TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/9 W195 2162795-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.12.2020
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Entscheidungsdatum

09.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch


W195 2162795-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX StA. Bangladesch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.06.2017, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.12.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 16.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen einer am folgenden Tag vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgten niederschriftlichen Erstbefragung gab der BF zu seinen Fluchtgründen an, er sei als stellvertretender Generalsekretär der Jubo Dal auf Gemeindeverbandsebene tätig gewesen. Am 18.02.2015 habe er erfahren, dass Mitglieder der gegnerischen und regierenden Awami League ihn am Vortag bei einer Polizeistation angezeigt hätten. Er habe deshalb am 20.02.2015 fluchtartig seine Heimat verlassen müssen. In einem Telefonat mit seiner Familie am 14.03.2015 habe er von einer zweiten Strafanzeige gegen seine Person erfahren. Da er Angst vor der Polizei habe, insbesondere vor einer Festnahme und Misshandlung, sei er geflohen.

I.2. Am 19.04.2017 erfolgte die Einvernahme des BF vor dem BFA. Dieser gab an am XXXX , Bangladesch geboren zu sein. Er sei Moslem/Sunnit und gehöre der Volksgruppe der Bengalen an.

Zu seiner Familie führte er aus, dass sein Vater bereits verstorben sei; seine Mutter lebe in Bangladesch, ebenso wie drei seiner Brüder und seine beiden Schwestern. Ein Bruder namens XXXX , ca 43 Jahre, wohne in Österreich, habe ein Visum und arbeite hier. Der BF habe regelmäßigen, monatlichen Kontakt zu seiner Familie in Bangladesch.

Er habe eine Schulausbildung inklusive High School Abschluss sowie 2 Jahre Studium; den Bachelor in Business Administration habe er nicht abgeschlossen.

In Bangladesch haben sie einen Familienbetrieb im Bereich Fischerei sowie Landwirtschaft (Felder). Er habe studiert und wollte sich nach dem Studium um den Betrieb kümmern.

Er sei ledig und habe auch keine Kinder.

Politisch war er als Joint (Assistent) Sekretär der BNP, Studentenflügel Jubo Dal, tätig. So habe er beispielsweise bei Demonstrationen mitgemacht und diese mitorganisiert.

Der BF habe Bangladesch am 20.02.2015 verlassen und sei illegal nach Indien ausgereist. In Österreich sei er am 16.03.2015 illegal eingereist. Derzeit wohne er bei seinem Bruder in Wien, er wollte jedoch nach Deutschland weiterreisen. Er habe noch einen Verwandten in Österreich, nämlich einen Cousin namens XXXX

Der BF gab an, dass er Probleme mit der bengalischen Polizei hatte, er sei jedoch nicht verurteilt worden.

Nachgefragt wegen der Probleme mit den staatlichen Behörden meinte der BF, der Familienbetrieb habe zweimal XXXX hinsichtlich der Fischzucht gewonnen. Die Regierung mache aber Probleme, „weil sie immer Leute schickt wegen der Steuern und so.“ Noch dazu wolle sie den Betrieb wegnehmen, weil der BF in der Firma involviert sei. Der BF meinte nachträglich, dass der Betrieb nichts mehr gewonnen habe, seitdem bekannt geworden sei, dass er Teilhaber der Firma sei; vielmehr habe man Personen auf Motorrädern vorbeigeschickt.

In Österreich gehe der BF Fußball- und Cricketspielen, er mache einen Integrationskurs sowie einen Privat-Deutschkurs. Er sei bei zwei bengalisch-orientierten Vereinen tätig.

Der BF habe in Österreich keine Beziehung.

Der BF lebe von der Grundversorgung.

Zu seinem Fluchtgrund befragt meinte der BF, dass er von 2011 bis zu seiner Ausreise politisch tätig gewesen sei. Man habe ihm deshalb unrechtmäßig falsche Anzeigen umgehängt, obwohl er gar nicht dabei gewesen sei; eine Anzeige habe man getätigt, als er gar nicht mehr in Bangladesch gewesen sei.

In der ersten Anzeige stünde, dass der BF an einem unrechtmäßigen Treffen und an einer Demonstration teilgenommen habe; bei der zweiten Anzeige, dass der BF Feuer bei einem Fahrzeug gelegt habe und wegen Terrorismus.

Am 18.02.2015 sei das Haus von der Polizei und Al-Mitgliedern umstellt worden und habe ihn der Bruder angerufen und gemeint, der BF dürfe nicht nach Hause kommen, weil sie ihn mitnehmen wollen; sie hätten aber keinen Haftbefehl gehabt.

Seine Parteikollegen hätten dann dazu geraten, dass der BF das Land verlassen solle.

Zur Frage der innerstaatlichen Fluchtalternative meinte der BF, „Bangladesch ist ein kleines Land“; wenn die Polizei jemanden suche, würde sie ihn auch finden. Damit konfrontiert, dass beispielsweise in der Hauptstadt Dhaka über 14 Mio Menschen leben und es schwierig sei, dort jemanden zu finden, meinte der BF „die Frage ist recht schwierig“.

Gefragt, weshalb die Regierung die Firma der Familie wegnehmen möchte, meinte der BF, dass man das so nicht sagen könne; es ginge lediglich darum, dass der BF Teilhaber der Firma sei. Es seien „die kleinen Führer“ der AL, welche Stress und Unruhe brächten.

I.3. Mit dem angefochtenen und im Spruch bezeichneten Bescheid vom 08.06.2017 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (ebenfalls Spruchpunkt III.) und darüber hinaus gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (ebenfalls Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten. Für die freiwillige Ausreise werde eine Frist von 14 Tagen nach Abwägung aller Gründe als angemessen angesehen.

Konkret führte das BFA aus, dass die Aussagen in den Einvernahmen des BF voneinander abwichen und damit die Glaubwürdigkeit erschüttern. Der BF habe entweder ausweichende oder oberflächliche und vage Antworten auf die konkreten Fragen des BFA gegeben. Das BFA führte dazu drei konkrete Beispiele (Einschaltung eines Rechtsanwalts bzw Hilfe bei Gericht; Meldesystem in Bangladesch; Auswirkungen des Stressmachens durch kleine Führer der AL) aus der Einvernahme des BF an, die dieses Verhalten deutlich aufzeigen.

Beim Vorbringen der Fluchtgründe habe sich der BF zudem widersprochen. Auf der einen Seite werde der BF verfolgt, weil er Teilhaber des Familienunternehmens sei, relativiert jedoch später diese Aussage.

Auch die vorgelegten Dokumente seien wenig aussagekräftig, da teilweise die Stempel und Siegel, selbst Textpassagen seien zum Teil nicht leserlich. Weshalb seine Tätigkeit, etwa des Aufhängens von Plakaten in der Nacht, für die gegnerische AL „auffällig“ in Zusammenhang mit der Person des BF geworden sei, erschien dem BFA ebenfalls unglaubwürdig. Auch die Meinung zur angeblich nicht vorhandenen innerstaatlichen Fluchtalternative war für das BFA nicht nachvollziehbar.

Da die Schilderungen weder nachvollziehbare Details, wie Tatzeitpunkt, Vorfälle, Örtlichkeiten, Angaben zu den Gruppierungen erfolgten, seien diese nur ein gedankliches Konstrukt, die der Realität entbehren.

I.4 Gegen diese Entscheidung wendete sich der BF mit Schriftsatz vom 20.06.2017. Er beantragte die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens, die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, sowie der Unzulässigkeit der Abschiebung und der Ausweisung und beantrage in eventu eine einjährige Aufenthaltsberechtigung. Darüber hinaus ergänzte der BF sein Beschwerdevorbringen mit Schriftsatz vom 23.06.2017 und beantragte eine Ermittlung in seinem Heimatland. Die Feststellung der innerstaatlichen Fluchtalternative wird ebenso kritisiert. Diesbezüglich und hinsichtlich der Menschenrechtssituation seien die Feststellungen im Länderbericht beschönigend.

I.5. Mit Schreiben vom 30.06.2017 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

I.6. Mit der Ladung zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem BF auch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch (Stand November 2020) zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.

I.7. Am 04.12.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.

Eingangs wurde festgehalten, dass der BF seine Beschwerde in zwei Teilen (jedenfalls zeitgerecht) eingebracht hatte. Diese Teile wurden von ihm, seinen älteren, in Österreich lebenden Bruder sowie einem Anwalt verfasst. Es gäbe ein Büro der „ XXXX “, dort sei die Beschwerde geschrieben worden. Es seien deshalb zwei Teile verfasst worden, weil der BF noch Dokumente erhalten habe.

In der Verhandlung vor dem BVwG legte der BF zahlreiche zusätzliche Dokumente vor. Diese betrafen seine selbstständige Tätigkeit (Reinigungstätigkeiten, monatlicher Verdienst zwischen € 1.000 und € 1.500), seine Mitgliedschaft in diversen (bengalisch orientierten) Vereinen, ein Empfehlungsschreiben, sowie eine Bestätigung über politische Aktivitäten im Jahr 2017.

Der BF ist – bis auf Rückenschmerzen, welche vor kurzem von einem Arzt behandelt wurden – gesund.

Der BF gab an, dass er „sehr wenig“ Kontakt zu seiner Familie habe. Den letzten Kontakt habe er vor zehn Monaten mit seiner Mutter gehabt, er habe aber auch Kontakt zu Freunden. In Bangladesch würden noch drei Brüder und zwei Schwestern leben, der Vater sei verstorben. Ein Bruder lebe in Österreich.

Mit den Brüdern habe er keinen Kontakt, er habe sich mit ihnen nicht gut verstanden. Im Zuge der weiteren Verhandlung gab der BF dazu an, dass es ein Problem mit der Fischfarm gegeben hätte, die Brüder hätten untereinander gestritten und er habe gesagt, wenn sie sich weiter streiten würde er nicht anrufen. Sein Bruder in Österreich habe nicht gestritten. Zu seinem Bruder in Österreich habe er „vielleicht in zwei, drei Monaten“ Kontakt, aber über die Familie würden sie nicht diskutieren.

Der BF würde unterstützt werden von seinem Bruder, der seit 16 Jahren in Österreich lebt, und von einem Bruder in Bangladesch, der aber viel ins Ausland reise. Der BF habe ein eigenes Einkommen (aus Reinigungsarbeit, zwischen € 1.000 bis € 1.500) und zahle € 370 für die Miete. Die Arbeit, die er hier ausführe, gefalle ihm überhaupt nicht. Er wolle auch nicht unterstützt werden. Es wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, eine Karriere aufzubauen.

Gefragt, welche Ausbildung der BF in Bangladesch genossen habe, meinte er, er habe die Matura abgeschlossen und habe fünf Semerster studiert und den Bachelor of Business Administration. Nachgefragt, ob der BF „aus einfachen Verhältnissen“ stamme, verwies dieser auf den Bildungsstand seiner Brüder, welche zumindest einen Bachelor hätten, zwei sogar einen Master, eine Schwester habe die Matura und eine Schwester die höhere Schule besucht. Er glaube nicht, dass in Bangladesch „alle so eine Ausbildung genießen“ betonte der BF. Die Familie lebe im Dorf und betreibe eine qualitative Fischzucht, das Einkommen sei „gutes Einkommen“.

Hinsichtlich der Deutschkenntnisse des BF musste jedoch im Rahmen der Verhandlung festgestellt werden, dass diese deutlich beschränkt sind und man bedurfte großer Aufmerksamkeit bei seinen Antworten. Der BF legte ein Deutschzertifikat in A2 vor sowie eine Anmeldebestätigung für B1. Der BF entschuldigte sich am Ende der Verhandlung für seine geringen Deutschkenntnisse und meinte, er sei sehr nervös gewesen. Er würde schon „gutes Deutsch“ sprechen, schließlich sei er schon seit sechs Jahren hier und seien „diese Jahre hier für mich wie eine goldene Zeit“. Er könne derzeit hier nichts beginnen, er möchte gerne Kreatives machen.

Der BF habe keine Kinder, aber er hätte eine Beziehung (gehabt). Zu dieser Beziehung gefragt führte der BF – zusammengefasst – aus, dass er vor vier Jahren eine frühere Verkäuferin vom „ XXXX “ kennengelernt habe, diese sei damals noch verheiratet gewesen. Vor zwei Jahren habe sie ein Kind bekommen und sei seitdem in Karenz bzw. danach nicht mehr berufstätig. Sie habe sich vor der Geburt des Kindes scheiden lassen. Seit „neun oder zehn“ Monaten hätten sie eine Liebesbeziehung, allerdings verlange sie, dass der BF seine Nachtarbeit aufgebe. Seit einem Monat sei die Beziehung in einer deutlichen Krise. Der BF habe „ihr einen Antrag gemacht mit einem Ring. Sie gab mir den Ring zurück, weil ich nachts arbeite“; sie wohnen nicht zusammen, sondern würden sich lediglich besuchen. XXXX , so der Name seiner Bekannten, sei Slowakin. Sie wisse nicht, dass der BF Asylwerber sei, über seine Papiere, Visum etc habe er mit ihr nicht gesprochen. Sie würden sich auf Deutsch unterhalten.

Außerhalb der Arbeit treffe er sich mit Freunden, auch österreichischen Freunden, und gehe Cricket spielen oder in ein Cafe. Er sei auch Teilnehmer einer What‘s App Gruppe.

Nach seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, er habe „politische Probleme“ gehabt. Er sei „ich glaube von 2013 bis 2017“ Mitglied der BNP, genauer gesagt des Studentenflügels „Jubo Dal“ gewesen. Er sei es gewesen seit „2012 oder 2013“, nach seinem Uni-Abschluss. So genau wisse er es nicht mehr.

Er sei in seinem Gemeindeverband der „Assistent-Sekretär“ gewesen. Er sei noch ein halbes Jahr, nachdem er in Österreich eingereist sei, Mitglied gewesen. Der BF korrigierte daraufhin das Jahr „2017“ auf „2015“.

Zu seiner Flucht wurde er durch eine Anzeige veranlasst. Die erste Anzeige sei am 17.02.2015 erstattet worden. Er sei beschuldigt worden, Regierungsgegenstände gewalttätig beschlagnahmt und zerstört zu haben. Was konkret, wisse er nicht, es sei während einer Demonstration gewesen. Er sei beschuldigt, dass er „in brutaler Art und Weise demonstriert habe“.

Die Anzeige habe „die Regierung“ gemacht, „die Polizei selbst erstattete die Anzeige“.

Der BF habe sich nicht gegen die Anzeige gewehrt, er habe innerhalb von zwei Tagen Bangladesch verlassen (spätere Ausführungen: „innerhalb weniger Stunden“). Seine Brüder hätten ihm gesagt, dass er Bangladesch verlassen solle. Er habe am „18.“ die Grenze nach Indien schlepperunterstützt überquert und habe in New Delhi einen Pass gekommen, mit welchem er in die Türkei reiste.

Nachgefragt, wann er sich entschlossen habe, Bangladesch zu verlassen, meinte der BF “Ehrlich gesagt, ich wusste gar nicht, dass an diesem Tag eine Anzeige erstattet wurde“. Ein Bruder sei zu ihm gekommen und habe gemeint, die Polizei würde ihn suchen, er solle verschwinden. In der Nacht sei er dann nach Indien geflüchtet.

Er habe erst nachdem er hierhergekommen sei versucht herauszufinden, ob und welche Anzeige gegen ihn vorläge. Nachgefragt, warum er nicht bereits in Bangladesch versuchte es herauszufinden, bestärkte der BF nochmals, dass er gar nicht gewusst habe, dass gegen ihn eine Anzeige bestünde, er sei „zwei, drei Stunden, vier bis fünf Stunden später“, nachdem er es erfuhr, aus Bangladesch geflüchtet.

Die Flucht habe ca. € 8.000 gekostet.

Die zweite Anzeige sei „wahrscheinlich“ am 12.03.2015 erstattet worden. Die Anzeige „war auch eine Anzeige der Regierung selbst, die Anzeige wurde von der Polizei erstattet“. Es ginge um Brandstiftung eines Fahrzeuges und Terrorismus. Zu diesem Zeitpunkt sei der BF in Österreich gewesen. Da er hier sei, wisse er nicht, wie er sich dagegen wehren sollte. Nachgefragt meinte der BF, er habe einen Anwalt beauftragt, aber es sei ein Haftbefehl ausgesprochen worden, „das Verfahren wurde nicht zu Gericht übergeleitet“. Konfrontiert damit, dass einen Haftbefehl nur ein Gericht machen könnte, meinte der BF lächelnd, „der Haftbefehl kann zwar vom Gericht ausgesprochen werden, aber ich müsste dort anwesend sein“.

Wenn er nach Bangladesch zurück müsste würde der BF bereits am Flughafen inhaftiert werden, „100 prozentig sogar“. Es sei ihm nicht bekannt, was sie mit ihm planen, aber er habe große Angst.

Gefragt, ob er die ihm vorgeworfenen Straftaten gemacht habe – wobei der BF vom vorsitzenden Richter auch eigens aufmerksam gemacht wurde, dass er nicht auf diese Frage antworten müsse – meinte der BF: “Warum soll ich das tun, warum sollte ich mir selbst schaden“.

Der BF gab abschließend eine Stellungnahme zu den Länderberichten, welche hinsichtlich der Corona-Pandemie ergänzt worden waren, ab. Er führte darin aus, dass es in Bangladesch sechs- bis siebenmal mehr Infizierte geben würde als in Österreich, wenn man ebenso intensiv testen würde. Die Gefahr ginge in Anbetracht der geplanten Impfungen dann langsam weg. Es gäbe auch bald Impfstoffe, in England würde nächste Woche damit begonnen. Er selbst halte sich an die von der Regierung vorgegeben Maßnahmen und erinnere auch seine Freunde daran.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali

Der BF wurde am XXXX (Asylantragstellung; andere Angabe bei der Einvernahme BFA: „in XXXX “) geboren und hat bis zuletzt dort gelebt. Er hat in seinem Heimatland für das Bacherlorstudium in Business Administration fünf Semester studiert. Die Familie betreibt in Bangladesch erfolgreich (mit Auszeichnungen) und „gutem Einkommen“ eine Fischzucht und haben seine zahlreichen Geschwister durchwegs eine gehobene, zumeist akademische Ausbildung. Damit widerspricht sich der BF, der in der Beschwerde (23.06.2017) ausführt, dass er „aus einfachen Verhältnissen“ in Bangladesch stamme.

Der BF ist ledig und hat keine Kinder.

Der BF war im Jahr 2020 für einige Monate in Österreich mit einer Slowakin in einer Liebebeziehung. Eine auf Dauer angelegte Beziehung ist nicht erkennbar (Rückgabe eines Ringes, keine Kenntnis über den Asylstatus des BF, keine gemeinsame Wohnung, Unterhaltung in deutscher Sprache). Die Deutschkenntnisse des BF sind sehr gering, obwohl ein Zertifikat in A2 vorgelegte wurde; der Sprachwortschatz ist sehr begrenzt.

Der BF hat – selten - Kontakt zu seiner Mutter, keinen zu seinen Brüdern in Bangladesch, wegen eines internen Familienzwistes; dies ist widersprüchlich, da der BF mitteilte, dass ihm ein Bruder, der in Bangladesch wohne und öfters ins Ausland reise, finanziell unterstütze.

Ein Bruder des BF wohnt in Österreich, mit diesem habe er alle „zwei bis drei Monate“ Kontakt.

Der BF ist im März 2015 nicht legal in das Bundesgebiet eingereist. Er ist nicht in die staatliche Grundversorgung einbezogen. Er ist selbstständig in der Reinigungsbranche tätig, mag jedoch seine Arbeit nicht. Der BF verdient zwischen € 1.000 und € 1.500 monatlich.

Der BF ist Mitglied in (zumeist) bengalisch-orientierten Vereinen und hat aber auch österreichische Freunde; er geht Cricketspielen. Ein ehrenamtliches Engagement wurde nicht dargelegt.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

Der BF ist gesund, wenngleich er wegen Rückenschmerzen früher in ärztlicher Behandlung war.

I.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF aus politischen Gründen verfolgt wird.

Der BF gibt an, dass er Mitglied der Jubo Dal (Studentenzweig der BNP) und stellvertretender Sekretär auf Ebene eines Gemeindeverbandes gewesen sei.

Der BF gibt unterschiedliche Jahreszahlen an, seit wann der politisch tätig gewesen sei (vor dem BFA: „2011“; vor dem BVwG: „2012 oder 2013“, so genau wisse er es nicht).

Der BF widerspricht sich in der angeblichen politischen Verfolgungshandlung: In der Beschwerde führte er aus, dass er „fälschlicherweise zweimal von der [politisch gegnerischen Partei] Awami League bei der Polizei angezeigt“ worden sei. Vor dem BVwG gab der BF an, dass beide Anzeigen „die Regierung“, „die Polizei selbst“ gemacht hätten.

Der BF erscheint unglaubwürdig, wenn er angibt, dass er innerhalb von wenigen Stunden aus dem Land geflüchtet sei, ohne den Inhalt der ersten Anzeige zu kennen.

Der BF ist unglaubwürdig, wenn er angibt, es sei ihm nicht möglich nachzuweisen, dass er sich zur Zeit der zweiten Anzeige (wegen Brandstiftung und Terrorismus) bereits im Ausland befand. Der BF verstärkt seine Unglaubwürdigkeit, wenn er- zur zweiten Anzeige, als er bereits außer Landes war - nach Kontakt mit seinem Anwalt angibt, dass “ein Haftbefehl“ ausgesprochen worden sei, „das Verfahren jedoch nicht dem Gericht übergeleitet“ wurde.

Der BF widerspricht sich hinsichtlich der Kosten für den Schlepper: er variiert zwischen € 6.000,- und € 8.000,-.

Der BF führt in der Beschwerde aus, dass er „keine ausreichende Zeit und Gelegenheit bekam, auf die von der Behörde vorgehaltenen Länderberichte, Stellung zu nehmen“. Festgestellt wird, dass der BF in der Einvernahme des BFA vom 19.04.2017 eigens gefragt wurde, ob er „ausreichend Zeit und Möglichkeit hatte, alles vorzubringen“ und er dies bejahte (vom BF unterfertigtes Protokoll, Seite 9). Festgestellt wird, dass der BF das Länderinformationsblatt zusätzlich auf eine von ihm angegebene e-Mail Adresse geschickt haben wollte. Festgestellt wird, dass ein Nachweis der (zusätzlichen) Übermittlung im Administrativakt nicht enthalten ist, ebenso wenig wie eine Urgenz. Festgestellt wird, dass zwischen der Einvernahme des BFA und der behördlichen Entscheidung an die sieben Wochen liegen.

Festgestellt wird, dass dem BF jedenfalls innerstaatliche Fluchtalternativen offenstehen, sollte er tatsächlich von örtlichen Mitgliedern der gegnerischen Awami League behelligt worden sein.

II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:

COVID-19

Letzte Änderung: 11.11.2020

Die COVID-Krise trifft Bangladesch sehr hart, nachdem am 8.3.2020 die ersten Fälle nachgewiesen wurden. Die Regierung verhängte ab dem 22.3.2020 einen umfassenden Lockdown, der jedoch de facto immer brüchig war und einmal mehr und einmal weniger eingehalten wurde. Am 30.5.2020 wurde der Lockdown wieder aufgehoben, da eine weiter Fortsetzung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war (ÖB 9.2020). Die bangladeschische Regierung hat im April 2020 Hilfspakete mit einem Volumen in Höhe von 12 Milliarden USD beschlossen. Die Konjunkturmaßnahmen zielen unter anderem auf eine Stützung von für die Wirtschaft bedeutende Industriezweige wie die Textil- und Bekleidungsherstellung sowie den Agrar- und Nahrungsmittelsektor ab (GTAI 21.9.2020a). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen der Bangladesh Economic Association etwa 36 Mio. Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Mio. rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020).

Das ohnehin schwache Gesundheitssystem Bangladeschs ist mit der Pandemie völlig überlastet (ÖB 9.2020). Durch die Coronakrise gerät das seit Jahrzehnten unterfinanzierte staatliche Gesundheitswesen in Bangladesch enorm unter Druck und die Versorgung von Covid-19-Patienten stößt an ihre Grenzen (GTAI 21.9.2020b). So sind landesweit nur etwas mehr als knapp 1.000 Intensivbetten verfügbar (GTAI 21.9.2020; vgl. WKO 4.2020). Davon sind 400 für die Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen ausgerüstet. Während es in der Hauptstadt Dhaka 400 Intensivbetten gibt, stehen in 47 der insgesamt 64 Verwaltungsbezirke überhaupt keine zur Verfügung (GTAI 21.9.2020).

Eine weitere Problemstellung für das Land stellen die zahlreichen Rückkehrer aus den Ländern des Nahen Ostens dar. Auf Grund der beengten Arbeits- und Lebensverhältnissen in den Gastländern sind diese Arbeiter besonders von Ansteckungen mit dem Virus betroffen. Darum, aber auch wegen des mit COVID verbundenen weltweiten Wirtschaftsabschwungs, schicken vor allem die Staaten des Nahen Osten tausende Arbeiter wieder zurück nach Bangladesch. Viele bringen so das Virus auf ihrem Heimweg mit ins Land. Da viele Migranten aus Bangladesch im Nahen Osten im Zuge der COVID-Krise ihre Arbeit verloren haben und ausgewiesen wurden, ist in den kommenden Jahren mit einem vermehrten Aufkommen von AsylwerberInnen aus Bangladesch in (West-)Europa zu rechnen (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020a): Covid-19: Maßnahmen der Regierung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/covid-19-massnahmen-der-regierung-260866, Zugriff 5.11.2020

?        GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020b): Covid-19: Gesundheitswesen in Bangladesch: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/bangladeschs-wirtschaft-behauptet-sich-trotz-coronakrise-260868, Zugriff 5.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich (25.4.2020): Coronavirus: Situation in Bangladesch, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-bangladesch.html, Zugriff 8.5.2020

Politische Lage

Letzte Änderung: 16.11.2020

Bangladesch ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km² leben etwa 163 Millionen Einwohner (CIA 4.11.2020; vgl. GIZ 5.2020, AA 6.11.2020).

Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 492 Polizeidistrikte (Thana/Upazila), mehr als 4.500 Gemeindeverbände (Unions) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (ÖB 9.2020). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 9.2020). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).

Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 direkt gewählten Abgeordneten (ÖB 9.2020) sowie zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2019a). Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 9.2020).

Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien AL und BNP bestimmt (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020, BS 29.4.2020). Klientelismus und Korruption sowie mafiöse Strukturen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 21.6.2020; vgl. DGVN 2016). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 2020). Wie in der Region üblich, geht es bei politischen Parteien weniger um Ideologie, als um einzelne Persönlichkeiten und deren Netzwerke, die im Falle eines Wahlsieges auch finanziell profitieren, in dem sie mit wichtigen Staatsposten versorgt werden (ÖB 9.2020).

Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen überragenden Sieg (ÖB 9.2020) mit 96 Prozent der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. DT 27.1.2019, DW 14.2.2019).

Die Wahlen vom 30. Dezember 2018 waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und einem harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 31.12.2018). Frühzeitig wurde die Wahl durch die Wahlkommission als frei und fair bezeichnet. Unregelmäßigkeiten wurden nicht untersucht. Stattdessen wurden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung verhaftet (HRW 14.1.2020). Es wurden rund 20 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet und Tausende verletzt (ÖB 9.2020; vgl. Reuters 1.1.2019). Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen (ÖB 9.2020).

Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a).

Da die Politik in Bangladesch generell extrem korrupt ist, sind die Grenzen zwischen begründeter Strafverfolgung und politisch motivierter Verfolgung fließend. Sicherheitskräfte sind in jüngster Vergangenheit sowohl bei Demonstrationen von Anhängern der beiden Großparteien, als auch bei islamistischen oder gewerkschaftlichen Protesten mit Brutalität vorgegangen. Im Zuge des Wahlkampfes Ende 2018 wurden gegen Anhänger und KandidatInnen der oppositionellen BNP durch die Sicherheitsbehörden falsche Anzeigen verfasst (ÖB 9.2020).

Im Vorfeld der elften Parlamentswahl in Bangladesch wurden nach Angaben der Opposition seit Anfang November 2018 bis zu 21.000 ihrer Mitglieder und Aktivisten verhaftet. Mehrere Menschenrechtsgruppen haben seit Anfang 2018 einen dramatischen Anstieg von fingierten Klagen gegen Gegner der Regierungspartei festgestellt. Unter den Verhafteten befinden sich prominente Führer des Oppositionsbündnisses, wie Mainul Hosain wegen krimineller Diffamierung und Dr. Zaffrullah Chowdhury wegen Verrats, Erpressung und Fischdiebstahls (FIDH 9.1.2019). Die BNP-Vorsitzende, Khaleda Zia, war von März 2018 bis März 2020 aufgrund von Korruptionsvorwürfen im Gefängnis (AA 21.6.2020; vgl. NAU 25.3.2020). Seit Zia auf freiem Fuß ist, sind praktisch keine Aktivitäten der BNP mehr wahrnehmbar (ÖB 9.2020).

Nachdem die oppositionelle BNP nunmehr nicht existent ist und im politischen Prozess kaum bis gar keine Rolle mehr spielt, ist eine Verfolgung, bzw. Unterdrückung ihrer AnhängerInnen aus Sicht der Regierung offenbar nicht mehr nötig. Anzumerken ist, dass seit März 2020 das politische Geschehen vollständig von der COVID-Krise überlagert wird. Von einer staatlichen Überwachung der politischen Opposition ist auszugehen (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (6.11.2020): Bangladesch – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/-/206322, Zugriff 10.11.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        BBC – British Broadcasting Corporation (31.12.2018): Bangladesh election: PM Sheikh Hasina wins landslide in disputed vote, https://www.bbc.com/news/world-asia-46718393, Zugriff 11.11.2020

?        BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029402/country_report_2020_BGD.pdf, Zugriff 10.11.2020

?        CIA – Central Intelligence Agency (4.11.2020): The World Factbook – Bangladesh, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/bg.html, Zugriff 10.11.2020

?        DT – Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party's Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaibandha-3-by-polls-underway, Zugriff 10.11.2020

?        DW – Deutsche Welle (14.2.2019): Bangladesh PM Sheikh Hasina hints at last term as prime minister, https://www.dw.com/en/bangladesh-pm-sheikh-hasina-hints-at-last-term-as-prime-minister/a-47513555, Zugriff 10.11.2020

?        DGVN – Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (2016): EWP – Eine Welt Presse . Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, https://nachhaltig-entwickeln.dgvn.de/fileadmin/publications/PDFs/Eine_Welt_Presse/20170119_EWP_Arbeitsbedingungen_Nachdruck-web.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.11.2020

?        FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (9.1.2019): Joint statement [by AHRC - Asian Human Rights Commission; ANFREL - Asian Network for Free Elections; GNDEM - Global Network of Domestic Election Monitors; FIDH - International Federation for Human Rights; CMEV - Centre for Monitoring Election Violence, Sri Lanka] on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 10.11.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2019a): Bangladesch – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 10.11.2020

?        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (5.2020): Bangladesch – Überblick, https://www.liportal.de/bangladesch/ueberblick/, Zugriff 10.11.2020

?        Guardian, The (31.12.2018): Bangladesh PM Hasina wins thumping victory in elections opposition reject as 'farcical', https://www.theguardian.com/world/2018/dec/30/bangladesh-election-polls-open-after-campaign-marred-by-violence, Zugriff 10.11.2020

?        Hindu, The (1.1.2019): Hasina’s triumph: on Bangladesh election results, https://www.thehindu.com/opinion/editorial/hasinas-triumph/article25874907.ece, Zugriff 10.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 11.11.2020

?        NAU – Schweizer Nachrichtenportal (25.3.2020): Bangladeschs Oppositionsführerin Zia aus Haft entlassen, https://www.nau.ch/politik/international/bangladeschs-oppositionsfuhrerin-zia-aus-haft-entlassen-65684195, Zugriff 10.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch, per E-Mail

?        Reuters (1.1.2019): Western powers call for probe into Bangladesh election irregularities, violence, https://www.reuters.com/article/us-bangladesh-election/western-powers-call-for-probe-into-bangladesh-election-irregularities-violence-idUSKCN1OV1PK, Zugriff 10.11.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 10.11.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 16.11.2020

Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere der Awami League (AL) und der Bangladesh Nationalist Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende AL hat ihre politische Macht durch anhaltende Schikanen gegenüber der Opposition und den als mit ihr verbündet wahrgenommenen Personen sowie gegenüber kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft gefestigt (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).

Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere der Opposition, Islamisten, Studenten) geht in vielen Fällen nach wie vor Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 21.6.2020).

Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020; vgl. AA 28.7.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 12.11.2020a).

Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 6.8.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna (UKFCO 12.11.2020b). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für solche Vorfälle sind (AA 21.6.2020).

In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 28.7.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Der inter-ethnische Konflikt in Myanmar wirkt sich auf Bangladesch aus. Er hat politische und soziale Spannungen insbesondere aufgrund der Ankunft von rund einer Million Rohingya-Flüchtlingen seit August 2017 verstärkt. Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben (HRW 18.9.2019; vgl. AnAg 5.11.2019, TDS 24.8.2019). Die Schutzfähigkeit staatlicher Behörden ist grundsätzlich gering. Die Behörden sind in der Regel keine neutralen Akteure, sondern unterstützen die politischen Ziele der jeweiligen Machthaber (ÖB 9.2020).

An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzsicherungsorganen. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 12.11.2020a). Auch wenn sich die dortige Lage zeitweise etwas entspannt, bleibt sie grundsätzlich labil (EDA 14.8.2020).

Das South Asia Terrorism Portal (SATP) verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2018 insgesamt 135 Vorfälle terrorismusrelevanter Gewalt im Land. Im Jahr 2019 wurden 104 solcher Vorfälle, bis zum 8.11.2020 wurden im Jahr 2020 insgesamt 82 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 8.11.2020).

Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) verzeichnet im Berichtzeitraum 2019 insgesamt 1.713 Konfliktvorfälle (angeführt werden beispielsweise Demonstrationen, Ausschreitungen, Kampfhandlungen, Gewalthandlungen gegen Zivilpersonen u.a.) bei denen 337 Personen getötet wurden (ACCORD 29.6.2020). 2020 wurden bis Ende Oktober in insgesamt 1.189 Konfliktvorfällen 244 Personen getötet (ACLED 4.11.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (28.7.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 9.11.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation (29.6.2020): Bangladesh, year 2019: Update on incidents according to the Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2032553/2019yBangladesh_en.pdf, Zugriff 5.11.2020

?        ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project (4.11.2020): South Asia Regional Overview: Bangladesh, https://acleddata.com/2020/11/04/regional-overview-south-asia25-31-october-2020/, Zugriff 5.11.2020

?        ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 5.11.2020

?        AnAg – Anadolu Agency (5.11.2019): Bangladesh rejects Amnesty report on Rohingya killings, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-rejects-amnesty-report-on-rohingya-killings/1636457, Zugriff 13.11.2020

?        AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023864.html, Zugriff 13.11.2020

?        BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (6.8.2020): Bangladesch – Reiseinformation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 16.11.2020

?        EDA - Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (14.8.2020): Bangladesch, Spezifische regionale Risiken, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/bangladesch/reisehinweise-fuerbangladesch.html#par_textimage, Zugriff 10.11.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 16.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (18.9.2019): Spate of Bangladesh ‘Crossfire’ Killings of Rohingya, https://www.hrw.org/news/2019/09/18/spate-bangladesh-crossfire-killings-rohingya, Zugriff 16.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        SATP – South Asia Terrorism Portal (8.11.2020): Data Sheet – Bangladesh, Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 10.11.2020

?        TDS – The Daily Star (24.8.2019): Jubo League leader killed by ‘Rohingyas’, https://www.thedailystar.net/frontpage/news/jubo-league-leader-killed-rohingyas-1789726, Zugriff 16.11.2020

?        UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020a): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 16.11.2020

?        UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.11.2020b): Foreign travel advice Bangladesh – Terrorism, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/terrorism, Zugriff 16.11.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 11.11.2020

Die Justiz ist überlastet. Überlange Verfahrensdauern, Korruption und politische Einflussnahme behindern die Unabhängigkeit. Presseberichten zufolge kommt es in ländlichen Gebieten zu Verurteilungen durch unbefugte Dorfälteste oder Geistliche nach traditionellem, islamischem "Scharia Recht". Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 8.2019). Nicht immer greifen die Behörden ein (AA 21.6.2020).

Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen Common Law. Die erstinstanzlichen Gerichte bestehen aus „Magistrates“, die der Exekutive zuzurechnen sind, sowie Session und District Judges, die der Judikative angehören. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem High Court, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem Appellate Court, dessen
Entscheidungen alle übrigen Gerichte, einschließlich des High Court, binden. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 9.2020).

Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 9.2020). Die Einflussnahme der Regierungspartei auf Parlament und Justiz haben deren Unabhängigkeit inzwischen weitgehend beseitigt (AA 21.6.2020).

Auf Grundlage des „Public Safety Act“, des „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, “Women and Children Repression Prevention Act” sowie des „Special Powers Act“ wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen – es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Speedy Trial Tribunals haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zu Tode verurteilt (ÖB 9.2020).

Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom Dezember 2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018).

Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese "Gerichte" eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 5.8.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020

?        FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 3.4.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 16.11.2020

Die Polizei ist beim Ministerium für Inneres angesiedelt und hat das Mandat, die innere Sicherheit sowie Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Armee, die dem Büro des Ministerpräsidenten untersteht, ist für die äußere Sicherheit zuständig, kann aber auch für innerstaatliche Sicherheitsaufgaben herangezogen werden. Zivile Stellen hatten weiterhin effektive Kontrolle über die Streitkräfte und andere Sicherheitsbehörden. Die Regierung verfügt über Mechanismen, Missbrauch und Korruption zu untersuchen und zu bestrafen; sie werden aber nicht immer angewandt (USDOS 11.3.2020).

Das Wirken der Polizei ist gekennzeichnet durch einen Mangel an Ressourcen inklusive mangelhafter Infrastruktur, Mangel an Personal, Ausbildung und Arbeitsmaterialien, Ineffizienz und Korruption (AA 21.6.2020). Die Regierung unternahm Schritte, um in der Polizei Professionalität, Disziplin, Ausbildung und Reaktionsfähigkeit zu verbessern und die Korruption zu verringern (USDOS 11.3.2020; vgl. ÖB 9.2020). Trotz dieser Bemühungen kommt es weiterhin zu Machtmissbrauch und unangebrachter Gewaltanwendung von Sicherheitskräften, insbesondere durch die Rapid Action Batallions (RAPs), die in weiterer Folge ungestraft bleiben (ÖB 9.2020).

Es gibt Hinweise auf willkürliche Festnahmen durch die Polizeikräfte, obwohl dies gesetzlich verboten ist, sowie auf willkürliche Nutzung der gesetzlich erlaubten präventiven Festnahmen. Die Festnahme ohne Angabe von Gründen ist für bis zu 30 Tagen zur Verhinderung von Taten, die die nationale Sicherheit, Verteidigung, Souveränität, öffentliche Ordnung oder auch wirtschaftliche Interessen des Landes gefährden, erlaubt. Die Arretierten haben kein Recht auf einen Verteidiger. Die hauptsächlich Betroffenen sind Aktivisten der politischen Parteien und NGO-Vertreter, die Kritik an der Regierung üben. Nach wie vor problematisch ist auch die in vielen Fällen unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft. Als Gründe hierfür werden bürokratische Ineffizienz, limitierte Ressourcen und Korruption genannt. Gegenwärtig geht man von über 2 Millionen ausständigen Zivil- und Strafverfahren aus (ÖB 9.2020).

Die Sicherheitskräfte lassen Personen weiterhin routinemäßig „verschwinden“ (AI 30.1.2020; siehe auch Abschnitt 5). Betroffene sehen aus Angst vor Vergeltung in der Regel davon ab, Mitglieder der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsvergehen anzuzeigen, sodass diese straflos bleiben. Auch im Falle einer Beschwerde herrscht weitestgehend Straffreiheit. Wenn allerdings die Medien Polizeiversagen öffentlich anprangern, werden durch die politische Ebene die zuständigen Polizisten oft bestraft (AA 21.6.2020).

Die Sicherheitsbehörden bestehen zum Hauptteil aus der dem Innenministerium unterstellten „Bangladesch Police“, die ca. 116.000 Mann zählt. Zur Unterstützung der Polizei stehen weitere Einheiten zur Verfügung (ÖB 9.2020).

Rapid Action Batallions (RABs): Es gibt etwa 15 RABs mit insgesamt ca. 9.000 Mann, die ebenfalls dem Innenministerium unterstellt sind. Ihre Aufgabe ist der Kampf gegen bewaffnete kriminelle Organisationen. Die RABs sind hauptsächlich in urbanen Zentren stationiert, rekrutieren sich hauptsächlich aus Polizei und Armee, sind gut ausgebildet und mit moderner Ausrüstung versehen (ÖB 9.2020). Ihnen werden schwere Menschenrechtsverstöße wie z.B. extralegale Tötungen zugeschrieben (AA 21.6.2020). Die RABs verfolgen eine aggressive Strategie gegen bewaffnete „Gang“-Mitglieder, was zu zahlreichen Toten durch Schießereien führt. Sie werden auch bei Demonstrationen eingesetzt, wobei exzessive Gewalt, Gummigeschosse aber auch scharfe Munition gegen Demonstranten zum Einsatz kam, welche wiederholt Todesopfer forderten. Es kam trotz zahlreicher Verhaftungen noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen gegen Mitglieder der RABs (ÖB 9.2020). Die Regierung streitet weiterhin das Verschwindenlassen von Personen, Folter und andere Verstöße durch Sicherheitskräfte, sowie außergerichtliche Tötungen, etwa durch Angehörige des RAB ab. Die Sicherheitskräfte versuchen seit langem, unrechtmäßige Tötungen zu vertuschen, indem sie behaupteten, dass es bei einem Schusswechsel oder im Kreuzfeuer zu Todesfällen gekommen ist. Hunderte Menschen wurden angeblich in solchen „Kreuzfeuer“ getötet (HRW 14.1.2020; vgl. ÖB 9.2020).

Bangladesh Ansar: Gegründet im Jahr 1948 und ebenfalls dem Innenministerium unterstellt, gibt es aktuell ca. 23.000 leicht bewaffnete Ansars, die zur Unterstützung der Polizei im ländlichen Raum eingesetzt werden und auch Zivilschutz-Aufgaben übernehmen (ÖB 9.2020).

Border Guard Bangladesh (BGB) – ehem. Bangladesh RiflesRifles (BDRs): Diese ca. 40.000 Mann starke paramilitärische Truppe untersteht dem Home Ministry [Innenministrium], wird aber hauptsächlich von Armee-Offizieren geführt und dient in erster Linie dem Grenzschutz. Die BGB ist auch für die Verhinderung von Schmuggel und Menschenhandel zuständig (ÖB 9.2020).

Village Defence Parties (VDP): Gegründet 1976, sollte es in jedem Dorf des Landes je ein männliches und weibliches „Platoon“ [Zug] mit jeweils 32 Personen geben, die der Unterstützung der Polizei bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sowie der Unterstützung der zivilen Behörden bei sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbauprogrammen und bei Naturkatastrophen dienen sollen. In Städten gibt es analog dazu sog. Town Defence Parties (ÖB 9.2020).

Special Branch of Police (SB): Sie ist beauftragt, die nationale Sicherheit zu gewährleisten, erfüllt die Funktion, nachrichtendienstliche Informationen zu sammeln und ist mit der Spionageabwehr betraut. Die SB ist überall in Bangladesch vertreten und besitzt die Fähigkeit, innerhalb und außerhalb des Landes zu agieren (AA 21.6.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020

?        AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/document/2023864.html, Zugriff 12.11.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 9.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 13.11.2020

Korruption

Letzte Änderung: 16.11.2020

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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