TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/23 W112 2142603-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.11.2020
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Entscheidungsdatum

23.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W112 2142603-1/22E
W112 2142606-1/12E
W112 2142608-1/11E
W112 2142605-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Elke DANNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, 2. XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, 3. mj. XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, und 4. mj. XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, die Minderjährigen vertreten durch die Mutter XXXX , alle vertreten durch die XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.11.2016, 1. Zl. 602907602-14139602, 2. Zl. 602907700-14139615, 3. Zl. 602491903-14418501, und 4. Zl. 602907504-14418587, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkt I. und II. der angefochtenen Bescheide wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen.

II. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 57 AsylG 2005 wird die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III der angefochtenen Bescheide insofern abgewiesen, als mit den angefochtenen Bescheiden den Beschwerdeführerinnen keine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 54 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 zuerkannt wurde.

III. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG und § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG iVm § 52 Abs. 2 FPG wird der Beschwerde gegen die Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide im Übrigen stattgegeben und festgestellt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

IV. Der Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführerin wird gemäß §§ 55, 58 Abs. 2 AsylG 2005 jeweils eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

V. Die Spruchpunkte IV. der angefochtenen Bescheide werden behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der Zweit- bis Viertbeschwerdeführerinnen, alle Staatsangehörige der Russischen Föderation. Die Beschwerdeführerinnen reisten gemeinsam unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten hier am 23.08.2012 erstmals Anträge auf internationalen Schutz.

Die erkennungsdienstliche Behandlung ergab, dass die Beschwerdeführerinnen laut EURODAC-Treffer bereits in XXXX / XXXX am 14.08.2012 Asylanträge gestellt hatten. XXXX erklärte am 31.08.2012 seine Zustimmung zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerinnen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO.

1.2. In der Erstbefragung am 25.08.2012 durch die Organe der Polizeiinspektion XXXX , gab die Erstbeschwerdeführerin als Fluchtgrund im Wesentlichen für sich und ihre drei minderjährigen Kinder an, dass ihr Mann von den Truppen des Präsidenten Kadyrow verdächtigt worden sei, Widerstandskämpfer unterstützt zu haben. Er sei deshalb 2008 mitgenommen und verhört worden und am Weg ins Spital verstorben. Nach dem Tod ihres Mannes sei die Erstbeschwerdeführerin von den Truppen Kadyrows mitgenommen und gefragt worden, ob sie gewisse verdächtige Personen kenne. Sie sei geschlagen worden und habe nach drei bis vier Stunden wieder gehen dürfen. Ca. zwei Monate sowie ein weiteres Jahr später (ca. 2009/2010) sei sie neuerlich einvernommen worden. Im Zuge der letzten Einvernahme sei sie insbesondere zum Cousin ihres Mannes befragt worden, weil dieser zwischenzeitlich zu den Widerstandskämpfern übergelaufen sei. Auch zwischendurch sei die Erstbeschwerdeführerin zuhause hin und wieder kontrolliert worden. 2012 sei auch ihr Bruder zweimal einvernommen worden. Die Erstbeschwerdeführerin wisse jedoch nicht, worum es bei den Einvernahmen gegangen sei. Da sie Angst um das Leben ihrer Angehörigen bzw. ihrer Töchter gehabt habe, habe sie schließlich ihr Herkunftsland verlassen. Im Falle einer Rückkehr befürchte sie, dass ihren Töchtern oder ihr etwas passiere. Sie habe auch Angst um ihre Verwandten.

1.3. Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 11.09.2012 brachte die Erstbeschwerdeführerin weiters vor, dass ihre Kinder gesund seien, nur die minderjährige Drittbeschwerdeführerin sei sehr nervös; sie habe XXXX . Im Herkunftsstaat sei ein XXXX festgestellt worden. Sie sei in erster Linie wegen ihrer Kinder nach Österreich gekommen, diese sollen in Sicherheit aufwachsen und eine Schulbildung erhalten.

1.4. Die gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 21.09.2012 ergab, dass die Erstbeschwerdeführerin weder an einer belastungsabhängigen krankheitswertigen psychischen Störung noch unter sonstigen psychischen Krankheitssymptomen leide.

Aus dem ambulanten Befundbericht eines Landesklinikums, Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde, vom 30.08.2012 ergibt sich, dass bei der Drittbeschwerdeführerin XXXX ( XXXX ), XXXX ( XXXX ) sowie Verdacht auf XXXX , Verdacht auf XXXX sowie Verdacht auf XXXX festgestellt wurden.

Laut Kurzbrief eines Landesklinikums, Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde, vom 22.10.2012 wurde XXXX sowie XXXX diagnostiziert.

Für weitere Untersuchungen wurde die Drittbeschwerdeführerin am 26.11.2012 bis 03.12.2012 in einem Landesklinikum, Abteilung Kinder- und Jugendheilkunde, stationär aufgenommen; dort wurde gemäß Arztbrief vom 03.12.2012 XXXX sowie XXXX diagnostiziert; der Verdacht auf XXXX der Verdacht auf XXXX und der Verdacht auf eine XXXX wurden nicht bestätigt. Als Therapieempfehlung wurde die weitere Betreuung in der XXXX Ambulanz sowie psychische Betreuung empfohlen. Die XXXX habe während des gesamten stationären Aufenthaltes nicht verifiziert werden können, die XXXX hingegen habe sich bestätigt. Die Drittbeschwerdeführerin konnte am 03.12.2012 in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden.

1.5. Das Bundesasylamt wies die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz mit den Bescheiden vom 07.11.2012 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 ohne in die Sache einzutreten als unzulässig zurück und erklärte XXXX gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO für zuständig. Gleichzeitig wurden die Beschwerdeführerinnen gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach XXXX ausgewiesen und ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in diesen Mitgliedstaat gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 für zulässig erklärt.

Die dagegen erhobenen Beschwerden wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 05.12.2012 als unbegründet ab.

2.1. Die Beschwerdeführerinnen hielten sich danach in Österreich im Verborgenen auf und stellten am 26.02.2014 erneut Anträge auf internationalen Schutz.

2.2. Am 28.02.2014 wurde die Erstbeschwerdeführerin durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Sie gab zu ihren Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, dass sie zum zweiten Mal traditionell verheiratet sei und die Verwandten ihres verstorbenen Mannes ihr die Kinder wegnehmen wollen. Aus diesem Grund könne sie nicht in ihre Heimat zurückkehren. Sie habe im Falle der Rückkehr in ihre Heimat Angst um ihr Leben sowie das ihrer Kinder und sie befürchte, dass ihr die Kinder weggenommen werden.

2.3. Mit Schreiben vom 17.04.2015 gab die Erstbeschwerdeführerin unter Vorlage von Befundberichten bekannt, dass sie an einer komplexen XXXX sowie an XXXX und XXXX leide. Auch die Zweit- bis Viertbeschwerde-führerinnen leiden an Traumatisierungen.

2.4. Mit Schreiben vom 25.01.2016 wiesen die Beschwerdeführerinnen neuerlich auf ihren psychischen Zustand hin und legten dazu medizinische Unterlagen vor. Die Erstbeschwerdeführerin sei Opfer schwerer sexueller Gewalt im Zuge von Befragungen und Verhören durch Kadyrovzis geworden. Die neuerliche Eheschließung der Erstbeschwerde-führerin gegen den Willen der Familie habe zu Anfeindungen und Drohungen seitens ihres noch in Tschetschenien lebenden Bruders geführt und habe nach Auffassung der Familie die familiäre Ehre und das Ansehen verletzt. Zudem fordere die Familie des ersten verstorbenen Ehemannes die Übergabe der minderjährigen Kinder. Dies sowie die Verfolgung vermeintlicher Angehöriger von Widerstandskämpfern bzw. vermeintlichen Oppositionellen stehe in Einklang mit aktuellen Länderberichten.

Die Beschwerdeführerinnen nahmen mit Schreiben vom 07.04.2016 Stellung zu den im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) eingebrachten Länderberichten. Sie brachten zudem vor, dass der Lebensmittelpunkt der Beschwerdeführerinnen mittlerweile in Österreich liege und eine Ausweisung eine unzulässige Verletzung ihres Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens darstelle.

2.5. Das Bundesamt vernahm die Erstbeschwerdeführerin am 10.03.2016 niederschriftlich ein. Sie gab zu ihrem Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass sie Angst um das Leben ihrer Kinder und um ihr eigenes Leben habe. Ihre Probleme im Herkunftsstaat haben mit dem Tod ihres Mannes begonnen. Er sei am 04.10.2008 entführt worden und am 11.10.2008 sei seine Leiche nach Hause gebracht worden. Danach sei die Erstbeschwerdeführerin ständig beobachtet und einige Male mitgenommen worden. Zum ersten Mal sei sie ca. eine Woche nach dem Tod ihres Mannes von einem Mann in Milizuniform mitgenommen und in ein anderes Dorf, dass sie nicht kenne, gebracht worden. Draußen habe ihr Bruder und ein Verwandter ihres Mannes gewartet. Sie sei von der Person in Milizuniform nach den Kontakten ihres Mannes – wer angerufen und bei ihnen übernachtet habe sowie wer bei ihnen zu Besuch gewesen sei – befragt. Die Erstbeschwerdeführerin sei geschlagen worden, weil sie aufgrund ihrer Emotionen betreffend die Ermordung ihres Ehemannes laut geworden sei. Das zweite Mal sei sie ungefähr zwei Monate nach dem ersten Mal auf die örtliche Polizeistelle mitgenommen worden. Die dritte Einvernahme sei ungefähr ein Jahr später – somit 2009 – auch in ihrem Dorf gewesen. Diesmal sei nach dem Cousin ihres Mannes, der laut Gerüchten mit den Kämpfern in die Berge gegangen sei, gefragt worden. Die Verwandten ihres Mannes seien ebenfalls befragt worden. Zwischen der Befragung im Jahr 2009 und der Ausreise der Beschwerdeführer im Jahr 2012 seien manchmal Leute zu ihnen nach Hause gekommen und haben allgemeine Fragen nach Neuigkeiten oder ob jemand versucht habe, die Erstbeschwerdeführerin zu kontaktieren, gestellt. 2012 habe die Erstbeschwerdeführerin ihre Heimat verlassen, weil sie in ständiger Angst gelebt habe und davon müde gewesen sei. Zudem sei die Erstbeschwerdeführerin im April 2012 von zwei Männern vergewaltigt worden.

Zu der Familie ihres ersten Ehemannes habe die Erstbeschwerdeführerin seit fast drei Jahren keinen Kontakt mehr, weil es, als sie im April 2013 wieder geheiratet habe, zu Konflikten mit der Familie ihres ersten Ehemannes gekommen sei. Sie haben nicht gewollt, dass die Erstbeschwerdeführerin wieder heirate und dass die Kinder bei ihr bleiben. Die Familie ihres ersten Mannes habe sie die letzten drei Jahre nicht erreichen können, weil die Erstbeschwerdeführerin ihre Nummer gewechselt habe. Sie wisse deshalb nicht, ob sie es versucht haben.

Der Bruder der Erstbeschwerdeführerin sei ebenfalls gegen ihre neuerliche Heirat gewesen. Er habe ihr für den Fall der Rückkehr in die Russische Föderation gedroht, sie umzubringen.

2.6. Das Bundesamt wies die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz jeweils mit Bescheid vom 22.11.2016 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Russische Föderation (Spruchpunkt II.) ab und erteilte den Beschwerdeführerinnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005. Unter einem erließ es gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerinnen in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.). Es räumte den Beschwerdeführerinnen gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung ein (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das Bundesamt aus, dass die Erstbeschwerdeführerin ihr Fluchtvorbringen, das Bestehen der Gefahr einer Verfolgung durch unbekannte Personen sowie die Verfolgung durch die Familie ihres ersten Mannes und ihres Bruders aufgrund ihrer neuerlichen Heirat nicht glaubhaft machen habe können. Bei dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin betreffend ihre behauptete Vergewaltigung handle es sich um ein gesteigertes Vorbringen. Ebenso drohe den Beschwerdeführern im Falle ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat auch keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde, da die Erstbeschwerdeführerin über Schulbildung und familiäre Anknüpfungspunkte in der Russischen Föderation verfüge. Zudem sei sie arbeitsfähig und beherrsche die russische Sprache. Sie sei auch mit den Gepflogenheiten und Schwierigkeiten des Alltags in ihrem Heimatland vertraut. Da sich die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer in der Begleitung ihrer Mutter befinden, sei eine Verletzung des Art. 3 EMRK nicht ableitbar. Zudem könnten sich die Beschwerdeführerinnen an staatliche Institutionen um Hilfe wenden bzw. allenfalls soziale Beihilfen in Anspruch nehmen. Es ergeben sich daher keine Anhaltspunkte, dass die Beschwerdeführerinnen nicht in der Lage wären, ihre Grundbedürfnisse – erforderlichenfalls unter Inanspruchnahme sozialstaatlicher Leistungen und der Unterstützung von nahen Verwandten (Eltern, Geschwistern) – im Herkunftsstaat zu decken.

Die Rückkehrentscheidung greife nicht in das Familienleben der Beschwerdeführerinnen ein, da sie weder zur Cousine noch zum angeblichen zweiten Ehemann der Erstbeschwerde-führerin in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen und in keinem gemeinsamen Haushalt mit ihnen leben. Zudem sei die – falls überhaupt tatsächlich vorliegende – Beziehung der Erstbeschwerdeführerin zu ihrem zweiten Mann zu einem Zeitpunkt entstanden, in dem sie sich ihres unsicheren Aufenthaltes in Österreich bewusst sein habe müssen. Ebenso greife die Rückkehrentscheidung auch nicht in das Recht der Beschwerdeführerinnen auf Achtung des Privatlebens ein. Die Beschwerdeführerinnen seien seit August 2012 in Österreich aufhältig, die Erstbeschwerdeführerin beherrsche die deutsche Sprache jedoch lediglich auf einfachem Niveau. Wesentliche Integrationsbemühungen der Erstbeschwerdeführerin seien nicht festgestellt worden. Die Zweit- bis Viertbeschwerdeführerinnen besuchen die Schule in Österreich. Der Aufenthalt der Beschwerdeführerinnen sei jedoch lediglich aufgrund der Asylantragstellung legitimiert.

2.7. Gegen Spruchpunkt I. bis III. dieser Bescheide erhoben die Beschwerdeführerinnen fristgerecht Beschwerde und fochten diese wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes infolge wesentlicher Verfahrensmängel und unrichtiger rechtlicher Beurteilung an.

Die Beschwerdeführerinnen beantragten, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, da aufgrund der vorgehaltenen Unglaubwürdigkeit bezüglich der Fluchtgründe eine persönliche Anhörung unerlässlich sei und in der Sache selbst entscheiden sowie die angefochtenen Bescheide dahingehend abändern, dass ihnen der Status von Asylberechtigten zuerkannt werde; in eventu in der Sache selbst entscheiden und die angefochtenen Bescheide dahingehend abändern, dass ihnen der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werde; in eventu die angefochtenen Bescheide dahingehend abändern, dass die Rückkehrentscheidungen behoben und für auf Dauer unzulässig erklärt und in weiterer Folge ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werde; in eventu die Abschiebung für unzulässig erklären; in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben und die Angelegenheit an das Bundesamt zurückverweisen.

Begründend führte die Beschwerde aus, dass das Bundesamt den Grundsätzen der amtswegigen Erforschung des maßgeblichen Sachverhaltes und Wahrung des Parteiengehörs nicht genügt habe und aus diesem Grund das Verfahren mit Mangelhaftigkeit belastet sei. Sofern das Bundesamt die behauptete Vergewaltigung als gesteigertes Vorbringen bewertet habe, sei zu entgegnen, dass es der Erstbeschwerdeführerin erst vor kurzer Zeit – aufgrund laufender Therapiesitzungen – möglich sei, über diese Erlebnisse zu sprechen. Zudem habe die Erstbeschwerdeführerin aus Scham und Angst vor den Polizeibeamten in der Erstbefragung keine Angaben zu den Eingriffen in ihre sexuelle Selbstbestimmung machen können. Zudem sei gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 eine nähere Befragung zu den Fluchtgründen bei der Erstbefragung verboten, weshalb die Feststellung der Behörde hinsichtlich der Nichtnennung der Details betreffend die Vergewaltigung, keine rechtliche Grundlage habe. Darüber hinaus leide die Erstbeschwerdeführerin an einer XXXX , wodurch sie mit XXXX , XXXX , XXXX und XXXX zu kämpfen habe. Die Erstbeschwerdeführerin sei auch bereits mehrmals beim Versuch einer Schilderung der Vergewaltigung kollabiert bzw. habe sie einen dissoziativen Krampfanfall erlitten, die dem sie starr vor sich hinblickend keine Bewegung mehr machen habe können und ins Krankenhaus habe gebracht werden müssen.

Zudem sei es nicht korrekt, dass die Erstbeschwerdeführerin ohne männlichen Schutz über einen Zeitraum von vier Jahren unbehelligt in ihrem Heimatland habe leben können, zumal sie immer wieder massiv eingeschüchtert und im Zuge von Befragungen/Verhören mehrmals bedroht worden sei. Zudem habe dies in einer brutalen Vergewaltigung der Erstbeschwerdeführerin durch unbekannte Männer gemündet und die Beschwerdeführerinnen haben bis zu diesem fluchtauslösenden Ereignis versteckt und verängstigt gelebt.

Der zweite Ehemann der Erstbeschwerdeführerin, XXXX , sei zwischenzeitlich verstorben. Er habe seit März 2016 in der unmittelbaren Nachbarschaft der Beschwerdeführer gelebt und bis zu seinem Tod ein gemeinsames Familienleben geführt. Es wurde unter einem der Totenbeschauschein vorgelegt.

Das Bundesamt sei im Bescheid aktenwidrig davon ausgegangen, dass die Erstbeschwerde-führerin Probleme mit den Eltern ihres (ersten) verstorbenen Ehemannes gehabt habe, diese habe die Erstbeschwerdeführerin jedoch nie kennengelernt, zumal sie bereits verstorben waren als die Erstbeschwerdeführerin ihren (ersten) Mann kennengelernt habe. Der Cousin und die Schwestern ihres (ersten) verstorbenen Mannes haben ihr Probleme bereitet, weil eine Frau nach den traditionellen tschetschenischen Gepflogenheiten, die ein zweites Mal – gegen den Willen der Familie heirate – ihr Anrecht auf das Sorgerecht ihrer Kinder verliere.

Beim Recht auf Schutz des Familienlebens zwischen der Erstbeschwerdeführerin und ihren minderjährigen Kindern, welches in Tschetschenien nicht bestehe, werde zwar an sich keine Verfolgungsintensität angenommen, jedoch könne sich diese bei Abwägung der Intensität und Gezieltheit, sowie vor allem durch Dauer und Wiederholung der Bedrohung ergeben.

Frauen, die sich gegen Verhaltenszwänge auflehnen bzw. sich nicht unterwerfen, gelten als emanzipiert und „westlich gebildet“. Die Rechtsprechung des Asylgerichtshofes gehe dahin, dass sehr wohl eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe aufgrund der geschlechtsspezifischen Konkretisierung von Fluchtgründen im Fall von drohenden Ehrendelikten vorliege. Familienehrregeln würden demnach das soziale Geschlecht definieren, sodass Frauen bei einem Verstoß gegen diese Regeln Verfolgung aufgrund deiner bestimmten sozialen Gruppe drohe (Verweis auf AsylGH 17.02.2009, 12.01.2009; Wildt, Frauen im Asylrecht, 2010, 199, FN 594). Die rechtliche Beurteilung des Bundesamtes sei somit unrichtig und habe die Erstbeschwerdeführerin im Sinne der tschetschenischen Tradition Verfolgungshandlungen erlebt bzw. erneut zu erwarten, die geeignet seien die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zu begründen. Aufgrund der prekären Situation der Verhaftung von Tradition und des Glaubens in der tschetschenischen Gesellschaft bzw. der allgemein instabilen Sicherheitslage habe die Erstbeschwerdeführerin keinerlei Schutz des tschetschenischen Staates vor den Feinden ihres Mannes erwarten können. Insbesondere ihre minderjährigen Töchter würden aufgrund des unzureichenden Rechtsschutzes in ihrem Heimatstaat in eine ausweglose Lage geraten.

Darüber hinaus sei der Erstbeschwerdeführerin eine Rückkehr nach Tschetschenien nicht möglich, weil ihre psychische und physische Unversehrtheit in Gefahr wäre, weshalb eine zwangsweise Rückkehr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK gleich käme.

Die Zweit- bis Viertbeschwerdeführerinnen seien bereits bestens in der österreichischen Gesellschaft integriert. Sie besuchen die Schule sowie zahlreiche Kurse und haben Freundschaften bzw. soziale Kontakte zu Österreichern. Die Drittbeschwerdeführerin sei psychisch beeinträchtigt, zumal sie am „ XXXX “ leide. Die Zweit- bis Viertbeschwerdeführerinnen befinden sich in psychotherapeutischer Behandlung, weil bei ihnen ebenfalls Verhaltensauffälligkeiten, die auf eine XXXX hinweisen, festgestellt worden seien. Ihnen mangle es aufgrund ihres Alters an Bindungen zu ihrem Herkunftsland und sie müssten sich im Falle der Rückkehr nach Tschetschenien in ein gänzlich anderes Schulsystem integrieren. Dies entspreche nicht dem verfassungsrechtlichen Gebot, das Wohl der Kinder in jeder sie betreffenden Entscheidung zu berücksichtigen.

Rückkehrer aus einem europäischen Gebiet werden bereits am Flughafen oder kurz nach ihrer Ankunft entführt, verhört, gefoltert und willkürlich inhaftiert. Sie werden oft zur Kooperation mit dem Geheimdienst – unter Androhung erheblicher Gewalt gegen die Personen selbst und ihre Familien – gezwungen. Es gebe auch Berichte über Ermordungen in diesem Zusammenhang. Diese Gefahr stelle eine Verletzung von Art. 3 EMRK dar und spreche somit per se gegen die Möglichkeit einer Abschiebung in die Russische Föderation. Insbesondere junge Frauen führen in Tschetschenien ein gefährliches Leben, es drohe ihnen gewaltsamer Brautraub, Frauenhandel und Ehrenmord. Es herrschen nach wie vor die alten patriarchalen Sitten.

2.8. Die Polizeiinspektion XXXX übermittelte am 16.07.2020 den Bericht vom 29.10.2016 betreffend den Tod von XXXX am 07.10.2016, demzufolge von einer natürlichen Todesursache ausgegangen wurde.

2.9. Das Bundesverwaltungsgericht räumte den Beschwerdeführerinnen mit Parteiengehör vom 16.07.2020 die Möglichkeit ein bekanntzugeben, ob sich seit der Beschwerdeerhebung gravierende Veränderungen an ihrem Gesundheitszustand ergeben haben und allfällige damit im Zusammenhang stehende Beweismittel und solche zu den Umständen in ihrem Herkunftsstaat, auf die sich die Beschwerdeführer stützen wollen, sowie Unterlagen betreffend ihre aktuellen Lebensverhältnisse und familiären Beziehungen in Österreich, vorzulegen.

Die Beschwerdeführer legten mit Schriftsatz vom 04.08.2020 medizinische Unterlagen betreffend die Erstbeschwerdeführerin vor und beantragten die Erstreckung der Frist bis Ende August für die Vorlage aktueller Befunde und umfangreicher Nachweise der Integrationsbemühungen und zum Privatleben der Beschwerdeführerinnen. Das Bundesverwaltungsgericht gewährte den Beschwerdeführerinnen mit Schreiben vom 10.08.2020 eine Frist zur Nachreichung weiterer Befunde.

Mit Urkundenvorlage vom 27.07.2020 legte die Zweitbeschwerdeführerin Unterlagen betreffend ihre Integration in Österreich vor.

Mit Schreiben vom 14.08.2020 legten die Beschwerdeführerinnen einen fachärztlichen Befund betreffend die Erstbeschwerdeführerin und die Jahreszeugnisse der Zweit- bis Viert-beschwerdeführerinnen sowie eine Urkunde betreffend die Drittbeschwerdeführerin vor. Das Bundesverwaltungsgericht ersuchte die Beschwerdeführerinnen mit Verbesserungsauftrag vom 18.08.2020, die dem Schreiben vom 14.08.2020 beigelegten und nicht leserlichen Unterlagen in einer leserlichen Ausfertigung vorzulegen. Dem Verbesserungsauftrag kamen die Beschwerdeführerinnen mit Schreiben vom 18.08.2020 nach und legten unter einem weitere Unterlagen betreffend ihre Integration und den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerinnen vor.

2.10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.09.2020 eine mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Russisch durch, an der die Beschwerdeführerinnen und ihre gewillkürte Vertreterin teilnahmen. Das Bundesamt nahm an der Verhandlung nicht teil.

Die Befragung der volljährigen Zweitbeschwerdeführerin gestaltete sich wie folgt:

„R: Sie sind volljährig, wurden aber bisher nie im Asylverfahren einvernommen. Sehe ich das richtig?

BF 2 (auf Deutsch): Ja.

R: Mit Bescheid vom 22.11.2016 wies das Bundesamt Ihren Antrag auf internationalen Schutz sowohl im [H]inblick auf den Status der Asylberechtigten, als auch im Hinblick auf den Status der subsidiär Schutzberechtigten ab, stellte fest, dass Ihre Abschiebung in die Russische Föderation rechtmäßig ist, erteilte Ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen Sie und räumte Ihnen eine 14tätige Frist für die freiwillige Ausreise ein. Gleichlautende Bescheide ergingen in den Verfahren Ihrer Mutter und Schwestern. Gegen diese Bescheide erhoben Sie durch Ihre Mutter mit Schriftsatz vom 09.12.2016 Beschwerde. Halten Sie diese Schriftsätze und die darin gestellten Anträge aufrecht?

RV: Ja.

R: Wurden Sie aufgrund Ihrer Rasse verfolgt?

BF 2 (auf Deutsch): Ehrlich gesagt nicht. Ich verstehe es so, ob mir jemals gedroht wurde, das war nicht der Fall.

R: Wurden Sie aufgrund Ihrer Nationalität verfolgt?

BF 2 (auf Deutsch): Ich weiß nicht.

R: Wurden Sie aus religiösen Gründen verfolgt?

BF 2 (auf Deutsch): Nein.

R: Sie reisten mit XXXX Jahren aus. Haben Sie sich im Herkunftsland politisch betätigt und/oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder Bewegung?

BF 2 (auf Deutsch): Nein.

R: Wurden Sie verfolgt in der Russischen Föderation, weil Sie sonst einer bestimmten sozialen Gruppe angehören?

BF 2 (auf Deutsch): Nein. Das Problem bei mir ist, dass ich mich an Sachen an Russland und Tschetschenien nicht mehr erinnere. Das meiste habe ich hier erlebt und ist mir von hier im Kopf geblieben.

R: Warum sind Sie 2012 aus der Russischen Föderation ausgereist? Schildern Sie bitte möglichst genau ihre Fluchtgründe!

BF 2 (auf Deutsch): Das weiß ich ehrlich gesagt nicht, das weiß meine Mutter.

R: Hatten Sie in der Russischen Föderation sonst jemals Probleme mit staatlichen Behörden (zB der Polizei) Ihres Herkunftslandes?

BF 2 (auf Deutsch): Erinnere ich mich nicht.

R: Was würde Sie im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat konkret erwarten?

BF 2 (auf Deutsch): Ehrlich gesagt, viel weiß ich auch nicht davon, ich weiß nur, dass wir uns dort nicht gesundheitlich versorgen lassen können. Ich habe eigentlich niemanden und nichts dort, ich wäre alleine. Es verbindet mich nichts zu Tschetschenien, ich weiß sonst jetzt auch nichts.

R: Was würde passieren, wenn Sie (hypothetisch) an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb TSCHETSCHENIENS zurückkehren müssten, zB nach MOSKAU?

BF 2 (auf Deutsch): Weiß ich nicht.

R: Waren Sie vor 2008 jemals Problemen ausgesetzt?

BF 2 (auf Deutsch): Weiß ich auch nicht, ich erinnere mich nicht an diese Sachen.

R: Haben Sie von der Zeit von 2008 bis 2012 selbst Probleme wahrgenommen? Gab es etwas, was bedrohlich war, gab es Probleme?

BF 2 (auf Deutsch): Ich war XXXX , als ich nach Österreich gekommen bin.

R: Ganz schlimme Sachen merkt man sich auch aus dieser Zeit! Gibt es etwas in dieser Zeit?

BF 2 (auf Deutsch): Dass mein Vater gestorben ist, ich habe ihn tot gesehen, andere Sachen erinnere mich jetzt nicht. Dass mein Vater gestorben ist, war in meinen Erinnerungen das schlimmste.

R: Seit wann halten Sie sich in Österreich auf?

BF 2 (auf Deutsch): 2012.

R: Sie verließen die Russische Föderation am 11.08.2012 und fuhren mit Ihrer Familie mit dem Zug von XXXX nach XXXX , von dort mit dem Zug nach XXXX und einem weiteren Zug weiter nach XXXX und dann mit einem Auto nach Österreich gekommen. Ist das korrekt?

BF 2 (auf Deutsch): Ich glaube es war Herbst, Winter. An den Zug kann ich mich erinnern.

R: Gab es Probleme bei der Ausreise, an die Sie sich erinnern können??

BF 2 (auf Deutsch): Weiß ich ehrlich gesagt nicht, ich glaube aber nicht.

R: Sie stellten mit Ihrer Familie am 23.08.2012 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Gab es in XXXX Probleme?

BF 2 (auf Deutsch): Weiß ich jetzt auch nicht. Ich weiß nur, dass ich wirklich viel Stress hatte, daher ist das nicht so viel im Kopf geblieben. Als Kind weiß man beim Ausreisen nicht wo man ist.

R: Mit Bescheid vom 07.11.2012 wurden ihre Anträge gemäß § 5 AsylG 2005 wegen der Zuständigkeit XXXX zurückgewiesen und Sie wurden nach XXXX ausgewiesen. Der Beschwerde gab der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 05.12.2012 nicht Folge. Die Ausreiseverpflichtung erwuchs in Rechtskraft. Sind Sie der Ausreiseverpflichtung nachgekommen?

BF 2 (auf Deutsch): Ich glaube nicht, aber ich weiß es ehrlich gesagt nicht.

R: Die Abschiebung war nicht möglich, weil Sie am 08.12.2012 das Grundversorgungsquartier in XXXX verlassen haben und unbekannten Aufenthalts waren. Wo haben Sie von DEZEMBER 2012 bis FEBRUAR 2014 gelebt?

BF 2 (auf Deutsch): Weiß ich nicht. Wir haben in XXXX gelebt, in XXXX , XXXX , die Zeiten weiß ich nicht.

R: Wo haben Sie die Schule angefangen?

BF 2 (auf Deutsch): Die Schule habe ich in XXXX in der XXXX XXXX begonnen. Nachgefragt, das war 2013. Ich konnte damals gar kein Deutsch. Wir waren in XXXX als erstes, das weiß ich noch, danach waren wir in XXXX , danach waren wir in XXXX und danach sind wir wieder [nach] XXXX geschickt worden, dann nach XXXX und dann nach XXXX .

R: Was war also die erste Klasse, die Sie in Österreich besucht?

BF 2 (auf Deutsch): Die erste Klasse XXXX .

R: Wie viel Jahre haben Sie die Schule in der XXXX XXXX besucht?

BF 2 (auf Deutsch): Das weiß ich jetzt nicht genau, wir haben ca. zweieinhalb Jahre in XXXX gelebt.

R: Wo haben Sie in XXXX gelebt?

BF 2 (auf Deutsch): Einmal bei XXXX . Wir haben auch bei der XXXX gelebt. Von dort sind wir dann nach XXXX gekommen. An Details kann ich mich nicht mehr erinnern, ich kann mich aber erinnern, dass ich in die Schule gegangen bin.

R: Sie waren in dem Wohnheim XXXX gemeldet, haben Sie dort auch gelebt?

BF 2 (auf Deutsch): XXXX .

R: Am 28.02.2014 stellte Ihre Mutter für Sie einen zweiten Asylantrag. Haben Sie Österreich seither einmal verlassen?

BF 2 (auf Deutsch): Nein.

R: Seit wann kennen Sie XXXX ?

BF 2 (auf Deutsch): Als wir in XXXX wohnten. Ich glaube es war eine XXXX . Wann ich ihn kennengelernt habe, vom Jahr her, weiß ich nicht. In XXXX haben wir ihn so zu sagen kennengelernt, meine Mutter. Als wir nach XXXX gezogen sind, hat er versucht auch in unsere Nähe zu kommen, hat sich in der Nähe eine Wohnung für sich gefunden, ansonsten hat er in seinem eigenen XXXX gewohnt.

R: Haben Sie ihn schon in der Russischen Föderation gekannt?

BF 2 (auf Deutsch): Nein.

R: Beschreiben Sie mir Ihre Beziehung zu ihm!

BF 2 (auf Deutsch): Sehr gut, ich habe ihn schon fast als Vater gesehen.

R: Wie darf ich mir das konkret vorstellen? War er jeden Tag bei Ihnen?

BF 2 (auf Deutsch): Er hat nicht offiziell mit Meldezettel bei uns gelebt.

R: Wie war es faktisch?

BF 2 (auf Deutsch): Er war öfters bei uns. Wir haben viel gemeinsam gemacht, als wir Kinder waren, als wir 13 waren. Wir sind gemeinsam in den Park und so gegangen. Wir waren im Sommer auch manchmal Eis essen.

R: Herr XXXX ist verheiratet und hat Kinder, beschreiben Sie Ihre Beziehung zu seiner Frau und seinen Kindern!

BF 2 (auf Deutsch): Wir kennen uns eigentlich gar nicht.

R: Sind Sie selbst verheiratet, verpartnert oder haben Sie eine/n Lebensgefährten?

BF 2 (auf Deutsch): Nein.

R: Beschreiben Sie Ihre Lebensumstände in Österreich!

BF 2 (auf Deutsch): Ich persönlich bin sehr integriert, ich habe die Schule und die Ausbildung auch sehr gut. Ich habe auch viele Freunde hier, viele Lehrer mögen mich auch sehr. Ehrenamtlich mache ich auch viele freiwillige Sachen, z. B. auf die Kinder der Nachbarin aufpassen. Viele Sachen, die ich machen kann. Wenn jemand Hilfe braucht, dann mache ich das auch.

R: Beschreiben Sie einen typischen Tag, wie leben Sie typischer Weise, wie sieht Ihr Leben so aus?

BF 2 (auf Deutsch): Am Vormittag gehe ich in die Schule, dann komme ich zu Hause, meistens esse ich und mache die Hausaufgabe. Wenn ich frei habe, gehe ich mit meinen Freunden raus, wenn mir sonst zu Hause langweilig wird. Wenn ich nach Hause komme und zu müde bin, schlafe ich. Wenn mir langweilig wird, schlafe ich. Ich schaue mir auch zu Hause Filme an, wenn mir langweilig ist und ich nicht raus kann, z. B. bei der Quarantäne. Ansonsten sieht es gut aus bei mir, es ist alles normal.

R: Haben Sie in Österreich bislang eine Berufstätigkeit oder ehrenamtliche Tätigkeiten ausgeübt?

BF 2 (auf Deutsch): Von der Schule aus habe ich ein zweiwöchiges Praktikum von XXXX im XXXX gemacht, ansonsten habe ich nicht gearbeitet, ich darf ja nicht. Diesen Sommer habe ich aber bei „ XXXX " im XXXX mitgearbeitet, wo sie XXXX .

R: Haben Sie jemals auf Dienstleistungsscheckbasis gearbeitet?

BF 2 (auf Deutsch): Nein.

R: Wie bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt, seit Sie in Österreich sind? Wie haben Sie Ihren Lebensunterhalt in der Russischen Föderation bestritten?

BF 2 (auf Deutsch): Wir haben die Grundversorgung von der XXXX .

R: Wovon haben Sie in der Russischen Föderation gelebt?

BF 2 (auf Deutsch): Weiß ich nicht.

R: Beschreiben Sie mir Ihre Lebenssituation in der Russischen Föderation! Mit wem haben Sie wo zusammengelebt?

BF 2 (auf Deutsch): XXXX hieß das Dorf, wo wir gelebt haben. Wie es dort ausgeschaut hat, wo das genau ist, weiß ich nicht mehr, ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich weiß nur, dass wir einen Garten hatten, weil wir dort gespielt haben. Es war ein Haus, Details weiß ich nicht. Nachdem mein Vater gestorben ist, habe ich mit meiner Mutter und meinen zwei Schwestern zusammengelebt, mit sonst niemanden.

R: Was ist mit Ihren Großeltern, haben Sie diese besucht, sind diese zu Ihnen gekommen?

BF 2 (auf Deutsch): Wir haben früher mehr Kontakt, jetzt haben wir weniger Kontakt.

R wiederholt die Frage.

BF 2 (auf Deutsch): Väterlicherseits hatte ich keine Großeltern, weil diese verstorben waren. Mit meinen Großeltern mütterlicherseits (ms.) hatten wir mehr Kontakt, jetzt habe ich nur mit meiner Großmutter ms. Kontakt, weil die meisten Verwandten den Kontakt abgebrochen haben, weil meine Mutter das zweite Mal geheiratet hat, sie wollten mit ihr nichts mehr zu tun [haben]. Wir waren öfters bei Großmutter, sie sind öfters zu uns gekommen. Damals hatten wir viel gemeinsam zu tun. Ich habe keine schlechten, grausamen, Erinnerungen.

R: Wie war die Beziehungen zu Ihren Onkel und Tanten?

BF 2 (auf Deutsch): Auch ok, es war wie bei der Oma, normal, nicht so wie heute. Nachgefragt, die meisten wollen mit ihr keinen Kontakt haben, deshalb telefonieren wir auch nicht, nur mit meiner Oma, im Monat einmal. Wenn meine Mutter mit meiner Oma telefoniert, reden wir auch mal dazwischen und fragen wie es ihr geht und so, ganz normale Gespräche halt.

R: Wie war das für Sie, als Sie aus Russland weggefahren sind?

BF 2 (auf Deutsch): Am Anfang wusste ich nicht, wo ich hinfahren, was mit mir passiert. Man hat sich schon Sorgen gemacht. Ich wusste schon, dass wir von dort weggehen, ich habe nicht viel gewusst. Ich war nicht besonders glücklich, aber auch nicht besonders traurig, weil ich nicht wusste, was da abgeht.

R: Was hat Ihre Mutter Ihnen erzählt?

BF 2 (auf Deutsch): Als ich dann hier [war] und wir nachgefragt haben, hat meine Mutter gesagt, dass sie uns das nicht sagen will, damit wir keinen Stress haben. Wir waren ohnehin am Anfang gestresst, die Lehrer haben das auch gemerkt und die Mutter wollte nicht, dass wir noch mehr Stress haben.

R: Sie waren XXXX Jahre alt, als Sie ausgereist sind, was hat Ihre Mutter Ihnen da erzählt. Sie werden ja nachgefragt haben?

BF 2 (auf Deutsch): Habe ich, meine Mutter hat aber nichts erzählt.

R: Haben Sie etwas verändert, bedrohlich vor der Ausreise empfunden? War was gefährlich, bedrohlich? Wie waren die Umstände bevor Sie ausgereist sind?

BF 2 (auf Deutsch): Ich kann mich an nichts erinnern, vor wem ich da Angst gehabt hätte. Ich hatte schon Angst, weil ich nicht wusste, warum das passiert. Warum wir weg[fahren], wusste ich nicht, wir haben nur die Sachen gepackt. Glücklich war ich in dem Moment auch nicht.

R: Wie ist die Beziehung zu den Verwandten Ihrer Mutter, die in Österreich leben?

BF 2 (auf Deutsch): Meine Mutter hat hier eine Cousine, für mich ist sie die Tante. Ich mag sie sehr, sie ist eine gute Person, sie kommt ca. einmal im Jahr zu uns, wir können nicht so oft hinfahren. Z. B. im Sommer ist sie auch zu uns gekommen, weil der Vater meiner Mutter gestorben ist, um meine Mutter zu trösten.

R: Welche Ausbildung haben Sie in der Russischen Föderation absolviert?

BF 2 (auf Deutsch): Ich bin dort in die Volksschule gegangen, ob XXXX oder XXXX Klassen, weiß ich jetzt nicht, aber ich glaube XXXX .

R: Wo haben Sie im Schuljahr 2012/2013 und 2013/2014 die Schule besucht?

BF 2 (auf Deutsch): Die XXXX ?

R: Dafür haben Sie keine Zeugnisse vorgelegt.

BF 2 sieht in ihrem Dokumentenordner nach.

BF legt vor: Schulnachricht und Schulbesuchsbestätigungen 2013/2014, welche in Kopie der Verhandlungsschrift beigelegt werden. Ein Zeugnis 2012/2013 wird nicht gefunden.

R: 2014/2015 machten Sie die XXXX XXXX , Zusatz grundlegende Allgemeinbildung. Sie mussten eine Nachprüfung in XXXX machen. Haben Sie sie geschafft?

BF 2 (auf Deutsch): War das die XXXX . Klasse, die musste ich wiederholen?

R: 2015/2016 haben Sie die XXXX . Schulstufe wiederholt. Haben Sie 2016/2017 die XXXX erfolgreich abgeschlossen? Ein Zeugnis liegt nicht vor! Laut eines Empfehlungsschreibens haben Sie die XXXX -Schule in XXXX besucht. Ein Zeugnis liegt nicht vor!

BF 2 legt weiters vor: Abschlusszeugnis und Schulnachricht der XXXX , welche in Kopie der Verhandlungsschrift beigelegt werden

R: Das Abschlusszeugnis der XXXX wird nicht gefunden.

R: Wo waren Sie 2018/2019 in der Schule?

BF 2: Im XXXX .

R: 2019/2020 besuchten Sie das XXXX in XXXX . Haben Sie die Nachprüfung XXXX geschafft?

BF 2 (auf Deutsch): Das war für mich keine Pflicht, wegen Corona durfte man mit einem „Nicht genügend" aufsteigen.

BF 2 legt vor: Schulbesuchsbestätigung für Schuljahr 2020/2021 und Empfehlungsschreiben, welche in Kopie der Verhandlungsschrift beigelegt werden

R: Welche Sprache(n) sprechen Sie zu Hause?

BF 2 (auf Deutsch): Mit der Mutter sprechen wir Tschetschenisch, wenn es länger dauern würde, würden wir Deutsch mit ihr sprechen. Wir Schwestern untereinander unterhalten uns auf Deutsch, weil wir uns da besser verstehen.

R: Wie schätzen Sie Ihre RUSSISCH und TSCHETSCHENISCHKENNTNISSE ein?

BF 2 (auf Deutsch): RUSSISCH sehr schwach, aber TSCHETSCHENISCH kann ich noch ein bisschen, wegen der Mutter, weil ich mit ihr TSCHETSCHENISCH spreche.

R: XXXX sprach nicht Deutsch; wie haben Sie sich mit Ihm unterhalten?

BF 2 (auf Deutsch): Auch auf TSCHETSCHENISCH.

R: In welcher Sprache schauen Sie fern, hören Sie Radio und lesen Sie im Internet?

BF 2 (auf Deutsch): Meistens auf Deutsch, mein Handy ist auf Deutsch eingestellt, aber manchmal stellen wir es um, wenn meine Mutter es braucht, damit sie es versteht.

R an D: Wie schätzen Sie die RUSSISCHKENNTNISSE der BF 2 ein?

D: Ich kann problemlos mit ihr kommunizieren.

R: Auch aus dem Blickkontakt ergibt sich, dass sie die D versteht.

BF 2 (auf Deutsch): Wenn man versteht was Sie gesagt haben und versteht, was die D gesagt hat, dann versteht man, warum es geht.

R: Besitzen Sie außer dem asylrechtlichen Aufenthaltstitel in Österreich noch ein weiteres Aufenthaltsrecht?

BF 2 (auf Deutsch): Nein.

R: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

BF 2 (auf Deutsch): Nein.

R: Sind Sie in Österreich und Ihrem Herkunftsland strafgerichtlich unbescholten?

BF 2 (auf Deutsch): Ich bin unbescholten.

R: Sind Sie auf andere Art und Weise mit der österreichischen Rechtsordnung in Konflikt geraten?

BF 2 (auf Deutsch): Nein.

R: Möchten Sie noch Beweismittel zur Frage Ihres Privat und Familienlebens vorlegen, die Sie bisher im Verfahren noch nicht vorgelegt haben?

BF 2 (auf Deutsch): Nein.

R: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?

BF 2 (auf Deutsch): Gerade geht es mir gut, in den letzten drei, vier Jahren hat es sich verbessert. Am Anfang ging es mir nicht gut.

R: Brauchen Sie aktuell Therapien oder Behandlungen? Laut Parteiengehör sind Sie seit 2016 nicht mehr in Behandlung!

BF 2 (auf Deutsch): Ja, das stimmt.

R: Waren Sie in der Russischen Föderation jemals in Behandlung?

BF 2 (auf Deutsch): Ich glaube nicht.

R: Das ho. Gericht kann sich nunmehr ein Bild über Ihre privaten und familiären Bindungen in Österreich machen und erscheinen hierzu seitens des ho. Gerichts keine weiteren Fragen offen. Wollen Sie sich noch weitergehend zur Ihren privaten und familiären Bindungen in Österreich bzw. Ihrer Integration äußern?

BF 2 (auf Deutsch): Nein.

R an BFV: Möchten Sie Fragen an die BF 2 stellen?

BFV: Ja.

BFV an BF 2: Falls die Familie in Österreich bleiben dürfte, wie stellst du dir dein weiteres Leben in Österreich vor?

BF 2 (auf Deutsch): Ich habe vor, die Matura abzuschließen, ich habe noch XXXX Jahre. Danach will ich Medizin studieren, weil ich es gerade im Kopf habe. Ich wollte früher Ärztin für Menschen sein, aber ich habe jetzt mir anders überlegt und möchte doch Tierärztin werden. Das ist mein Ziel, falls ich dableiben kann.

R: Haben Sie ein Haustier?

BF 2 (auf Deutsch): Ja, eine Katze.

BFV: Wie würdest du deine Rolle in der Familie beschreiben?

BF 2 (auf Deutsch): Ich als die älteste von den Töchtern habe eine Verantwortung. Ich sehe, dass ich verantwortungsvoll sein sollte. Wie ich mir das noch anders vorstelle...? Meine Mutter ist gesundheitlich etwas schwach, ich sollte sie mehr unterstützen, damit sie nicht auf sich alleingestellt ist. Mehr weiß ich jetzt auch nicht dazu.

BFV: Tust das auch im Alltag, unterstützt du deine Mutter?

BF 2 (auf Deutsch): Ja, an sich schon.

BFV: Kannst du Beispiele nennen, wobei?

BF 2 (auf Deutsch): Wenn es meiner Mutter gesundheitlich – an einem Tag – ganz schlecht geht, z. B. Kopfschmerzen, dann massiere ich sie, sorge dafür, dass sie Tabletten einnimmt. Wenn es meiner Mutter ganz schlecht geht, wenn sie vom Bett nicht aufstehen kann, dann schaue ich, dass im Haushalt alles noch gut ausschaut, koche für die ganze Familie manchmal. Schaue vom Putzen her, dass es ordentlich ausschaut, wenn ich in der Schule bin, mache ich mir schon Sorgen, wie es meiner Mutter zu Hause geht. Ca. so schaut mein Alltag aus.

BFV: Keine weiteren Fragen.

[…]

R: Wurde das protokolliert was Sie vorher angegeben haben oder wollen Sie Korrekturen anbringen?

BF 2: Ich nicht, das[…], was meine Vertreterin zu sagen hat.

RV: Bei der dritten Frage auf Seite 9 fehlt der Vorhalt der Richterin, dass die BF bei ihrer Ausreise 12 Jahre alt war. Sie war XXXX .

Bei der fünften Antwort auf Seite 11 fehlt, dass er sich um vieles gekümmert hat. Und bei der darauffolgenden Antwort fehlt, dass wir auch öfters bei ihm waren.“

Die Befragung der Erstbeschwerdeführerin gestaltete sich wie folgt:

„R: Sie wurden am 25.08.2012 und 28.02.2014 polizeilich erstbefragt und am 11.09.2012 und 10.03.2016 vom Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Wie würden Sie die dortige Einvernahmesituation beschreiben?

BF 1: Leider kann ich mich nicht mehr genau erinnern, zumindest an keine Details. Aber ich glaube nicht, dass da etwas war oder ich kann mich daran nicht erinnern.

R: Haben Sie bei Ihren bisherigen Aussagen vor der Polizei im Rahmen der Erstbefragung und vor dem Bundesamt immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtigstellen oder ergänzen?

BF 1: Ich habe immer die Wahrheit gesagt. Aber ergänzen, damals habe ich immer die Wahrheit gesagt. Jetzt wird die Ergänzung kommen.

R: Was wollen Sie ergänzen?

BF1: Ich meine, ich habe schon damals alles geschildert. Es geht nur um einige Details. Diese stehen mit meinem ersten Mann in Verbindung. Diese Details wurden nicht hinzugefügt. Ich habe damals nicht geglaubt, dass diese Details wichtig sind. Ich habe jetzt mit meiner Anwältin diese Details besprochen.

R: Sie haben gesagt, die Details wurden nicht hinzugefügt: Haben Sie diese nicht gesagt oder wurden diese nicht protokolliert?

BF1: Ich habe sie nicht gesagt.

R: Worum geht es? Was möchten Sie ergänzen?

BF1: Pause. Nach der.... Im welchem Jahr war das... Wie heißt das auf Polnisch? Als ich wieder einen Antrag gestellt habe.

R: Ergänzen Sie, was zu ergänzen ist.

BF1: Ich möchte sagen, dass es nicht über das Thema ging, als ich wieder einen Antrag gestellt habe. Man hat mir gesagt, dass dieses Thema schon abgeschlossen wurde. Deswegen wurden diese Ergänzungen von mir nicht getätigt.

R: Was wollen Sie ergänzen?

BF1: Das, was mein Mann erzählt hat. Bevor wir geheiratet haben, sind zu meinem Mann Leute gekommen, die bei ihm übernachtet haben. Er hat sie versteckt. Das waren Bekannte. Sie haben sich damals an Kriegshandlungen beteiligt. Aber das war noch, bevor wir geheiratet haben. Deswegen habe ich das nicht für besonders wichtig gehalten. Danach haben wir bei der Einvernahme nicht über das Thema gesprochen. Deswegen ist das unberücksichtigt geblieben.

R: Gibt es sonst noch etwas zu ergänzen?

BF1: Wenn sie mir Fragen stellen, dann wird es leichter für mich sein. Ansonsten fällt es mir schwer.

R: Von welchem Mann sprechen Sie, denn den Sie in Russland geheiratet haben oder den Sie in Österreich geheiratet haben?

BF1: Ich spreche über den Mann, denn ich in der Russischen Föderation hatte.

R: Wann haben Sie geheiratet?

BF1:2001.

R: Haben Sie standesamtlich oder nur nach traditionellen musischem Ritus geheiratet?

BF1: Wir haben sowohl standesamtlich, als auch traditionell geheiratet.

R: Mit Bescheid vom 22.11.2016 wies das Bundesamt Ihren Antrag auf internationalen Schutz sowohl im Hinblick auf den Status der Asylberechtigten, als auch im Hinblick auf den Status der subsidiär Schutzberechtigten ab, stellte fest, dass Ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist, erteilte Ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen Sie und räumte Ihnen eine 14-tätige Frist für die freiwillige Ausreise ein. Gleichlautende Bescheide ergingen in den Verfahren Ihrer Töchter. Gegen diese Bescheide erhoben Sie mit Schriftsatz vom 09.12.2016 Beschwerde. Halten Sie diese Schriftsätze und die darin gestellten Anträge aufrecht?

BFV: Ja.

R: Wurden Sie aufgrund Ihrer Rasse verfolgt?

BF 1: Nein.

R: Wurden Sie aufgrund Ihrer Nationalität verfolgt, weil Sie Tschetschenin sind?

BF 1: Nein.

R: Wurden Sie aus religiösen Gründen verfolgt?

BF 1: Nein.

R: Haben Sie sich im Herkunftsland politisch betätigt und/oder waren Sie Mitglied einer politischen Partei oder Bewegung?

BF 1: Nein.

R: Wurden Sie verfolgt, weil Sie sonst einer bestimmten sozialen Gruppe angehören?

BF 1: Ich wurde verfolgt, nach dem Tod meines ersten Mannes. Weil man meinen Mann beschuldigt hat.

R: Warum sind Sie 2012 aus der Russischen Föderation ausgereist? Schildern Sie bitte möglichst genau ihre Fluchtgründe!

BF 1: 2012, da bin ich hierher mit meinen Kindern gekommen, weil ich Angst um mein Leben hatte und auch um das Leben meiner Kinder. Ich hatte schon früher Probleme, nach dem Tod meines ersten Mannes. Aber 2012 hat es ein Problem gegeben und da hatte ich ernste Sorgen. Deswegen bin ich ausgereist.

R: Beschreiben Sie Ihr Problem. Warum sind Sie ausgereist?

BF1: Könnten Sie fünf Minuten warten?

R: Warum, brauchen Sie eine Pause?

BF1: Weil es mir nicht ganz gut geht. Nur das, ich dann sprechen kann.

Die Verhandlung wird für fünf Minuten unterbrochen.

BFV: Erzählen Sie einfach eines nach dem anderen.

BF1: Ich habe sie nicht verstanden.

D übersetzt.

Fortsetzung der Verhandlung um 11:37 Uhr.

BF1: 2008 ist mein Mann verstorben. Er hat das Haus verlassen und ist verschwunden. Nach einiger Zeit hat man mir seine Leiche übergeben. Und dann, danach, eine Woche später, ca. eine Woche später, kamen die Leute zu mir. Sie haben mich mitgenommen. Man hat mir Fragen gestellt. Es ging um irgendwelche Fotos. Verletzt war ich innerlich, weil wegen dem, was passiert ist, habe ich meine Meinung dazu gesagt. Weil ich das gesagt habe, ist der Mann auf mich zugekommen und hat mir einen Schlag aufs Gesicht gesetzt und dann bekam ich Angst und hörte auf zu sprechen. Man hat mir Fragen gestellt, aber ich habe keine Antwort auf diese Fragen gewusst. Ich habe auch nicht verstanden, warum mein Mann mitgenommen wurde. Danach, nach ca. einem oder zwei Monaten sind die Leute wiedergekommen. Sie haben wieder Fragen gestellt, ob mich wer angerufen hat oder nicht. Aber sie haben mich damals nicht geschlagen. So haben wir gelebt. Dann kamen die Leute hin und wieder, aber sie haben mich nicht mitgenommen. Sie haben nur Fragen gestellt. Und dann sind sie wieder weggegangen. Dann, nach ca. einem Jahr hat ein Verwandter meines Mannes, ein Cousin meines Mannes, ein junger Kerl das Haus verlassen. Es hat sich herausgestellt, dass er zu den Aufständischen gegangen ist. Dann haben mir die Leute auch Fragen gestellt. Ich und die Familie dieses Mannes wurde mitgenommen und es wurden Fragen gestellt. Danach kamen die Leute, das waren Leute von der Polizei, sie haben Fragen gestellt und sie sind gegangen, sie haben mich nicht mehr geschlagen und sie haben mich nicht mitgenommen. 2012, mir fällt es schwer darüber zu sprechen. Weil das eine sehr persönliche Sache ist. Da gab es einen Vorfall. Und nachher bin ich dann ausgereist.

R: Beschreiben Sie den Vorfall.

BF1: Zu mir... Zu mir sind Männer gekommen und sie haben mir etwas angetan, aber ich möchte dieses Wort nicht sagen.

R: Was für Männer? [BF1 verweigert die [Ü]bersetzung der Antwort]

BF1: Welche Männer hätten das sein können, das waren Militärangehörige. Ich habe zuerst geglaubt, dass sie gekommen sind, um mich zu holen oder mich etwas zu fragen. Aber sie wollten was Anderes.

R: Was ist passiert?

BF1: Könnte ich nicht darüber sprechen?

R: Es ist Ihr Antrag.

BF1: Ich möchte nicht darüber sprechen.

R: Liegt ein Grund für eine Aussageverweigerung vor?

BFV: Nein. Ich verweise auf die Befunde.

R: Ich sehe keinen Grund, der der unmittelbaren Beweisaufnahme durch Parteienvernehmung im Wege steht.

R: Warum kamen diese Männer zu Ihnen und nicht zu Ihrer Nachbarin?

BF1: Weil ich alleine gelebt habe. Ich glaube, dass es der einzige Grund war. Wahrscheinlich deswegen, weil ich schutzlos war.

R: Sie haben doch einen Bruder.

BF1: Aber er lebte nicht mit mir.

R: Hatte Ihr Mann Geschwister?

BF1: Alle seine Schwestern sind verheiratet. Er hatte keine Brüder.

R: Haben Sie mit Ihren Eltern zusammengelebt?

BF1: Nein. Die Eltern haben getrennt von uns gelebt.

R: Was passierte?

BF1: Ich habe die Frage nicht verstanden.

R: Die Männer kamen zu Ihnen. Was passierte? Wurden Sie befragt oder verhört?

BF1: Sie haben mich nicht verhört. Mir geht es nicht gut. Ich möchte eine Pause haben.

BFV: Ich habe das schon miterlebt, tendenziell wird das nur schlechter. Die Verhandlung sollte fortgesetzt werden. Sie müssen nicht im Detail erzählen, was passiert ist, aber zumindest in groben Zügen. Es ist ohne dies im Akt.

BF1: Pause. Können Sie die Frage wiederholen?

R: Die Männer kamen zu Ihnen und haben sie nicht befragt. Was ist passiert?

BF1: Sie haben geklopft, ich habe das gehört und ich kam zur Tür und habe die Tür ein bisschen aufgemacht, um Nachschau zu halten und dann habe ich eine Stimme gehört. Kommst du raus oder sollen wir hereinkommen. Ich dachte, dass die Leute vielleicht wiedergekommen sind, um mich zu holen. Ich bin rausgekommen und habe gleich die Tür hinter mir zugemacht, damit sie nicht zu den Kindern gehen. Ich bin also rausgekommen, ging runter, dort gab es ein paar Treppen. Der Mann ist dort im Schatten gestanden. Neben meinem Haus steht noch ein altes Haus. In diesem Haus haben wir früher gelebt. Er sagte, geh dorthin. Ich dachte, dass man mich vielleicht umbringen will, wenn man mich nicht gleich abholt. Aber für mich war das wichtigste, dass sie nicht zu den Kindern gehen. Ich wollte auch nicht, dass die Kinder rauskommen, also ging ich in das Haus. Das, was weiter passiert ist, darüber möchte ich nicht sprechen.

R: Wenn Sie den Teil auslassen, über den Sie nicht sprechen. Wie ging es dann weiter?

BF1: Danach ... Ich weiß gar nicht, wie ich dann zurück nach Hause gekommen bin. Danach bin ich krank geworden. Aber ich habe niemanden erzählt, was passiert ist. Bei uns sind solche Sachen... Solche Sachen versteht man bei uns nicht. Ich bin jedenfalls krank geworden und meine Eltern sind gekommen und wussten nicht, was passiert ist. Ich konnte mich nicht auf den Beinen halten. Dann...Dann, als ich ein bisschen zu mir kam, als ich wieder gehen konnte, dann bin ich ausgereist.

R: Wie viele Monate vor der Ausreise war dieser Vorfall?

BF1: Das war im April.

R: Ich habe vorher mit Ihrer Tochter gesprochen, die nichts Besonderes mitbekommen hat, dabei ist sie damals schon 9 Jahre alt gewesen. Wie können Sie mir das erklären?

BF1: Als der Vater gestorben ist, sind viele Leute gekommen, auch meine Verwandten sind immer wieder gekommen und sind wieder weggefahren. Vielleicht deswegen. Ich habe meinen Kindern auch nicht erzählt, was passiert ist. Sie standen sowieso unter Stress nach dem Tod ihres Vaters. Sie haben auch selbst Probleme mit sich selbst gehabt, aufgrund dessen.

R: Zwischen dem Vorfall und dem Tod Ihres Mannes liegen ja doch vier Jahre. Wie können Sie mir erklären, dass Ihre Tochter nichts mitbekommen hat, wenn Sie so krank waren?

BF1: Warum weiß sie das nicht. Ich bin jetzt auch krank. Die Kinder waren klein. Seit dem Tod meines Mannes habe ich mich immer schlecht gefühlt. Ich war immer in einem schlechten Zustand. Das wissen meine Kinder. Vielleicht hat sie auch vergessen, dass ich dann krank geworden bin. Vielleicht hielt sie das auch nicht für besonders wichtig. Die Töchter waren damals noch Kinder. Sie haben vieles vergessen, was zu Hause war.

R: Was haben Sie Ihren Kindern erzählt, warum sie plötzlich ausreisen müssen?

BF1: Nichts. Ich habe nichts gesagt. Ich wollte meinen Kindern keinen Stress machen, deswegen habe ich keinen Grund gesagt.

R: Hatten Sie in der Russischen Föderation außer aus den jetzt genannten Gründen jemals Probleme mit staatlichen Behörden (zB der Polizei) Ihres Herkunftslandes?

BF 1: Ich hatte Probleme mit den staatlichen Behörden nach dem Tod meines Mannes, wegen meines Mannes.

R: Haben Sie versucht, in Ihrem Herkunftsla

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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