Entscheidungsdatum
16.11.2020Norm
BFA-VG §18 Abs3Spruch
I422 2236772-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Ungarn, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2020, Zl. 11895109/191030095, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird insoweit stattgegeben, als das Aufenthaltsverbot auf drei Jahre herabgesetzt wird. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Verfahrensgegenstand ist die rechtzeitig erhobene Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 30.09.2020, Zl. 11895109/191030095. Mit diesem erließ die belangte Behörde aufgrund der Gewalttätigkeit des Beschwerdeführers und der daraus resultierenden strafgerichtlichen Verurteilungen gegen ihn ein sechsjähriges Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.) und erteilte ihm keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.). Zugleich erkannte die belangte Behörde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.).
Seine Beschwerde begründete der Beschwerdeführer im Wesentlichen damit, dass er sich seit beinahe zehn Jahren durchgehend im Bundesgebiet aufhalten würde und sein Lebensmittelpunkt somit im Bundesgebiet liege. Das Aufenthaltsverbot sei aufzuheben bzw. dessen Dauer zu reduzieren, da der Beschwerdeführer einsichtig, verbesserungswillig und auch verbesserungsfähig sei. Alle seine Tathandlungen habe er ausschließlich gegen seine Lebensgefährtin begangen. Da er mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin keine Beziehung mehr führen würde, sei nicht mehr von einer vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr für die Allgemeinheit auszugehen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der volljährige, ledige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Ungarn. Seine Identität steht fest.
Der Beschwerdeführer wurde in Ungarn geboren, wo er acht Jahre die Grundschule besuchte und anschließend eine dreijährige Ausbildung zum Kirschner absolvierte. In Ungarn lebt der 35jährige Sohn des Beschwerdeführers, zu dem seit zehn Jahren kein Kontakt mehr besteht.
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Er spricht Ungarisch und Deutsch.
Erstmals war der Beschwerdeführer von 16.03.2006 bis 10.06.2009 mit Hauptwohnsitz und von 05.05.2011 bis 29.04.2016 mit Nebenwohnsitz meldebehördlich im Bundesgebiet erfasst. Seit 29.04.2016 hält er sich durchgehend in Österreich auf. Er verfügt über eine am 04.09.2015 ausgestellte unbefristete Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer).
Der Beschwerdeführer war im Bundesgebiet ab Juli 2011 mit Unterbrechungen immer wieder als Arbeiter (zum Teil geringfügig) erwerbstätig und zwar von 27.07.2011 bis 24.02.2012, von 28.03. bis 20.09.2012, von 15.05.2013 bis 07.04.2014, von 13.02. bis 06.11.2015, von 29.04.2016 bis 22.05.2017, am 16.01.2020 (geringfügig) und zuletzt von 24.08.2020 bis zu seiner Festnahme am 05.11.2020. Zwischen den Erwerbstätigkeiten bezog er regelmäßig Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, so zwischen September 2012 und Mai 2013, zwischen April 2014 und April 2016, zwischen Mai 2017 und September 2019 und von Jänner 2020 bis August 2020.
Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über keine familiären und keine maßgeblichen privaten Beziehungen.
Der Beschwerdeführer wurde im Bundesgebiet insgesamt drei Mal strafgerichtlich verurteilt:
? Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 22.06.2011, XXXX wurde er wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten sowie einer dreijährigen Probezeit rechtskräftig verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer in Wien und anderen Orten Josef K[…] telefonisch durch die Äußerungen, er werde ihn finden, ihn umbringen und ihm den Kopf abschneiden; er solle ihn in Ruhe lassen, sonst bringe er ihn um; er werde ihm den Hals abschneiden, gefährlich bedroht hat, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen. Mildernd berücksichtigte das Strafgericht den bisher ordentlichen Lebenswandel des Beschwerdeführers, erschwerend hingegen das Zusammentreffen dreier Vergehen.
? Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 07.02.2012, XXXX wurde er wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat sowie einer dreijährigen Probezeit rechtskräftig verurteilt. Vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu XXXX sah das Gericht unter Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre ab. Die Verurteilung fußt auf der Tatsache, dass der Beschwerdeführer am 19.09.2011 in Wien Andrea K […] am Körper verletzt hat, indem er ihr einen Schlag mit der flachen Hand auf die Nase versetzte, wodurch diese eine Nasenprellung sowie eine Prellung der linken Gesichtshälfte erlitten hat. Das Geständnis und die einschlägige Vorstrafe wurden im Rahmen der Strafbemessung berücksichtigt.
? Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 07.01.2020, XXXX wurde er wegen der Verbrechen der schweren Körperverletzung gemäß §§ 15, 84 Abs. 4 StGB sowie des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit gemäß § 89 StGB zu einer zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 15 Monate bedingt, sowie einer dreijährigen Probezeit rechtskräftig verurteilt. Grundlage für die Verurteilung ist die Tatsache, dass der Beschwerdeführer am 13.09.2019 in Wien versucht hat
Elvedin D[…] schwer am Körper zu verletzen, indem er mit einem 40 cm langen Küchenmesser mehrmals gegen ihn einstach, wodurch dieser Schnittwunden am linken Ellenbogen, an der rechten Schulter sowie am ersten Finger der rechten Hand erlitt;
Elevedin D[…], Andrea K[…] und Karoline K[…] schwer am Körper zu verletzen, indem er aus dem Fenster im dritten Stock Flaschen und Gläser nach diesen warf, diese jedoch verfehlte;
und vorsätzlich eine Gefahr für die Gesundheit des Tayfun G[…] herbeigeführt hat, indem er diesen bei der zuvor genannten Handlung nur knapp verfehlte.
Den bisher ordentlichen Lebenswandel, die zumindest teilweise geständige Verantwortung und den teilweisen Versuch wertete das Strafgericht als mildernd, als erschwerend hingegen das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit einem Vergehen.
Die erlittene Vorhaft vom 13.09.2019 bis 07.01.2020 wurde auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet und der Beschwerdeführer noch am selben Tag enthaftet.
Aufgrund des strafrechtlich relevanten Verhaltens des Beschwerdeführers leitete die belangte Behörde ein Verfahren zur Beendigung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet und der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ein. Im Zuge dessen forderte sie ihn mit Schreiben vom 10.10.2019 auf, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zu äußern und konkrete Fragen zu seinen persönlichen Verhältnissen zu beantworten. Der Beschwerdeführer erstattete am 18.10.2019 eine entsprechende Stellungnahme.
Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 30.09.2020 wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen, ihm kein Durchsetzungsaufschub erteilt und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer am 14.10.2020 über den Landweg nach Ungarn abgeschoben.
Am 17.10.2020 reiste der Beschwerdeführer erneut in das Bundesgebiet ein, wo er am 05.11.2020 im Zug einer Personenkontrolle angehalten, in Schubhaft genommen und gegen ihn eine Anzeige nach § 120 Abs. 1a FPG erstattet wurde. Am 07.11.2020 wurde der Beschwerdeführer abermals auf dem Landweg nach Ungarn abgeschoben.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid, in die schriftliche Stellungnahme vom 18.10.2019 und in den Beschwerdeschriftsatz des Beschwerdeführers. Ergänzend wurde Einsicht genommen in die im Verwaltungsakt einliegenden Ausfertigungen der Urteile des Landesgerichtes XXXX vom 22.06.2011, XXXX , des Bezirksgerichtes XXXX vom 07.02.2012, XXXX und des Landesgerichtes XXXX vom 07.01.2020, XXXX . Zudem wurden zur Entscheidung auch die Auszüge aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Strafregister der Republik Österreich sowie der Sozialversicherung (AJ-WEB) eingeholt.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellung zur Person des Beschwerdeführers, insbesondere seiner Volljährigkeit, seinem Familienstand und seiner Staatsangehörigkeit gründen aus der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt. Die Identität des Beschwerdeführers ist durch die Verifizierung seitens der österreichischen Strafbehörden und der Justiz sowie die im Akt einliegende Kopie seines ungarischen Personalausweises belegt.
Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer in Ungarn geboren wurde, er dort acht Jahre die Grundschule besuchte und anschließend eine dreijährige Ausbildung zum Kirschner absolvierte, ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der schriftlichen Stellungnahme. Die Feststellung zum in Ungarn lebenden Sohn des Beschwerdeführers und zum fehlenden Kontakt zu diesem, gründet auf den plausiblen Angaben des Beschwerdeführers im Beschwerdeschriftsatz. Die Feststellung zu seinem Gesundheitszustand war mangels gegenteiligem Vorbringen im Beschwerdeschriftsatz zu treffen. Die Feststellung zur Arbeitsfähigkeit gründet aus dem Vorbringen in der Beschwerde, wonach der Beschwerdeführer aktuell erwerbstätig ist. Dass er Ungarisch spricht, ergibt sich aufgrund seiner Herkunft. Dass er auch Deutsch spricht, ist aufgrund seines mehrjährigen Aufenthaltes und seiner Erwerbstätigkeit in Österreich anzunehmen.
Die Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich und zu seinen Wohnsitzmeldungen gründen auf der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und den eingeholten Auszug aus dem ZMR. Dass er über eine Anmeldebescheinigung verfügt ist aus dem eingeholten Auszug aus dem IZR ersichtlich. Die Feststellungen zur Verhaftung am 05.11.2020 und den beiden Abschiebungen nach Ungarn gründen auf dem im Akt einliegenden Anhalteprotokoll und der entsprechenden Eintragung im IZR bzw. Meldungen der belangten Behörde.
Die Feststellungen zu den Erwerbstätigkeiten und zum Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung gründen auf der Einsichtnahme in den eingeholten Auszug aus dem AJ-WEB.
Der Beschwerdeführer brachte in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 18.10.2019 zunächst vor, in Österreich eine Lebensgemeinschaft zu führen. Im Beschwerdeschriftsatz wurde vorgebracht, dass er sich nun von seiner Lebensgefährtin getrennt habe. In Zusammenschau mit dem Fehlen von Anhaltspunkten auf weiterer Familienmitglieder, war daher die dementsprechende Feststellung zu treffen. Hinweise auf sonstige berücksichtigungswürdige Anknüpfungspunkte in privater Hinsicht haben sich nicht ergeben.
Die Feststellungen zum strafrechtlich relevanten Verhalten, seinen Verurteilungen, den Strafbemessungsgründen und der erlittenen Vorhaft von 13.09.2019 bis 07.01.2020, ergeben sich aus der Einsichtnahme in das österreichische Strafregister sowie aus dem im Akt einliegenden Strafurteilen zu XXXX .
Aus dem Verwaltungsakt gründen die Feststellungen zum fremdenpolizeilichen Verfahren des Beschwerdeführers und der beabsichtigten Beendigung seines Aufenthaltes im Bundesgebiet und der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes aufgrund seines strafrechtlich relevanten Verhaltens. Der verfahrensgegenständliche Bescheid vom 30.09.2020, Zl. 11895109/191030095 liegt im Verwaltungsakt ein.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Teilweise Stattgabe der Beschwerde:
3.1. Zum Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
3.1.1. Rechtslage:
Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.
Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).
3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Der Beschwerdeführer ist ungarischer Staatsangehöriger und somit EWR-Bürger im Sinne des EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.
Eine Aufenthaltsdauer von zehn Jahren weist der Beschwerdeführer im Bundesgebiet nicht auf. Allerdings hat er sich bereits vor seiner jüngsten Hauptwohnsitzmeldung am 29.04.2016 regelmäßig in Österreich aufgehalten, ist hier regelmäßigen Beschäftigungen nachgegangen und wurde ihm bereits am 04.09.2015 eine unbefristete Anmeldebescheinigung ausgestellt, weshalb der Beschwerdeführer das Recht auf Daueraufenthalt gemäß § 53a NAG erworben hat.
Hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, ist nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie entspricht, heranzuziehen (vgl. VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181; VwGH 22.1.2014, 2013/21/0135; VwGH 3.7.2018, Ra 2018/21/0066). Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005. § 53a Abs. 1 NAG 2005 stellt in Bezug auf den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt auf einen fünf Jahre rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet ab (vgl. VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0205). Bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn ist daher der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Maßstab (schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit) heranzuziehen.
Die in den einzelnen Ziffern des § 53 Abs. 3 FrPolG 2005 angeführten Tatbestände stellen nur eine demonstrative Aufzählung (arg.: "insbesondere") jener Umstände dar, die eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinne der genannten Bestimmung indizieren. Das kann auch bei gleichwertigen Verhaltensweisen, also hinsichtlich des Unrechtsgehalts ähnlich schwerwiegenden Konstellationen, der Fall sein (vgl. VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0244).
Der Beschwerdeführer weist im Bundesgebiet insgesamt drei strafgerichtliche rechtskräftige Verurteilung auf. So wurde er zunächst in den Jahren 2011 und 2012 wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB einmal zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier und einmal von einem Monat verurteilt. Zuletzt wurde er am 07.01.2020 wegen der Verbrechen der schweren Körperverletzung gemäß §§ 15, 84 Abs. 4 StGB sowie des Vergehens der Gefährdung der körperlichen Sicherheit gemäß § 89 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 15 Monate bedingt, rechtskräftig verurteilt.
Das strafrechtlich relevante Verhalten des Beschwerdeführers stellt jedenfalls ein die öffentliche Sicherheit auf dem Gebiet des Fremdenwesens gefährdendes und beeinträchtigendes Fehlverhalten dar, weil der Beschwerdeführer die gesetzlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG erfüllt. Einerseits liegt im gegenständlichen Fall eine rechtskräftige gerichtliche Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten vor. Andererseits weist der Beschwerdeführer eine rechtskräftige gerichtliche Verurteilung wegen einer auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen auf.
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das „persönliche Verhalten“ des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 27.04.2020, Ra 2019/21/0367).
Bereits die belangte Behörde hat das ausgesprochene Aufenthaltsverbot nicht (bloß) auf die Tatsache seiner Verurteilung und der daraus resultierenden Strafhöhe, sohin gerade nicht auf eine reine Rechtsfrage abgestellt. Vielmehr hat sie unter Berücksichtigung des Systems der abgestuften Gefährdungsprognosen, das dem FPG inhärent ist, (vgl. VwGH 25.05.2020, Ra 2019/19/0116) sowie unter Würdigung des individuellen, vom Beschwerdeführer durch sein persönliches Verhalten im Bundesgebiet gezeichneten Charakterbildes eine Gefährdungsprognose getroffen und diese Voraussage ihrer administrativrechtlichen Entscheidung zugrunde gelegt. Dabei hob sie besonders hervor, dass der Beschwerdeführer bereits drei Mal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung – der Gewalt – beruhenden Handlungen rechtskräftig verurteilt wurde. In ihrer Prognoseentscheidung ging die belangte Behörde davon aus, dass aufgrund der sich stets verstärkenden Aggressions- und Gewaltbereitschaft des Beschwerdeführers mit einer Fortsetzung seines delinquenten Verhaltens zu rechnen ist.
Zunächst schließt sich das erkennende Gericht den Ausführungen der belangten Behörde vollinhaltlich an und kommt es aufgrund der Verurteilung des Beschwerdeführers und des sich hieraus ergebenden Persönlichkeitsbildes und der Gefährdungsprognose ebenso zur Überzeugung, dass vom Beschwerdeführer permanent eine derart schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgeht, welche ein Aufenthaltsverbot zu rechtfertigen vermag.
Der Beschwerdeeinwand, wonach die massiven Straftaten des Beschwerdeführers ausschließlich aus Beziehungsproblemen entstanden seien und ob der nunmehrigen Trennung von seiner ehemaligen Lebensgefährtin eine dahingehende Gefährdung nicht mehr vorliegen würde, ist entgegenzuhalten, dass dies keine taugliche Rechtfertigung für die gezeigte Gewaltbereitschaft des Beschwerdeführers und die offenkundige Gleichgültigkeit gegenüber dem Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit anderer darzustellen vermag. Wie die belangte Behörde völlig zutreffend ausführt, ist durch das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers eine maßgebliche Gefährdungsannahme durchaus gerechtfertigt.
Auch wenn sich der Beschwerdeführer gegenwärtig nicht mehr in Haft befindet, kann dem Beschwerdeführer auf Grundlage der vorangegangenen Ausführungen zu seinem im Bundesgebiet gesetzten Verhalten keine positive Zukunftsprognose attestiert werden (vgl. VwGH 20.05.2020, Ra 2019/19/0116). In diesem Zusammenhang ist auch aus der teilbedingten Nachsicht der Strafe für sich genommen nichts zu gewinnen (vgl. VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075). Der Beschwerdeführer wird den Wegfall der durch die strafgerichtliche Verurteilung indizierten Gefährlichkeit erst durch einen längeren Zeitraum des Wohlverhaltens in Freiheit unter Beweis stellen müssen (vgl. VwGH 04.03.2020, Ra 2020/21/0035).
Auch die gemäß § 9 BFA-VG vorzunehmende Abwägung der privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen kann nicht zu einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes führen. Der Beschwerdeführer verfügt über keine familiären Anbindungen im Bundesgebiet. Auch maßgebliche private Anknüpfungspunkte sind nicht hervorgekommen. Zwar war der Beschwerdeführer in den vergangenen Jahren seines Aufenthaltes regelmäßig erwerbstätig, es überwiegen jedoch die Zeiten der Arbeitslosigkeit, sodass auch nicht von einer beruflichen Verfestigung gesprochen werden kann.
Nicht unberücksichtigt lässt das erkennende Gericht in diesem Zusammenhang, den mit der Beschwerde vorgelegten Arbeitsvertrag. Allerdings handelt es sich hierbei um ein zeitlich befristetes Arbeitsverhältnis, welches am 23.11.2020 endet.
Dem privaten Interesse an einem Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet stehen öffentliche Interesse gegenüber. So hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, dass ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen, insbesondere der Gewaltkriminalität besteht (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0474 ua.).
Angesichts des zuvor aufgezeigten und in seiner Gesamtheit gravierenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers ist davon auszugehen, dass das gegen ihn erlassene Aufenthaltsverbot gemäß § 9 BFA-VG zulässig und zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, Verhinderung von weiteren strafbaren Handlungen durch den Beschwerdeführer) auch dringend geboten ist.
Die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes sind demnach höher zu gewichten als die gegenläufigen schwach ausgeprägten privaten Interessen des Beschwerdeführers. Unter diesen Umständen ist die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung dem Grunde nach § 9 BFA-VG als zulässig zu werten (vgl. VwGH 06.12.2019, Ra 2019/18/0437).
Was die Bemessung der Dauer des Aufenthaltsverbotes in der Dauer von sechs Jahren betrifft, erscheint diese angesichts des Verhaltens des Beschwerdeführers jedoch als zu lang. Keineswegs wird verkannt, dass der Beschwerdeführer vor der jüngsten Verurteilung am 07.01.2020 bereits in den Jahren 2011 und 2012 zweimal einschlägig vorverurteilt wurde. Das zeigt offensichtlich, dass der Beschwerdeführer aus seinem Fehlverhalten nicht gelernt hat, ihm die österreichische Rechtsordnung offenbar gleichgültig ist und ihn offensichtlich nicht von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten hat. Ohne die Schwere und den Unrechtsgehalt seines Verhaltens verharmlosen zu wollen, darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass sich der Beschwerdeführer für die Dauer von beinahe acht Jahren zwischen der jüngsten Verurteilung und jener im Jahr 2012 wohlverhalten hat. Auch ist durch das nunmehr erstmals verspürte Haftübel von einer gesteigerten spezialpräventiven Wirkung der Freiheitsstrafe auszugehen. Berücksichtig man dazu, dass sich das Strafgericht bei einer Strafandrohung von sechs Monaten bis fünf Jahren (§ 84 Abs. 4 StGB) mit 18 Monaten begnügte und diese Strafe großteils bedingt nachsah, so erscheint die gewählte Dauer des Aufenthaltsverbotes von sechs Jahren bei einem höchstzulässigen Maß von zehn Jahren als unverhältnismäßig lang und nicht mit dem konkreten Unrechtsgehalt der begangenen Straftat in Einklang zu bringen. Aufgrund dieser Überlegungen war das Aufenthaltsverbot daher auf die Dauer von drei Jahre zu reduzieren. Eine darunterliegende Dauer eines Aufenthaltsverbotes ist jedoch wegen des Gewichts des deliktischen Handelns des Beschwerdeführers nicht denkbar.
Der Beschwerde war daher spruchgemäß dahingehend stattzugeben, dass das von der belangten Behörde erlassene sechsjährige Aufenthaltsverbot auf die Dauer von drei Jahre herabgesetzt wird.
3.2. Zur Nichtgewährung eines Durchsetzungsaufschubes und zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt II. und III. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.
Gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn die sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.
Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, geht vom Beschwerdeführer eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus und hat er anhand seines Gesamtfehlverhalten unzweifelhaft gezeigt, dass er nicht gewillt war, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten. Es ist der belangten Behörde daher beizupflichten, dass seine sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist.
Weder die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 70 Abs. 3 FPG noch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG sind somit zu beanstanden, sodass die Beschwerde auch in Bezug auf die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids als unbegründet abzuweisen war.
4. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Eine Beschwerdeverhandlung entfällt gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint und die mündliche Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lässt. Das Vorbringen des Beschwerdeführers in der schriftlichen Stellungnahme und in der Beschwerde wurde der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt. Selbst bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Fakten kann für ihn kein günstigeres Ergebnis erzielt werden und vermag daran auch eine mündliche Verhandlung durch das Bundesverwaltungsgericht und ein dabei gewonnener (positiver) persönlicher Eindruck nichts zu ändern (vgl. VwGH 06.04.2020, Ra 2019/01/0430).
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. In der gegenständlichen Angelegenheit setzte sich das erkennende Gericht ausführlich mit der Thematik der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (VwGH 27.04.2020, Ra 2019/21/0367; 06.12.2019, Ra 2019/18/0437; ua.) auseinander.
Dabei weicht die der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsprechung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Schlagworte
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ECLI:AT:BVWG:2020:I422.2236772.1.00Im RIS seit
12.02.2021Zuletzt aktualisiert am
12.02.2021