstört worden. Zudem sei ein Bruder des BF1 vom Cousin XXXX ermordet worden. Der Cousin sei ein Mitglied des IS gewesen. Aufgrund dieser Vorfälle sei der Entschluss des BF1 bestärkt worden, Syrien zu verlassen. Der BF1 sei alleine in die Türkei geflohen. Von dort aus sei er immer wieder nach Syrien zurückgekehrt, da er Lebensmitteltransporte von Hilfsorganisationen begleitet habe. Im Jahr 2013 habe der BF1 seine Mitarbeit bei diesen Organisationen eingestellt und habe seine Familie in die Türkei geholt. Er sei anschließend nach Griechenland weitergereist. Er habe dort für eineinhalb Jahre als Kellner gearbeitet. Als er genug Geld verdient habe, habe er seine Familie nach Griechenland nachgeholt.

Weiters erklärte der BF1 bei der Befragung durch die bB, dass in seinem Heimatland er weder von der Polizei noch von der Staatsanwaltschaft, von einem Gericht oder von einer sonstigen Behörde gesucht worden sei. Er sei in seiner Heimat nie von einer Behörde angehalten, festgenommen oder verhaftet worden und habe auch sonst keine Probleme mit den Behörden in Syrien gehabt.

Zudem gab der BF1 erstmals bei der Befragung durch die bB an, dass er ein Mitglied einer Oppositionspartei gewesen sei. Angaben zur Oppositionspartei tätigte der BF1 nicht. Der BF1 führte aus, dass er bereits ab Kriegsbeginn 2011 ein Kriegsgegner und somit auch ein Gegner der Regierung gewesen sei.

In seinem Heimatland sei der BF1 nie wegen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Volksgruppe oder wegen einer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt worden. Er habe nie gekämpft und sei auch selbst niemals Mitglied einer bewaffneten Gruppe gewesen.

Bei einer Rückkehr würde der BF1 aufgrund seiner geschilderten Aktivität von der Regierung verhaftet, eingesperrt und unmenschlich behandelt werden.

I.7.    Am XXXX stellte die BF2 für den BF4 einen Antrag auf internationalen Schutz. In diesem Zusammenhang verwies die BF2 auf ihre eigenen Fluchtgründe und führte aus, dass der BF4 keine eigenen Fluchtgründe habe.

I.8.    Bei der Einvernahme durch die bB am 28.09.2017 gab die BF2 an, dass sie die gleichen Fluchtgründe wie ihr Ehemann (BF1) habe. Den Entschluss des BF1, Syrien zu verlassen, habe sie unterstützt. Sie habe dort nicht mehr leben wollen, da durch den Krieg ihr Leben und ihre Sicherheit in Gefahr gewesen sei. Vor allem um ihr Kind habe sie sich große Sorgen gemacht. Für den Sohn XXXX (BF3) würden die gleichen Fluchtgründe gelten. Weitere Fluchtgründe habe sie nicht.

Zudem erklärte die BF2, dass sie in ihrem Herkunftsland nicht vorbestraft sei bzw. keine Strafrechtsdelikte begangen habe. Sie werde weder von der Polizei noch vom Staatsanwalt, von einem Gericht oder von einer sonstigen Behörde gesucht. Sie habe keine Probleme mit den Behörden in ihrem Heimatland gehabt. Sie sei niemals ein Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei gewesen. Sie sei wegen ihrer politischen Gesinnung, ihrer Religion, ihrer Rasse, ihrer Nationalität, ihrer Volksgruppe oder einer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nicht verfolgt worden. Sie sei nie persönlich bedroht worden, auch habe sie nie selbst gekämpft und sei nie Mitglied einer bewaffneten Gruppierung gewesen.

Bei einer Rückkehr wäre ihre Sicherheit bei einem Aufenthalt im Kriegsgebiet gefährdet. Ansonsten hätte sie nichts zu befürchten. Bei einer Rückkehr hätte sie keine Probleme mit Behörden oder mit der Polizei.

I.9.    Am XXXX wurde der Fünftbeschwerdeführer XXXX (in der Folge auch „BF5“) in XXXX , in Österreich geboren.

I.10.   Mit Bescheid vom 31.10.2017 wies die bB die Anträge des BF1, der BF2, des BF3 und des BF4 auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Dem BF1 und der BF2 wurde auf Grundlage des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.); dem BF3 und dem BF4 wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde dem BF1, der BF2, dem BF3 und dem BF4 jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 31.10.2018 (Spruchpunkt III.) erteilt.

Die Bescheide wurden von BF1 und BF2 am 10.11.2017 übernommen.

I.11.   Mit Verfahrensanordnung vom 31.10.2017 wurde dem BF1, dem BF3 und dem BF4 sowie mit Verfahrensanordnung vom 06.11.2017 wurde der BF2 gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG XXXX als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

I.12.   Am XXXX stellte der BF1 für den BF5 einen Antrag auf internationalen Schutz. In diesem Zusammenhang verwies der BF1 auf seine eigenen Fluchtgründe und führte aus, dass der BF5 keine eigenen Fluchtgründe habe.

I.13.   Mit Bescheid vom 13.11.2017 wies die bB den Antrag des BF5 auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Dem BF5 wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 13.11.2018 (Spruchpunkt III.) erteilt.

Der Bescheid wurde vom BF1 am 17.11.2017 übernommen.

I.14.   Mit Verfahrensanordnung vom 14.11.2017 wurde dem BF5 gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG XXXX als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

I.15.   Am 23.11.2017 erteilte der BF1 für sich sowie für die minderjährigen Kinder als gesetzlicher Vertreter Vollmachten für die XXXX . Ebenso erteilte die BF2 am 23.11.2017 eine Vollmacht für die XXXX .

I.16.   Gegen die Bescheide der bB richteten sich die am 28.11.2017 fristgerecht erhobenen Beschwerden der Beschwerdeführer (in der Folge auch „BF“).

In ihren Beschwerden führten die BF aus, dass sie Syrien wegen asylrelevanter Verfolgung des BF1 verlassen hätten. Der BF1 habe im November und Dezember 2011 auf Facebook kritisch über das syrische Regime gepostet und habe bei einer Demonstration Filmaufnahmen mit dem Handy von der Demonstration gemacht. In der Folge habe BF1 anonym ein Interview auf XXXX gegeben. Noch im Dezember 2011 sei das Facebook-Konto des BF1 gesperrt worden. Zwischen 17. und 20. Dezember 2011 sei der BF1 von Sicherheitskräften des syrischen Regimes verhaftet und für 20 Tage in Haft genommen worden. Anlässlich seiner Entlassung aus der Haft im Jänner 2012 habe der BF1 eine Erklärung unterschreiben müssen, dass er an keinen weiteren Demonstrationen gegen das Regime mehr teilnehmen werde. Im Februar 2012 habe der BF1 erstmals Syrien in Richtung Türkei verlassen. Er sei aber über die offene Grenze in das Gebiet, welches von der freien syrischen Armee kontrolliert worden sei, wieder nach Syrien zurückgekehrt. Er habe dort für eine Hilfsorganisation außerhalb des Einflussgebietes des Regimes gearbeitet.

Dort sei der BF1 für die Organisation „ XXXX “ (in der Folge auch „ XXXX “) tätig gewesen. Diese Organisation sei von XXXX geleitet worden. XXXX habe von der Türkei aus in jenen Teilen Syriens Hilfe geleistet, welche nicht vom Regime beherrscht worden seien. Als sich die Kämpfe in Syrien weiter intensiviert hätten, habe der BF1 aus dem Gebiet, wo er tätig gewesen sei, flüchten müssen, da er gefürchtet habe, dass dieses von den Truppen des IS eingenommen werde.

I.17.   Die gegenständlichen Beschwerden und die bezugshabenden Verwaltungsakte wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch „BVwG“) am 04.12.2017 von der bB vorgelegt.

I.18.   Am 24.01.2018 erfolgte eine ergänzende Stellungnahme der BF. Darin legte der BF1 Unterlagen zu seinem Militärdienst vor. Auch legte der BF1 Unterlagen zu XXXX vor (Gerichtsakt des BF1, OZ 4).

Weiters erklärte der BF1, dass er zu einer Konferenz in Istanbul im Juni 2013 eingeladen worden sei. Auf den vorgelegten Bildern sei der BF1 neben XXXX ( XXXX ) zu sehen. Der BF1 sei zu dieser Veranstaltung eingeladen worden, weil die XXXX Verwaltungspersonal gesucht habe. Auch sei der BF1 zu einer Tagung in XXXX im Mai 2014 eingeladen worden. Mit dieser Einladung sei eine Anfrage an den BF1 gerichtet worden, ob er bereit wäre, in der lokalen Verwaltung in XXXX einen Posten als (Verwaltungs-)Direktor zu übernehmen.

I.19.   Am 20.09.2019 teilte das Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres mit, dass der BF1 in Griechenland wegen Schlepperei verhaftet worden sei. Demnach sei der BF1 am 14.09.2019 am XXXX von Polizeibeamten beobachtet worden, wie er versucht habe, vier Personen dabei zu unterstützen, Griechenland mit dem XXXX der Fluglinie XXXX nach XXXX mit gefälschten Dokumenten zu verlassen. Der BF1 sei am 19.09.2019 dem Untersuchungsrichter vorgeführt worden. Die in Griechenland aus der Türkei illegal eingereisten vier Personen seien abgeschoben worden. Nach der Einvernahme durch den Untersuchungsrichter sei über den BF1 ein Ausreiseverbot verhängt worden. Weiters sei angeordnet worden, dass sich der BF1 jeden 1. und 15. des Monats bis zur Festlegung eines Gerichtstermins bei der zuständigen Polizeistation zu melden habe.

I.20.   Am 25.03.2020 erfolgte eine Anfrage des BVwG an den Vertreter der BF. Der Vertreter wurde aufgefordert bekanntzugeben, wann er zuletzt Kontakt zu den BF gehabt habe, wo sich die BF zurzeit in Österreich aufhalten und ob dem Vertreter etwas über den Ausgang des Strafverfahrens betreffend den BF1 in Griechenland bekannt sei (Gerichtsakt des BF1, OZ 9). Diese Aufforderung zur Stellungnahme des BVwG blieb in der Folge unbeantwortet.

I.21.   Im Zuge einer Anfrage des BVwG teilte die Österreichische Botschaft in Athen am 29.09.2020 mit, dass entgegen der Anordnung des Untersuchungsgerichtes des Landesgerichts XXXX der BF1 nie in der Polizeistation XXXX , XXXX , erschienen sei. Zudem bestehe nach wie vor ein Ausreiseverbot der Polizeidirektion XXXX vom 22.09.2019 bis 19.09.2039.

I.22.   Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 29.09.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF1, die BF2 und der BF5 im Beisein ihres bevollmächtigten Vertreters persönlich teilnahmen. Ein Vertreter der bB nahm an der Verhandlung nicht teil.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1.   Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

II.1.1. Zum sozialen Hintergrund der BF:

II.1.1.1. Zum sozialen Hintergrund des BF1:

Der BF1 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF1 ist Arabisch.

Der BF1 wurde nach seinen Angaben im Ort XXXX („ XXXX “), im Gouvernement Aleppo geboren. Es kann nicht festgestellt werden, wo und wann sich der BF1 durchgehend in Syrien bzw. bis zu seiner Einreise in Österreich aufgehalten hat. Es kann nicht festgestellt werden, wann der BF1 aus Syrien ausgereist ist. Der BF1 hat am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt.

Die Herkunftsregion des BF1 ist XXXX , XXXX .

Der BF1 ist im erwerbsfähigen Alter und leidet an keiner ernsthaften Krankheit. Der BF1 hat Probleme mit der Haut und leidet an Rheuma.

Der BF1 hat in Syrien 12 Jahre die Schule besucht und hat die Schule mit Matura abgeschlossen. Er hat seit Anfang 2003 bis zum 26.06.2005 seinen Wehrdienst geleistet. Danach hat er eine Ausbildung zum Dekorateur gemacht. Er hat in einem Bekleidungsgeschäft seines Onkels gearbeitet und war zuletzt in einem Reisebüro beschäftigt.

Der BF1 verfügt in Syrien über eine Wohnung, die nicht fertig geworden ist. Er war in der Lage, sich selbst zu versorgen und für den Lebensunterhalt seiner Familie zu sorgen.

Der BF1 ist seit XXXX mit der BF2 verheiratet und hat drei Söhne (BF3, BF4 und BF5). Die Eltern des BF1 leben in der Stadt XXXX , im Gouvernement Aleppo. Die Familie des BF1 verfügt über kein Vermögen und die wirtschaftliche Lage ist schlecht. Der BF1 hat einen Bruder, der in Aleppo wohnt, und vier verheiratete Schwestern, die in der Türkei aufhältig sind. Zwei Brüder des BF1 sind bereits verstorben und weitere zwei Brüder des BF1 leben in Österreich, wobei einer der in Österreich lebenden Brüder namens XXXX sich in Haft befindet. Zudem hat der BF1 zwei Cousins, die sich in Deutschland befinden. Der BF1 hat in Syrien Tanten und Onkel sowohl mütterlicherseits als auch väterlicherseits.

Der BF1 hat Kontakt zu seinen Eltern.

Der BF1 ist derzeit strafgerichtlich unbescholten. Er wurde beim Landesgericht XXXX , in Griechenland wegen des Verdachtes auf Schlepperei angeklagt und es wurde über ihn deswegen ein Ausreiseverbot verhängt. Außerdem erging an ihn die Anordnung, dass er sich jeden 1. und 15. des Monats bis zur Festlegung eines Gerichtstermins beim zuständigen Staatsanwalt zu melden habe. Der BF1 ist diesen Auflagen des Landesgerichtes XXXX nicht nachgekommen. Der BF1 ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft, hatte keine Probleme mit Behörden und war politisch nicht aktiv.

Es wird festgestellt, dass der BF1 persönlich nicht glaubwürdig ist.

II.1.1.2. Zum sozialen Hintergrund der BF2:

Die BF2 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehörige der Arabischen Republik Syrien, Angehörige der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der BF2 ist Arabisch.

Die BF2 wurde in der Stadt XXXX , im Gouvernement Raqqa geboren. Es kann nicht festgestellt werden, wo und wann sich die BF2 durchgehend in Syrien bzw. bis zu ihrer Einreise in Österreich aufgehalten hat. Es kann nicht festgestellt werden, wann die BF2 aus Syrien ausgereist ist. Die BF2 hat am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt.

Die Herkunftsregion der BF2 ist XXXX , XXXX .

Sie ist im erwerbsfähigen Alter und gesund.

Die BF2 ging in Syrien in die Schule. Nach dem Tod ihres Vaters hat sie zuhause auf ihre Geschwister aufgepasst, während ihre Mutter gearbeitet und für sie gesorgt hat. Die BF2 hat bisher nicht gearbeitet und verfügt über kein Vermögen. Sie war nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen.

Die BF2 heiratete am XXXX in XXXX den BF1 und hat drei Söhne (BF3, BF4 und BF5). Die Familie der BF2, bestehend aus ihrer Mutter, zwei Brüdern und einer Schwester, lebt in der Türkei. Ihre Mutter und ihre Brüder arbeiten dort in einem Restaurant und ihre wirtschaftliche Lage ist schlecht. Ihre verheiratete Schwester ist Hausfrau und deren wirtschaftliche Situation durchschnittlich. Die Familie der BF2 verfügt über ein Haus in Syrien. Die Verwandten väterlicherseits leben in der Türkei. Die BF2 hat in Syrien die Großmutter und einen Onkel mütterlicherseits. In Österreich verfügt sie über keine Familienangehörige.

Die BF2 hat Kontakt zu ihrer Großmutter mütterlicherseits in Syrien und zu ihrer Familie in der Türkei.

Die BF2 ist strafgerichtlich unbescholten. Nach ihren eigenen Angaben ist sie in ihrem Herkunftsstaat nicht vorbestraft, hatte keine Probleme mit Behörden und war politisch nicht aktiv.

Es wird festgestellt, dass die BF2 persönlich nicht glaubwürdig ist.

II.1.1.3. Zum sozialen Hintergrund des BF3:

Der BF3 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF3 ist Arabisch.

Der BF3 wurde in der Nähe der Stadt Aleppo, im Gouvernement Aleppo geboren. Es kann nicht festgestellt werden, wo und wann sich der BF3 durchgehend in Syrien bzw. bis zu seiner Einreise in Österreich aufgehalten hat. Er ist gemeinsam mit seiner Mutter, der BF2, aus Syrien ausgereist. Es kann nicht festgestellt werden, wann der BF3 aus Syrien ausgereist ist. Er hat durch seine Mutter als gesetzliche Vertreterin am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich gestellt.

Der BF3 ist gesund.

In seinem Herkunftsstaat besuchte der BF3 keine Schule. Der BF3 verfügt über kein Vermögen. Er wurde in Syrien von seinen Eltern (BF1 und BF2) versorgt.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF3 Kontakt zu Familienangehörigen, Freunden oder sonstigen Personen in Syrien hat.

Der BF3 ist strafgerichtlich unbescholten. Er ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft, hatte keine Probleme mit Behörden und war politisch nicht aktiv.

II.1.1.4. Zum sozialen Hintergrund des BF4:

Der BF4 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF4 ist Arabisch.

Der BF4 wurde in XXXX , in Österreich geboren und lebt seit seiner Geburt in Österreich. Er ist daher nie in Syrien gewesen. Am XXXX stellte die Mutter, die BF2, für den BF4 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF4 ist gesund.

Der BF4 ist strafgerichtlich unbescholten.

II.1.1.5. Zum sozialen Hintergrund des BF5:

Der BF5 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Arabischen Republik Syrien, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF5 ist Arabisch.

Der BF5 wurde in XXXX , in Österreich geboren und lebt seit seiner Geburt in Österreich. Er ist daher nie in Syrien gewesen. Am XXXX stellte der Vater, der BF1, für den BF5 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF5 ist gesund. Er hat am rechten Unterarm eine Verbrennung erlitten. Er wurde deswegen operiert und war sechs Monate im Spital aufhältig.

Der BF5 ist strafgerichtlich unbescholten.

II.1.2. Zu den Fluchtgründen der BF:

Die Herkunftsregion der BF in der Umgebung („ XXXX “) der Stadt Aleppo, im Gouvernement Aleppo wird von der syrischen Regierung kontrolliert.

Die BF haben wegen des Krieges ihr Herkunftsland verlassen.

Dem BF1 droht in Syrien bei einer nunmehrigen Rückkehr die reale Gefahr, als Reservist zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden und er ist im Zusammenhang mit der Einziehung, der Ableistung und der Verweigerung des Militärdienstes der Gefahr erheblicher Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.

In ihrem Heimatland sind die BF nie wegen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Volksgruppe oder wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt worden. Der BF1 und die BF2 haben nie gekämpft und sind auch selbst niemals Mitglieder einer bewaffneten Gruppe gewesen.

Es wird festgestellt, dass der BF1 keine kritischen Äußerungen über das Regime öffentlich – etwa im Internet oder in Interviews – getätigt hat und auch keine Filmaufnahmen über Demonstrationen veröffentlicht hat. Der BF1 hat in Syrien nicht an politischen Demonstrationen teilgenommen und hat solche auch nicht vorbereitet. Festgestellt wird, dass er in seiner Heimat weder von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht wurde und dass er niemals von den Behörden angehalten, festgenommen oder verhaftet wurde bzw. nie Probleme mit den Behörden hatte. Er war kein Mitglied einer Oppositionspartei. Der BF1 war und ist somit wegen seiner oppositionellen Haltung keiner konkreten individuellen Verfolgung oder Bedrohung in Syrien ausgesetzt.

Ferner wird festgestellt, dass den BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückkehr nach Syrien eine Verfolgung und Verhaftung durch das syrische Regime aufgrund der exilpolitischen Aktivitäten des BF1 im Bundesgebiet droht.

Es wird festgestellt, dass keine konkreten, persönlichen Umstände im Verfahren hervorgekommen sind, dass die BF als tatsächliche oder vermeintliche Gegner der Regierung wahrgenommen werden. Daher droht den BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit, im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien aufgrund (unterstellter) oppositioneller Gesinnung Repressalien ausgesetzt zu sein.

Des Weiteren wird festgestellt, dass der BF1 weder in Syrien noch in der Türkei bei Hilfsorganisationen mitgearbeitet hat. Daher droht den BF in Syrien aufgrund der Beschäftigung des BF1 keine reale Gefahr einer Bedrohung bzw. Verfolgung.

Festgestellt wird, dass der BF1 keine Familienangehörige hat, die Mitglieder des IS sind. Die BF waren keiner Bedrohung bzw. Verfolgung seitens ihrer Familienangehörigen bzw. Mitgliedern des IS ausgesetzt und haben eine solche Bedrohung bzw. Verfolgung bei einer Rückkehr auch nicht zu befürchten.

Die BF2 wäre im Herkunftsstaat allein aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Die BF2 ist nicht als alleinstehende Frau anzusehen, da sie bei einer allfälligen Rückkehr im Familienverband nicht ohne männlichen Schutz wäre.

Die BF2 und der BF3 sind illegal ausgereist. Es wird festgestellt, dass die BF2 und der BF3 wegen ihrer illegalen Ausreise nicht bedroht oder verfolgt wurden und dass sie eine Bedrohung oder Verfolgung wegen ihrer illegalen Ausreise im Falle einer Rückkehr nicht zu befürchten hätten. Dies gilt auch für die Asylantragstellung der BF im Ausland.

Festgestellt wird, dass aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage in Syrien eine konkrete Bedrohung bzw. Verfolgung der BF nicht abgeleitet werden kann.

II.1.3. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

II.1.3.1. Sicherheitslage (LIB, Punkt 2):

Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention des Iran in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden. Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der „wichtigsten“ Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt.

Am Beginn des Jahres 2019 sind noch drei größere Gebiete außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung: die Provinz Idlib und angrenzende Gebiete im Westen der Provinz Aleppo und Norden der Provinz Hama; die Gebiete im Norden und Osten Syriens, die unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) stehen; außerdem die Konfliktschutzzone (de-confliction zone) bei Tanf in Homs bzw. in der Nähe des Rukban Flüchtlingslagers.

Trotz weitreichender militärischer Erfolge des syrischen Regimes und seiner Unterstützer sind Teile Syriens noch immer von Kampfhandlungen betroffen, allen voran die Provinzen Idlib, Teile Aleppos, Raqqas und Deir ez-Zours.

Laut UNMAS (United Nations Mine Action Service) sind 43% der besiedelten Gebiete Syriens mit Mienen und Fundmunition kontaminiert. Es kommt immer wieder zu Zwischenfällen mit derartigen Hinterlassenschaften des bewaffneten Konfliktes zum Beispiel im Osten der Stadt Aleppo, Ost-Ghouta und im Osten Hamas.

Der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak. Ende März 2019 wurde mit Baghuz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen „Syrian Democratic Forces“ erobert. Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten. Schläferzellen des IS sind sowohl im Irak als auch in Syrien weiterhin aktiv. Gegenwärtig sollen im Untergrund mehr als 20.000 IS-Kämpfer auf eine Gelegenheit zur Rückkehr warten.

US-Präsident Donald Trump kündigte im Dezember 2018 an, alle 2.000 US-Soldaten aus Syrien abziehen zu wollen. Nachdem Trump Anfang Oktober 2019 erneut ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9. Oktober 2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Durch den Abzug der US-Streitkräfte aus Nordsyrien und die türkische Offensive und damit einhergehende Schwächung der kurdischen Sicherheitskräfte wird ein Wiedererstarken des IS befürchtet.

Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen, für die einzelnen Monate des Jahres 2018 finden sich deren Daten in der unten befindlichen Grafik. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von „Massakern“, bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind.

Laut SNHR wurden im Jahr 2018 6964 Zivilisten und im Jahr 2019 bis August 2564 Zivilisten getötet.

II.1.3.1.1. Nordwestsyrien (LIB, Punkt 2.2):

Die Provinz Idlib im Nordwesten Syriens ist seit den Anfängen des Konfliktes eine Oppositionshochburg. Im März 2015 übernahmen oppositionelle Gruppierungen die Kontrolle über die Provinz.

Anfang Januar 2019 drängte die Jihadistenallianz Hay‘at Tahrir al-Sham (HTS) die protürkische National Liberation Front (NLF) zurück und übernahm die Kontrolle über die Provinz Idlib und die Randgebiete angrenzender Provinzen.

Im Mai 2017 wurde durch eine Vereinbarung zwischen Russland und Iran (als Verbündete des syrischen Regimes) einerseits, und der Türkei (als Unterstützer der Rebellen) andererseits, eine Deeskalationszone eingerichtet, die ganz Idlib sowie auch Teile der Provinzen Lattakia, Aleppo und Hama umfasste. Einheiten der syrischen Regierung führen jedoch trotz dieser Vereinbarung militärische Operationen in diesem Gebiet durch, und eroberten bis Mitte 2018 etwa die Hälfte dieser Deeskalationszone zurück. Anfang September 2018 erfolgte eine neue Welle von Luftangriffen auf die Provinz Idlib. Russland und Iran bekräftigten ihre Absicht, gemeinsam mit der syrischen Regierung in Idlib anzugreifen. Die Türkei stellte sich dagegen. Mitte September einigten sich die Türkei und Russland auf die Schaffung einer entmilitarisierten Zone in Idlib. Es wurde verhandelt, dass diese 15 bis 20 Kilometer breit sein soll, schwere Waffen abgezogen werden und Kämpfer der radikal-islamistischen HTS die Zone verlassen sollen. Die Schaffung der Zone sollte bis Mitte Oktober abgeschlossen sein. Die Türkei war mit der Sicherstellung des Abzugs der Rebellen und schwerer Waffen betraut. So konnte die Vereinbarung zwischen Russland und der Türkei die befürchtete Regimeoffensive auf Idlib vorerst abwenden. Trotz anfänglicher Zurückhaltung konnte die Türkei bis Oktober 2018 den schrittweisen Abzug schwerer Waffen in die Wege leiten und erklärte die entmilitarisierte Zone für errichtet. Im November flammten jedoch die Konflikte zwischen regierungstreuen Einheiten und HTS wieder auf.

Im Februar 2019 kam es zu erneuten Luftangriffen der syrischen Regierung im Großraum Idlib und im März 2019 erstmals seit September 2018 wieder zu russischen Luftangriffen auf die Provinz Idlib. Im Mai 2019 weiteten die russische Luftwaffe und syrische Regierungstruppen ihre Boden- und Luftangriffe auf Idlib und Nord-Hama massiv aus. Seit Beginn der Kämpfe bis Juni 2019 wurden laut Vereinten Nationen geschätzte 330.000 Personen vertrieben und etwa 2.000 Personen, darunter 532 Zivilisten, wurden auf beiden Seiten des Konfliktes getötet. Mehrere Gesundheitseinrichtungen wurden zum Ziel von Angriffen.

Auf Grund der erwähnten militärischen Auseinandersetzungen in und um Idlib ist die Sicherheitssituation im Nordwesten laut Auskunft der ÖB Damaskus sehr schwierig. In der Stadt Aleppo selbst hat sich die Sicherheitslage auf Grund des Spillover des Konfliktes in Idlib wieder verschlechtert; es kommt vermehrt zu Artilleriebeschuss, der den westlichen Teil der Stadt tangiert. Neben politisch motivierten Verhaftungen durch die HTS kommt es in den Regionen Idlib und Aleppo auch zu Entführungen mit Lösegeldforderungen durch bewaffnete Gruppen. Auch in der türkisch kontrollierten Grenzregion kommt es zu Anschlägen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) auf türkische Streitkräfte bzw. mit ihnen alliierte Milizen.

II.1.3.1.2. Türkische Militäroperationen in Nordsyrien (LIB, Punkt 2.3):

Seit August 2016 ist die Türkei im Rahmen der Operation „Euphrates Shield“ in Syrien aktiv. Die Operation zielte auf zum damaligen Zeitpunkt vom Islamischen Staat (IS) gehaltene Gebiete, sollte jedoch auch dazu dienen, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) davon abzuhalten ein autonomes Gebiet entlang der syrisch-türkischen Grenze zu errichten. Die Türkei sieht die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) und die YPG als Bedrohung der türkischen Sicherheit.

Am 20.1.2018 begann eine Offensive der Türkei gegen die kurdisch kontrollierte Stadt Afrin. Die Operation „Olivenzweig“ begann mit Artillerie- und Luftangriffen auf Stellungen der YPG in der Region Afrin, denen eine Bodenoffensive folgte. Im März 2018 nahmen Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee (FSA) Afrin ein. Bis März 2018 hatte die türkische Offensive Berichten zufolge den Tod Dutzender Zivilisten und laut den Vereinten Nationen die Vertreibung Zehntausender zur Folge. Von der Türkei unterstützte bewaffnete Gruppierungen, die mit der FSA in Zusammenhang stehen, beschlagnahmten, zerstörten und plünderten das Eigentum kurdischer Zivilisten in Afrin. Seit der Offensive regiert in Afrin ein Mosaik von türkisch-unterstützten zivilen Institutionen und unterschiedlichsten Rebelleneinheiten, die anfällig für innere Machtkämpfe sind. Von der Unabhängigen Untersuchungskommission für Syrien des UN-Menschenrechtsrates wird die Sicherheitslage in der Gegend von Afrin als prekär bezeichnet.

Nachdem US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober 2019 ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9. Oktober eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens. Im Zuge dessen riefen die kurdischen Behörden eine Generalmobilisierung aus. Einerseits will die Türkei mit Hilfe der Offensive die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) und die von der YPG geführten Syrian Democratic Forces (SDF) aus der Grenzregion zur Türkei vertreiben, andererseits ist das Ziel der Offensive einen Gebietsstreifen entlang der Grenze auf syrischer Seite zu kontrollieren, in dem rund 2 der ungefähr 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben, angesiedelt werden sollen. Nach etwa einer Woche waren die US-Streitkräfte aus Nordsyrien abgezogen. Den Vereinten Nationen zufolge wurden ebenfalls innerhalb einer Woche bis zu 160.000 Menschen durch die Offensive vertrieben und es kam zu vielen Todesfällen. Aufgrund der Offensive gibt es Befürchtungen, dass es aufgrund der Offensive zu einem Wiedererstarken des sogenannten Islamischen Staates (IS) kommt. Medienberichten zufolge seien in dem Gefangenenlager Ain Issa 785 ausländische IS-Sympathisanten auf das Wachpersonal losgegangen und geflohen. Nach dem Beginn der Operation kam es außerdem zu einem Angriff durch IS-Schläferzellen auf die Stadt Raqqa. Die geplante Eroberung des Hauptquartiers der syrisch-kurdischen Sicherheitskräfte gelang den Islamisten jedoch nicht.

Die syrische Armee von Präsident Bashar al-Assad ist nach einer Einigung mit den SDF am 14. Oktober in mehrere Grenzstädte eingerückt, um sich der „türkischen Aggression“ entgegenzustellen, wie Staatsmedien berichten. Laut der Vereinbarung übernehmen die Einheiten der syrischen Regierung in einigen Grenzstädten die Sicherheitsfunktionen, die Administration soll aber weiterhin in kurdischer Hand sein.

II.1.3.1.3. Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien (LIB, Punkt 2.4):

Seit Mai 2018 hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den von der Regierung kontrollierten Gebieten Syriens, darunter finden sich auch die wichtigsten Städte wie Lattakia, Homs, Hama, Tartous und Damaskus, deutlich verbessert. Im Allgemeinen kam es im Vergleich mit den Zahlen vor Juli 2018 zu einem signifikanten Rückgang der militärischen Auseinandersetzungen und der sicherheitsrelevanten Vorfälle in von der Regierung kontrollierten Gebieten. Die Situation bleibt in einigen Gegenden jedoch angespannt, wie im Osten der Provinz Lattakia, im Westen der Provinz Aleppo und im Norden der Provinz Hama. In Bezug auf die Art der sicherheitsrelevanten Vorfälle gibt es Berichte von Beschuss, bewaffneten Zusammenstößen, Entführungen sowie Explosionen von Kampfmittelresten.

Die Küstenregion wurde im Großen und Ganzen vom militärischen Konflikt verschont. Der Norden sieht sich gleichwohl mit einem gelegentlichen „Spillover“ von Idlib aus konfrontiert. So gibt es aktuell im ländlichen Lattakia Auseinandersetzungen zwischen syrischer Armee und Rebellen. In den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus und Homs stellt sich die Sicherheitslage als relativ stabil dar, auch wenn es immer wieder zu gezielten Anschlägen zumeist auf regierungsnahe Personen kommt.

Die Regierung besitzt nicht die nötigen Kapazitäten, um alle von ihr gehaltenen Gebiete auch tatsächlich zu kontrollieren. Daher greift die Regierung auf unterschiedliche Milizen zurück, um manche Gegenden und Checkpoints in Aleppo, Lattakia, Tartous, Hama, Homs und Deir ez-Zour zu kontrollieren. Es gibt auch Berichte, wonach es in einigen Gebieten zu Zusammenstößen sowohl zwischen den unterschiedlichen Pro-Regierungs-Milizen als auch zwischen diesen und Regierungstruppen gekommen ist.

In den ersten Monaten des Jahres 2018 erlebte Ost-Ghouta, nahe der Hauptstadt Damaskus, die heftigste Angriffswelle der Regierung seit Beginn des Bürgerkrieges. Mitte April 2018 wurde die Militäroffensive der syrischen Armee auf die Rebellenenklave von Seiten der russischen Behörden und der syrischen Streitkräfte für beendet erklärt. Ende Mai 2018 zogen sich die letzten Rebellen aus dem Großraum Damaskus zurück, wodurch die Hauptstadt und ihre Umgebung erstmals wieder in ihrer Gesamtheit unter der Kontrolle der Regierung standen. Seitdem hat sich die Sicherheitslage in Damaskus und Damaskus-Umland deutlich verbessert. Im Januar kam es zu zwei Bombenanschlägen in Damaskus Stadt. Einem in der Nähe eines Büros des Militärischen Nachrichtendienstes im Süden mit mehreren Todesopfern, und einem mittels einer Autobombe in der Nähe der russischen Botschaft mit Verletzten. Einer internationalen humanitären Organisation zufolge ist es weniger wahrscheinlich, dass Angriffe dieser Art in Damaskus (im Gegensatz zu anderen großen Städten) passieren, weil die Hauptstadt durch Sicherheitskräfte schwer bewacht ist.

Seit 2012 führte Israel dutzende Luftschläge auf syrischem Staatsgebiet durch, hauptsächlich auf Orte oder Konvois in der Nähe der libanesischen Grenze, die mit Waffenlieferungen an die Hizbollah in Verbindung stehen, bzw. generell auf iranische Ziele und Ziele mit dem Iran verbündeter Milizen. Es soll etwa ein bis zweimal im Monat zu Angriffen der israelischen Luftwaffe auf Ziele in der Provinz Damaskus kommen. Bis Ende Januar 2019 äußerte sich die israelische Armee nicht oder nur selten und erst nach einiger Zeit über Spekulationen zu Luftangriffen auf syrischem Staatsgebiet, für die die israelische Armee verantwortlich sein soll. Ende Januar berichteten die israelischen Streitkräfte beinahe zeitgleich über einen Angriff auf iranische Ziele in Syrien. Laut dem pensionierten Generalstabsschef der israelischen Streitkräfte Gadi Eisenkot hätte Israel sogar tausende Luftangriffe durchgeführt. Seit 2017 soll es nahezu täglich zu israelischen Angriffen kommen. Im Jahr 2018 wurden demnach 2.000 Bomben abgeworfen. Syrischen Staatsmedien zufolge wurden Anfang Juli 2019, bei israelischen Luftangriffen nahe der Hauptstadt Damaskus und in der Provinz Homs, vier Zivilisten getötet und 21 Personen verletzt.

II.1.3.2. Rechtsschutz / Justizwesen (LIB, Punkt 3):

II.1.3.2.1. Gebiete unter der Kontrolle des syrischen Regimes (LIB, Punkt 3.1):

Das Justizsystem Syriens besteht aus Zivil-, Straf-, Militär-, Sicherheits- und religiösen Gerichten sowie einem Kassationsgericht. Gerichte für Personenstandsangelegenheiten regeln das Familienrecht. 2012 wurde in Syrien ein Anti-Terror-Gericht (Counter Terrorism Court – CTC) eingerichtet. Dieses soll Verhandlungen aufgrund „terroristischer Taten“ gegen Zivilisten und Militärpersonal führen, wobei die Definition von Terrorismus im entsprechenden Gesetz sehr weit gefasst ist. Verschiedene Organisationen kritisieren das Anti-Terror-Gericht (CTC) und die Militärgerichte wegen Mängeln bezüglich des fairen Verfahrens. Die Verhandlungen dauern angeblich oft nur wenige Minuten und enthalten als Beweise oft nur unter Folter erzwungene Geständnisse. Für die Militärgerichte gibt es keine Berufungsmöglichkeit und sie können die Bestellung eines Rechtsanwaltes verweigern.

Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Behörden üben auf die Gerichte jedoch oft politischen Einfluss aus. Staatsanwälte und Strafverteidiger sind oft Gegenstand von Einschüchterung und Misshandlung. Die Ergebnisse von Fällen mit politischem Kontext scheinen schon vorbestimmt zu sein. Das Recht auf ein öffentliches Verfahren ist in der Verfassung festgehalten, wird jedoch in der Praxis nicht respektiert. Regierungsbehörden verhafteten Zehntausende Menschen, u.a. Menschenrechtsaktivisten, Journalisten, religiöse Führer sowie Mitarbeiter von NGOs, Hilfsorganisationen und medizinischen Einrichtungen ohne diesen Zugang zu einem fairen öffentlichen Verfahren zu garantieren. Berichten zufolge werden Verdächtige auch ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) und für überlange Zeit festgehalten. Bei Vorwürfen, welche die nationale Sicherheit oder politische Vergehen betreffen, soll es häufig zu geheimen Verhaftungen kommen.

In Syrien vorherrschend und von langer Tradition ist eine Diskrepanz zwischen dem geschriebenen Recht und der Implementierung der Gesetze in der Praxis. Die in den letzten Jahren noch angewachsene und weit verbreitete Korruption hat diese Diskrepanz noch zusätzlich verstärkt. Das Justizsystem in Syrien kann nicht als unabhängig und transparent angesehen werden und steht unter der Kontrolle der Exekutivgewalt und ihrer Zweige. Das deutsche Auswärtige Amt beurteilte die Unabhängigkeit der syrischen Justiz bereits vor dem Aufstand als mangelhaft. Der Aufstand und der bewaffnete Konflikt in Syrien gehen mit massiver Repression, grassierender Korruption und einer Politisierung des Gerichtswesens durch die Regierung einher. Mittlerweile sind syrische Gerichte, ganz gleich ob Straf-, Zivil- oder Verwaltungsgerichtsbarkeit, korrupt, nicht unabhängig, und werden für politische Zwecke missbraucht. In keinem Teil Syriens gibt es Rechtssicherheit oder verlässlichen Schutz vor politischer Verfolgung, willkürlicher Verhaftung und Folter. Die Rechtsstaatlichkeit ist schwach ausgeprägt, wenn nicht mittlerweile gänzlich durch eine Situation der Straffreiheit untergraben, in der Angehörige von Sicherheitsdiensten ohne strafrechtliche Konsequenzen und ohne jegliche zivile Kontrolle operieren können. Generell ist die Willkür in Syrien seit dem Ausbruch des Konfliktes gestiegen.

Die Verwaltung, in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, arbeitet in Routineangelegenheiten mit einer gewissen Zuverlässigkeit, vor allem in Personenstandsangelegenheiten. Die religiösen Gerichte behandeln das Familien- und Personenstandsrecht und regeln Angelegenheiten wie Eheschließungen, Scheidungen, Erb- und Sorgerecht. Hierbei sind Scharia-Gerichte für sunnitische und schiitische Muslime zuständig. Drusen, Christen und Juden haben ihre eigenen gerichtlichen Strukturen. Für diese Gerichte gibt es auch eigene Berufungsgerichte. Manche Personenstandsgesetze wenden die Scharia unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Beteiligten an.

II.1.3.2.2. Gebiete außerhalb der Kontrolle des Regimes (LIB, Punkt 3.2):

In Gebieten außerhalb der Kontrolle des syrischen Regimes ist die Lage von Justiz und Verwaltung von Region zu Region und je nach den örtlichen Herrschaftsverhältnissen verschieden. In von oppositionellen Gruppen kontrollierten Gebieten wurden unterschiedlich konstituierte Gerichte und Haftanstalten aufgebaut, welche sich stark darin unterscheiden, wie sie organisiert sind und inwieweit sie sich an juristische Normen halten. Manche Gruppen folgen dem (syrischen) Strafgesetzbuch, andere folgen einem Entwurf eines Strafgesetzbuches auf Grundlage der Scharia, das von der Arabischen Liga aus dem Jahr 1996 stammt, während wiederum andere eine Mischung aus Gewohnheitsrecht und Scharia anwenden. Erfahrung, Expertise und Qualifikation der Richter in diesen Gebieten sind oft sehr unterschiedlich und häufig sind diese den Anordnungen der dominanten bewaffneten Gruppierungen unterworfen. Urteile von Scharia-Räten der Opposition resultieren manchmal in öffentlichen Hinrichtungen, ohne dass Angeklagte Berufung einlegen oder Besuch von ihren Familien erhalten könnten.

II.1.3.3. Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen (LIB, Punkt 4):

Die Regierung hat zwar die effektive Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und Staatssicherheitskräfte, nicht jedoch über ausländische und einheimische militärische oder paramilitärische Einheiten, z.B. russische Streitkräfte, Hisbollah, Islamische Revolutionsgarden und nicht uniformierte Milizen wie die National Defense Forces (NDF). Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von Verwandten oder engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen. Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden bleibt ein weit verbreitetes Problem. Das Generalkommando der Armee und der Streitkräfte kann im Fall von Verbrechen von Militäroffizieren, Mitgliedern der internen Sicherheitskräfte oder Zollpolizeioffizieren im Rahmen ihrer beruflichen Pflichten, einen Haftbefehl ausstellen. Solche Fälle müssen vor einem Militärgericht verhandelt werden. In der Praxis sind keine Fälle von Strafverfolgung oder Verurteilung von Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Misshandlung und Korruption bekannt. Die Sicherheitskräfte operieren unabhängig und im Allgemeinen außerhalb der Kontrolle des Justizwesens. Es gibt auch keine Berichte von Maßnahmen der Regierung, um die Einhaltung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu verbessern.

Russland, Iran, die libanesische Hizbollah und Einheiten mit irakischen Kämpfern unterstützen die syrische Regierung, unter anderem mit Einsätzen an der Seite der syrischen Streitkräfte.

Es ist schwierig Informationen über die Aktivitäten von spezifischen Regierungs- oder regierungstreuen Einheiten zu spezifischen Zeiten oder an spezifischen Orten zu finden, weil die Einheiten seit dem Beginn des Bürgerkrieges oft nach Einsätzen organisiert („task-organized“) sind oder aufgeteilt oder für spezielle Einsätze mit anderen Einheiten zusammengelegt werden. Berichte sprechen oft von einer speziellen Militäreinheit an einem bestimmten Einsatzort (z.B. einer Brigade) wobei die genannte Einheit aus Teilen mehrerer verschiedener Einheiten nur für diesen speziellen Einsatz oder eine gewisse Zeit zusammengesetzt wurde.

II.1.3.3.1. Streitkräfte (LIB, Punkt 4.1):

Die syrischen Streitkräfte bestehen aus dem Heer, der Marine, der Luftwaffe und den Geheimdiensten. Vor dem Konflikt soll die syrische Armee eine Mannstärke von geschätzt 295.000 Personen gehabt haben. Der Aufbau der syrischen Armee basiert auf dem sogenannten Quta‘a-System [arab. Sektor, Landstück]. Hierbei wird jeder Division (firqa) ein bestimmtes Gebiet (quta‘a) zugeteilt. Mit diesem System wurde in der Vergangenheit verhindert, dass Offiziere überlaufen. Gleichzeitig gab die Armee dem Divisionskommandeur für den Fall eines Zusammenbruchs der Kommunikation oder für Notfälle, freie Hand über dieses Gebiet. Gleichzeitig kann dadurch der Präsident den Einfluss einzelner Divisionskommandeure einschränken, indem er sie gegeneinander ausspielt. Im Zuge des Konfliktes hat das Regime loyale Einheiten in größere Einheiten eingegliedert, um eine bessere Kontrolle ausüben und ihre Effektivität im Kampf verbessern zu können.

II.1.3.3.2. Zivile und militärische Sicherheits- und Nachrichtendienste, Polizei (LIB, Punkt 4.2):

Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen. Das Innenministerium kontrolliert vier verschiedene Abteilungen der Polizei: Notrufpolizei, Verkehrspolizei, Nachbarschaftspolizei und Bereitschaftspolizei („riot police“).

Es gibt vier Hauptzweige der Sicherheits- und Nachrichtendienste: den Militärischen Nachrichtendienst, den Luftwaffennachrichtendienst, das Direktorat für Politische Sicherheit und das Allgemeine Nachrichtendienstdirektorat. Diese vier Dienste arbeiten unabhängig voneinander und größtenteils außerhalb des Justizsystems, überwachen einzelne Staatsbürger und unterdrücken oppositionelle Stimmen innerhalb Syriens. Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhöreinrichtungen, bei denen es sich de facto um weitgehend rechtsfreie Räume handelt. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle im Zuge des Konfliktes verteidigt oder sogar weiter ausgebaut. Vor 2011 war die vorrangige Aufgabe der Nachrichtendienste die syrische Bevölkerung zu überwachen. Seit dem Beginn des Konfliktes nutzte Assad den Sicherheitssektor, um die Kontrolle zu behalten. Diese Einheiten überwachten, verhafteten, folterten und exekutierten politische Gegner sowie friedliche Demonstranten. Um seine Kontrolle über die Sicherheitsdienste zu stärken, sorgte Assad künstlich für Feindschaft und Konkurrenz zwischen ihnen. Um die Loyalität zu sichern wurde einzelnen Behörden bzw. Beamten die Kontrolle über alle Bereiche des Staatswesens in einem bestimmten Gebiet überlassen, was für diese eine enorme Geldquelle darstellt.

Die Sicherheitskräfte nutzen eine Reihe an Techniken, um Bürger einzuschüchtern oder zur Kooperation zu bringen. Diese Techniken beinhalten im besten Fall Belohnungen, andererseits jedoch auch Zwangsmaßnahmen wie Reiseverbote, Überwachung, Schikanen von Individuen und/oder deren Familienmitgliedern, Verhaftungen, Verhöre oder die Androhung von Inhaftierung. Die Zivilgesellschaft und die Opposition in Syrien erhalten spezielle Aufmerksamkeit von den Sicherheitskräften, aber auch ganz im Allgemeinen müssen Gruppen und Individuen mit dem Druck der Sicherheitsbehörden umgehen.

Der Sicherheitssektor stellt die allgegenwärtige Kontrolle über die Gesellschaft (sowohl informell als auch formell) wieder her. Festnahmen und Inhaftierungen werden genutzt, um Informationen zu erhalten, jene, die als illoyal gesehen werden, zu bestrafen und um Geld für die Freilassung der Inhaftierten zu erpressen.

II.1.3.3.3. Volkskomitees, National Defence Forces, Viertes Korps, Fünftes Korps (LIB, Punkt 4.3):

Die National Defence Forces (NDF) sind eine Dachorganisation für verschiedene Pro-Regime-Milizen und wurden aus sogenannten Volkskomitees gegründet. Der Iran und die libanesische Hizbollah spielten eine wichtige Rolle bei der Gründung der NDF nach dem Vorbild der iranischen paramilitärischen Basij-Einheiten. Die NDF sind nicht Teil der syrischen Armee, aber offiziell als „Verbündete“, als legitime Institutionen anerkannt, die Waffen tragen dürfen und zudem operative und logistische Unterstützung durch die syrische Armee erhalten.

Die regierungstreuen Milizen stellen für die Regierung jedoch auch eine Konkurrenz dar, z.B. im Zusammenhang mit Rekrutierung, da die Milizen teilweise über bessere Finanzierung verfügen und somit höheren Sold bezahlen können. Manche der bewaffneten Gruppen kritisieren die syrische Regierung und ihre Geheimdienste auch vergleichsweise offen. Laut Expertenmeinungen wird die syrische Regierung diese Konkurrenz um Rekruten und Ressourcen nach Ende der Kampfhandlungen nicht mehr tolerieren.

Im Oktober 2015 wurde das sogenannte Vierte Korps (Fourth Storming Corps/Fourth Assault Corps) und im November 2016 das Fünfte Korps (Fifth Storming Corps/Fifth Assault Corps) gegründet. Ähnlich wie die NDF sollten auch diese beiden Einheiten Strukturen bieten, in denen regierungstreue Milizen integriert und so unter die Kontrolle der Regierung gebracht werden können. Zudem sollte das Fünfte Korps um freiwillige Rekruten werben. Rekruten können, ähnlich wie bei den NDF, ihren Wehrdienst anstatt in der regulären syrischen Armee, auch im Fünften Korps, ableisten.

II.1.3.3.4. Ausländische Kämpfer, bzw. Angehörige ausländischer Streitkräfte, auf Seiten des Regimes (LIB, Punkt 4.4):

Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Unterstützung mit fortschrittlichen Waffentechnologien, Spezialeinheiten und aus der Luft, sowie die ausgeweitete Bodenintervention des Iran konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden. Die iranische Koalition besteht aus iranischen Kämpfern (Teileinheiten aus dem Islamic Revolutionary Guard Corps und Mitgliedern der regulären iranischen Streitkräfte – sogenannte „Artesh“-Kämpfer) und ausländischen Kämpfern, darunter Pakistanis und Afghanen. Zudem unterstützt der Iran auch lokale paramilitärische Gruppen. Diese Koalition stellt einen überproportionalen Anteil der Infanterie, die in größeren Operationen auf Seiten der Regierung eingesetzt wird.

Die iranischen Offiziere unterstützen Einheiten der syrischen Armee, regierungstreue Milizen, die Hizbollah und irakische schiitische Milizen bei der Planung und Koordination von Einsätzen. Die afghanischen und pakistanischen Kämpfer werden von den iranischen Einheiten rekrutiert, ausgebildet, versorgt und ihre Führung im Kampf wird von iranischer Seite organisiert. Die Truppenstärke der afghanischen Fatemiyoun-Brigade, die seit Ende 2013 in Syrien eingesetzt wird, beläuft sich je nach Quelle auf 2.000-4.000 bzw. 6.000-10.000 Kämpfer. Die aus pakistanischen Kämpfern zusammengesetzte Einheit der Zainabiyoun-Brigade, die seit 2015 in Syrien eingesetzt wird, besitzt eine wahrscheinliche Truppenstärke von durchschnittlich unter 1.000 Kämpfern.

Hochrangige syrische Funktionäre erlebten durch die iranische und russische Dominanz einen Machtverlust, der wiederholt zu Spannungen in der iranisch-russisch-syrischen Militärkooperation führte. Im Zuge dessen kam es auch zu „Säuberungen, Exekutionen und Versetzungen“ von niederrangigen oder auch höherrangigen syrischen Offizieren, die sich gegen die Ausweitung des iranischen Einflusses wehrten.

II.1.3.4. Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung (LIB, Punkt 5.5):

Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Nichtsdestotrotz wenden die Sicherheitskräfte in Tausenden Fällen solche Praktiken an. Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet. Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen werden.

NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung soll hierbei auch auf Personen abzielen, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden. Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungsfeindlich wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren.

Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die UN Commission of Inquiry zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik. Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leerstehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festhalten werden. Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) an unbekannten Orten fest. Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dafür dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken.

In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen. Selten wird ein Häftling freigelassen. Unschuldige bleiben oft in Haft, um Geldsummen für ihre Freilassung zu erpressen oder um sie im Zuge eines „Freilassungsabkommens“ auszutauschen.

Seit Sommer 2018 werden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe wenig glaubwürdiger amtlich festgestellter natürlicher Todesursachen (Herzinfarkt, etc.). Berichte von ehemaligen Insassen sowie Menschenrechtsorganisationen benennen als häufigste Todesursachen Folter, Krankheit als Folge mangelnder Ernährung und Hygiene in den Einrichtungen und außergerichtliche Tötung. Die syrische Regierung übergibt die Überreste der Verstorbenen nicht an die Familien.

Mit Stand Dezember 2018 ist der Verbleib von 100.000 syrischen Gefangenen noch immer unbekannt. Laut Menschenrechtsgruppen und den Vereinten Nationen sind wahrscheinlich Tausende, wenn nicht Zehntausende davon umgekommen.

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind jedoch keine Neuerung der Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien.

Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen.

Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt. Opfer sind vor allem (vermutete) regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Zu den Bedingungen in den Hafteinrichtungen der verschiedenen regierungsfeindlichen Gruppen ist wenig bekannt, NGOs berichten von willkürlichen Verhaftungen, Folter und unmenschlicher Behandlung. Der IS bestrafte häufig Opfe

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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