TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/26 W112 1437375-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.11.2020
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Entscheidungsdatum

26.11.2020

Norm

AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


W112 1437374-2/28E
W112 1437375-2/12E
W112 1437376-2/15E
W112 1437377-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Elke DANNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, 2. mj. XXXX , geb. XXXX , StA. RUSSISCHE FÖDERATION, 3. mj. XXXX , geb. XXXX , StA. RUSSISCHE FÖDERATION und 4. mj. XXXX , geb. XXXX , StA. RUSSISCHE FÖDERATION, die Minderjährigen vertreten durch die Mutter XXXX , alle vertreten durch XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.07.2016, 1. Zl. 831757608-1760593, 2. Zl. 830252207-1760577, 3. Zl. 831757902-1760569 und 4. Zl. 831757706-1760585, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Anträge auf internationalen Schutz vom 29.11.2013 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückzuweisen waren.

II. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. der angefochtenen Bescheide wird gemäß § 57 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 und 9 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer, alle Staatsangehörige der Russischen Föderation. Die Beschwerdeführer reisten gemeinsam unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten hier am 27.02.2013 erstmals Anträge auf internationalen Schutz.

1.2. Im Rahmen der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 27.02.2013 gab die Erstbeschwerdeführerin an, seit 21.07.2010 verwitwet zu sein. In ihrer Heimat werde sie von der dagestanischen Spezialeinheit „Amon“ bedroht, weil diese Namen und Adressen von diversen Bekannten ihres verstorbenen Mannes wissen wollten, weil sie annehmen, dass diese Widerstandskämpfer seien. Sie habe die Namen nicht preisgeben wollen, da ihr Mann keine Freunde gehabt habe, die Widerstandkämpfer seien bzw. gewesen seien. Nachdem ihr Mann im Jahr 2010 im Zuge einer Schießerei auf der Straße getötet worden sei, seien schwarz maskierte und uniformierte Männer einige Male zu ihr nach Hause gekommen und haben sie ständig bedroht. Beim letzten Mal – eine Woche vor ihrer Abreise – seien sie und ihre Kinder wieder bedroht und die Erstbeschwerdeführerin sogar geschlagen worden. Sie seien deshalb geflohen. Das sei ihr einziger Fluchtgrund.

Betreffend die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

1.3. Das Bundesasylamt vernahm die Erstbeschwerdeführerin am 27.06.2013 niederschriftlich ein. Sie gab im Zuge dessen zu ihrem Fluchtgrund an, dass ihr Mann von maskierten und schwarz gekleideten Spezialeinheiten bei einem Schusswechsel auf der Straße umgebracht worden sei. Es seien noch zwei oder drei andere, ihr unbekannte Personen getötet worden. Danach sei die Erstbeschwerdeführerin oft, vielleicht zwei oder drei Mal im Monat, von Personen in schwarzer Uniform aufgesucht worden. Man habe von ihr verlangt, dass sie seine Freunde verrate. Diese seien beschuldigt worden, Widerstandskämpfer zu sein. Ihr Mann sei kein Widerstandskämpfer gewesen und die Freunde ihres Mannes habe sie nicht gekannt. Es habe niemanden gegeben, den sie hätte verraten können. Sie habe nach der Ermordung ihres Mannes nicht normal leben können. Ihre Kinder haben ständig Angst gehabt und sie auch um ihre Kinder. Deshalb habe sie den Hof billig verkauft und sei zu ihrer Mutter gezogen, wo man sie auch gefunden und nicht in Ruhe gelassen habe. Mit dem Geld, das sie durch den Verkauf des Hofes bekommen habe, sei sie hierhergekommen. Im Fall einer Rückkehr habe sie Angst, dass man ihr die Kinder wegnehme. Außer den geschilderten Problemen habe sie keine. Mit den Behörden habe sie keine Probleme.

Im Jänner 2013 habe die Erstbeschwerdeführerin den Führerschein gemacht. Die Mutter der Erstbeschwerdeführerin sei zunächst mit den Beschwerdeführern ausgereist, dann jedoch wieder nach Hause zurückgekehrt, weil diese schon alt sei und das Heimathaus nicht verlassen habe wollen. Zu Hause leben noch die Mutter und Cousins der Erstbeschwerdeführerin.

Die Erstbeschwerdeführerin legte folgende Dokumente vor, die ihr von ihre Mutter geschickt worden seien: Vaterschaftsbestätigung aller drei Kinder; Führerschein B (ausgestellt am 10.1.2013 in Dagestan), Bestätigung über die Ablegung der Fahrprüfung (ausgestellt am 10.1.2013); Medizinische Bestätigung für die Führerscheinprüfung (ausgestellt vom Bezirkskrankenhaus XXXX ).

1.4. Das Bundesasylamt wies mit Bescheiden vom 31.07.2013 die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 2 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation ab (Spruchpunkt II.) und die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (Spruchpunkt III.).

Begründend führte das Bundesasylamt aus, dass die Erstbeschwerdeführerin ihr Fluchtvorbringen aufgrund ihrer der vagen und allgemeinen sowie auch widersprüchlichen Angaben nicht habe glaubhaft machen können. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Russische Föderation eine Verfolgung zu befürchten hätten. Da den Beschwerdeführern im Herkunftsstaat keine Verfolgung drohe, sie über Anknüpfungspunkte verfügen, weder eine lebensbedrohende Erkrankung noch einen sonstigen, auf ihre Person bezogenen „außergewöhnlichen Umstand“ behauptet oder bescheinigt haben, gehe die Behörde davon aus, dass ihnen im Herkunftsstaat auch keine Gefahren drohen, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen. So könne im gegenständlichen Fall davon ausgegangen werden, dass ihnen im Fall ihrer Rückkehr nach Dagestan ebenso wie vor dem Verlassen ihres Heimatstaates im Rahmen ihres Familienverbandes eine ausreichende wirtschaftliche und soziale Unterstützung zuteilwerde, mit der ihre elementaren Lebensbedürfnisse, insbesondere Nahrung und Wohnraum – wenn auch nicht immer im gleichen Umfang – gesichert seien. Die Rückkehrentscheidung greife nicht in das Familienleben der Beschwerdeführer ein, da sie im selben Umfang von aufenthaltsbeenden Maßnahmen betroffen seien. Ebenso greife die Rückkehrentscheidung auch nicht in das Recht der Beschwerdeführer auf Achtung des Privatlebens ein, zumal keine Umstände ersichtlich seien, die für eine gegenteilige Entscheidung zu Gunsten der Beschwerdeführer sprechen.

1.5. Die Beschwerdeführer erhoben gegen die Bescheide fristgerecht Beschwerde an den Asylgerichtshof und fochten diese in vollem Umfang an.

1.6. Am 04.09.2013 übermittelte der Asylgerichtshof den Beschwerdeführern Unterlagen zur allgemeinen Lage in der Russischen Föderation, Tschetschenien und Dagestan zum Parteiengehör.

Die Beschwerdeführer brachten mit Stellungnahme und Beschwerdeergänzung vom 23.09.2013 vor, dass sich die Sicherheitslage in Dagestan in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert habe. Das Vorgehen der Behörden gegen die Rebellen sei hart und ungezielt und dagestanische Sicherheitskräfte verüben schwere Menschenrechtsverletzungen bis hin zu extralegalen Tötungen, weshalb ihr Vorbringen im guten Einklang mit diesen Berichten stehe. Die Erstbeschwerdeführerin sei als alleinstehende Frau mit kleinen Kindern den Schikanen schutzlos ausgeliefert gewesen. Würde sie nach Dagestan zurückkehren, würde sie in eine ausweglose Lage geraten. Sie habe ihr Haus verkauft, um ihre Flucht und die ihrer Kinder zu finanzieren, von dem Geld sei nichts übrig. Ihre Mutter sei XXXX Jahre alt und lebe von einer bescheidenen Rente, diese habe die Beschwerdeführer zwar im Oktober 2012 vorübergehend bis zur Ausreise aufgenommen, in Zukunft könne sie dies jedoch nicht machen. Auch eine finanzielle Unterstützung ihrer Mutter würde sie nicht erhalten. Auch lebe ihre Mutter in der Gemeinde XXXX , die zu den Kampfgebieten gehöre. Als Witwe mit Kindern ohne männlichen Schutz wäre sie beiden Kampfparteien wehrlos ausgeliefert. Das Leben der Beschwerdeführer sei dort in ständiger Gefahr. Sie könne auch in anderen Landesteilen mangels sozialen Netzes nicht Fuß fassen. Sie habe neun Jahre die Schule besucht, jedoch keine Berufsausbildung und auch nie einen Beruf ausgeübt, sie sei immer nur Hausfrau und Mutter gewesen. Daher sei sie im Falle ihrer Rückkehr nach Dagestan nicht in der Lage, ihre Familie zu ernähren.

1.7. Der Asylgerichtshof wies mit Erkenntnis vom 25.09.2013 die Beschwerden als unbegründet ab. Begründend wurde ausgeführt, dass das Fluchtvorbringen von der Erstbeschwerdeführerin vage geschildert wurde, sich auf Gemeinplätze beschränkte und die Erstbeschwerdeführerin nicht in der Lage war, konkrete und detaillierte Angaben über ihre Erlebnisse zu tätigen. Es konnte deshalb keine asylrelevante Verfolgung erkannt werden. Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich um eine junge gesunde Frau, die in der Lage ist, zum Lebens- und Familienunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zumindest beizutragen. Zudem halten sich im Heimatland noch einige Verwandte der Beschwerdeführer auf, welche die Beschwerdeführer zweifellos bei der Bestreitung des Lebensunterhaltes unterstützen werden. Die Erstbeschwerdeführerin musste sich ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst sein, bestritt ihren Lebensunterhalt aus der Grundversorgung, besuchte keine Deutschkurse und ging keiner Arbeit oder Ausbildung nach. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme griff daher nicht in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer ein.

1.8. Die Beschwerdeführer beantragten die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung von Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof gegen das Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 25.09.2013. Der Verfassungsgerichtshof wies diese Anträge mit Beschluss vom 22.11.2013 ab.

2.1. Am 29.11.2013 stellten die Beschwerdeführer in Österreich ihren zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde am 29.11.2013 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Sie gab an, sich seit der Entscheidung des Asylgerichtshofes durchgehend in Österreich aufgehalten zu haben. Zu den Gründen der neuerlichen Asylantragstellung befragt gab sie an, dass sie im ersten Asylverfahren ihren zweiten Fluchtgrund, aus Angst, dass davon jemand erfahren könnte, verschwiegen habe. Nachdem Tod ihres Mannes im Jahr 2010 sei die Erstbeschwerdeführerin von einigen Männern ihres Heimatortes ständig bedrängt worden. Eines Tages sei sie in ein Auto gezerrt, in einen Wald gebracht und dort vergewaltigt worden. Die Männer haben ihr für den Fall, dass sie etwas erzähle, gedroht, dass ihren Kindern etwas zustoßen werde. Zudem sei dies eine große Schande für die Erstbeschwerdeführerin und ihre Verwandten. Sie fürchte deshalb, dass ihre Schwiegereltern ihr die Kinder wegnehmen werden. Diese haben es bereits angekündigt und versucht, durch den Gerichtsweg die Obsorge zu erhalten, was ihnen damals jedoch nicht gelungen sei. Vor einigen Monaten haben ihre Schwiegereltern ihrer Mutter erzählt, dass sie der Erstbeschwerdeführerin die Kinder dennoch wegnehmen würden. Die Erstbeschwerde-führerin habe damals auch Probleme mit der dagestanischen Sicherheitspolizei wegen ihrem getöteten Mann gehabt. Die Männer würden die Erstbeschwerdeführerin weiterhin bedrängen und sexuell missbrauchen.

Im Falle einer Rückkehr habe die Erstbeschwerdeführerin Angst um ihr Leben und um das ihrer Kinder. Sie habe einerseits Angst vor der Sicherheitspolizei, andererseits von den Tätern bzw. Vergewaltigern sowie ihren Schwiegereltern, die ihre Kinder verlangen. Zudem würde die Erstbeschwerdeführerin von der Polizei verhaftet und eingesperrt oder getötet werden, da sie beschuldigt werde, die Freiheitskämpfer unterstützt zu haben.

Der neue Fluchtgrund, bezüglich der Vergewaltigung sei ihr von Anfang an bekannt gewesen, sie habe ihn jedoch aus Angst um das Leben ihrer Kinder verschwiegen. Vor ein paar Monaten habe sie von ihrer Mutter erfahren, dass ihre Schwiegereltern angedroht haben, ihr ihre Kinder wegzunehmen.

Betreffend die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.

2.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) vernahm die Erstbeschwerdeführerin am 11.11.2014 zu ihrem neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz ein. Zu ihren Fluchtgründen gab sie an, dass sie bei ihrem letzten Antrag auf internationalen Schutz etwas, wofür sie sich schäme, nicht erzählt habe. Da sie nach dem Tod ihres Mannes alleinstehend gewesen sei, habe sie aufgrund der Männer nicht normal arbeiten oder aus dem Haus gehen können. Sie sei ca. einen Monat vor ihrer Ausreise am Heimweg vom Einkaufen von fünf bis sechs Männern aus ihrem Dorf in ein Auto gezerrt und in den Wald gebracht worden. Sie sei geschlagen und vergewaltigt worden, weshalb sie eine Woche im Krankenhaus gewesen sei. Zudem sei ihr gedroht worden, dass ihren Kindern etwas passiere, wenn sie jemandem davon erzähle. Zudem wollen ihre Schwiegereltern ihr die Kinder wegnehmen, weil sie aus deren Sicht zu viele Probleme mit den Behörden habe. Zudem lassen sie nach dem Tod ihres Mannes die Behörden nicht in Ruhe, weil er aufgrund der Tötung bei einer Schießerei verdächtigt worden sei, ein Terrorist gewesen zu sein. Deshalb seien öfters Personen zu ihr nach Hause gekommen, die ihr gedroht und sie auch mitgenommen haben. Sie werde im Falle der Rückkehr von den Behörden umgebracht, weil ihr Mann beschuldigt worden sei, Terrorist gewesen zu sein. Deswegen sei auch angenommen worden, dass die Erstbeschwerdeführerin ihm dabei geholfen habe.

2.3. Das Bundesamt wies mit Bescheiden vom 14.07.2016 die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl im Hinblick auf den Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt I.), als auch im Hinblick auf den Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat RUSSISCHE FÖDERATION (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihnen gemäß § 57 AsylG 2005 keine Aufenthaltsberechtigung aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ eine Rückkehrentscheidung gegen sie. Es stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.) und räumte ihnen eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ein (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das Bundesamt aus, dass der Fluchtgrund betreffend die Probleme der Erstbeschwerdeführerin mit den Behörden bereits als unglaubwürdig gewertet und rechtskräftig negativ beschieden worden sei. Die Beschwerdeführer haben keine neue asylrelevante Verfolgung glaubhaft gemacht. Den Beschwerdeführern drohe im Falle ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat auch keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertige, zumal die Erstbeschwerdeführerin eine arbeitsfähige Frau mit Schulbildung und Arbeitserfahrung sei und in ihrer Heimat über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge. Es könne deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass den Beschwerdeführern im Falle der Rückkehr die Lebensgrundlage entzogen wäre. Die Beschwerdeführer haben in Österreich außer einander keine Angehörigen. Die Beschwerdeführer seien im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen, weshalb kein Eingriff in das Familienleben vorliege. Die Erstbeschwerdeführerin beherrsche die deutsche Sprache lediglich marginal und sei auf staatliche Unterstützung angewiesen. Sie habe sich ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst sein müssen. Die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer besuchen die Schule bzw. den Kindergarten. Die Bindungen der Beschwerdeführer zum Heimatstaat seien wesentlich stärker als zu Österreich. Die Schutzwürdigkeit ihres Privatlebens sei daher nur gering.

2.4. Die Beschwerdeführer erhoben gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde und fochten die Bescheide vollinhaltlich wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften an. Im Wesentlichen wurde vorgebracht, dass das Bundesamt die Traumatisierungsfolgen einer Vergewaltigung völlig außer Acht gelassen sowie den maßgeblichen Sachverhalt nicht abschließend erhoben habe. So habe das Bundesamt es unterlassen, ein fachärztliches Sachverständigengutachten einzuholen, zumal es mehr als denkmöglich sei, dass die Erstbeschwerdeführerin durch die Mehrfachvergewaltigung schwer traumatisiert worden sei und nach wie vor darunter leide. Bei entsprechender Nachfrage und Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte die Glaubwürdigkeit des Vorbringens und insbesondere der späte Zeitpunkt des Vorbringens untermauert und begründet werden können. Darüber hinaus habe das Bundesamt die Länderinformationen außer Acht gelassen und es verabsäumt, das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin in konkreten Bezug dazu zu setzen. So habe es auch keinerlei Erhebungen oder Feststellungen zur Situation von alleinstehenden bzw. verwitweten Frauen in Dagestan getroffen. Opfer von Vergewaltigung gelten in Dagestan als Schande für die Familie der betroffenen Frau, weshalb sie Schutz weder von dieser noch von der Gesellschaft oder den staatlichen Behörden erwarten könne. Die Erstbeschwerdeführerin habe zudem vorgebracht, dass ihre Schwiegereltern aufgrund der über die Familie gebrachte Schande angekündigt haben, ihr die Kinder wegzunehmen, weshalb von einer schwerwiegenden Verfolgung der Beschwerdeführer aufgrund der Zugehörigkeit zur Gruppe der alleinstehenden Frauen, die Opfer von Eingriffen in ihre sexuelle Integrität wurden und dadurch stigmatisiert und Ächtung durch die eigene Familie, die Gesellschaft und die Behörden ausgesetzt sind, in ihrem Herkunftsstaat auszugehen sei.

Die Erstbeschwerdeführerin habe seit der letzten Einvernahme am 11.11.2014 ihre Deutschkenntnisse stark verbessern können und sei nun als freiwillige Helferin für das Rote Kreuz in einem für Asylwerber errichteten Transitlager tätig. Auch die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer haben enorme Fortschritte erzielt und sich ausgezeichnet in ihre jeweiligen Schulklassen integriert. Das Bundesamt habe es außer Acht gelassen, dass sich die Zweit- und der Drittbeschwerdeführer nicht mehr im anpassungsfähigen Alter befinden, sondern den maßgeblichen Abschnitt ihres Lebens in Österreich verbracht haben. Hätte das Bundesamt die Möglichkeit gegeben, Stellung zu ihren in Österreich erzielten integrativen Fortschritte zu nehmen, wäre es zum Ergebnis gelangt, dass eine zwangswiese Außerlandesbringung die Beschwerdeführer in ihrem durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf Achtung des Privatlebens verletzten würde.

2.5. Mit Schreiben vom 13.12.2016 wurden aktuelle psychiatrische Befunde sowie ein Arztbrief betreffend die Erstbeschwerdeführerin in Vorlage gebracht. Die Erstbeschwerdeführerin brachte vor, dass daraus ihre Traumatisierung aufgrund der ihrer Flucht zugrundeliegenden Ereignisse ersichtlich sei. Sie sei aufgrund der Traumatisierungs-folgen im erstinstanzlichen Verfahren gehindert gewesen, das Erlebte zu berichten. Die Erstbeschwerdeführerin leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung, Panikattacken sowie unter Alpträumen und Gedächtnisstörungen. Am 19.09.2016 sei die Erstbeschwerdeführerin aufgrund der Einnahme einer Überdosis an Medikamenten in ein Krankenhaus gebracht worden. Der Zustand der Erstbeschwerdeführerin habe verschlechtert und reagiere sie auf Belastungen sehr stark und impulsiv und habe bereits zum zweiten Mal eine Überdosis von Medikamenten eingenommen. Sie habe zweimal Anfälle mit Bewusstseinsverlust gehabt und leide an Albträumen, in welchen sie den Tod ihres Mannes wiedererlebe. Der Erstbeschwerdeführerin sei jeweils die Einnahme von Psychopharmaka empfohlen worden.

2.6. Das Bundesverwaltungsgericht forderte die Beschwerdeführer mit Parteiengehör vom 17.07.2020 auf, gravierende Veränderungen seit der Beschwerdeerhebung an ihrem Gesundheitszustand bekanntzugeben sowie alle damit in Zusammenhang stehenden Beweismittel vollständig vorzulegen und Bescheinigungs- bzw. Beweismittel zu den Umständen im Herkunftsstaat, auf sie sich stützen, sowie Unterlagen und Dokumente betreffend ihre aktuellen Lebensverhältnisse und familiären Beziehungen in Österreich und betreffend die Erstbeschwerdeführerin alle Bescheinigungsmittel zu ihrem psychischen Gesundheitszustand sowohl aus der RUSSISCHEN FÖDERATION als auch aus Österreich zu übermitteln.

Die Erstbeschwerdeführerin brachte mit Stellungnahme vom 18.08.2020 vor, dass sie sich aktuell nicht in ärztlicher Behandlung befinde und auch ihre Kinder gesund seien. Ihre Kinder besuchen die Schule in Österreich. Die Erstbeschwerdeführerin pflege nach wie vor regelmäßig Kontakt zu ihrer Mutter, unterdrücke jedoch ihre Nummer, damit man nicht erkenne, aus welchem Land sie anrufe. Ihre Mutter habe ihr berichtet, dass die Polizei ca. einmal im Monat Nachschau nach ihr halte. Es sei in ihrem Herkunftsstaat nicht bekannt, dass sie geflüchtet sei, und ihre Mutter und Nachbarinnen erzählen, dass sie sich noch im Land aufhalte. Die Erstbeschwerdeführerin habe Deutschkurse besucht und legte diesbezüglich Bestätigungen vor. Ihre Kinder seien in Österreich aufgewachsen und hier sozialisiert.

2.7. Die Beschwerdeführer legten mit Dokumentenvorlage vom 01.10.2020 eine Bestätigung der Nachbarn der Mutter der Erstbeschwerdeführerin in der Russischen Föderation, die bestätigen könnten, dass die Erstbeschwerdeführerin noch immer von der Polizei gesucht werde, sowie zwei Arbeitsbestätigungen aus der RUSSISCHEN FÖDERATION und diverse ärztliche Unterlagen und Integrationsunterlagen vor.

2.8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 07.10.2020 eine mündliche Verhandlung durch, an der die Beschwerdeführer und ihre Vertreterin teilnahmen, aber kein Vertreter des Bundesamtes.

Die Erstbeschwerdeführerin machte in der Verhandlung folgende Angaben:

„R: Sie wurden am 29.11.2013 polizeilich erstbefragt und am 11.11.2014 vom Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Wie würden Sie die dortige Einvernahmesituation beschreiben, gab es Probleme?

BF 1: Nein, keine Probleme.

R: Haben Sie bei Ihren bisherigen Aussagen vor der Polizei im Rahmen der Erstbefragung und vor dem Bundesamt immer die Wahrheit gesagt oder möchten Sie etwas richtig stellen?

BF 1: Das war alles die Wahrheit. Aber ich habe damals nicht alles erzählen können, weil der Dolmetscher ein Tschetschene war.

R: In welcher Einvernahme war der Dolmetsch ein Tschetschene?

BF1: Bei der ersten Einvernahme in XXXX .

R: Februar oder November 2013?

BF1: Im November.

R: Fr. XXXX ?

BF1: Das kann sein. Ich kann mich nicht erinnern.

R: Am 11.11.2014, war es XXXX .

BF1: Das kann sein, ich kann mich nicht erinnern.

R: Am 27.02.2013 war es wieder XXXX und am 27.06.2013 war die Einvernahme nicht auf Tschetschenisch sondern auf Russisch, Dolmetsch war XXXX . Also welches war der Dolmetscher aufgrund dessen Sie nicht vollständig aussagen konnten?

BF1(auf Deutsch): In XXXX hatte ich das Erstinterview, dabei ist ein tschetschenischer Mann mitgekommen.

R an D: Ist die Verständigung mit der BF auf Russisch problemlos?

D: Ich habe noch nicht so viel mitbekommen, aber bis jetzt gibt es kein Problem.

R: Wir führen die VH in Russisch, es kommt auf den Inhalt an.

R: Mit Bescheid vom 14.07.2016 wies das Bundesamt Ihren Antrag auf internationalen Schutz sowohl im Hinblick auf den Status der Asylberechtigten, als auch im Hinblick auf den Status der subsidiär Schutzberechtigten ab, stellte fest, dass Ihre Abschiebung in die Russische Föderation rechtmäßig ist, erteilte Ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen Sie und räumte Ihnen eine 14tätige Frist für die freiwillige Ausreise ein. Gleichlautende Bescheide ergingen in den Verfahren Ihrer Kinder. Gegen diese Bescheide erhoben Sie mit Schriftsatz vom 01.08.2016 Beschwerde. Halten Sie diese Schriftsätze und die darin gestellten Anträge aufrecht?

RV: Ja.

BF1: Ja.

R: Sie haben am 27.02.2013 Ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Zu diesem wurden Sie am 27.02.2013 erstbefragt und am 27.06.2013 vom Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen. Mit Bescheid vom 31.07.2013 hatte das Bundesasylamt Ihren Antrag sowohl im Hinblick auf den Status der Asylberechtigten, als auch den Status der subsidiär Schutzberechtigten betreffend den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen und Sie in die Russische Föderation ausgewiesen. Gleichlautende Bescheide ergingen in den Verfahren ihrer Kinder. Sie erhoben gegen diese Bescheide Beschwerde. Diese wies der Asylgerichtshof nach der Einräumung von Parteiengehör mit Erkenntnissen vom 25.09.2013 aus unbegründet ab. Gleichlautende Erkenntnisse ergingen in den Verfahren ihrer Kinder. Sie beantragten am Verfassungsgerichtshof die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde gegen diese Erkenntnisse. Mit Beschluss vom 22.11.2013 wies der Verfassungsgerichtshof die Anträge wegen Aussichtslosigkeit ab. Warum stellten Sie SIEBEN Tage nach höchstgerichtlichem Abschluss des ersten Asylverfahrens einen Folgeasylantrag?

BF 1: Ich konnte nicht zurückfahren.

R: Laut Erstbefragung am 27.11.2013 stellten Sie nach Empfehlung Ihres Anwaltes so schnell wie möglich nach Erhalt des negativen „Bescheides“ den neuen Antrag. Was hat sich in diesen sieben Tagen geändert?

BF 1: Ich kann mich jetzt nicht mehr erinnern.

R: Sie geben in der Beschwerde an, dass Sie durch eine Traumatisierung daran gehindert waren, das nunmehr erstattete Fluchtvorbringen bereits im ersten Asylverfahren vorzubringen. Was hat sich in diesen SIEBEN Tagen geändert, dass Sie es nun vorbringen konnten?

BF 1: Ich kann mich nicht mehr erinnern.

R: Das Bundesasylamt fragte Sie in der Einvernahme am 27.06.2013 ausdrücklich, ob Sie Gelegenheit hatten, alles vorzubringen, was Ihnen wichtig erschien, oder ob Sie noch etwas hinzufügen wollten; Sie verneinten und gaben an, dass Sie alles gesagt haben. Das Bundesasylamt bot Ihnen am 27.06.2013 eine Frist an, um sich schriftlich zu äußern. Warum haben Sie das Angebot nicht angenommen, wenn Sie mit dem männlichen Dolmetscher nicht darüber sprechen konnten?

BF 1: Damals stand ich unter Stress, ich kannte mich hier nicht aus, ich kannte die Gesetze hier nicht. In meinem Land galt das als Schande, was ich erlebt habe, deswegen konnte ich nicht alles erzählen.

R: sSie haben die Beschwerde an den Asylgerichtshof unterstützt durch ihre Vertreterin, XXXX , erhoben. Warum haben Sie in der Beschwerde, mit Rechtsberatung, dieses Vorbringen nicht erstattet?

BF1: Ich weiß es nicht, ich habe es nicht geschafft. Ich konnte es nur XXXX erzählen, dem Anwalt. Nur ihm konnte ich das erzählen.

R: Was hat sich seit dem Erkenntnis des Asylgerichtshofes am 01.10.2013 im Hinblick auf Ihre Fluchtgründe geändert? Dh welche Fluchtgründe traten danach ein?

BF 1: Es hat sich nichts geändert.

R: Was hat sich seit dem Erkenntnis des Asylgerichtshofes 2013 im Hinblick auf die Lage im Herkunftsstaat geändert? Das LIB […] wurde Ihnen mit der Ladung zugestellt.

BF 1: Ich habe die Frage nicht verstanden. Was meinen Sie?

R. Hat sich in Russland seit 2013 etwas geändert, was für Sie maßgeblich ist?

BF1. Nein.

R: Was würde Sie und Ihre Kinder im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat konkret erwarten?

BF 1: Man wird mir die Kinder wegnehmen und man könnte mich auch umbringen. Dafür, dass ich geflüchtet bin.

R: Wer konkret sollte Ihnen und Ihren Kindern, warum konkret, etwas antun wollen?

BF 1: Das hat alles nach dem Tod meines Mannes begonnen. Mein Mann wurde umgebracht. Man warf ihm vor, dass er zusammen mit den Terroristen war, dann begannen Probleme für mich.

R: Bittet die BF die Maske abzunehmen, zwecks besserer Verständigung und Beurteilung der Glaubwürdigkeit.

BF1: In der Früh sind wir aufgewacht, mein Mann sollte in die Arbeit fahren. Ich habe die Vorbereitungen getroffen, damit er in die Arbeit fahren kann, dann hörten wir Schüsse. Wir bekamen Angst, schauten uns gegenseitig an.

BF1 weint.

BF1: Ich dachte dann, dass alles vorbei ist. Dann schaute mein Mann raus, auf die Straße. Während des Schusswechsels zwischen der Polizei und den Nachbarn wurde mein Mann getroffen und er ist gestorben. Dann wollten die Polizisten beweisen, dass sie nicht daran schuldig waren und sie sagten deswegen, dass mein Mann auch dazugehörte. Danach hat man die Leiche gleich weggenommen und hat die Leiche auch nicht zurückgegeben. Danach sind die Leute immer wieder zu mir gekommen. Mein Vater hat das erfahren und hat mich dann zu sich genommen. Dann haben die Polizisten erfahren, dass ich mich im Haus meines Vaters befinde. Dann wurde ich mitgenommen und drei Tage lang festgehalten und verhört. Man hat mich immer nach Bekannten meines Mannes gefragt und nach den Leuten, mit denen er in Kontakt stand. Ich habe den Leuten gesagt, dass mein Mann keinen Bezug dazu hat und keine Kontakte zu solchen Leuten hatte. Dann wurde ich bedroht, man sagte mir, dass ich doch an meine drei Kinder und meine Eltern denken soll. Sie sagten, dass wenn ich nicht an mich denke, ich zumindest an die Kinder denken sollte.

Dann wurde ich freigelassen. Aber die Leute sind oft zu meinen Eltern gekommen und haben mich oft befragt. Ein Jahr nach dem Tod meines Mannes ist auch mein Vater verstorben. Er hat das alles nicht ausgehalten. Danach, ich meine ich wurde noch vor dem Tod meines Vaters mitgenommen und zwei Tage lang festgehalten. Ich wurde mit einem Auto geholt und in den Wald gebracht.

BF1 weint.

BF: Dort wurde ich zwei Tage lang verhöhnt. Die Leute waren maskiert. Ich wusste zuerst nicht wer die Leute sind, aber dann sagte mir einer, dass ich nicht daran denken soll mich an die Polizei zu wenden, weil er selbst von der Polizei ist. Dann wurde ich zu meinem Vater gebracht und auf der Straße ausgesetzt. Dann sind die Leute weggefahren. Ich konnte es niemanden erzählen, weil das in meinem Land eine große Schande ist. Aber mein Vater hat es erfahren. Er hat das dann nicht mehr ausgehalten, hat einen Herzinfarkt erlitten und ist verstorben.

Nach dem Tod meines Vaters kam ich ins Krankenhaus. Ich war im Krankenhaus und dann, als ich zurückkam sind die Polizisten wieder gekommen, sie haben mich immer wieder befragt. Meine Mutter sagte mir, dass ich wegfahren soll. Nach Russland konnte ich nicht fahren, weil das ja EIN Land ist.

Ein Bekannter hat mir dann den Rat gegeben, nach Europa zu fahren. Danach kaufte ich Fahrkarten. Ich fuhr zum Flughafen und dort wurde ich von den Polizisten aufgegriffen. Ich wurde eine Woche lang festgehalten. Man hat mir gesagt, dass man mich überall finden wird, auch wenn ich mich unter der Erde befinden werde. Dann hat man wieder gedroht, dass man meinen Kindern etwas antut.

Danach, eine Woche später wurde ich frei gelassen. Ich habe dann auf den passenden Moment gewartet um zu flüchten.

Abgesehen davon wollten mir die Eltern meines Mannes die Kinder wegnehmen. Sie sagten, dass die Kinder der Familie XXXX gehören. Es hat also Probleme seitens der Polizei und auch seitens der Eltern meines Mannes, es hat immer Druck von diesen Seiten her gegeben. Deswegen konnte ich mich nicht weiter dort befinden. Der Freund meines Vaters hat mir dann den Rat gegeben von dort auszureisen, er hat gemeint, dass er mir dabei helfen wird. Er hatte auch drei Kinder, diese Kinder waren im Alter meiner Kinder. Er hat das dann so geschrieben, dass ich seine Frau bin und meine drei Kinder, seine drei Kinder wären. Dann hat er mich aus dem Land gebracht.

R: Was würde passieren, wenn Sie und Ihre Kinder (hypothetisch) an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb DAGESTANS zurückkehren müssten, zB nach XXXX , XXXX , XXXX oder XXXX ?

BF 1: Das wäre so, als wenn man von hier nach z.B. XXXX oder XXXX fährt, das wäre im Vergleich so bei uns. Es ist die gleiche Polizei überall. Als wir hierher kamen, war das erste Jahr…Wie soll ich das erklären? Sehr stressig, es war mit vielen Nerven verbunden. Wir hatten Angst vor der Polizei. Die Kinder haben sich immer hinter mir versteckt, wenn sie die Polizei gesehen haben und haben geweint. Es ist bis jetzt so, dass wenn ich die Polizei sehe und die Polizei auf mich zukommt, dann zittern meine Beine.

R: Sie haben in der Erstbefragung am 27.11.2013, im zweiten Asylverfahren angegeben, dass sie einen zweiten Asylgrund haben. Schildern Sie jetzt diesen zweiten Fluchtgrund.

BF: Das war der zweite Grund, das mit der Polizei.

R: Was war jetzt der zweite Fluchtgrund, den Sie im zweiten Verfahren nicht schildern konnten?

BF1: Ich konnte damals nicht erzählen, dass mich die Polizei in den Wald mitgenommen hat und mich zwei Tage festgehalten hat, und dass man mich verhöhnt hat.

R: Sie geben als zweiten, neuen Fluchtgrund, eine Vergewaltigung an. Bitte schildern Sie diese und was danach war. Wann war das? Wo war das? Wer war das? Wie wurden Sie mitgenommen? Was geschah danach?

BF1: Das war im September 2011. Das war am Abend. Es war sehr kalt, ich kann mich noch daran erinnern. Man hat mich dort völlig nackt festgehalten.

BF1 weint.

BF1: Im Gras, im Wald. Es war sehr kalt.

BF1 weint.

BF1: Es war schrecklich. Als man mich nach Hause gebracht hat konnte ich das niemandem erzählen, das habe ich alles für mich behalten müssen. Für mich wäre es noch schrecklicher, wenn es jemand erfahren würde. Mein Vater hat mich immer unterstützt. Er hat mich gut verstanden[,] aber dann hat mein Vater herausgefunden, was passiert ist, nachdem er gesehen hat, wie ich mich fühle und wie es mir geht. Dann hat das sein Herz nicht ausgehalten. Er kam ins Zimmer, sagte, dass er schlafen will und kam nicht mehr heraus.

BF1 weint.

BF1: Bitte um Entschuldigung. Ich dachte nicht, dass es mir jetzt noch so schwer fallen wird.

R wiederholt die Frage.

BF1: Das war im Wald. Es waren sieben Personen. Sie waren maskiert. Als ich geschrien habe, dass ich mich an die Polizei wenden werde, hat einer von ihnen gelächelt und er sagte, dass er selber Polizist ist und dass man meinen Kindern etwas antun wird, wenn ich etwas sage.

R: Was geschah danach?

BF1: Dann, nach zwei Tagen wurde ich nach Hause gebracht. Man hat mir gesagt, dass man meinen Kindern etwas antun wird, wenn ich den Mund aufmachen sollte. Ich habe es nicht geschafft es jemanden zu erzählen, bei uns ist das eine große Schande. Meine Verwandten wissen das bis jetzt nicht.

R. Was haben Sie gemacht, als Sie wieder nach Hause kamen?

BF1: Ich wollte mir die Venen aufschneiden, oder Tabletten einnehmen um Selbstmord zu begehen, aber dann dachte ich an die Kinder. Also habe ich nur geduscht und bin vom Badezimmer rausgegangen. Es war für mich sehr schwer das für mich zu behalten. Meine Mutter hat mich immer wieder gefragt, was passiert ist. Aber ich habe es nicht geschafft es ihr zu sagen und als mich mein Vater gefragt hat, wo ich zwei Tage lang war, habe ich ihm gesagt, dass ich bei einer Polizeistelle war.

R. Sie sprachen von ihren Schwiegereltern. Wie heißen diese? Wo leben diese? Wovon leben diese?

BF1: Sie leben in der Stadt XXXX . Man fährt dahin zweieinhalb Stunden mit dem Auto von unser[e]m Haus. Das ist die Familie XXXX . Die Mutter heißt XXXX . Der Vater heißt XXXX . Sie haben noch vier Söhne, außer meinem Mann und fünf Töchter. Ich weiß nicht was der Grund dafür war, aber keine von Ihren Töchtern und keiner ihrer Söhne konnte Kinder haben, deswegen wollten sie meine Kinder wegnehmen. Meine Kinder wurden bereits unter den Geschwistern meines Mannes aufgeteilt. Sie haben gesagt: „Das ist mein Sohn, oder meine Tochter“ usw.

R: Wovon leben Ihre Schweigereltern und die Familie?

BF1: Sie sind Pensionisten.

R: Sie sprachen von einem Freund Ihres Vaters. Wie heißt dieser? Wo lebt er? Wovon lebt er?

BF1: Er ist leider schon verstorben. Er lebte in der Nachbarschaft meines Vaters. Er hat eine Familie. Sie konnten lange keine Kinder haben, die Kinder sind erst spät geboren worden. Seine Kinder waren im Alter meiner Kinder.

R: Wie heißt er und wovon hat er gelebt?

BF1: Er heißt XXXX .

R: Wovon hat er gelebt, wann ist er gestorben?

BF1: Er war Elektriker.

R: Wann ist er gestorben?

BF1: Er ist gestorben, nachdem ich hier her gekommen bin. Ca. 2014.

R: Sie sagten, er hat Ihnen etwas geschrieben, damit Sie ausreisen konnten. Was haben Sie damit gemeint? Was hat er geschrieben?

BF1: Er hat mir einen Hijab angelegt. Er hat mich über die Grenze gebracht. Ich weiß nicht, wie er die Dokumente vorbereitet hat, ich habe ihn nicht danach gefragt. Ich habe ihn für dem Weg Geld gezahlt.

R: Bis wo hat er Sie gebracht.

BF1: Er hat mich,… Wie hieß die Stadt? Er hat mich von einer Stadt, an deren Namen ich mich nicht erinnere, zur polnischen Grenze gebracht.

R: Wie kamen Sie in die Stadt, an deren Namen sie sich nicht mehr erinnern?

BF1: Mit einem Zug. Er hat mir auf seinen Namen Fahrkarten gekauft. Er hat die ganze Situation erklärt und die Schaffnerin war einverstanden zu helfen. Man hat uns bis nach XXXX mit einem Zug gebracht.

R: Waren Sie alleine, oder wer fuhr mit Ihnen?

BF1: Ich war alleine mit den Kindern.

Die Verhandlung wird um 10:18 Uhr für eine Toiletten-Pause unterbrochen.

Im Anschluss wird die bisherige Niederschrift der BF rückübersetzt. Die BF wird aufgefordert genau aufzupassen, ob alles richtig protokolliert wurde.

Die RV legt vor:

•        Sterbeurkunde als Fax, Text abgeschnitten

•        Prüfungsbestätigung 02.10.2020

•        Deutschkursbestätigung 05.10.2020

•        Zwei Empfehlungsschreiben

[…]

R: Wurde alles richtig protokolliert?

BF1: Ja.

R. Sie haben heute angegeben, dass Sie alleine mit dem Zug nach XXXX gefahren sind. In der EB am 27.02.2013 gaben Sie an, dass Sie gemeinsam mit ihrer Mutter mit dem Zug bis XXXX fuhren. Können Sie das erklären?

BF1: Das war, als ich ergriffen wurde, da war ich mit meiner Mutter unterwegs.

R: Was meinen Sie mit „als ich ergriffen wurde“?

BF1: Das war, als ich das erste Mal wegfahren wollte.

R: Wo wurden Sie ergriffen?

BF1: Am Flughafen.

R: In welcher Stadt?

BF1: In Dagestan, in XXXX .

R. In der EB am 27.02.2013 gaben Sie an, dass Ihre Mutter sie von XXXX über XXXX und XXXX bis XXXX brachte und in Weißrussland zurückblieb. Heute sagen Sie, Sie wären mit Ihrer Mutter nur bis zum Flughafen in XXXX gefahren. Können Sie das erklären?

BF1: Ich war das erste Mal, als ich ergriffen wurde, mit meiner Mutter zusammen. Das zweite Mal war ich in dem Zug alleine mit den Kindern. Aber in XXXX hat meine Mutter auf mich gewartet.

R: Wie kam Ihre Mutter nach XXXX ?

BF1: Mit dem XXXX , mit dem Auto.

R: Warum sind Sie dann nicht mit XXXX mit dem Auto mitgefahren?

BF1: Im Auto hat es keinen Platz mehr gegeben.

R: Warum hatten Sie dann aber alle zusammen Platz im Auto von XXXX bis XXXX ?

BF1: Weil, das ein anderes Auto war.

R: In der EB am 27.02.2013 gaben Sie an, dass Sie den, der sie mit dem Auto nach Ö brachte, erst in XXXX trafen, nicht bereits in XXXX . Sie gaben an, dass Sie mit dem Zug von XXXX nach XXXX gefahren sind, nicht mit dem Auto. Was sagen Sie dazu?

BF1: Ehrlich gesagt kann ich mich nicht erinnern, was ich damals gesagt habe. Ich bin nach XXXX gefahren, in XXXX hat meine Mutter mit XXXX auf mich gewartet, das Auto wurde dann gewechselt, und wir sind nach XXXX gefahren. In XXXX hat ein anderes Auto auf uns gewartet und auch ein anderer Mann. Dieser Mann brachte uns nach XXXX .

R: In der EB am 27.02.2013 gaben Sie an, dass Sie außer der Grundschule keine Ausbildung gemacht haben. Der Polizei gegeben über gaben Sie an, dass Sie eine Ausbildung zur Kosmetikerin gemacht haben und Make-up Artist sind. Können Sie es erklären?

BF1: Ja, als Kosmetikerin und Visagistin.

R: Warum gaben Sie dann in der schriftlichen Stellungnahme an den Asylgerichtshof an, dass Sie keinerlei Ausbildung haben und damit nicht selbsterhaltungsfähig sind?

BF1: Ich habe es nicht verstanden.

R verliest die Stellungnahme OZ 5, aus dem Akt des AsylGH, auszugsweise.

BF1: Visagistin und Kosmetikerin, das waren nur Kurse. Ich habe auch ein Diplom erhalten.

R: Wann?

BF1: 2009.

R: Haben Sie jemals in diesem Beruf gearbeitet?

BF1: Ja, aber nicht lange.

R: Warum haben Sie dann angegeben, dass Sie immer nur Hausfrau und Mutter waren?

BF1: Man hat mich nicht danach gefragt.

R: Doch man hat Sie danach gefragt, Sie gaben an, dass Sie immer nur Hausfrau und Mutter waren und nie berufstätig waren.

BF1: Ich habe gearbeitet, ich habe viele Tätigkeiten verrichtet.

R: Sind Sie vor oder nach dem Tod Ihres Vaters zu Ihren Eltern gezogen?

BF1: Vor dem Tod.

R: In der Einvernahme am 27.06.2013 gaben Sie an, dass Sie im Oktober 2012 erst zu Ihrer Mutter zogen. Ihr Vater ist ihren Angaben nach aber 2011 gestorben.

BF1: Ja, ich bin ja vor dem Tod meines Vaters dorthin übersiedelt.

R: Ab wann haben Sie durchgehend bei Ihren Eltern gelebt?

BF1: Seit September 2010.

R: Warum?

BF1: Mein Vater wollte das so.

R: Sind Sie außer dem heute geschilderten Vorfall erneut vergewaltigt worden?

BF1: Nein, nur damals.

R: Sie gaben in Ihrem zweiten Asylverfahren an, dass Sie vergewaltigt wurden, da Sie eine alleinstehende Frau ohne männliche Verwandte ohne Schutz waren, heute sagen Sie, dass Ihr Vater noch gelebt hat, als Sie vergewaltigt wurden und aus Kummer gestorben ist. Sie waren also nicht alleinstehend ohne männlichen Schutz.

BF1: Vor der Vergewaltigung…

R wiederholt den Vorhalt.

BF: Ich hatte einen Vater, aber ich konnte mich an ihn nicht wenden. Ich konnte niemanden darüber erzählen. In unserem Land ist das eine große Schande.

R: Wann haben Sie Ihr Haus verkauft?

BF1: Danach, als ich zu meinem Vater kam.

R: Warum?

BF1: Ich konnte nicht dorthin zurück.

R: Heute sagen Sie, dass Sie vor dem Tod Ihres Vaters vergewaltigt wurden und, dass es nur eine Vergewaltigung gab. In der Einvernahme am 11.11.2014 gaben Sie an, dass Sie einen Monat vor der Ausreise vergewaltigt wurden, das wäre der Jänner 2013 gewesen. Was sagen Sie dazu?

BF1: Nein.

R: Was heißt „Nein“?

BF1: Ich kann mich nicht mehr erinnern, ich weiß nicht, was ich damals gesagt habe. Ich stand unter Stress, als ich nach XXXX kam. Ich stand lange unter Stress und konnte nicht zu mir kommen, ich weiß jetzt nicht, was ich damals gesagt habe. Aber jetzt sagte ich es so, wie es wirklich passiert ist.

R: Sie haben gesagt, dass sie einer der maskierten Männer angelächelt hat und gesagt hat, dass er bei der Polizei ist. Wie sehen Sie bei einem maskierten Mann, dass er sie anlächelt?

BF1: Es war durch seine Gestik und Körperhaltung.

R: Haben Sie diese Männer gekannt? Hatten Sie bereits zuvor Kontakt?

BF1: Ich weiß es nicht, sie waren maskiert.

Vorhalt AS 89: Sie haben Folgendes gesagt: „Da ich keinen Mann hatte und alleinstehend war, ließen die Männer mich nicht in Ruhe arbeiten, ich konnte nicht in Ruhe aus dem Haus gehen.“ D.H. Sie kannten die Männer schon davor?

BF1: Was meinen Sie? Bevor was?

R: Sie sagten, Sie hatten schon länger Probleme mit „den Männern“ die Sie schon länger belästigt haben.

BF1: In unserem Land ist es so, wenn die Frau alleinstehend ist, lassen sie die Männer nicht in Ruhe.

R: Aber sie lebten damals mit ihrem Vater zusammen?

BF1: Ja, aber ich konnte nicht arbeiten gehen.

R: Waren Sie in der russischen Föderation öfter im Krankenhaus?

BF1: Dreimal

R: Wann und warum?

BF1: Einmal war ich im Koma. Dann, das zweite Mal, wusste man den Grund nicht, man sagte mir, dass es eine Stresssituation ist, das dritte Mal hatte ich XXXX , ich hatte XXXX .

R: Wann war das jemals?

BF1: Ich kann mich nicht mehr erinnern. Es muss irgendwo stehen.

R: Wann ungefähr?

BF1: 2011 ca.

R: Was? Koma, Stress, XXXX ?

BF1: Koma, Stress, ich meine ich stand unter Stress.

BF1 mit Unterstützung: 2011, glaube ich, war ich wegen Koma im Krankenhaus, vier Monate lang. Wegen Stress war ich 2011 oder 2012, eher 2012 im Krankenhaus, für zwei Wochen. Wegen XXXX war ich vier Tage lang, auch 2012 im Krankenhaus.

R: Im verwaltungsbehördlichen Asylverfahren gaben Sie an, dass Sie nach der Vergewaltigung 2013 eine Woche im Krankenhaus waren. Heute sagen Sie, dass Sie nach dem Tod Ihres Vaters im Krankenhaus waren. Die Vergewaltigung aber davor war. Und laut dem von Ihnen vorgelegten Befund vom 02.11.2016 sind Sie nach dem Tod Ihres Mannes mehrere Monate im Koma gelegen, das war 2010. Können Sie mir das erklären?

BF1: Ja, ja vier Monate.

R: Waren Sie jetzt nach dem Tod Ihres Mannes oder nach dem Tod Ihres Vaters vier Monate lang im Koma?

BF1: Nach dem Tod meines Vaters.

R: Waren Sie nach der Vergewaltigung im Spital? Ja, oder nein?

BF1: Ja, ich war.

R: Wann sind Sie ins Krankenhaus gegangen und warum?

BF1: Ca. im Jänner. Es war im Winter, ich war ca. eine Woche dort.

R: Heute gaben Sie an, die Vergewaltigung war im September.

BF1: Ja.

R: In der Einvernahme am 11.11.2014 gaben Sie auf die Frage, was nach der Vergewaltigung passierte, an, dass man sie in der Nähe Ihres Hauses aussteigen ließ und dass Sie ins Krankenhaus gingen um sich untersuchen zu lassen. Sie waren wegen eines Nervenzusammenbruchs eine Woche im Krankenhaus in XXXX .

BF1: Ich war im Jänner im Krankenhaus.

R: Heute habe ich auch gefragt, was nach der Vergewaltigung war, sie sagten Sie waren zu Hause duschen.

BF1: Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich damals gesagt habe, heute sage ich es was wirklich passiert ist.

R: Haben Sie die Vergewaltigung zur Anzeige gebracht?

BF 1: Ich habe schon gesagt, dass ich das nicht machen konnte.

R: Haben Sie sich sonst jemanden anvertraut oder wo um Hilfe angesucht?

BF 1: Nein.

R: Verstehe ich Sie richtig, dass Sie nach der Vergewaltigung bis zur Ausreise in dem Dorf wohnen blieben, wo das passierte? Sie haben nichts geändert, bis zur Ausreise im Jänner 2013?

BF 1: Die Polizisten sind die ganze Zeit gekommen und haben mich befragt. Sie haben mich immer wieder festgenommen, für einen Tag oder für zwei Tage, manchmal für 8 Stunden, manchmal für 14 Stunden.

R: Warum Sind Sie unter diesen Umständen drei Jahre zu Hause wohnen geblieben?

BF1: Ich habe schon erzählt, dass ich schon nach der ersten Festnahme eine Möglichkeit zur Ausreise gesucht habe.

R: Was haben Sie konkret gemacht, seit 2010?

BF1: Ich habe Leute gesucht, ich habe Hilfe gesucht. Ich habe gefragt. Ich habe mich erkundigt, bei den Leuten, wie es ausschaut, wie eine problemlose Ausreise möglich wäre. Aber die Leute haben mir verschiedenen Auskünfte erteilt. Einer sagte mir, dass ich das Telefon zu Hause lassen soll.

R: Warum haben Sie nie versucht innerhalb der Russischen Föderation umzuziehen?

BF1: ich sagte ihnen schon, dass es so ist, als wenn man von hier nach XXXX fährt. Oder Deutschland. Das ist ja der gleiche Zustand.

R: Wo ist Ihr Inlandsreisepass?

BF1: Bei meiner Mutter.

R: Warum haben Sie den Inlandsreisepass Ihrer Mutter gegeben und nicht mitgenommen?

BF1: Weil die Polizisten bis jetzt noch zu meiner Mutter kommen. Meine Mutter hat ihnen einmal den Pass gezeigt und sagte, dass sich mein Pass zu Hause befindet und dass ich nicht weit weg sein kann, ohne Pass. Wenn die Leute kommen, sagt sie ihnen, dass ich gerade in der Arbeit bin oder bei Verwandten.

R: Vor dem Bundesamt gaben Sie an, dass Ihre Mutter diesen Männern sagt, dass Sie an einem anderen Ort in der Russischen Föderation leben, dazu bräuchten Sie aber Ihren Inlandsreisepass, das passt nicht zusammen.

BF1: Meine Mama sagt nicht, dass ich mich wo anders in der Russischen Föderation befinde, sie sagt ihnen, dass ich in der Arbeit bin oder bei Verwandten.

R: Warum ist Ihre Mutter nicht mit Ihnen ausgereist, wenn sie ohnehin mit ihnen in XXXX war, wenn sie von den Männern seit 2010 aufgesucht wird?

BF1: Sie wollte nicht.

R: Warum nicht?

BF1: Ich weiß es nicht.

R: Warum haben Sie sich die Sterbeurkunde nachschicken lassen, aber nicht ihren Inlandsreisepass?

BF1: Ich wusste nicht, dass es notwendig ist.

R: Sie sagen heute, dass Sie Angst hatten vor den Behörden, warum haben Sie dann zwischen Oktober 2012 und Jänner 2013 den Führerschein gemacht? Dazu muss man Kontakt zu Behörden haben.

BF1: Dort arbeitet ein Onkel von mir. Er hat mir geholfen. Als ich das Auto gefahren bin, ist neben mir ein Polizist gesessen, aber in Zivil. In einem gewöhnlichen Kleidungsstück. Er hat verstanden, dass ich Angst habe und, dass ich die Prüfung nicht schaffe, wenn ich so große Angst habe. Er hat mir geholfen, wie er konnte.

R: Wie heißt dieser Onkel? Wie ist diese Beziehung zu ihm? Was macht er beruflich?

BF1: Er lebt in XXXX . Er heißt XXXX .

R: Was arbeitet er?

BF1: Ich weiß nicht genau [was] er arbeitet, aber er arbeitet bei der Abteilung.

R: Welche Abteilung?

BF1: Ich weiß es nicht, ich kann es gar nicht sagen, ich habe nicht gefragt. Ich habe ihn nur um Hilfe gebeten und er hat mir geholfen.

R: Wie ist Ihre Beziehung zu Ihm?

BF1: Verwandtschaftlich.

R: Was heißt das?

BF1: Das bedeutet…das wir einmal oder zwei Mal im Monat telefonieren. Ich frage wie es geht. Wir helfen, wenn er Hilfe braucht und umgekehrt.

R: D.H. Sie telefonieren auch jetzt noch mit ihm?

BF1: Jetzt? Nein, ich nicht. Seitdem ich hier bin nicht mehr. Ich habe nur Kontakt mit meiner Mutter.

R: Welchen Kontakt hatten Sie nach der Vergewaltigung zu diesen Männern, die Sie vergewaltigt hatten?

BF 1: Keinen.

R: Wer waren dann die Männer, die Sie aufgesucht und mitgenommen haben?

BF1: Die Leute waren maskiert, ich weiß es nicht.

R: Woher wissen Sie dann, dass Sie keinen Kontakt mehr hatten?

BF1: Das weiß ich nicht. Es kann sein, dass die gleichen Leute gekommen sind.

R: Woher sollen Ihre Schwiegereltern von der Vergewaltigung wissen?

BF 1: Sie wissen das nicht.

R: Warum sollten Sie dann aus diesem Grund Ihnen die Kinder wegnehmen wollen?

BF1: In unserem Land gibt es ein Gesetz, dass wenn sich die Eltern scheiden lassen, die Kinder beim Vater bleiben. Wenn der Vater stirbt, dann nehmen die Kinder seine Eltern zu sich.

R: Nach Russischem Recht, bleibt das Sorgerecht bei Ihnen.

BF1: Ja.

R: Laut Ihrer Stellungnahme vor dem Asylgerichtshof sind Sie erst im Oktober 2012 zu Ihrer Mutter gezogen. Heute sagen Sie, dass Sie bereits früher zu Ihrer Mutter gezogen sind. Wann sind Sie zu Ihrer Mutter gezogen?

BF 1: Vor dem Tod meines Vaters, mein Vater hat mich selber zu sich geholt.

R: Spätestens 2011?

BF1: Ja.

R: Wie geht es Ihrer Mutter aktuell? Wo, wovon, wie lebt sie?

BF 1: Meine Mutter lebt von einer Pension. Sie lebt alleine zu Hause. Nicht alleine, ein Cousin ist zu ihr gezogen. Ich habe meiner Mutter gesagt, dass sie jemanden fragen soll, ob nicht jemand mit ihr leben möchte. Mein Cousin war damit einverstanden, er ist mit seiner Familie zu seiner Mutter übersiedelt. In dem Hof meiner Mutter gibt es nämlich zwei Häuser in einem Hof, in einem Haus lebt meine Mutter und in einem Haus lebt der Cousin mit der Familie.

R: Wie heißt der Cousin, wie geht es ihm und wovon lebt er?

BF1: Er heißt XXXX , er arbeitet als Bauarbeiter und verdient sein Geld auch als Automechaniker. Er hat eine Frau. Sie ist Anstreicherin. Er hat drei erwachsene Söhne und drei erwachsene Töchter.

R: Sie haben vor dem Bundesamt angegeben, dass sie vor der Ausreise nur eine geringe Waisenrente für die Kinder bekommen [haben] von glaublich 300 Rubeln; sie gaben auch an, dass es keine Sterbeurkunde für ihren Mann gibt. Ohne Sterbeurkunde gibt es aber auch keine Waisenrente. Was sagen Sie dazu?

BF1: Ich habe die Sterbeurkunde meines Mannes, ich habe aber keine Beihilfe bekommen.

R: Was Sie heute vorgelegt haben, war die Sterbeurkunde Ihres Vaters. Warum haben Sie die Sterbeurkunde Ihres Mannes nicht vorgelegt?

RV: Ich glaube das ist ein Fehler meiner Kollegen in XXXX , ich dachte, dass man Ihnen das alles vorgelegt hat.

RV legt vor:

•        Sterbeurkunde des Mannes, geb. XXXX

•        Schreiben der Mutter und der Nachbarn der BF1

•        zwei Empfehlungsschrieben für BF1

[…]

•        Befund vom 15.05.2017

•        Schreiben XXXX betreffend XXXX , 2017 und 2016

•        Aufenthaltsbestätigung LKH XXXX 2017, doppelt + Entlassungsbrief

•        Befund vom 27.03.2017, 02.11.2016

•        Empfehlungsschreiben 2017

•        Befund vom 01.08.2016

•        Fotos

•        Jahreszeugnis BF3, 2019/2020, XXXX

•        Deutschkursbestätigung, A2, ohne Angabe des Teilnehmers

•        Jahreszeugnis, BF2, Schuljahr 2019/20, XXXX

•        Jahreszeugnis, BF3, Schuljahr 2018/19, XXXX

•        Teilnahmebestätigung Werte und Orientierungskurs, BF1

•        Empfehlungsschreiben 2016

R: Wer ist XXXX ?

BF. Ich kann mich nicht erinnern.

R: Ihre Befunde sind an Ihn adressiert!

BF: Ah! Das ist mein Hausarzt.

[…]

R: Warum sollten Sie einer Gefährdung wegen Ihres verstorbenen Mannes ausgesetzt sein, aber nicht seine Eltern und Brüder?

BF 1: Ich weiß es nicht.

R: Sie gaben am 27.11.2013 an, dass Ihre Schwiegereltern bereits angekündigt haben, am Gerichtsweg die Obsorge für Ihre Kinder zu bekommen. Wie weit ist das Verfahren gediehen?

BF 1: Als ich im Korridor saß kam der Richter auf mich zu, ich wusste damals nicht, dass das mein Richter ist. Er hat mich auch die Schulter geklopft und gesagt. „Weine nicht, einer Mutter hat noch niemand Kinder weggenommen.“

R: Wann war das?

BF1: Das war 2012. Oder 2013, ich kann mich nicht mehr erinnern.

R: Es gab ein Obsorge Verfahren betreffend Ihre Kinder, der Richter hat Ihren Antrag das Sorgerecht zu behalten unterstützt?

BF1: Ja.

R: Wie ging das Verfahren aus?

BF1: Zu meinen Gunsten. Aber seine Eltern sagten trotzdem, da

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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