TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/7 W115 2180673-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.12.2020
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Entscheidungsdatum

07.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs5

Spruch


W115 2180661-2/4E

W115 2180652-2/4E

W115 2180670-2/4E

W115 2180645-2/4E

W115 2180673-2/4E

W115 2180667-2/4E

W115 2180663-2/4E

W115 2180610-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian DÖLLINGER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX , 5.) XXXX , geb. XXXX , 6.) XXXX , geb. XXXX , 7.) XXXX , geb. XXXX , und 8.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan, alle vertreten durch XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom XXXX , Zahlen 1.) XXXX , 2.) XXXX , 3.) XXXX , 4.) XXXX , 5.) XXXX , 6.) XXXX , 7.) XXXX , und 8.) XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. Den Beschwerden wird stattgegeben und die angefochtenen Bescheide werden jeweils ersatzlos behoben.

II. In Erledigung der Beschwerden wird den Anträgen vom XXXX auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und die befristete Aufenthaltsberechtigung der Beschwerdeführer als subsidiär Schutzberechtigte um zwei weitere Jahre verlängert.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Zum Verfahren über die Anträge auf internationalen Schutz:

1.1.    Die Erstbeschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Zweitbeschwerdeführer, und ihren fünf gemeinsamen minderjährigen Kindern (der Drittbeschwerdeführerin, dem Viertbeschwerdeführer, der Fünft- und Sechstbeschwerdeführerin sowie dem Siebtbeschwerdeführer) unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer am XXXX für sich und ihre minderjährigen Kinder Anträge auf internationalen Schutz. Gemeinsam mit ihnen reiste die Mutter des Zweitbeschwerdeführers, die Achtbeschwerdeführerin, unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte ebenfalls am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2.    Anlässlich der am darauffolgenden Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes abgehaltenen Erstbefragungen sowie der am XXXX vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Kurzbezeichnung BFA; in der Folge belangte Behörde genannt) erfolgten niederschriftlichen Einvernahmen gaben die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und die Achtbeschwerdeführerin hinsichtlich ihrer persönlichen Verhältnisse im Wesentlichen übereinstimmend an, dass sie aus dem Dorf XXXX in der Provinz Kabul stammen würden, wo sie zuletzt in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hätten. Sie seien Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken sowie der islamisch-sunnitischen Glaubensgemeinschaft und hätten den Lebensunterhalt im Herkunftsstaat durch die Tätigkeit des Zweitbeschwerdeführers und seines Neffen als Obsthändler bestritten. Die Ausreise aus Afghanistan begründeten die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und die Achtbeschwerdeführerin im Wesentlichen übereinstimmend mit der dort allgemein instabilen Sicherheitslage, wobei sie als konkret fluchtauslösend die Ermordung des ebenfalls als Händler tätig gewesenen Neffen des Zweitbeschwerdeführers im Zuge einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Angehörigen der Taliban und der Armee nannten. Ihnen selbst sei bislang nichts passiert, doch hätte der Zweitbeschwerdeführer angesichts der instabilen Sicherheitslage und vorherrschenden Kriminalität Angst gehabt, seine Frau, seine Mutter und seine minderjährigen Kinder nach dem Tod seines Neffen ohne Anwesenheit eines Mannes zuhause zu lassen. So sei er selbst zuhause geblieben und habe immer weniger seiner Arbeit nachgehen können.

1.3.    Die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer wurden mit Bescheiden der belangten Behörde vom XXXX sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Des Weiteren wurde ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) sowie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

In der Entscheidungsbegründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Verfolgung der Beschwerdeführer habe ebensowenig festgestellt werden können, wie eine sonstige maßgebliche Bedrohung im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan. Die vom Zweitbeschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe, auf welche sich auch dessen Familienmitglieder berufen hätten, hätten sich als nicht glaubhaft erwiesen, zudem resultiere aus der vorgebrachten Ermordung eines Verwandten im Zuge eines Angriffs der Taliban auch bei deren Zutreffen keine Bedrohung der Beschwerdeführer. Den Beschwerdeführern wäre eine Rückkehr in ihre Herkunftsprovinz Kabul sowie alternativ nach Mazar-e Sharif oder Herat angesichts ihrer persönlichen Umstände, welche keine spezifischen Gefährdungspotentiale erkennen ließen, möglich. Die Beschwerdeführer würden jeweils an keinen lebensbedrohenden Erkrankungen leiden, sie seien mit den Verhältnissen Afghanistans vertraut und hätten bereits im Vorfeld der Ausreise ihren Lebensunterhalt durch die Tätigkeit des Zweitbeschwerdeführers als Händler bestreiten können. Eine besondere Integrationsverfestigung der Beschwerdeführer habe angesichts ihrer erst kurzen Aufenthaltsdauer nicht erkannt werden können.

1.4.    Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer jeweils fristgerecht eine Beschwerde, mit der die Bescheide vollinhaltlich angefochten wurden. In der Begründung wurde der Beweisführung sowie der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde entgegengetreten. Zudem wurde die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt.

1.5.    Am XXXX fand im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, anlässlich derer die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und die Achtbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen, ihrer Situation im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan sowie ihren Lebensumständen in Österreich befragt wurden. Nach ihrer Befragung zogen die Beschwerdeführer ihre Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (§ 3 AsylG 2005) zurück.

1.6.    Nach Schluss der mündlichen Verhandlung wurden die Verfahren hinsichtlich der Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide infolge Zurückziehung der Beschwerden mit mündlich verkündeten Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX rechtskräftig eingestellt.

Mit ebenfalls am XXXX mündlich verkündeten und in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes wurde den Beschwerden gegen die Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide stattgegeben und den minderjährigen Dritt- bis Siebtbeschwerdeführern und der Achtbeschwerdeführerin jeweils gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 sowie der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer jeweils gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wurde allen Beschwerdeführern eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt.

Im Rahmen der Entscheidungsbegründung wurde unter Zugrundelegung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 02.03.2017, in der Fassung vom 30.01.2018, erwogen, dass im Falle der minderjährigen Dritt- bis Siebtbeschwerdeführer sowie der Achtbeschwerdeführerin jeweils ein konkretes Risiko einer bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat drohenden Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte festzustellen gewesen sei.

Bei den minderjährigen Beschwerdeführern handle es sich um Kinder im Alter von 14, 12, 10, 5 und 4 Jahren. Diese würden im Familienverband mit ihren Eltern leben, über kein eigenes Vermögen und keine eigene Möglichkeit der Existenzsicherung verfügen. Die Beschwerdeführer würden in Afghanistan weder über Besitztümer und finanzielle Ressourcen noch über tragfähige soziale und familiäre Anknüpfungspunkte verfügen. Die Erstbeschwerdeführerin habe glaubhaft dargelegt, zu ihren in Kabul lebenden Verwandten keinen Kontakt mehr zu haben; ihre im Iran ansässigen Angehörigen wären lediglich dazu in der Lage, sich selbst zu versorgen, sodass von beiden Seiten mit keiner Unterstützung gerechnet werden könne. Der Zweitbeschwerdeführer habe glaubhaft dargelegt, keine in Afghanistan oder im Iran lebenden Verwandten mehr zu haben. Zwar sei für den Lebensunterhalt der minderjährigen Beschwerdeführer in Afghanistan in der Vergangenheit von ihrem Vater, dem Zweitbeschwerdeführer, gesorgt worden, dennoch scheide eine Niederlassung in der Provinz und Stadt Kabul ebenso wie in Mazar-e Sharif aus. Den herangezogenen Länderberichten sei zu entnehmen, dass in Afghanistan eine hohe Zahl an minderjährigen zivilen Opfern zu verzeichnen sei. Zudem seien vor allem Kinder der Berichtslage zufolge besonders von Unterernährung betroffen. Ungefähr zehn Prozent der Kinder würden demnach vor ihrem fünften Geburtstag sterben. Auch bestünde für die minderjährigen Beschwerdeführer die Gefahr, dass sie Kinderarbeit leisten müssten, falls der Zweitbeschwerdeführer, der selbst ab seinem zehnten Lebensjahr gearbeitet habe, zu wenig verdienen würde, um die gesamte Familie zu erhalten. In solchen Fällen seien Kinder bei der Arbeit zahlreichen Gesundheits- und Sicherheitsrisiken ausgesetzt.

In Anbetracht der festgestellten individuellen und familiären Situation der Beschwerdeführer und der besonderen Schutzbedürftigkeit von minderjährigen Kindern sei im Sinne einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, der hohen Zahl an minderjährigen zivilen Opfern auch in zentralen Regionen und Städten, der dadurch eingeschränkten Bewegungsfreiheit der minderjährigen Beschwerdeführer sowie der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für ihre erforderliche Versorgung im Herkunftsstaat festzustellen, dass den minderjährigen Beschwerdeführern bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK garantierten Rechte drohe.

Im Falle der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers habe eine isolierte Betrachtung ihrer persönlichen Verhältnisse hingegen keine vergleichbare Gefährdungslage ergeben, zumal der Zweitbeschwerdeführer als junger gesunder Mann mit langjähriger Berufserfahrung als Lebensmittelhändler in der Lage sein würde, den Lebensunterhalt für sich und die ebenfalls volljährige und gesunde Erstbeschwerdeführerin in Afghanistan zu bestreiten. Der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer sei jedoch als deren leiblichen Eltern im Wege des Familienverfahrens der gleiche Schutzumfang wie ihren minderjährigen Kindern zuzuerkennen gewesen.

In Bezug auf die Achtbeschwerdeführerin wurde erwogen, dass eine Zusammenschau der zugrunde gelegten Länderberichte und der familiären (finanziellen) Verhältnisse der 63-jährigen Beschwerdeführerin, welche an Arthritis, Gastritis, Hypertonie, Anämie und Anthralgien (Anmerkung: gemeint wohl Arthralgien) leide und zudem Medikamente gegen Depressionen einnehmen würde, ergeben habe, dass sie als alleinstehende ältere und überdies nicht mehr gesunde Frau ohne Bildung und Berufserfahrung sowie ohne jegliche Unterstützung durch ein soziales Netzwerk mit Sicherheit nicht in der Lage wäre, in Kabul oder Mazar-e Sharif für ihren Unterhalt zu sorgen und eine (einfache) Unterkunft zu finden. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan liefe sie somit (schon deshalb) Gefahr, unter menschenunwürdigen Bedingungen zu leben und letztlich in eine existenzbedrohende Lage zu geraten.

2.       Zum Verfahren über die Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten:

2.1.    Mit Eingaben vom XXXX stellten die Beschwerdeführer unter Verwendung des hierfür vorgesehenen Formulars Anträge auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte.

2.2.    Am XXXX wurden die Erstbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführer und die Achtbeschwerdeführerin im Verfahren zur Prüfung dieser Anträge niederschriftlich vor der belangten Behörde im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari einvernommen.

Die Erstbeschwerdeführerin gab auf entsprechende Befragung hin zusammengefasst an, ihre bisher getätigten Angaben entsprächen der Wahrheit und sie halte diese, auch in Bezug auf ihre minderjährigen Kinder, weiterhin aufrecht. Ihre Kinder seien, ebenso wie sie selbst, gesund. Ihre Mutter und ihre Geschwister würden nach wie vor im Iran leben, wo ihre Brüder als Händler für den Lebensunterhalt der Familie aufkommen würden. In Afghanistan würden noch zwei Onkel mütterlicherseits in ihrem Heimatort in der Provinz Kabul wohnen, welche vom Betrieb einer Landwirtschaft leben würden. Sie habe jedoch zu niemandem in ihrem Herkunftsstaat Kontakt. Lediglich mit ihren Familienangehörigen im Iran stehe sie im Kontakt. Zu ihrer Situation in Österreich befragt gab die Erstbeschwerdeführerin zusammengefasst an, dass sie und ihr Mann derzeit noch keiner Erwerbstätigkeit nachgehen würden. Sie würden ihren Lebensunterhalt durch staatliche Leistungen bestreiten. Sie nehme derzeit an einem Deutschkurs teil und ihre Kinder würden die Schule bzw. den Kindergarten besuchen. Auf die Frage, ob ihr im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohen würde, gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie habe vom Staat nichts zu befürchten, jedoch von den Menschen. Wenn sie etwa in Kabul landen würde, würde man glauben, dass sie aus Europa zurückkomme und viel Geld haben würde und man würde ihre Kinder oder sie selbst entführen. Zu ihren konkreten Befürchtungen in Bezug auf eine Rückkehr nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass es in Afghanistan nirgends sicher sei. Ihr persönlich sei dort zwar noch nie etwas passiert, wenn sie zurückkehre, würde es jedoch sicher einen Vorfall geben. Über Vorhalt, dass die Provinzen Herat und Mazar-e Sharif zu den sichersten in Afghanistan zählen würden, man sich dort frei bewegen könne und ein Schulbesuch für Kinder möglich sei und befragt, was ihr dort passieren sollte, erklärte die Erstbeschwerdeführerin, wenn sie dort leben wollen würde, hätte sie die beschwerliche und riskante Reise nicht angetreten.

Der Zweitbeschwerdeführer gab zusammengefasst an, dass er gesund sei, keine Medikamente einnehme und bislang wahrheitsgemäße Angaben erstattet habe, bezüglich derer keine Änderungen eingetreten seien. Seine Kinder seien ebenfalls gesund. Die Familienangehörigen seiner Ehefrau würden im Iran leben, sonst habe er keine weiteren Angehörigen. Auf Nachfrage erklärte er, seine Verwandten seien im Bürgerkrieg ums Leben gekommen. Er habe einen Bruder in der Schweiz und eine Schwester in Österreich, seine Cousins mütterlicherseits würden im Iran leben. Er habe keine Kontakte zu in Afghanistan lebenden Personen. Zu seiner Situation in Österreich befragt gab der Zweitbeschwerdeführer zusammengefasst an, dass er seinen Lebensunterhalt mittels Sozialhilfe und Unterstützung der Caritas bestreiten würde und aufgrund unzureichender Deutschkenntnisse bislang noch keine Arbeit aufgenommen habe. Er sei nun aber bereit, eine Deutschprüfung abzulegen, dies sei ihm in der früheren Unterkunft nicht möglich gewesen. Er besuche lediglich einen Deutschkurs und sei noch keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen. Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme würde sein Privat- und Familienleben insofern beeinträchtigen, als Afghanistan für ihn wie ein Gefängnis sei. Hier in Österreich müsse er sich um seine Kinder keine Sorgen machen. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan würden seine Kinder nicht mehr in die Schule gehen können und kein wie hier ruhiges Leben führen können. Auf die Frage, ob ihm oder seinen Kindern im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohen würde, gab der Zweitbeschwerdeführer an, wenn man ihn zurückschicke, würde er es vom Flughafen nicht einmal bis nach Hause schaffen. Zu seinen konkreten Befürchtungen im Hinblick auf eine Rückkehr nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat gab der Zweitbeschwerdeführer an, er habe Angst um sein Leben. Seine Kinder könnten dort nicht mehr leben; diese hätten Ziele für die Zukunft, dies alles würden sie vermissen. Über Vorhalt, dass Mazar-e Sharif und Herat zu den sichersten Städten Afghanistans zählen würden, dort Bewegungsfreiheit herrsche und ein Schulbesuch seiner Kinder möglich wäre, und befragt, was ihm dort drohen würde, erwiderte der Zweitbeschwerdeführer, Afghanistan sei überall unsicher, man könnte von den Taliban, ebenso aber von anderen Personen, umgebracht werden. Angesprochen auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe und Unterstützung durch in Afghanistan tätige Organisationen und NGOs gab der Zweitbeschwerdeführer an, Afghanistan nicht wegen Arbeitslosigkeit, sondern aus Sorge um seine Kinder verlassen zu haben. Er sei bedroht worden und habe Angst um seine Familie gehabt.

Die Achtbeschwerdeführerin gab zunächst zu ihrem Gesundheitszustand an, Medikamente einzunehmen und seit zehn Jahren unter Problemen mit den Knien und beiden Füßen zu leiden. Sie legte diverse ärztliche Unterlagen vor und erklärte, diesbezüglich in Afghanistan einen Arzt aufgesucht zu haben, welcher ihr jedoch lediglich Schmerzmittel verschrieben habe. Sie habe im Verfahren bis dato wahrheitsgemäße Angaben erstattet, bezüglich derer keine Änderungen eingetreten seien. Ihre Angehörigen - ihre Großcousins und Großcousinen - würden sich aktuell im Dorf XXXX in der Provinz Kabul aufhalten und Tagelöhner sein. Ein Sohn lebe in der Schweiz und eine Tochter befinde sich in Österreich. Sie habe zu niemandem in ihrem Heimatland Kontakt. Zu ihrer Situation in Österreich befragt gab die Achtbeschwerdeführerin zusammengefasst an, dass sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation, mit Ausnahme eines eintägigen Orientierungskurses, keine Kurse besucht habe und auch die deutsche Sprache noch nicht beherrsche. Sie sei vergesslich und verbringe den Alltag in der Wohnung, wo sie den Haushalt erledige und sich um ihre Enkelkinder kümmere. Sie lebe gemeinsam mit ihrem Sohn und dessen Familie in einer Dreizimmerwohnung und beziehe staatliche Leistungen. In Afghanistan habe sie sich ebenfalls um den Haushalt gekümmert und in der Landwirtschaft mitgeholfen. Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme würde ihr Privat- und Familienleben insofern beeinträchtigen, als sie in Afghanistan keinen Frieden und kein ruhiges Leben hätte. Hier würde sie gut versorgt werden und bekomme ärztliche Behandlung, was in ihrem Heimatland nicht der Fall sei. Befragt, ob ihr im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohen würde, erwiderte die Achtbeschwerdeführerin, wenn der Staat nicht töte, würden die anderen töten. In Bezug auf ihre konkreten Befürchtungen für den Fall einer Rückkehr nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat gab die Achtbeschwerdeführerin an, sie habe Angst getötet zu werden. Über Vorhalt, dass es sich bei Herat und Mazar-e Sharif um die sichersten Provinzen Afghanistans handeln würde und befragt, was ihr dort konkret drohen würde, antwortete die Achtbeschwerdeführerin, in Afghanistan sei es nirgends sicher. Angesprochen auf die Möglichkeit, Rückkehrhilfe und Unterstützung zahlreicher in Afghanistan tätiger Organisationen in Anspruch zu nehmen, welche Hilfestellung bei der Aufnahme von Arbeit, Wohnraum und Ausbildung leisten würden, erwiderte die Achtbeschwerdeführerin, es gebe so viele arme Menschen in Afghanistan, es werde nur geredet, aber nicht geholfen. Sie könne in Afghanistan nicht leben, sie habe keine guten Erinnerungen und Angst, dass ihr Sohn getötet werden könnte. Sie ersuche daher, in Österreich bleiben zu können.

2.3.    In Aktenvermerken vom XXXX dokumentierte die belangte Behörde die Einleitung von Verfahren zur Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten infolge geänderter Verhältnisse im Herkunftsstaat sowie geänderter persönlicher Verhältnisse gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, worüber die Beschwerdeführer mittels Schreiben der belangten Behörde vom XXXX in Kenntnis gesetzt wurden.

2.4.    Mit den im Spruch genannten Bescheiden wurde der den Beschwerdeführern mit mündlich verkündeten Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX zuerkannte Status der subsidiär Schutzberechtigten jeweils gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt, die ihnen mit den genannten Erkenntnissen erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen und die Anträge der Erstbeschwerdeführerin, des Zweitbeschwerdeführers und der Achtbeschwerdeführerin vom XXXX auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigungen jeweils gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 abgewiesen. Weiters wurde den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Feststellung getroffen, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

Nach Darlegung des Verfahrensganges und Wiedergabe der Einvernahmeprotokolle traf die belangte Behörde Feststellungen zur Lage in Afghanistan (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, in der Fassung vom 04.06.2019) und führte zur Begründung der Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass der Sachverhalt, welcher zur Zuerkennung des Schutzstatus geführt hätte, jeweils nicht mehr vorliegen würde. Zum Entscheidungszeitpunkt bestehe für den Zweitbeschwerdeführer als arbeitsfähigen und gesunden Mann die Möglichkeit, gemeinsam mit seiner Frau, seinen minderjährigen Kindern und seiner Mutter in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Die Befürchtung einer existenzbedrohenden Notlage sei von den Beschwerdeführern nicht vorgebracht worden. Die Lage in Kabul, der Heimatprovinz der Beschwerdeführer, sei grundsätzlich als sicher einzustufen, alternativ bestünde die Möglichkeit einer Niederlassung in Mazar-e Sharif oder Herat. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in eine dieser Städte Gefahr liefen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation bzw. Notlage zu geraten. Die Möglichkeit einer Geldüberweisung für eine finanzielle Unterstützung durch die Verwandten der Beschwerdeführer im Iran und auch in Europa sei gegeben, zudem könnten die Beschwerdeführer aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken bei einer Rückkehr zumindest anfänglich mit Unterstützung durch ihre Volksgruppe rechnen. Ferner sei davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer sehr wohl über ein familiäres Netzwerk in Afghanistan verfügen würden und zumindest in der Anfangsphase durch Sachleistungen unterstützt werden könnten. Auch könnten sie sich an in Afghanistan tätige Hilfsorganisationen wenden. Die belangte Behörde ginge davon aus, dass es für den Zweitbeschwerdeführer bei einer Rückkehr zumutbar sei, zumindest mit Gelegenheitsjobs den Lebensunterhalt für sich, seine Frau, seine minderjährigen Kinder und seine Mutter zu verdienen und für deren Unterhalt grundsätzlich zu sorgen. Dieser habe jahrelang in Afghanistan in der Provinz Kabul, aber auch anderen Provinzen, als Lebensmittelhändler gearbeitet und verfüge nunmehr durch den Aufenthalt in einem fremden Land über wertvolle Erfahrungen, welche ihm und der Familie bei einer Rückkehr zu Gute kommen würden. Dass auch Familien mit Kindern eine Rückkehr in hinreichend sichere Provinzen möglich sei, ginge aus einigen näher angeführten Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts hervor. Die bei der Achtbeschwerdeführerin vorliegenden Erkrankungen seien im Herkunftsstaat einer ausreichenden Behandlung zugänglich. Da die Beschwerdeführer lediglich ein Familienleben untereinander führen würden und während ihrer erst vergleichsweise kurzen Aufenthaltsdauer keine maßgebliche Integrationsverfestigung erlangt hätten, stelle eine Rückkehrentscheidung keinen unzulässigen Eingriff in das Recht der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens dar.

2.5.    Mit Verfahrensanordnung der belangten Behörde vom XXXX wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

2.6.    Gegen die im Spruch genannten Bescheide wurde vom bevollmächtigten Vertreter der Beschwerdeführer unter Berufung auf die erteilte Vollmacht fristgerecht Beschwerde erhoben.

Beantragt wurde, die Verfahren aller Beschwerdeführer zur gemeinsamen Entscheidung und Verhandlung zu verbinden sowie die angefochtenen Bescheide ersatzlos zu beheben und den Anträgen auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigungen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 Folge zu geben. In eventu wurde beantragt, festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan auf Dauer unzulässig sei und den Beschwerdeführern einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 zu erteilen. Weiters wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass die Behörde es trotz der eindeutigen rechtlichen Vorgaben verabsäumt habe, nachvollziehbar darzulegen, worin die nachhaltige Verbesserung der Lage in Afghanistan in Zusammenschau mit der einzelfallbezogenen Situation der Beschwerdeführer zu erblicken sei. Ausgehend von den näher zitierten Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichtes, welche für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten ausschlaggebend gewesen seien, sei eine Aberkennung des Status nur dann zulässig, wenn sich die persönliche Lage der Beschwerdeführer maßgeblich verbessert oder sich die Lage in Afghanistan, insbesondere hinsichtlich der Sicherheits- und Versorgungslage minderjähriger Kinder, entscheidungsrelevant zum Positiven verändert hätte. Entgegen dem dem Tatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 innewohnenden Prüfungskalkül habe die belangte Behörde den Sachverhalt lediglich einer neuerlichen und im Ergebnis falschen rechtlichen Beurteilung unterzogen. Die persönliche Situation der Beschwerdeführer habe sich im Vergleich zur Gewährung des Status der subsidiär Schutzberechtigten im Jahr XXXX nicht entscheidungsmaßgeblich geändert. Die Kinder der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers seien weiterhin allesamt minderjährig und wären im Fall einer Rückkehr weiterhin den im Erkenntnis vom XXXX angeführten Gefahren ausgesetzt. Bei drei der minderjährigen Beschwerdeführer handle es sich zudem um junge Mädchen, welche, wie als notorisch vorauszusetzen sei, im immer noch streng muslimisch und von patriarchalischen Traditionen geprägten Afghanistan einer gesteigerten Gefahr von Übergriffen ausgesetzt seien. Auch an den familiären Bezügen in Afghanistan habe sich im Laufe des letzten Jahres nichts geändert, ein tragfähiges unterstützendes Netz liege weiterhin nicht vor. Auch die Verhältnisse im Herkunftsland der Beschwerdeführer hätten sich im Vergleich zur letztjährigen Gewährung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht maßgeblich geändert. Dies würde insbesondere auch für den Gesundheitszustand der Achtbeschwerdeführerin gelten. Diese leide weiterhin an den im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes angeführten gesundheitlichen Beschwerden. Auch hinsichtlich ihrer persönlichen Lebensumstände sei keine Änderung eingetreten. Zudem scheine insbesondere im Hinblick auf die besondere Vulnerabilität der minderjährigen Beschwerdeführer ein längerer Beobachtungszeitraum als lediglich ein Kalenderjahr nötig, um zu überprüfen, ob die Voraussetzungen, die zur Gewährung des Schutzstatus geführt hätten, dauerhaft weggefallen wären. In Bezug auf die verfahrensmaßgebliche Situation im Herkunftsland der Beschwerdeführer, insbesondere in den als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht kommenden Regionen, sowie hinsichtlich der Rückkehrsituation minderjähriger Kinder, sei keine Veränderung bzw. Verbesserung auszumachen. Die Rechtskraftwirkung der den Beschwerdeführern den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennenden Erkenntnisse stünde daher einer neuerlichen Beurteilung derselben Sache entgegen, sodass sich die bekämpften Bescheide bereits vor diesem Hintergrund und angesichts des Grundsatzes der Identität der Sache als rechtswidrig darstellen würden. Näher angeführtes und auszugsweise wiedergegebenes Berichtsmaterial zur Lage in Afghanistan zeige, dass sich die Sicherheits- und Versorgungslage auch in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat nach wie vor als prekär erweise und angesichts des fehlenden Zugangs zu menschenwürdigem Lebensraum, Nahrungsmitteln, Wasser, medizinischer wie auch hygienischer und sanitärer Infrastruktur auf dem gesamten Gebiet Afghanistans eine innerstaatliche Schutzalternative nicht zur Verfügung stehe. Die belangte Behörde habe es gänzlich verabsäumt, sich mit der Rückkehrsituation der minderjährigen Beschwerdeführer auseinanderzusetzen, geschweige denn darzulegen, worin im Vergleich zur letztjährigen Schutzgewährung die Verbesserung der Situation hinsichtlich minderjähriger Kinder liege. Dies gelte auch im Fall der Achtbeschwerdeführerin. So habe es die belangte Behörde auch hier gänzlich verabsäumt sich mit der Rückkehrsituation vor dem Hintergrund ihrer speziellen Situation (gesundheitliche Beschwerden, alleinstehende und verwitwete 64-jährige Frau, kein Unterstützungsnetzwerk in Afghanistan etc.) auseinanderzusetzen. Im Ergebnis seien die angefochtenen Bescheide mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, da die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 iVm § 11 Abs. 1 AsylG 2005 selbst bei einer neuerlichen inhaltlichen Prüfung weiterhin vorliegen würden. Den Anträgen auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigungen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 sei daher Folge zu geben. Da die Beschwerdeführer zudem bereits sehr gut in die österreichische Gesellschaft integriert seien, über Familienmitglieder in Österreich und in der Schweiz verfügen würden und vor dem Hintergrund ihres langjährigen Aufenthalts in Österreich bereits eine nach den hiesigen Wert- und Moralvorstellungen geprägte Lebensweise angenommen hätten, stelle sich eine Rückkehrentscheidung unter Berücksichtigung des Kindeswohls als unzulässig dar.

2.7.    Die gegenständlichen Beschwerden samt den dazugehörigen Verwaltungsakten langten der Aktenlage nach am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer führen die im Spruch angeführten Namen und Geburtsdaten. Sie sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, gehören der Volksgruppe der Tadschiken sowie der sunnitischen Glaubensrichtung des Islams an. Ihre Muttersprache ist Dari. Die Beschwerdeführer stammen aus dem in der Provinz Kabul gelegenen Ort XXXX , wo sie im Vorfeld der Ausreise gemeinsam in einem familieneigenen Haus lebten, welches sie zur Finanzierung der Ausreisekosten verkauften.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind traditionell verheiratet und die leiblichen Eltern der sechzehnjährigen Drittbeschwerdeführerin, des vierzehnjährigen Viertbeschwerdeführers, der zwölfjährigen Fünftbeschwerdeführerin, der achtjährigen Sechstbeschwerdeführerin sowie des sechsjährigen Siebtbeschwerdeführers.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer verfügen über keine Schulbildung und sind Analphabeten. Der Zweitbeschwerdeführer ging seit seinem zehnten Lebensjahr Erwerbstätigkeiten nach und war im Vorfeld der Ausreise als Lebensmittelhändler tätig. Die Erstbeschwerdeführerin verfügt über keine Berufserfahrung.

Die Erst- bis Siebtbeschwerdeführer sind gesund und nehmen im Bundesgebiet keine medizinische Behandlung in Anspruch. Sowohl die Erstbeschwerdeführerin als auch der Zweitbeschwerdeführer sind arbeitsfähig.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer haben bislang keine Erwerbstätigkeit oder längerfristige ehrenamtliche Tätigkeiten in Österreich ausgeübt und auch keine Ausbildungen abgeschlossen. Die Beschwerdeführer bestreiten ihren Lebensunterhalt aus Leistungen der Grundversorgung.

Die minderjährigen Beschwerdeführer besuchen die Schule bzw. den Kindergarten im Bundesgebiet.

Die Achtbeschwerdeführerin ist die Mutter des Zweitbeschwerdeführers, sie befindet sich im 66. Lebensjahr, ist verwitwet, verfügt über keine Schulbildung und Berufserfahrung, ist Analphabetin und lebte im Herkunftsstaat als Hausfrau im Familienverband. Sie leidet an Arthritis, Gastritis, Hypertonie, Anämie und Arthralgien. Weiters nimmt sie Medikamente gegen Depressionen ein. Die Achtbeschwerdeführerin ist zur Teilnahme am Erwerbsleben nicht in der Lage. In Österreich lebt sie in einem gemeinsamen Haushalt mit den Erst- bis Siebtbeschwerdeführern.

Die Beschwerdeführer bestritten ihren Lebensunterhalt im Vorfeld der Ausreise durch die Einkünfte aus der Tätigkeit des Zweitbeschwerdeführers sowie eines - im Jahr XXXX verstorbenen - Neffen des Zweitbeschwerdeführers als Lebensmittelhändler.

Dass die Beschwerdeführer noch Angehörige in Afghanistan haben, zu denen Kontakt besteht, konnte nicht festgestellt werden.

Die Mutter und die Geschwister der Erstbeschwerdeführerin leben im Iran, wobei die männlichen Angehörigen einer beruflichen Tätigkeit als Händler nachgehen. Ihr Vater ist bereits verstorben. Zwei ihrer Onkel lebten zuletzt in XXXX vom Betrieb einer Landwirtschaft. Die Erstbeschwerdeführerin hat nur zu ihren Familienmitgliedern im Iran Kontakt.

Eine Schwester des Zweitbeschwerdeführers respektive Tochter der Achtbeschwerdeführerin lebt in Österreich. Ein Bruder des Zweitbeschwerdeführers respektive Sohn der Achtbeschwerdeführerin lebt in der Schweiz.

Die Beschwerdeführer verfügen in Afghanistan über keine Besitztümer, keine finanziellen Ressourcen und kein tragfähiges familiäres Netz. Auch ihre Familienangehörigen im Iran bzw. Europa könnten sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht ausreichend finanziell unterstützen.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten (bzw. strafunmündig).

Die Beschwerdeführer stellten am XXXX Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Seither halten sie sich durchgehend im Bundesgebiet auf.

Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX wurde den Beschwerdeführern der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und ihnen eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt.

Das Bundesverwaltungsgericht stellte im Rahmen der Entscheidungsbegründung zusammengefasst fest, dass die Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat mit keiner Unterstützung durch die noch in Afghanistan sowie die im Iran aufhältigen Angehörigen der Erstbeschwerdeführerin rechnen könnten. Weiters wurde festgestellt, dass es sich beim Zweitbeschwerdeführer um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann handelt, welcher auch in der Vergangenheit für den Lebensunterhalt seiner Familie durch seine Tätigkeit als Lebensmittelhändler gesorgt hat und ging schlussfolgernd davon aus, dass vor diesem Hintergrund in Bezug auf seine eigene Person sowie in Bezug auf die Erstbeschwerdeführerin, keine individuelle Gefährdung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegt. Hinsichtlich der minderjährigen Dritt- bis Siebtbeschwerdeführer gelangte das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, dass für sie eine Niederlassung in der Provinz und Stadt Kabul ebenso wie in Mazar-e Sharif nicht in Betracht kommt, da aus den der Entscheidung zugrunde gelegten Länderberichten hervorgeht, dass in Afghanistan eine hohe Zahl an minderjährigen zivilen Opfern zu beklagen ist und zudem nach der Berichtslage vor allem Kinder von Unterernährung betroffen sind und ungefähr zehn Prozent der Kinder vor ihrem fünften Geburtstag sterben. Zudem bestünde die Gefahr, dass die minderjährigen Beschwerdeführer Kinderarbeit leisten müssten, falls die Einkünfte des Zweitbeschwerdeführers nicht ausreichen würden, um die gesamte Familie zu erhalten. In solchen Fällen seien Kinder zahlreichen Gesundheits- und Sicherheitsrisiken, darunter auch dem Risiko sexuellen Missbrauchs durch erwachsene Arbeiter, ausgesetzt. In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass in Anbetracht der festgestellten individuellen und familiären Situation der Beschwerdeführer und der im Lichte der Länderfeststellungen bestehenden besonderen Schutzbedürftigkeit von minderjährigen Kindern in einer ganzheitlichen Beurteilung der möglichen Gefahren, der hohen Zahl an minderjährigen zivilen Opfern auch in zentralen Regionen und Städten, der dadurch eingeschränkten Bewegungsfreiheit der minderjährigen Beschwerdeführer sowie der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für ihre erforderliche Versorgung im Herkunftsstaat, festzustellen gewesen ist, dass den minderjährigen Beschwerdeführern bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK garantierten Rechte droht. Den minderjährigen Dritt- bis Siebtbeschwerdeführern wurde daher gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten nach den Bestimmungen über das Familienverfahren, abgeleitet vom Status ihrer minderjährigen Kinder, gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 zuerkannt.

Im Falle der Achtbeschwerdeführerin wurde die Gewährung des Status der subsidiär Schutzberechtigten damit begründet, dass aus einer Zusammenschau der zugrunde gelegten Länderberichte und der familiären (finanziellen) Verhältnisse festzustellen gewesen ist, dass die Achtbeschwerdeführerin als alleinstehende ältere und überdies nicht mehr gesunde Frau ohne Bildung und Berufserfahrung sowie ohne jegliche Unterstützung durch ein soziales Netz mit Sicherheit nicht in der Lage wäre, in Kabul oder Mazar-e Sharif für ihren Unterhalt zu sorgen und eine (einfache) Unterkunft zu finden, sodass sie im Fall einer Rückkehr schon deshalb Gefahr liefe, unter menschenunwürdigen Bedingungen zu leben und letztlich in eine existenzbedrohende Lage zu geraten. Ihr wurde daher ebenfalls der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 zuerkannt.

Jeweils am XXXX stellten die Beschwerdeführer Anträge auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte. Mit den im Spruch genannten Bescheiden der belangten Behörde vom XXXX wurde den Beschwerdeführern der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 aberkannt, der Entzug der befristeten Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 ausgesprochen und die Verlängerungsanträge hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin, des Zweitbeschwerdeführers und der Achtbeschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 abgewiesen. Weiters wurde den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie die Feststellung getroffen, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist. Weiters wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

1.2.    Zur Situation der Beschwerdeführer im Falle einer möglichen Rückkehr nach Afghanistan:

Unter Berücksichtigung der festgestellten individuellen Situation der Beschwerdeführer und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan (insbesondere in den urbanen Gebieten) wird festgestellt, dass sich die Umstände, welche zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit mündlich verkündeten Erkenntnissen vom XXXX nicht wesentlich und nachhaltig verändert bzw. verbessert haben. Im Fall der Dritt- bis Achtbeschwerdeführer besteht nach wie vor das reale Risiko, dass diese im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan in eine existenzbedrohende Notlage geraten und ihnen dadurch eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK garantierten Rechte droht.

1.3.    Zur Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, in der Fassung vom 21.07.2020:

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle - ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten - Ende 2019 und Anfang 2020 - zurück (UNGASC 17.3.2020).

Sicherheitslage im Jahr 2019:

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen - speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen - blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

Zivile Opfer:

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte - insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite - insbesondere der Taliban - sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).

[…]

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich - dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).

High-Profile Angriffe (HPAs):

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 6.2019). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020).

Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (UNGASC 17.3.2020).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten:

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (NYT 26.3.2020; vgl. TN 26.3.2020; BBC 25.3.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 27.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Die Taliban distanzierten sich von dem Angriff (NYT 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019):

Taliban:

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk:

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP):

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Der ISKP geriet in dessen Hochburg in Ostafghanistan nachhaltig unter Druck (UNGASC 17.3.2020). Jahrelange konzertierten sich Militäroffensiven der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte auf diese Hochburgen. Auch die Taliban intensivierten in jüngster Zeit ihre Angriffe gegen den ISKP in diesen Regionen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). So sollen 5.000 Talibankämpfer aus der Provinz Kandahar gekommen sein, um den ISKP in Nangarhar zu bekämpfen (DW 26.2.2020; vgl. MT 27.2.2020). Schlussendlich ist im November 2019 die wichtigste Hochburg des islamischen Staates in Ostafghanistan zusammengebrochen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). Über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten. Zwar wurde der ISKP im November 2019 weitgehend aus der Provinz Nangarhar vertrieben, jedoch soll er weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein (UNGASC 17.3.2020). Die landesweite Mannstärke des ISKP wurde seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf 300 Kämpfer reduziert (NYT 2.12.2020).

49 Angriffe werden dem ISKP im Zeitraum 8.11.2019-6.2.2020 zugeschrieben, im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 194 Vorfälle registriert. Im Berichtszeitraum davor wurden 68 Angriffe registriert (UNGASC 17.3.2020).

Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen (BBC 25.3.2020). Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (NYT 2.12.2020).

Der ISKP verurteilt die Taliban als „Abtrünnige“, die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen:

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

Kabul:

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Sur

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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