TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/2 I408 2237326-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.12.2020
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Entscheidungsdatum

02.12.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
StGB §105
StGB §107
StGB §125
StGB §83 Abs1
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I408 2237326-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. KROATIEN, vertreten durch: RA Dr. Farhad PAYA gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Kärnten (BFA-K) vom 14.10.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

C)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der bereits mehrfach einschlägig vorbestrafte Beschwerdeführer wurde zuletzt am 20.05.2020 mit Urteil des Landesgerichtes XXXX . XXXX iVm dem Berufungserkenntnis des Oberlandesgerichtes XXXX vom 07.10.2020, XXXX , wegen dreier Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach §107 Abs 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt und die am 22.09.2016 unter XXXX bedingte Strafnachsicht zu der dabei verhängten Freiheitsstrafe von 4 Monaten widerrufen. Seit 08.06.2020 ist der Beschwerdeführer in Haft.

Zu seinen Straftaten und Lebensumständen in Österreich wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde zweimal am 02.12.2019 sowie 17.08.2020 niederschriftlich einvernommen.

Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid erging gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von 1 Jahr befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), es wurde ihm kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.)

Mit Schriftsatz vom 06.11.2020 bekämpfte der Beschwerdeführer über seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter diese Entscheidung in vollem Umfang und beantragte die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

Beschwerde und Behördenakt wurden am 30.11.2020 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist kroatischer Staatsangehöriger und somit EWR-Bürger bzw. Unionsbürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Der Beschwerdeführer ist 1994 in Österreich geboren, hat hier die Schule besucht und 2014 die Lehre als Fleischverarbeiter abgeschlossen. Seither war er mehrheitlich (2 Jahre und 4 Monate) geringfügig und lediglich 2 ½ Monate als Arbeiter beschäftigt, ansonsten bezog er vom Arbeitsmarktservice Notstands- bzw. Überbrückungshilfe.

Seit 2015 wurde er rechtskräftig, fünfmal strafgerichtlich verurteilt:

Am 13.09.2015 verletzte der Beschwerdeführer M.M. mit einem Faustschlag in das Gesicht, wodurch diese eine Rissquetschwunde im Bereich der Unterlippe erlitt. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 04.02.2016, XXXX wurde er wegen des Vergehens der Körperverletzung zu einer unbedingten Geldstrafe von € 960 (120 Tagessätzen a`€ 8) verurteilt.

Am 25.10.2015 verletzte er seine damalige Freundin T.J. durch Versetzen von Schlägen in das Gesicht sowie von Schlägen und Tritten gegen den gesamten Körper, sodass diese ein Hämatom unter dem rechten Auge, eine Jochbeinprellung, eine Unterkieferprellung und Hämatome am ganzen Körper erlitt. Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 31.05.2016, XXXX wurde über ihn in Abwesenheit wegen des Vergehens der Körperverletzung eine Zusatzstrafe von € 640 (80 Tagessätzen a`€ 8) verurteilt.

Am 29.02.0216 und am 24.02.2016 verletzten sich diese (T.J.) und der Beschwerdeführer gegenseitig, sie durch Kratzen und Drücken einer Zigarette gegen den Hals des Beschwerdeführers und er durch Schläge und Tritte gegen den Kopf von T.J., Niederreißen an den Haaren, Ausdämpfen einer Zigarette an ihrem Oberarm und Verdrehens des Halses. Der Beschwerdeführer verletzte T.J. auch noch am 24.04.2016 durch Würgen, am 07.05.2016 durch Faustschläge gegen den Kopf und am 07.05.2016 durch Faustschläge und Tritte gegen Unterleib und Oberkörper. Bei der Auseinandersetzung am 29.02.2015 beschädigte er das Mobiltelefon von T.J. und bei den Körperverletzungen am 07.05.2016 verschaffte er sich mit Drohungen und Gewalt Zutritt zu ihrer Wohnung. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 22.09.2016, XXXX , wurde er wegen der Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 3 StGB, des Hausfriedensbruchs nach § 109 Abs 3 Z 1 StGB und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer unbedingten Geldstrafe von € 1.600 (200 Tagessätzen a`€ 8) und einer bedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt.

Am 25.10.2017 kam es bei einer neuerlichen Auseinandersetzung zwischen T.J. und dem Beschwerdeführer zu gegenseitigen Körperverletzungen, wobei der Beschwerdeführer ihr über Faustschläge einen Impressionsbruch der vorderen seitlichen und auch hinteren Kieferhöhlenwand sowie Hämatome im linken Stirnbereich, oberflächliche Abschürfungen an der linken Hand und am rechten Zeigefinger sowie Prellungen im Kopf- und Oberkörperbereich zufügte. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 03.07.2019, XXXX , wurde er wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs. 4 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt.

Die letzte, im Verfahrensgang bereits angeführte Verurteilung erfolgte, weil er seine damalige Lebensgefährtin A.B. im Sommer 2018 mit beiden Händen würgte, ihr im Herbst 2019 Schläge gegen die Rippen versetzte, am 20.02.2020 ihr in den rechten Unterarm biss, die Hand umbog, sie an den Haaren riss, ihr Tritte in den Bauch und gegen den Körper versetzte, sie würgte und ihr mit der flachen Hand ins Gesicht schlug, wodurch sie eine Verstauchung der Halswirbelsäule, eine Prellung des Brustkorbes links, ein Hämatom am rechten Unterarm, eine Bauprellung und eine Hautabschürfung im Bereich der rechten Hüfte erlitt. Mit der Äußerung, er werde sie töten, versuchte er A.B. im Herbst 2019 von einer Anzeigenerstattung abzubringen und bedrohte sie mit der am 20.02.2020 via WhatsApp übermittelten Audionachricht, er werde sie und ihre Familie umbringen.

Neben diesen Straftaten erwarb und konsumierte der Beschwerdeführer seit 2017 immer wieder Cannabis und Kokain, wobei es dazu noch zu keiner strafgerichtlichen Verurteilung gekommen ist.

Zudem war der Beschwerdeführer trotz des Entzuges seiner Lenkerberechtigung am 06.12.2015, 10.12.2015, 12.12.2015 und 12.05.2017 mit einem Pkw unterwegs und missachtete dabei geltende Geschwindigkeitsbeschränkungen.

Seit 08.06.2020 ist der Beschwerdeführer nun in Haft und verbüßt die bisher gegen ihn verhängten Haftstrafen im Ausmaß von 20 Monaten.

In Österreich leben und arbeiten seine Eltern. In Kroatien leben zahlreiche Verwandte des Beschwerdeführers, u.a. seine Großeltern und seine Familie besitzt dort ein Haus.

2. Beweiswürdigung:

Zunächst ist festzuhalten, dass sich die belangte Behörde umfassend mit der Persönlichkeit des Beschwerdeführers auseinandergesetzt und ihm zweimal die Gelegenheit gegeben hat, sich zu ihren Erhebungsergebnissen zu äußern.

Verfahrensgang und Feststellungen beruhen auf den angeführten Strafurteilen und den von der belangten Behörde eingeholten Verwaltungsstrafen, den polizeilichen Berichten zum Suchtgifterwerb und -konsum des Beschwerdeführers und dessen Angaben bei den niederschriftlichen Einvernahmen vor der belangten Behörde.

Dem sich daraus ergebende Sachverhalt wird auch in der Beschwerde nicht entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A:

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Gegen den Beschwerdeführer als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 Abs 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Geburt am XXXX - und damit seit weit mehr als zehn Jahren - im Bundesgebiet auf. Die Kontinuität seines Aufenthalts wird durch die seit 08.06.2020 bestehende Haft, nicht unterbrochen, weil er insgesamt 20 Monate (4 Monate laut Urteil vom 22.09.2016 iVm Urteil vom 20.05.2020, 12 Monate laut Urteil vom 03.07.2019, 6 Monate laut Urteil vom 20.05.2020 iVm Urteil vom 07.10.2020), also weniger als drei Jahre, zu verbüßen hat und in Österreich schon aufgrund des Aufenthaltes seiner Eltern und sonstigen Verwandten starke Integrationsbande bestehen, die auch nach Verbüßung der Haftstrafe bestehen. Für die Zulässigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist im vorliegenden Fall daher der verschärfte Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG maßgeblich. Mit dieser Bestimmung soll Art 28 Abs 3 lit a der Freizügigkeitsrichtlinie (§ 2 Abs 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden, wozu der EuGH bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (EuGH 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff; siehe daran anknüpfend auch EuGH 22.5.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegende(r) Merkmale" bedarf; siehe VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0248).

Auch wenn der Beschwerdeführer bisher wenig Bereitschaft an den Tag gelegt hat, selbst, über eigene Arbeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und bereits fünf Mal strafgerichtlich verurteilt wurde, sich alle Straftaten gegen die körperliche Integrität von Frauen richteten, mit denen er in eine Beziehung stand, und sein unbeherrschtes und rücksichtsloses Verhalten einmal bereits zu einer schweren Körperverletzung (Impressionsbruch der vorderen seitlichen und auch hinteren Kieferhöhlenwand) führte, kann noch nicht von "außergewöhnlichen Umständen" mit "besonders hohem Schweregrad" bzw. von "besonders schwerwiegenden Merkmalen" der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten gesprochen werden. Sein polizeilich dokumentierter Erwerb und Konsum von Haschisch und Kokain hat noch zu keiner strafgerichtlichen Verurteilung geführt und ein bandenmäßiger Handel mit Suchtgift kann den vorliegenden Unterlagen nicht entnommen werden. Somit kommt die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn auf Basis des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG entgegen der Ansicht des BFA nicht in Betracht, sodass der auf dieser Annahme fußende Bescheid in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben ist. Sollte das seit Juni 2020 bestehende Haftübel nicht zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung beim Beschwerdeführer führen, muss er sich bewusst sein, dass er auf dem besten Weg ist, diesen Gefährdungsmaßstab zu erfüllen.

Dazu kommt, dass ein Aufenthaltsverbot unverhältnismäßig in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingreift, der seit seiner Geburt rechtmäßig in Österreich lebt und hier sozialisiert wurde.

Da ein geklärter Sachverhalt vorliegt und der Beschwerdeführer auch in der Beschwerde kein ergänzendes klärungsbedürftiges Tatsachenvorbringen erstattete, kann eine Beschwerdeverhandlung unterbleiben, zumal iSd § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil C)

Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0033). Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (VwGH 11.05.2017, Ra 2016/21/0022; 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt, bei der sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen hatte.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Aufenthaltsverbot aufgehoben aufschiebende Wirkung Durchsetzungsaufschub ersatzlose Behebung EU-Bürger EWR-Bürger Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose gefährliche Drohung Gewalttätigkeit Haft Haftstrafe Hausfriedensbruch Interessenabwägung Kassation Körperverletzung Nötigung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen Sachbeschädigung schwere Straftat Spruchpunktbehebung Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Unionsbürger unzulässiger Antrag Vergehen Verhältnismäßigkeit Wiederholungsgefahr Wiederholungstaten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2237326.1.00

Im RIS seit

12.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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