Entscheidungsdatum
30.11.2020Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W135 2235150-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ivona GRUBESIC als Vorsitzende und die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER sowie den fachkundigen Laienrichter Franz GROSCHAN als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Burgenland, vom 03.09.2020, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin stellte am 23.06.2020 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Burgenland (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis), welcher nach einem entsprechenden Hinweis auf dem Antragsformular auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass gewertet wurde. Als vorliegende Gesundheitsschädigungen gab die Beschwerdeführerin „Kreuzimplantate, Knieoperation wurde wegen Corona-Epidemie zwei Mal verschoben, starke Schmerzen“ an. Dem Antrag legte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen die Lendenwirbelsäule betreffende medizinische Befunde aus den Jahren 2010 bis 2013 und einen das rechte Knie betreffenden Radiologie-Befund vom 07.11.2019 bei.
Die belangte Behörde holte ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein, welches am 30.07.2020, nach einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 29.07.2020, erstellt wurde. In diesem wird Folgendes ausgeführt:
„Anamnese:
Chronisches LWS-Syndrom degenerativer Genese mit mehrsegmentalem Bandscheibenschaden, Z.n. PLIF L5/S1 2013
Gonarthrose links mit hochgradigem Knorpelschaden, Retropatellarathrose links,
Arthroskopie geplant
Arterielle Hypertonie
Derzeitige Beschwerden:
Beklagt werden belastungsabhängige Schmerzen und Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk, diesbezüglich ist eine Arthroskopie im Oktober geplant. Außerdem sei die Lendenwirbelsäule derzeit "sehr schlecht", sie könne sich nicht bücken, könne nichts aufheben oder tragen, die Gehstrecke sei eingeschränkt, in der orthopädischen Ambulanz wurde ein Mieder verordnet, Tramal werde derzeit laufend eingenommen.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Medikamente lt. Verordnung XXXX 7/2020: Lisinopril, Zoldem, Allernon, Allopurinol, Lasix, Lansobene, Simvastatin, Candibene, Voltaren Gel, Tramal 200g 1-0-1.
Mieder (Lumboforce 3) wurde verordnet.
Sozialanamnese:
Pension, verwitwet, bewohnt alleine Haus, im Wesentlichen selbständig, Unterstützung durch Sohn.
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
9/2010 MR LWS: multisegmentale deg. Bandscheibenschaden, Hyperlordose, def. Spondylose, Skoliose, Spondylolisthese I° LV/SI und konz. BS-Vorwölbung mit RF auf L5-Nervenwurzel.
10/2011 Schmerzambulanz KH XXXX : Z.n. Wurzelblockaden LWS, BS-Protrsuion L5/S1 bds
11/2011 Anästhesiologie KH XXXX : Wurzelblockade L3/4, L4/5 und L5/S1 bds.
3/2012 Orthopädie KH XXXX : Foraminalstenose L5/S1 rechts, Wurzelinfiltration L5 rechts
3/2012 Röntgen: Spondylolisthese LV/S1 um etwa 4mm, verschmälerte lumbosakrale BS, Osteochondrose LWS, Intervertebralarthrosen, diskrete deg. Veränderungen der Hüft- und SIG,
6/2012 Neurochirurgischer Befund XXXX : Spondylolisthesis vera L5/S1 I-II° ohne signifikante Instabilität
7/2013 Neurochirurgie XXXX : PLIF bei Spondylisthesis vera L5/S1, psotoperativer Verlauf komplikationslos, Hypästhesie der Kleinzehe, Gangbild ist normal, keine Paresen.
11/2019 MR Knie links: Chondropathie IV° laterales Kompartement des lat. Tibiacondyls, subchondrales KMÖ, Hinterhornläsion med., Chondropathie II° med. Kompartement, Chondropathia Patellae IV°, geringgradiger Gelenkserguss, Bakerzyste.
12/2019 Orthopädie KH XXXX : Ansatztendinose pes anserinus superfic. sin., Therapie ASK
7/2020 Orthoambulanz KH OW: Spondylarthrose LWS, Spondylodese L5/S1, Lumboforce 3 verordnet.
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
gut
Ernährungszustand:
gut
Größe: 155,00 cm Gewicht: 66,00 kg Blutdruck:
Klinischer Status – Fachstatus:
Caput/Collum: unauffällig, Kopfdrehung nicht eingeschränkt
cor: HT rein und rhythmisch, normofrequent
Pulmo: bds. belüftet, VA, keine RG, Basen verschieblich
OE: Abduktion im Schultergelenk bis max. 100°, Z.n. OP, ansonsten große Gelenke frei beweglich, Nackengriff bds. möglich, Faustschluss komplett, Händedruck kräftig, DMS peripher unauffällig.
WS: Skoliose, Flachrücken, keine Klopfdolenz, FBA 20cm
Abdomen: im Thoraxniveau, BD weich, keine Abwehrspannung, BP geschlossen, Nierenlager frei
UE: Kniegelenke gonarthrotisch verändert, linkes Kniegelenk S 0-0-90°, ansonsten große Gelenke frei beweglich und ohne akute Entzündungszeichen, grobe Kraft und MER seitengleich, Lasegue bds. neg., keine sicheren Paresen, keine Sensibilitätsstörungen, DMS peripher unauffällig, keine Varikositas, keine Ödeme, Integuement intakt
Einbein-, Fersen- und Zehenballenstand links nicht sicher möglich, Romberg ungestört.
Gesamtmobilität – Gangbild:
kommt alleine, Schmerzhinken links, aber insgesamt sicheres Gangbild frei von Gehbehelfen, Lagewechsel vorsichtig, freies Stehen sicher.
Status Psychicus:
Wach, allseits orientiert, gut kontaktfähig, Ductus zielführend, im Positiven affizierbar, Sprache unauffällig.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit mehrsegmentalen Bandscheibenschäden, Zustand nach operativer Versteifung L5/S1
Oberer Rahmensatz bei anhaltender Schmerzsymptomatik und fortgeschrittenen radiologischen Veränderungen, aber ohne relevante sensomotorische Ausfälle
02.01.02
40
2
Fortgeschrittene Aufbrauchzeichen in beiden Kniegelenken
Fixer Richtsatzwert
02.05.20
30
3
Funktionseinschränkung linkes Schultergelenk, Zustand nach Operation
fixer Richtsatzwert entsprechend dem Bewegungsumfang
02.06.03
20
4
Bluthochdruck
fixer Richtsatzwert
05.01.01
10
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Der Gesamt GdB ergibt sich primär aus dem Leiden 1. Die Leiden 2 und 3 führen aufgrund negativer Leidensbeeinflussung zu einer Erhöhung um eine Stufe. Leiden 4 führt aufgrund zu geringer funktioneller Relevanz zu keiner weiteren Erhöhung.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Hyperlipidämie
…
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Dauerzustand
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Nachuntersuchung
Aufgrund der vorliegenden funktionellen Einschränkungen liegen die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme nachstehender Zusatzeintragungen vor:
Ja
Nein
Nicht
geprüft
Die / Der Untersuchte
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ist überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen
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ist blind (entsprechend Bundespflegegeldgesetz)
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ist hochgradig sehbehindert (entspr. Bundespflegegeldgesetz)
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ist gehörlos
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ist schwer hörbehindert
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ist taubblind
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ist Epileptikerin oder Epileptiker
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Bedarf einer Begleitperson
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ist Trägerin oder Träger von Osteosynthesematerial
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ist Orthesenträgerin oder Orthesenträger
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ist Trägerin oder Träger eines Cochlea-Implantates
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ist Prothesenträgerin oder Prothesenträger
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum? Es liegt keine dauerhafte erhebliche Beeinträchtigung der Gehfähigkeit oder der Gangsicherheit vor. Das Gangbild erscheint ausreichend sicher. Trotz der vorliegenden Beeinträchtigungen ist das Zurücklegen kurzer Wegstrecken zumutbar und möglich, wobei die Verwendung eines Gehbehelfs zur Entlastung des linken Beines bei Bedarf zulässig ist. Geringe Niveauunterschiede in Form einiger Stufen können bewältigt werden. Ein sicheres Ein- und Aussteigen in ein öffentliches Verkehrsmittel ist möglich. Haltegriffe oder –stangen können verwendet werden, Kraft und Standsicherheit reichen aus, um einen sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter normalen Umständen zu gewährleisten. Es liegen keine kardiorespiratorischen oder psychiatrischen Erkrankungen vor, welche die Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel verunmöglichen.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor? Nicht zutreffend“
Die belangte Behörde übermittelte der Beschwerdeführerin in weiterer Folge einen Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung in Höhe von 50 v.H. und der Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist Trägerin von Osteosynthesematerial“.
Mit Schreiben vom 04.08.2020 wurde der Beschwerdeführerin weiters das eingeholte Sachverständigengutachten übermittelt und ihr mitgeteilt, dass die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass nicht vorliegen würden. Der Beschwerdeführerin wurde die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme binnen zwei Wochen eingeräumt, welche sie ungenutzt ließ.
Mit angefochtenem Bescheid vom 03.09.2020 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung“ in den Behindertenpass ab. In der Begründung stützte sich die belangte Behörde auf das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, wonach die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen würden. Die Ergebnisse dieses ärztlichen Begutachtungsverfahrens wurden als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt. Mit dem Bescheid wurde der Beschwerdeführerin neuerlich das ärztliche Sachverständigengutachten übermittelt.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 10.09.2020 das Rechtsmittel der Beschwerde und brachte darin im Wesentlichen vor, dass entgegen der Feststellung des Sachverständigen, es würden keine Ödeme vorliegen, am MRT ein Knochenödem IV Grades ersichtlich sei. Die Beschwerdeführerin habe starke Schmerzen beim Gehen. Sie habe eine Laktoseintoleranz und Verdauungsschwierigkeiten. Ihr Sohn unterstütze sie im Garten, sie sei aber auf Nachbarschaftshilfe und ein Auto angewiesen, wenn sie wohin fahren müsse. Als öffentliches Verkehrsmittel sei nur der Schulbus, welcher einmal täglich fahre, verfügbar. Sie habe das Knie betreffend einen Operationstermin am 02.10.2020. Mit der Beschwerde legte die Beschwerdeführerin den bereits mit der Antragstellung vorgelegten Radiologie-Befund vom 07.11.2019 vor.
Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 17.09.2020 zur Entscheidung vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin ist Inhaberin eines unbefristeten Behindertenpasses, in welchem ein Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. ausgewiesen ist. In den Behindertenpass wurde die Zusatzeintragung „Der Inhaber/die Inhaberin des Passes ist TrägerIn von Osteosynthesematerial“ vorgenommen.
Bei der Beschwerdeführerin liegen aktuell folgende dauerhafte Funktionseinschränkungen vor:
1. Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit mehrsegmentalen Bandscheibenschäden, Zustand nach operativer Versteifung L5/S1
2. Fortgeschrittene Aufbrauchzeichen in beiden Kniegelenken
3. Funktionseinschränkung linkes Schultergelenk, Zustand nach Operation
4. Bluthochdruck
Bei der Beschwerdeführerin liegt keine dauerhaft erhebliche Beeinträchtigung der Gehfähigkeit oder der Gangsicherheit vor. Die Beschwerdeführerin weist ein Schmerzhinken links auf, das Gangbild und das freie Stehen sind insgesamt sicher. Die Beschwerdeführerin ist derzeit nicht auf Gehbehelfe angewiesen.
Das Zurücklegen von kurzen Wegstrecken ist trotz der vorliegenden Beeinträchtigungen der Wirbelsäule und der Kniegelenke zumutbar und möglich. Ein sicheres Ein- und Aussteigen in ein öffentliches Verkehrsmittel ist möglich. Haltegriffe- und Stangen können verwendet werden. Die Kraft in den oberen Extremitäten und Standsicherheit reichen aus, um einen sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel zu gewährleisten.
Es liegen auch keine entscheidungsrelevanten Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten bzw. erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vor.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Behindertenpass basieren auf dem Akteninhalt, insbesondere dem darin einliegenden Datenstammblatt (Seite 34 des Verwaltungsaktes).
Die Feststellungen zu den bei der Beschwerdeführerin aktuell vorliegenden Funktionseinschränkungen beruhen auf dem von der belangten Behörde veranlassten und dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten ärztlichen Sachverständigengutachten vom 30.07.2020, welches in den Ausführungen zum Verfahrensgang im Detail wiedergegeben wurde.
Der von der belangten Behörde beigezogene Arzt für Allgemeinmedizin geht darin nach einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin auf die Art der Leiden, deren Ausmaß und deren Auswirkungen auf die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei ein. In die Beurteilung des Sachverständigen sind sämtliche von der Beschwerdeführerin mit dem gegenständlichen Antrag vorgelegte medizinische Beweismittel eingeflossen. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen sind vor dem Hintergrund der erhobenen Befunde zum klinischen Status betreffend die oberen Extremitäten, die Wirbelsäule und die unteren Extremitäten nachvollziehbar.
Der Sachverständige konnte im Ergebnis keine gesundheitlichen Einschränkungen bei der Beschwerdeführerin feststellen, die die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel unzumutbar erscheinen ließen. Die Auswirkungen der bei ihr festgestellten Funktionseinschränkungen betreffend die Wirbelsäule, beide Kniegelenke und das linke Schultergelenk auf die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel zeigen sich in keinem Ausmaß, welches deren Benützung verunmöglichen würde. Die in der Beschwerde vorgebrachten Schmerzen beim Gehen wurden von der Beschwerdeführerin auch im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung vorgebracht (vgl. Punkt „Derzeitige Beschwerden“ des Gutachtens: Beklagt werden belastungsabhängige Schmerzen und Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk) und sind in die sachverständige Beurteilung miteingeflossen; ebenso wurde bei der Beurteilung die Angabe der Beschwerdeführerin im Rahmen der Anamnese, die Gehstrecke sei eingeschränkt, berücksichtigt. Der Sachverständige kommt zum Ergebnis, dass trotz der bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Beeinträchtigungen das Zurücklegen kurzer Wegstrecken zumutbar und möglich sei, wobei hinsichtlich des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin ein Schmerzhinken links aufweist, auf die Möglichkeit der Verwendung eines Gehbehelfes hingewiesen wurde, um das linke Bein zu entlasten.
In den mit der Beschwerde vorgelegten Radiologie-Befund vom 07.11.2019, welcher unter anderem ein Knochenmarksödem beschreibt, wurde vom Sachverständigen eingesehen (vgl. Punkt „Zusammenfassung relevanter Befunde“ im oben wiedergegebenen Gutachten) und wurde auch dieser im Rahmen der gutachterlichen Einschätzung berücksichtigt.
Zum Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Beschwerde, ihr stehe als öffentliches Verkehrsmittel lediglich der Schulbus, welcher einmal täglich fahre zur Verfügung, ist darauf hinzuweisen, dass dieser Umstand gegenständlich nicht relevant ist; bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel kommt es entscheidend auf die Art und Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und der Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel an, nicht aber auf andere Umstände, welche die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren (VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).
Eine Relevanz im Hinblick auf die Frage der Unzumutbarkeit der Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel ist auch hinsichtlich des Beschwerdevorbringens, die Beschwerdeführerin leide an Laktoseintoleranz und Verdauungsschwierigkeiten, nicht erkennbar.
3. Rechtliche Beurteilung:
Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.
Zu A)
Gemäß § 42 Abs. 1 zweiter Satz BBG können im Behindertenpass auf Antrag des behinderten Menschen zusätzliche Eintragungen vorgenommen werden, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen.
Gemäß § 45 Abs. 1 leg.cit. sind Anträge auf Vornahme einer Zusatzeintragung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) einzubringen.
Nach § 47 leg.cit. ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.
In Ausübung dieser Ermächtigung wurde die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II 495/2013, erlassen.
Der für die hier begehrte Zusatzeintragung relevante § 1 Abs. 4 Z 3 der zitierten Verordnung hat folgenden Wortlaut:
„§ 1 ...
(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
1. ...
2. …
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.“
Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigten.
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, mwN.).
Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, wurde im in den wesentlichen Teilen wiedergegebenen, auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers basierenden Sachverständigengutachten vom 30.07.2020 nachvollziehbar dargelegt, dass im Fall der Beschwerdeführerin – trotz der bei ihm unzweifelhaft vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen und unter Berücksichtigung dieser – die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass nicht vorliegen. Bei der Beschwerdeführerin sind ausgehend von diesem Sachverständigengutachten aktuell keine erheblichen Einschränkungen der Funktionen der oberen und unteren Extremitäten, aber auch keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit – diese betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen –, keine erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen und auch nicht das Vorliegen einer schweren anhaltenden Erkrankung des Immunsystems im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen festzustellen gewesen.
Die Beschwerdeführerin ist den Ausführungen des beigezogenen fachärztlichen Sachverständigen, denen das Bundesverwaltungsgericht folgt, nicht ausreichend substantiiert entgegengetreten, sie hat kein Sachverständigengutachten bzw. keine sachverständige Aussage vorgelegt, in welcher die Auffassung vertreten worden wäre, dass die Annahmen und Schlussfolgerungen des beigezogenen medizinischen Sachverständigen unzutreffend oder unschlüssig wären und sie hat im Rahmen der Beschwerde auch keine Unterlagen vorgelegt, die Hinweise auf ein zusätzliches Dauerleiden oder aber auf eine wesentliche Änderung gegenüber den bereits im Verfahren vor der belangten Behörde berücksichtigten Leiden ergeben würden.
Da aus den dargelegten Gründen die Voraussetzungen für die gegenständliche Zusatzeintragung nicht erfüllt sind, war spruchgemäß zu entscheiden.
Zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Die Fragen der Art und des Ausmaßes der Funktionseinschränkungen und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurden unter Mitwirkung eines ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die strittigen Tatsachenfragen gehören dem Bereich zu, der vom Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachtens geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Betreffend die Frage, ab wann die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass gerechtfertigt ist, konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine ohnehin klare Rechtslage des BBG bzw. der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen stützen. Dass bei der Beurteilung dieser Frage ein medizinischer Sachverständiger beizuziehen ist, gründet auf der – an entsprechender Stelle angeführten – ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W135.2235150.1.00Im RIS seit
12.02.2021Zuletzt aktualisiert am
12.02.2021