TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/26 W277 2202640-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.11.2020
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Entscheidungsdatum

26.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


W277 2202640-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. ESCHLBÖCK, MBA, über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX und XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge: die BF) stellte nach illegaler, schlepperunterstützter Einreise in das Bundesgebiet am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am XXXX durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt (AS 15 ff).

Zu ihrem Fluchtgrund gab die BF im Wesentlichen an, dass islamische Terroristen der Organisation XXXX sie bedroht hätten. Diese Organisation gebe es in allen muslimischen Ländern. Sie hätten verlangt, dass die BF mit ihnen nach Syrien mitgehe, um dort ein Selbstmordattentat zu begehen und gedroht, sie zu töten, wenn sie dies nicht tue. Deshalb habe sie nicht mehr im Herkunftsland leben können. Dies sei alles passiert, weil die BF XXXX sei und dies dort nicht akzeptiert werde. Deshalb würden „sie“ die BF verfolgen.

Die BF legte im Rahmen der Antragstellung unter anderem ihren russischen Führerschein (AS 27 f.), ihre Geburtsurkunde (AS 31) und eine Versicherungsbescheinigung des Pensionsfonds im Herkunftsstaat (AS 33) vor.

2. Mit Vorlage vom XXXX gab die BF eine schriftliche Stellungnahme ab und ersuchte um die baldige Durchführung einer Einvernahme in Anwesenheit einer weiblichen Einvernahmeleiterin und einer weiblichen Dolmetscherin, welche XXXX seien. Sie sei im Herkunftsstaat aufgrund ihrer XXXX von einer XXXX worden. Die BF sei aufgrund ihrer Erlebnisse stark traumatisiert und in regelmäßiger, psychologischer Behandlung (AS 49 f).

3. Mit Schreiben vom XXXX , XXXX und XXXX ersuchte die BF durch ihre rechtliche Vertretung erneut um baldige Durchführung einer Einvernahme (AS 55 ff).

4. XXXX wurde die BF in Anwesenheit ihrer Rechtsvertreterin und XXXX , als Vertrauensperson vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen. Die BF legte im Rahmen der Einvernahme folgende Unterlagen vor (AS 89 ff):

- ein als „Zertifikat“ tituliertes Schreiben der XXXX , datiert mit XXXX betreffend ihre Teilnahme an einem Deutschkurs für Anfängerinnen (AS 123),

-eine Kursbesuchsbestätigung, datiert mit XXXX , betreffend den regelmäßigen Besuch eines Deutschkurses A1 Teil 3 und 4 an den XXXX (AS 121),

-eine Kursbesuchsbestätigung, datiert mit XXXX , betreffend den regelmäßigen Besuch eines Deutschkurses A2 Teil 1 und 2 an den XXXX (AS 119),

-ein XXXX , betreffend eine „gut“ bestandene Prüfung auf dem XXXX (AS 115 f.),

-ein als „Zertifikat“ tituliertes Schreiben vom XXXX betreffend Teilnahme der BF an einem Deutschkurs „ XXXX (AS 113)

- ein Empfehlungsschreiben, datiert mit XXXX , gezeichnet von Frau XXXX in Wien (AS 125),

-ein Empfehlungsschreiben, datiert vom XXXX , gezeichnet mit Frau XXXX , welchem zu entnehmen ist, dass die BF XXXX , seit XXXX regelmäßig an einem wöchentlich stattfindenden Deutschkurs in der XXXX teilnehmen (AS 127),

-ein Befundbericht XXXX (AS 129 f.),

-ein als „ XXXX “ tituliertes Schreiben von XXXX vom XXXX (AS 133),

-eine Behandlungsbestätigung XXXX (AS 135),

- ein als „ XXXX (AS 137).

5. Mit Schreiben vom XXXX übermittelte die BF eine Stellungnahme zu den Länderberichten über die Russische Föderation (AS 173 ff).

6. Am XXXX stellte das BFA eine Anfrage an die Staatendokumentation betreffend die aktuelle Situation XXXX und zur Organisation „ XXXX “, welche am XXXX beantwortet wurde (AS 189 ff).

7. Mit angefochtenem Bescheid des BFA vom XXXX (AS 237 ff.) wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG wurde ihr nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig erklärt (Spruchpunkt V.) und eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.).

8. Gegen diesen Bescheid erhob die BF, vertreten durch XXXX , fristgerecht Beschwerde und rügte im Wesentlichen ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, insbesondere die Nicht-Berücksichtigung der eingebrachten Stellungnahme und ergänzungsbedürftige Länderberichte, weiters aus näher dargestellten Gründen eine mangelhafte Beweiswürdigung sowie daraus folgend die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides. Der Beschwerde beigelegt wurde ein Urteil des Verwaltungsgerichts XXXX (AS 345 ff).

9. Mit Schriftsatz vom XXXX übermittelte die BF einen klinisch-psychologischen Untersuchungsbericht XXXX , ein Schreiben von XXXX betreffend XXXX und ein Konvolut an Fotos (OZ 3).

10. Mit Schriftsatz vom XXXX übermittelte die BF eine weitere Stellungnahme zur aktuellen Situation XXXX in ihrem Herkunftsstaat sowie ein Zeugnis über eine bestandene Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 (OZ 4).

11. Mit Schriftsatz vom XXXX gab die BF eine Stellungnahme zu den Länderberichten ab, machte hierzu rechtliche Ausführungen, beantragte die Vernehmung von XXXX als Zeugin betreffend ihr XXXX Privat- und Familienleben im Bundesgebiet und legte eine Bestätigung über eine Deutschkursteilnahme auf dem Niveau B1 vor (OZ 11).

12. Mit Schriftsatz vom XXXX legte die BF einen aktuellen klinisch-psychologischen Befundbericht von XXXX vor (OZ 14)

13. Das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge: BVwG) führte am 20.11.2020 eine öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Russisch durch, an welcher die BF und ihre Rechtsvertreterin, XXXX teilnahmen. Die BF gab hierbei an, dass die Vollmacht zu XXXX weiterhin aufrecht ist, sie jedoch bei der mündlichen Verhandlung auf deren Anwesenheit verzichte und in deren Abwesenheit teilnehmen möchte. Das BFA gab am XXXX schriftlich bekannt, XXXX (OZ 12). Folglich ist auch kein Vertreter des BFA erschienen. Die BF wurde ausführlich zu ihrer Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihr Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen, sich zu ihren Rückkehrbefürchtungen und der Integration im Bundesgebiet zu äußern, sowie zu den im Rahmen der Verhandlung in das Verfahren eingeführten und ihr mit der Ladung zugestellten Länderberichten Stellung zu nehmen. Die BF legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung erneut ihren Führerschein im Original (Beilage ./A), zwei Empfehlungsschreiben (Beilage ./C1 und ./C2), sowie ein Studiendiplom XXXX vor (./D).

14. Mit Schriftsatz vom XXXX wurden in Kopie folgende Unterlagen nachgereicht (OZ 16):

- Einstellungszusage der XXXX t,

-Vorvertrag von XXXX ,

-Vorvertrag der XXXX .

15. Das BVwG führte eine Strafregisterabfrage durch. Es scheint keine Verurteilung auf.

II. Für das Bundesverwaltungsgericht ergibt sich daraus wie folgt:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person der BF

Die Identität der BF steht fest.

Die BF ist eine russische Staatsangehörige, gehört der Volksgruppe der XXXX an und ist sunnitisch-muslimischen Glaubens. Sie ist in XXXX , geboren, und ebendort aufgewachsen. Im Herkunftsstaat lebte sie circa ein Jahr in XXXX und etwa 3 Monate in XXXX . Vor ihrer Ausreise war sie in XXXX wohnhaft.

Die BF ist volljährig und im erwerbsfähigen Alter. Sie spricht XXXX , Russisch und auf höherem Niveau Deutsch. Sie hat XXXX die Grundschule und XXXX die Universität besucht, wo sie XXXX studierte. Im Herkunftsstaat hat sie als XXXX gearbeitet.

Die BF hat keine Besitztümer im Herkunftsstaat.

Die Mutter der BF ist XXXX verstorben, ihr Vater XXXX . Sie hat keine Geschwister. Die BF hat zwei Tanten sowie Cousins und Cousinen in XXXX . Ihre Onkel sind verstorben. Ihre Tanten beziehen eine Rente, ihre Cousins und Cousinen sind arbeitstätig.

Die BF hat gegenwärtig keinen Kontakt zu ihren Verwandten im Herkunftsstaat.

Die BF ist geschieden und kinderlos.

Die BF ist XXXX . Im Bundesgebiet lebt sie mit der asylberechtigten, XXXX Staatsangehörigen XXXX in XXXX .

Die BF leidet an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung. Sie leidet an einer ausgeprägten posttraumatischen Belastungsstörung und einer schweren depressiven Störung und befindet sich aktuell in wöchentlicher psychotherapeutischer Behandlung. Sie nimmt gelegentlich XXXX als Beruhigungsmittel ein.

Sie ist im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen der BF

Der BF droht im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation keine konkrete, asylrelevante Gefahr aufgrund ihrer XXXX .

Die BF ist keiner sonstigen, konkreten, asylrelevanten Verfolgung bzw. Bedrohung im Herkunftsstaat ausgesetzt.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in der Russischen Föderation

Aus dem ins Verfahren eingeführten, mit der Ladung zugestellten und im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über die Russischen Föderation (in der Folge: LIB) vom XXXX , letzte Information eingefügt am XXXX , der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation XXXX , dem Bericht vom XXXX von „ XXXX sowie dem Bericht „ XXXX , ergibt sich Folgendes:

1.3.1. XXXX
XXXX gehört zur nordkaukasischen Region mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung (AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation).

1.3.2. XXXX
XXXX ist in Russland nicht strafbar (AA 13.2.2019). Die russischen Behörden kommen ihrer Verpflichtung, gegen XXXX vorzugehen und diese zu ahnden, nicht nach. XXXX wurden wiederholt verboten. Schon 2011 wurde Russland deswegen im Fall „ XXXX “ vom EGMR verurteilt. Mehrere XXXX -Organisationen befinden sich derzeit im Register der sog. ausländischen Agenten des Justizministeriums. Im Juli 2019 wurde in Sankt Petersburg eine bekannte Aktivistin für die Rechte von XXXX -Personen ermordet. Das Motiv der Tat ist noch Gegenstand von Untersuchungen, die Aktivistin soll jedenfalls Ziel von Drohungen gewesen sein (ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation). Auch die NGO Sova, die Hassverbrechen in Russland aufzeichnet, berichtet über den Tod eines XXXX -Aktivisten/in und fünf Verletzten bei durch Hass motivierten Angriffen im Jahr 2019. Offizielle Statistiken über solche Straftaten werden nicht geführt (FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 – Russland).

In der Bevölkerung nehmen starke Vorbehalte gegenüber XXXX zu, seitdem sie durch die orthodoxe Kirche und islamische Prediger, zunehmend auch durch staatliche Medien und durch in den sozialen Netzen aktive XXXX russische Bürger, gefördert werden. Bei der Zahl von Gewaltverbrechen gegen XXXX verzeichnet die Menschenrechtsorganisation Sova für das Jahr 2018 einen starken Rückgang gegenüber dem Vorjahr. Es ist jedoch von einer hohen Dunkelziffer auszugehen (AA 13.2.2019).

Als besonders gravierend gilt die Lage XXXX im Nordkaukasus (ÖB Moskau 12.2019). XXXX müssen mit Verfolgung durch lokale Behörden rechnen (AA 13.2.2019). XXXX in Tschetschenien, die von Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wurde (ÖB Moskau 12.2019, vgl. BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (11.2019): Länderreport 21 Russische Föderation, XXXX in Tschetschenien). Über 100 Männer, die XXXX , sollen in Tschetschenien verschleppt und in Geheimgefängnissen gefoltert und anderweitig misshandelt worden seien. Einige der Männer seien getötet worden. Überlebende berichteten, es habe sich um eine von den Behörden koordinierte Gewaltkampagne gehandelt. Augenzeugen sagten aus, einige der gefangen genommenen Männer seien getötet worden, andere habe man ihren Familien übergeben, damit diese sie gemäß lokalen „Traditionen“ töteten, um die „Familienehre“ zu wahren [Ehrenmord] (AI – Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, vgl. AA 13.2.2019, HRW – Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2017 - Russia, FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, BAMF 11.2019).

Anfang 2017 gab es zwei Verfolgungswellen gegenüber XXXX . In mindestens sechs Fällen seien die Opfer ermordet worden. Andere konnten nach ihrer Freilassung aus Tschetschenien fliehen. Menschenrechtsorganisationen (z.B. das XXXX -Netzwerk, Amnesty International, Human Rights Watch), Regionalexperten und ausländische Beobachter sehen für diese Menschen auch in anderen Teilen Russlands akute Lebensgefahr durch Angehörige tschetschenischer Sicherheitsorgane oder durch ihre eigene Verwandtschaft („Ehrenmorde“). Konkrete Vorfälle dieser Art sind bisher - vermutlich auch aufgrund des XXXX verbundenen XXXX in der Region, sowie aufgrund der Furcht vor Repressionen nach Zeugenaussagen - allerdings nicht bekannt geworden (AA 13.2.2019).

Aufgrund der internationalen Berichterstattung und Kritik wurde die Problematik rasch von politischer Seite aufgegriffen, wobei Präsident Putin gegenüber der Ombudsfrau für Menschenrechte, Tatjana Moskalkowa, entsprechende Unterstützung zur Aufklärung der Vorwürfe zusicherte. Der Ombudsmann für Menschenrechte in Tschetschenien behauptete hingegen, bislang keine Beschwerden zur Lage XXXX erhalten zu haben (ÖB Moskau 12.2019). Im Sommer 2017 hatte das tschetschenische Oberhaupt Ramzan Kadyrow behauptet, dass es überhaupt XXXX in Tschetschenien gäbe (ÖB Moskau 12.2019, vgl. BAMF 11.2019, HRW 18.1.2018), und andernfalls deren Deportation ins Ausland vorgeschlagen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. BAMF 11.2019). Schlussendlich gab es keine ordentliche Untersuchung zur Verfolgung der XXXX -Community in Tschetschenien im Jahr 2017, zum Teil auch deshalb, weil nur eine Person mutig genug war, eine formale Beschwerde einzubringen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. BAMF 11.2019). Im Dezember 2018 und Januar 2019 führte die Polizei in Tschetschenien eine neue Runde rechtswidriger Inhaftierungen, Schläge und Demütigungen von Männern durch, von denen sie vermuteten, dass sie XXXX . Niemand wurde dafür oder für die tschetschenische Säuberung gegen XXXX im Jahr 2017 zur Rechenschaft gezogen (HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 – Russland). Beim Vorgehen gegen XXXX im Jänner 2019 sollen ca. 40 Personen betroffen gewesen sein (FH 4.3.2020, vgl. ÖB Moskau 12.2019, BAMF 11.2019). Die Betroffenen von dieser Welle sollen Folter und Erniedrigung ausgesetzt gewesen sein, zwei Personen, die in inoffiziellen Anhaltezentren festgehalten worden waren, sollen an den Folgen von Folter gestorben sein. 2018 habe es beinahe monatlich einzelne Fälle von Gewalt und Anhaltungen von XXXX -Vertretern durch die Polizei gegeben. Ein mögliches Motiv für die Anhaltungen könnte auch in der Erpressung von Lösegeld (es werden Summen in der Höhe von EUR 13.000 genannt) liegen (ÖB Moskau 12.2019).

2017 kam es zur gezielten Verfolgung von XXXX durch staatliche Sicherheitskräfte (AA 13.2.2019; vgl. HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2018 – Russland), wo die Betroffenen gefoltert und einige sogar getötet wurden (FH 4.2.2019). Die unabhängige Zeitung Nowaja Gazeta berichtete im Sommer 2017 über die angebliche außergerichtliche Tötung von über zwei Dutzend Personen zu Beginn des Jahres im Zuge von Massenfestnahmen nach dem Tod eines Polizisten, die nicht im Zusammenhang mit der Verfolgung von XXXX stehen soll (ÖB Moskau 12.2019; vgl. AI 22.2.2018).

Seit der Veröffentlichung des Zeitungsberichtes zur Verfolgung XXXX in Tschetschenien im April 2017 durch die Zeitung Nowaja Gazeta konnte das russische XXXX -Netzwerk mehr als 150 Personen aus Tschetschenien evakuieren. Davon sind mehr als 140 XXXX in europäische Länder und nach Kanada emigriert. Der Menschenrechtsorganisation zufolge waren die Evakuierungen schwierig, da sie hierbei teilweise von den Behörden und Familien der Betroffenen behindert wurden. Auch in anderen Teilen Russlands außerhalb Tschetscheniens waren die Betroffenen teilweise nicht in Sicherheit, in einigen Fällen kam es zu Entführungen, bei denen die Geflüchteten zu ihren Familien nach Tschetschenien zurückgebracht wurden (BAMF 11.2019).

Seitens Amnesty International wurde eine umfassende Untersuchung der Vorwürfe durch die russischen Behörden gefordert. Im Herbst 2017 besuchte das Komitee gegen Folter des Europarates neuerlich Tschetschenien und konsultierte dabei auch die russische Ombudsfrau für Menschenrechte. Ihre nachfolgende Aussage gegenüber den Medien, dass das Komitee keine Bestätigung außergerichtlicher Tötungen oder Folter gefunden habe, wurde vom Komitee unter Hinweis auf die Vertraulichkeit der mit den russischen Behörden geführten Gespräche zurückgewiesen. Ungeachtet dessen setzten die lokalen Behörden NGO-Berichten zufolge 2018 und 2019 die Repressalien XXXX in Tschetschenien fort (ÖB Moskau 12.2019).

1.3.3. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation XXXX

In Russland ist XXXX nicht verboten. Es gibt jedoch zum Teil starke Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber XXXX , dies kann – naturgemäß – in muslimischen Bevölkerungsteilen noch stärker ausgeprägt sein. Die „Propaganda von XXXX Beziehungen gegenüber Minderjährigen“ ist in der Russischen Föderation verboten.

Das XXXX gehörte zum XXXX , das mittlerweile mehr oder weniger inexistent ist, da die meisten Anführer dieser XXXX dem XXXX die Treue geschworen haben. Terrorism Research and Analysis Consortium berichtet (ohne Datum), dass das XXXX gegründet wurde und momentan inaktiv ist. Obwohl es zwischen XXXX und XXXX schwere Verluste hinnehmen musste, soll es noch einsatzfähig seien.

1.3.4. Bericht vom XXXX von „The Advocates for Human Rights“ und „Moscow Community Center for XXXX Initiatives“ an die 78. Session des UN-Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW) über die Russischen Föderation

Das russische XXXX führte im Jahr 2020 eine Umfrage unter 6.598 Personen durch, die sich hauptsächlich XXXX und in Russland lebten. XXXX .
XXXX “.

Die Umfrage ergab weiters, dass 11,6% der Befragten mindestens einmal körperliche Gewalt und 56,2% geistige Gewalt XXXX erlebt haben. XXXX .
XXXX sind hierbei in verstärktem Ausmaß von Gewalt betroffen.

Darüber hinaus XXXX an ihren Arbeitsplätzen am stärksten diskriminiert.

Die Befragten berichteten von Diskriminierung und Ungerechtigkeit XXXX in allen anderen Aspekten ihres Lebens, einschließlich rechtswidriger Inhaftierung, dem mangelnden Zugang zur Gesundheitsversorgung sowie Güter und Dienstleistungen zu erhalten sowie auf elterliche Rechte zugreifen zu können. Weiters berichteten sie von Diskriminierungen bei der Wohnraumbeschaffung, im Falle einer Sachbeschädigung und darüber hinaus bei unbefugtem Zugang zu ihren Informationen.
XXXX .

Ebenso XXXX , ein- oder mehrmals illegal verhaftet worden zu sein.
XXXX Sachschäden, Diebstahl oder Unterschlagung von Eigentum erlitten zu haben.

Bei der Umfrage wurde auch das Alter der befragten Personen erhoben. Weiter wurden Diskriminierungsmuster analysiert. XXXX Sachschäden erlitten zu haben. XXXX eine illegale Nutzung ihrer persönlichen Daten: XXXX eine solcherart Diskriminierung erfahren zu haben.

Die Mehrheit der Befragten gab an, im Falle einer Diskriminierung und dem Erleben von Gewalt wenig Vertrauen in staatliche Institutionen zu haben,. 73,3% der Befragten gaben an, der Polizei nicht ganz oder teilweise zu vertrauen. 65,2% gaben an, den Gerichten nicht zu vertrauen. Dieser Mangel an Vertrauen scheint begründet zu sein. Mehr als die Hälfte der Befragten, welche Gewalt und Diskriminierung XXXX bei den Strafverfolgungsbehörden gemeldet zu haben, gaben an, diesbezügliche Schwierigkeiten erlebt zu haben. 47% gaben an, dass ihre Berichte entweder nicht akzeptiert oder nicht überprüft oder untersucht wurden.

1.3.4.1. Bericht „ XXXX
XXXX , welche von russischen XXXX organisiert wurde, durfte nicht durchgeführt werden.

Die Verantstalter sind XXXX aktive Unterstützer der XXXX Russlands sind und bei früheren Gelegenheiten die Durchführung von XXXX Massenveranstaltungen in verschiedenen Regionen Russlands unterstützt haben. Ihren Angaben zufolge bestand das Ziel der XXXX , von bis zu 300 Besucher erwartet worden wären, darin, die Aufmerksamkeit der Gesellschaft und der Behörden auf die Menschenrechtsprobleme von Menschen XXXX .

Die Behörden XXXX . Die Stadtverwaltung XXXX lehnte den Antrag unverzüglich ab und gab den Organisatoren der Veranstaltung keinen Grund für die Ablehnung.

Die offizielle Erklärung der Behörden in XXXX lautete, dass die XXXX vor dem Gerichtsgebäude stattfinden würde und dies gesetzlich verboten wäre. “ XXXX ist ein Gebiet XXXX , in dem sich die Menschen seit Jahrhunderten um nationale Bräuche und Kultur kümmern", sagte eine Quelle XXXX gegenüber XXXX .

1.3.5. Medizinische Versorgung

Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert (GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2020c): Russland, Gesellschaft, vgl. ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation). Voraussetzung ist lediglich eine Registrierung des Wohnsitzes im Land (ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation).

Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zu Verfügung gestellt. Staatsbürgerinnen haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung (IOM – International Organisation of Migration (2018): Länderinformationsblatt Russische Föderation, vgl. ÖB Moskau 12.2019). Jede/r russische Staatsbürger/in, egal ob er einer Arbeit nachgeht oder nicht, ist von der Pflichtversicherung erfasst (ÖB Moskau 12.2019). Dies gilt somit auch für Rückkehrer, daher kann jeder russische Staatsbürger bei Vorlage eines Passes oder einer Geburtsurkunde (für Kinder bis 14) eine OMS-Karte erhalten (IOM 2018, vgl. ÖB Moskau 12.2019).

Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken, stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Behandlungen innerhalb der OMS sind kostenlos. Für die zahlungspflichtigen Dienstleistungen gibt es Preislisten auf den jeweiligen Webseiten der öffentlichen und privaten Kliniken (IOM 2018, vgl. ÖB Moskau 12.2019), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI – German Trade and Invest (27.11.2018): Russlands Privatkliniken glänzen mit hohem Wachstum).

1.3.6. Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Krankheiten

Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Störungen und Krankheiten sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgefährdeten (International SOS via MedCOI (3.4.2019): BMA 12248).

Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sind in der gesamten Russischen Föderation behandelbar (BMA 12248).

Häufig angefragte und verfügbare Inhaltsstoffe von Antidepressiva sind verfügbar. Eine Auswahl von verfügbaren Antidepressiva in der Russischen Föderation sind: Sertralin (International SOS via MedCOI (25.2.2019): BMA 12132, BMA 11412), Escitalopran (BMA 12248, BMA 11412), Trazodon (BMA 12248, International SOS via MedCOI (3.9.2018): BMA 11543), Citalopram (International SOS via MedCOI (21.12.2018): BMA 11933, BMA 11412), Fluoxetin (BMA 11933, BMA 11412).

1.4. Zur Situation der BF im Falle einer Rückkehr

Die BF wäre im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation XXXX der realen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne einer Verletzung des Art. 3 EMRK ausgesetzt.

2. Beweiswürdigung

2.1. Zur Person der BF

Aufgrund des vorgelegten Führerscheins und der vorgelegten Geburtsurkunde, jeweils im Original, steht –wie bereits im belangten Bescheid festgestellt (AS 155)-die Identität der BF fest.

Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit der BF, zu ihrem Geburtsort (AS 103, 145; Niederschrift der mündlichen Verhandlung (in der Folge: NSV) S. 9), ihren Aufenthaltsorten (AS 93, 145; NSV S. 11), ihren Sprachkenntnissen (AS 15, 93; NSV S. 9), ihrer schulischen Bildung (AS 15, 93, 145; NSV S. 11, 15f), ihrer Berufserfahrung (AS 15, 93, 147; NSV S. 14f), dass sie im Herkunftsstaat über kein Eigentum verfügt (NSV S. 12f, s. auch unter Punkt II.2.4.), zum Ableben ihrer Eltern (AS 91; NSV S. 12), dass sie ein Einzelkind ist (AS 145; NSV S. 16), sowie zu ihrer im Herkunftsstaat lebenden Verwandtschaft (AS 145; NSV S. 16f) und dem gegenwärtig mangelnden Kontakt zu dieser (AS 147; NSV S. 17) folgen den glaubhaften, widerspruchsfreien und unstrittigen Angaben der BF sowie der vorgelegten Geburtsurkunde. Davon, dass die BF auf einem höheren Niveau die deutsche Sprache beherrscht, konnte sich das Gericht in der mündlichen Verhandlung selbst überzeugen (NSV S. 21f). Darüber hinaus legte die BF auch eine bestandene Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 vor (OZ 4).

Es haben sich keine Hinweise ergeben, an ihren Angaben geschieden (AS 159, 163; NSV S. 18) und kinderlos (AS 145) zu sein, zu zweifeln.

Das BFA hat XXXX der BF nicht bestritten. Es haben sich auch in der mündlichen Verhandlung (s. insb. NSV S. 17ff und 30ff) nach ihren diesbezüglichen Angaben keine Zweifel ergeben, weshalb davon auszugehen ist, dass die BF XXXX ist. Dass die BF sich in Österreich seit mehreren Jahren mit XXXX in XXXX befindet, folgt aus ihrem glaubhaften Vorbringen (NSV S. 18ff). Zwar ergab eine Nachschau im Melderegister, dass die BF sich am XXXX aus der gemeinsam geführten Wohnung in der XXXX ab- und in einer Unterkunft der XXXX anmeldete, jedoch konnte sie in der mündlichen Verhandlung glaubhaft darlegen, dass dies einem XXXX geschuldet war, die XXXX und in dieser Zeit in der vormals gemeinsam bezogenen Wohnung XXXX gelebt hat. Da XXXX aus Angst vor Repressionen XXXX ihre XXXX gegenwärtig verheimlicht, hat die BF lediglich XXXX eine andere Unterkunft genommen (NSV S. 10, 19 und 30). Dieses Vorbringen ist umso glaubhafter, da die BF dem aktuellen Auszug aus dem Zentralen Melderegister und auch ihren Angaben zufolge zuvor über mehrere Jahre XXXX gemeldet war. Sodann führte die BF ebenso glaubhaft an, neben der Grundversorgung auch von XXXX finanzielle Zuwendungen zu erhalten sowie umgekehrt auch XXXX Geld aufzuwenden (NSV S. 20). Diese Angabe ist vor dem Hintergrund der diesbezüglichen Schilderungen XXXX als Zeugin glaubhaft (NSV S. 32: „Bei uns ist es nicht so, dass es XXXX .“). Schließlich bejahten sowohl die BF als auch ihre XXXX vor diesem Hintergrund das Bestehen einer XXXX (NSV S. 20 und 31). Im Sinne der Judikatur des OGH ist somit das Bestehen XXXX anhand der Kriterien der XXXX sowie einer gewissen zeitlichen Dauer, wobei es nicht schadet, wenn das eine oder andere Merkmal fehlt (s. bspw. OGH 25.02.2009, 3Ob6/09t), zu bejahen und war entsprechend festzustellen. Im Übrigen vermag auch das Vorbringen der BF, vor beinahe XXXX für eine kurze Zeitdauer verheiratet gewesen zu sein (NSV S. 18), sowie auch das Vorbringen XXXX vor über XXXX eine XXXX zu haben und ein Kind zu haben (NSV S. 30ff), daran nichts zu ändern, da im Sinne der Richtlinien des UNHCR über Anträge auf internationalen Schutz mit Bezug XXXX ein solches Vorbringen für sich genommen nicht gegen XXXX spricht, da dies auch durch Schuld- oder XXXX sowie sozialen Druck – oder im Falle XXXX glaubhaft auch durch den Wunsch nach einem Kind – verursacht sein kann (vgl. dazu VfGH 26.06.2020, E902/2020). Dass XXXX eine asylberechtigte, XXXX Staatsangehörige ist, stützt auf eine Einsichtnahme in das Fremdenregister und den von ihr in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Konventionsreisepass.

Das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung hat die BF nicht angegeben und hat sich aus den vorgelegten Befunden nicht ergeben. Die Feststellungen betreffend das Vorliegen einer ausgeprägten posttraumatischen Belastungsstörung und einer schweren depressiven Störung und den aktuellen Behandlungsbedarf der BF stützen sich auf den zuletzt vorgelegten Befundbericht (OZ 14), die vorgelegten, aktuellen Behandlungsbestätigungen (AS 66, 129, 137) sowie ihre glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung, weiterhin in regelmäßiger Behandlung zu stehen (NSV S. 7f). Dass die BF aktuell XXXX als Beruhigungsmittel einnimmt, hat sie ebenso in der mündlichen Verhandlung vorgebracht (NSV S. 7).

Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit der BF folgt einem aktuellen Strafregisterauszug.

2.2. Zum Fluchtvorbringen

2.2.1. Die BF brachte zu ihrem Fluchtgrund im Wesentlichen vor, aufgrund XXXX in der Stadt XXXX von Anhängern des XXXX worden zu sein. Diese hätten von ihr verlangt, als Selbstmordattentäterin nach XXXX zu gehen, um ihre Sünden zu reinigen. Die BF habe in der Folge jedoch fliehen können (AS 153 ff).

Es haben sich keine Hinweise ergeben, an ihren Angaben von drei Personen namens „ XXXX “ aufgrund ihrer XXXX in ihrem Herkunftsort misshandelt sowie erniedrigt worden zu sein, zu zweifeln (AS 153 sowie NSV S. 23). Auch sind ihre Angaben betreffend den von ihr geschilderten Eingriff XXXX glaubhaft (AS 155).

2.2.2. Ob die unter II.1.2.2.1 genannten Personen dem XXXX angehören, kann vor dem Hintergrund ihrer Angaben nicht festgestellt werden (AS 153). Bei Wahrunterstellung ist in diesem Zusammenhang aus der vom BFA eingeleiteten Anfragebeantwortung zu entnehmen, dass das XXXX , zu dem das XXXX gehört, mittlerweile „mehr oder weniger“ inexistent ist (AS 213) und das XXXX zwar grundsätzlich einsatzfähig bleibt, aber inaktiv ist (AS 215). Hierzu entgegenlautende Länderberichte wurden seitens der BF nicht vorgelegt.

Vor diesem Hintergrund ist keine aktuelle, von dieser Gruppierung ausgehende Gefährdung der BF im Herkunftsstaat anzunehmen

Ob tatsächlich ein öffentlicher Aufruf verbreitet wurde, die BF zu töten (AS 153 und 160f sowie NSV. S.25), kann vor dem Hintergrund der Angaben der BF sowie nach einer Internetrecherche, welches ein solches Ergebnis nicht ergab, nicht festgestellt werden. Auch in der mündlichen Verhandlung konnte die BF keine aktuelle Bedrohung im Herkunftsstaat nachvollziehbar darlegen, sondern blieb diesbezüglich weiterhin vage, indem sie behauptete, dass Mitglieder des XXXX bei den Behörden arbeiten würden und dadurch von der Rückkehr der BF erfahren würden. Sie glaube, dass sich ihre damaligen Verfolger weiterhin in XXXX aufhalten würden, habe aber seit ihrer Flucht keinen Kontakt mehr zu ihnen gehabt (NSV S. 23).

Weiters führte die BF zwar aus, dass auch ihre Verwandtschaft von XXXX wissen könnte, konnte in der Folge aber ebenso nicht begründen, weshalb dies der Fall sei, sondern zog sich wiederum auf Vermutungen zurück, dass ihre Verfolger Videos von ihr bzw. einen Aufruf, die BF töten, verbreitet hätten und ihre Verwandtschaft wohl davon erfahren habe (NSV S. 25). Ob es solche Videos tatsächlich gäbe und diese in einer, anderen Personen zugänglichen Form verfügbar seien, würde sie nicht wissen.

All dies konnte sie jedoch, zumal vor dem Hintergrund obgenannter Berichte, weder glaubhaft machen noch in einer sonstigen Weise nachvollziehbar erläutern, sodass im Sinne des anzulegenden Wahrscheinlichkeitsmaßstabes eine darauf gerichtete positive Feststellung nicht möglich war.

2.2.3. Eine darüberhinausgehende asylrelevante Diskriminierung wurde von der BF im Verfahren nicht vorgebracht. Aus den zitierten Länderberichten geht zwar eine weitgehende Diskriminierung, aber noch keine asylrelevante Gefährdung XXXX in der Russischen Föderation hervor, zumal XXXX in der Russischen Föderation nicht strafbar ist. Das föderale Gesetz über das Verbot von „Propaganda von XXXX “ sieht zwar die Verhängung einer Geldstrafe, nicht aber einer Freiheitsstrafe vor (vgl. dazu auch EuGH 07.11.2013, C-199/12 bis C-201/12).

Soweit die unter Punkt II.1.3.1. zitierten Länderberichte festhalten, dass die Lage XXXX besonders gravierend ist und XXXX mit Verfolgung durch lokale Behörden rechnen müssen, ist dies gegenständlich zu relativieren, da bei genauer Durchsicht der in den Berichten zitierten Quellen konkret über die Lage in XXXX , nicht aber in XXXX berichtet wird. Dem erkennenden Gericht sind keine Berichte bekannt, wonach XXXX in XXXX von den lokalen Behörden verfolgt werden würden und es wurden derartige Berichte auch nicht von der BF vorgelegt. Insbesondere ist hierbei darauf hinzuweisen, dass aus der unter Punkt II.1.3.2. zitierten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation keine solchen Verfolgungshandlungen hervorgehen. Letztlich geht dies auch nicht aus dem von der der BF in der mündlichen Verhandlung angegeben XXXX (NSV S. 28f), da dieser sich auf sich auf einen Fall aus XXXX bezieht. Eine individuelle, die BF betreffende Bedrohungslage lässt sich daraus nicht ableiten.

2.3. Zu den Feststellungen der maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus dem im aktuellen LIB wiedergegebenen und zitierten Länderberichten über die Russischen Föderation, der im Akt befindlichen und im angefochtenen Bescheid zitierten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom XXXX sowie dem Bericht vom XXXX von „ XXXX und dem Bericht „ XXXX . Diese gründen sich auf die jeweils angeführten Berichte angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das BVwG kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, zumal ihnen nicht substantiiert entgegengetreten wurde. Die konkret den Feststellungen zugrundeliegenden Quellen wurden unter II.1.3. zitiert.

2.4. Zur Rückkehrsituation der BF

Wie bereits unter Punkt II.1.1. festgestellt und unter Punkt II.2.1. gewürdigt, sind die Eltern der BF vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat verstorben. Es haben sich keine Hinweise ergeben, an ihren diesbezüglich konsistenten Angaben, keine Geschwister zu haben zu zweifeln. Zwar verfügt sie über zwei Tanten sowie Cousins und Cousinen, zu denen jedoch kein Kontakt besteht, da die BF Repressionen fürchtet, falls diese über XXXX erfahren würden. Diese Befürchtung ist vor dem Hintergrund der unter Punkt II.1.3.3. zitierten Länderberichte nachvollziehbar, zumal – wie ebenfalls dem Punkt II.1.3.3. zu entnehmen – die XXXX gerade gegenüber den eigenen Angehörigen XXXX wird.

Nach den Angaben der BF XXXX , welche ebenso wie die BF XXXX ist, ist diese Ablehnung in der XXXX der BF erhöht (vgl. wiederum Punkt II.1.3.1. und II.1.3.3.). Vor dem Hintergrund des unter II.1.3.4.1. zitierten Berichtes betreffend die XXXX in ihrem Herkunftsort zu einer XXXX sind diese Angaben auch objektivierbar.

Im Verfahren ist nicht hervorgekommen, dass die BF aktuell über Vermögenswerte verfügt. Insbesondere konnte die BF glaubhaft vorbringen, dass sie über ihre Wohnung und ihr Haus in XXXX nicht mehr verfügt, da sie ihre Wohnung einer Freundin überlassen hat, welche ihr bei der Flucht half, und sie hinsichtlich des Hauses im Grundbuch nicht als Eigentümerin eingetragen ist (NSV S. 12f). Somit hat sie weder Zugang, noch kann sie diesbezüglich Ansprüche geltend machen kann. Folglich stünde der BF im Falle einer Rückkehr keine Unterkunft zur Verfügung, auch kann sie nicht auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen.

Den unter den Punkten II.1.3.1. und II.1.3.3. zitierten Länderberichten ist weiters zu entnehmen, dass XXXX in der gesamten Russischen Föderation weitläufiger Diskriminierung unterliegen, die insbesondere zu Schwierigkeiten bei der Suche nach Arbeit und Unterkunft führen kann, aber auch XXXX erheblich einschränkt. Folglich wäre die BF in den Möglichkeiten ihrer Existenzsicherung und in ihren Grundrechten stark eingeschränkt und gefährdet.

Auch ergibt sich aus den genannten Länderberichten, dass zwar XXXX nicht unter Strafe gestellt ist, in der Bevölkerung aber XXXX bestehen, die auch zu physischer oder psychischer Gewalt führen können, wobei staatliche Organe oft Anzeigen wegen Taten, deren Motiv XXXX liegen, oftmals nicht ordnungsgemäß verfolgen.

Zudem befindet sich die BF im Bundesgebiet in einer mehrjährigen therapeutischen Behandlung, was ihre Situation zusätzlich erschwert.

Es ist davon auszugehen, dass die BF im Herkunftsort aufgrund diskriminierender Behandlung nicht von ihren Menschenrechten in vollem Umfang Gebrauch machen kann. Aufgrund den damit in Verbindung stehenden erschwerten Lebensbedingungen, denen die BF auch nicht durch ein eigenes soziales Netz, welches XXXX akzeptieren würde, abfedern könnte, ist letztlich die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK unzweifelhaft gegeben.

Zwar brachte die BF vor, bereits vor ihrer Ausreise erwerbstätig gewesen zu sein, jedoch hatte sie XXXX in ihrem Herkunftsstaat verheimlicht (NSV S. 18, 24, 27). Von einer Asylwerberin kann jedoch nicht erwartet werden, XXXX in ihrem Herkunftsland XXXX , um eine Verfolgung zu vermeiden (vgl. VwGH XXXX ). Im Sinne der höchstgerichtlichen Rechtsprechung und den Richtlinien des UNHCR zur Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz mit Bezug auf die XXXX kann somit der BF XXXX zu Recht nicht auferlegt werden. Dem gegenständlichen Fall sind daher von jenen Auswirkungen zu Grunde zu legen, die eintreten würde, wenn die BF XXXX in der Russischen Föderation offen leben würde (vgl. dazu EuGH 07.11.2013, C-199/12 bis C-201/12; ebenso jüngst VfGH 25.02.2020, E4470/2019). Auch vermag das Vorbringen der BF XXXX selbst in Österreich aus Furcht vor XXXX in Österreich XXXX zu leben, nichts zu ändern (NSV S. 27 sowie S. 10).

Schließlich ist der Vollständigkeit halber anzuführen, dass die BF im Falle einer Rückkehr auch gezwungen wäre, XXXX aufzugeben, da XXXX schon aufgrund XXXX nicht in die Russische Föderation XXXX könnte.

3. Rechtliche Beurteilung

Zum Spruchteil A)

3.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

3.1.2. Flüchtling iSd. Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist demnach, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.“

Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).

3.1.3. Das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ist ganzheitlich unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens zu würdigen (vgl. VwGH 26.11.2003, Ra 2003/20/0389).

3.1.4. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. jüngst etwa VwGH 30.09.2015, Ra 2015/19/0066). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der BF bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der BF im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des VwG) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005); die entfernte Gefahr einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).

3.1.5. Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr iSd Genfer Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

3.1.6. Art. 10 Abs. 1 lit. d der Statusrichtlinie ist dahin auszulegen, dass das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen, die spezifisch XXXX betreffen, die Feststellung erlaubt, dass diese Personen als eine bestimmte soziale Gruppe anzusehen sind. Der bloße Umstand, dass XXXX unter Strafe gestellt sind, stellt noch keine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 iVm Art. 9 Abs. 2 lit. c der Statusrichtlinie dar. Von einem Asylwerber kann nicht erwartet werden, dass er XXXX in seinem Herkunftsland geheim hält, um eine Verfolgung zu vermeiden (VwGH 20.09.2018, Ra 2018/20/0043).

3.1.7. Umgelegt auf den gegenständlichen Fall folgt daraus, dass, wie bereits in der Beweiswürdigung dargelegt wurde, die BF eine aktuelle Verfolgung oder Bedrohung ihrer Person im Herkunftsstaat nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit glaubhaft machen konnte.

Den unter II.1.3.2. zitierten Länderberichten ist zu entnehmen, dass XXXX in der XXXX werden. Diese Diskriminierung weist jedoch – auch in Hinblick auf die UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 9 (Anträge auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund der XXXX und/oder der geschlechtlichen Identität im Zusammenhang mit Artikel 1 (A) 2 des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge) vom 23.10.2012 und das Urteil des EuGH vom 07.11.2013 zu den Rechtssachen C-199/12 bis C-201/12 – keine derartige Intensität auf, dass die Grenze zur asylrelevanten Verfolgung überschritten wäre, zumal XXXX in der Russischen Föderation nicht strafbar ist. Entgegenlautendes lässt sich auch vor dem Hintergrund der Länderberichte zum Herkunftsstaat nicht objektivieren.

Es sind auch keine Hinweise vor dem Hintergrund der Länderberichte hervorgekommen, dass die BF in der Russischen Föderation nach objektiver Wahrscheinlichkeit einer sonstigen, ernstlichen Bedrohung ausgesetzt wäre, die als asylrelevant zu qualifizieren sind.

Der Antrag auf internationalen Schutz ist somit hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten abzuweisen.

3.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides

3.2.1. Wird ein Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen, so ist dem Fremden gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573, mwN auf die Judikatur des EGMR). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde.

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 MRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden hg. Judikatur ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 8.09.2016, Ra 2016/20/0063).

3.2.2. Die BF hält aus XXXX keinen Kontakt zu ihren Verwandten sowie sonstigen Kontakte im Herkunftsstaat. Sie befindet sich aktuell in wöchentlicher psychotherapeutischer Behandlung. Eine Unterstützung durch andere Personen im Herkunftsstaat kann ausgeschlossen werden.
XXXX .

Aus den Feststellungen zur Person der BF unter Punkt II.1.1. in Zusammenschau mit den aktuellen spezifischen Länderfeststellungen zur Russischen Föderation unter Punkt II.1.3. und den Feststellungen zur Rückkehrsituation unter Punkt II.1.4. ergeben sich konkrete Hindernisse betreffend die sofortige Rückverbringung der BF in ihren Herkunftsstaat. Insbesondere aus den Punkten II.1.3.1. und II.1.3.3. ergibt sich eine Diskriminierung von XXXX in weiten Bereichen des Lebens, die dazu führt, dass die BF – würde sie XXXX – in ihrem täglichen Leben stark eingeschränkt wäre und von ihren Menschenrechten nicht in vollem Umfang Gebrauch machen könnte. Respektive hätte sie zwar nicht mit asylrelevanten, aber doch hinreichend bedeutsamen Repressalien zu rechnen. Vor dem Hintergrund der unter II.1.3. zitierten Länderberichte, wonach Anzeigen wegen Taten, deren Motiv in der XXXX des Opfers liegen, oftmals nicht ordnungsgemäß verfolgt werden, ist nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem staatlichen Schutz auszugehen.

Da diese Situation die gesamte Russische Föderation betrifft, steht der BF keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.

Gesamtheitlich betrachtet ergibt sich daher im konkreten Fall der BF auf Grund mehrerer Faktoren eine Situation, wonach davon auszugehen ist, dass die BF bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.

Ausschlussgründe nach § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil sie einerseits im Verfahren nicht hervorgekommen sind (§ 9 Abs. 2 Z 1 und 2 AsylG 2005) und die BF andererseits unbescholten ist (Z 3 leg. cit.).

Folglich ist der BF gem. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation zuzuerkennen.

3.2.3. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einer Fremden, der der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom BVwG gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr zu erteilen.

3.3. Zur Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides

Aufgrund der Gewährung des Status der subsidiär Schutzberechtigten sind die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben.

3.4. Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im gegenständlichen Fall konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Im Übrigen war eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen.

Es ist somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

befristete Aufenthaltsberechtigung Diskriminierung ersatzlose Teilbehebung Gesundheitszustand Glaubwürdigkeit innerstaatliche Fluchtalternative mangelnde Asylrelevanz Sicherheitslage staatliche Schutzwilligkeit subsidiärer Schutz Teilstattgebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W277.2202640.1.00

Im RIS seit

12.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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