TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/9 W140 2128773-10

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.06.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

09.06.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §80

Spruch


W140 2128773-10/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. HÖLLER als Einzelrichterin im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl: XXXX , über die weitere Anhaltung von XXXX , in Schubhaft zu Recht erkannt:

I. Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG idgF wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

II. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.




Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.05.2020, XXXX , wurde gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG idgF festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

Das Bundesverwaltungsgericht führte u.a. Folgendes aus:

„Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer (BF) ist marokkanischer Staatsangehöriger. Er durchlief in Österreich (und mehreren anderen Ländern) unter tatsachenwidrigen Angaben zu seiner Identität ab 2016 asyl-und fremdenrechtliche Verfahren. Mit Verbalnote vom 28.05.2019 stimmte die Botschaft Marokkos einer Rückübernahme des Beschwerdeführers auf dem Luftweg zu. Der Beschwerdeführer hielt sich zu diesem Zeitpunkt im Verborgenen auf.

2. Nach einer Antragstellung in Deutschland wurde der Beschwerdeführer am 15.01.2020 nach Österreich rücküberstellt, wo er einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz stellte und diesbezüglich einvernommen wurde.

Am 16.01.2020 wurde über den Beschwerdeführer mit Bescheid vom selben Tag die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG angeordnet. Begründet wurde dies mit der Straffälligkeit des Beschwerdeführers, die Verschleierung der Identität, einer wahrscheinlich beabsichtigten Weiterreise in einen dritten Staat sowie der fehlenden Verankerung im Bundesgebiet.

3. Während dieser Anhaltung wurde mit Bescheid vom 07.02.2020 gemäß § 12a Abs. 2 AsylG der faktische Abschiebeschutz aufgehoben. Die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 13.02.2020, XXXX , bestätigt. Das Asylfolgeverfahren ist derzeit noch nicht abgeschlossen.

4. Am 26.02.2020 wurden die Flugdaten für die begleitete Abschiebung am 30.03.2020 nach Marokko übermittelt und der Überstellungsvorgang fixiert. Dieser Flug (und damit die Abschiebung) musste aufgrund der weitgehenden Einstellung des internationalen Reiseverkehrs im Zuge der CoVid-19-Pandemie storniert werden.

5. Am 04.05.2020 langte der Verfahrensakt zur amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung gemäß § 22 Abs. 4 BFA-VG beim Bundesverwaltungsgericht ein. In einem beiliegenden Schreiben führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass Abschiebungen derzeit nur auf dem Landweg stattfinden könnten. Von der Möglichkeit der Abschiebung nach Wiederaufnahme des Flugverkehrs sei auszugehen. Der Beschwerdeführer habe sich bisher wiederholt dem Zugriff Österreichischer Behörden durch Aufenthalt im Verborgenen oder Weiterreise in andere Staaten entzogen. Seit Anordnung der Schubhaft sei er zudem zweimal (von 18.01.2020 bis 20.01.2020 sowie von 14.04.2020 bis 16.04.2020) in den Hungerstreik getreten.


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Betreffend den Beschwerdeführer liegt eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung (aus 2018) hinsichtlich seines Herkunftsstaates Marokko vor. Dem Beschwerdeführer kommt kein faktischer Abschiebeschutz zu. Marokko hat der Rücküberstellung des Beschwerdeführers bereits zugestimmt – eine Abschiebung (begleitet auf dem Luftweg) war bereits für 30.03.2020 terminisiert. Sie musste im Zusammenhang mit der CoVid-19-Pandemie storniert werden.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich seit 13.03.2016 fast ausschließlich in Justizanstalten und Polizeianhaltezentren gemeldet gewesen. Der Beschwerdeführer zeigte sich während seiner beiden Asylverfahren in Österreich nicht kooperativ und machte bewusst tatsachenwidrige Angaben zu seiner Identität (Name, Geburtsdatum) sowie zu seinem Herkunftsstaat. Die nunmehr im Spruch festgehaltene Identität beruht auf einer Auskunft von Interpol Rabat/Marokko.

Das Bundesamt hat die gesetzlich vorgesehene Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt und entsprechende Aktenvermerke verfasst. Der Beschwerdeführer wurde wegen der Begehung von Suchtmitteldelikten im Oktober 2017 zunächst zu einer bedingten (6 Monate) und im November 2017 ebenfalls wegen der Begehung von Suchtmitteldelikten zu einer unbedingten (10 Monate) Freiheitsstrafe verurteilt.

Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat (innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft) besteht weiterhin. Die schrittweise Rücknahme der gegenwärtigen Restriktionen im Zusammenhang mit Covid-19 ist bereits angelaufen – für den internationalen Luftverkehr ist sie in einigen Wochen zumindest in einem reduzierten Ausmaß (das Abschiebungen ermöglicht) zu erwarten.

Die absehbare weitere Dauer der Anhaltung in Schubhaft ist nach derzeitigem Stand – kooperatives Verhalten des Beschwerdeführers vorausgesetzt – mit wenigen Monaten einzustufen. Eine Abschiebung im Sommer 2020 ist jedenfalls realistisch. Das Erfordernis einer HRZ-Ausstellung und die dadurch bedingte Anhaltedauer nach Schubhaftanordnung im Jänner 2020 sind allein dem Beschwerdeführer zuzurechnen.

Der Beschwerdeführer ist Asylwerber; es kommt ihm allerdings kein faktischer Abschiebeschutz zu. Er ist in besonderem Ausmaß nicht vertrauenswürdig. Er ist in Österreich in keiner Form integriert, spricht nicht Deutsch und verfügt über keine familiären oder substanziellen sozialen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Zudem verfügt er über keine gesicherte Unterkunft und ist mittellos. Der Beschwerdeführer ist abseits von Schlafstörungen und des aktenkundigen Suchtmittelkonsums grundsätzlich gesund und arbeitsfähig sowie jedenfalls haftfähig.

Für eine erhöhte Gefährdung hinsichtlich einer Infektion mit Covid-19 während der laufenden Anhaltung im Polizeianhaltezentrum gibt es keinen Hinweis.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus der Aktenlage im gegenständlichen Verfahren sowie den Gerichts- und Verwaltungsakten zu seinen Asylverfahren von März 2016 und Juni 2016 (in denen die Bescheide erster Instanz in Rechtskraft erwuchsen) sowie der jüngsten Rückkehrentscheidung ( XXXX ). Die Feststellungen bezüglich der Meldeadressen des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Aktenlage. Die Feststellungen zu den strafrechtlichen Verurteilungen sind dem Strafregister entnommen. Der Beschwerdeführer hat im Asylverfahren nachweislich unterschiedliche Angaben zu seiner Identität und seinem Herkunftsstaat gemacht – was aus den Akten zweifelsfrei ersichtlich ist.

2.2. Die realistische Möglichkeit der Rücküberstellung ergibt sich aus der diesbezüglich grundsätzlich problemlosen Zusammenarbeit mit den Vertretungen und Behörden des Herkunftsstaates. Abschiebungen finden regelmäßig statt. Die Abschiebung des Beschwerdeführers war auch bereits fixiert und musste lediglich wegen des Auftretens der gegenwärtigen Pandemie (CoVid-19) storniert werden. Es ist davon auszugehen, dass in einigen Wochen der internationale Luftverkehr (nicht zwingend der allgemeine Reiseverkehr) wiederaufgenommen wird – womit auch (begleitete) Abschiebungen wieder möglich sind. Da eine Zustimmung Marokkos zur Rückübernahme vorliegt, ist damit eine Abschiebung im Sommer 2020 realistisch.

Die bisherigen Ermittlungs- und Prüfungsverfahren sind allein dem Beschwerdeführer zuzurechnen, weil er ohne Dokumente durch Europa reiste und bei Behördenkontakten bewusst tatsachenwidrige Behauptungen zu seiner Identität und Staatsangehörigkeit machte.

2.3. Die Feststellungen zur fehlenden Integration des Beschwerdeführers und seiner Vermögenslage ergeben sich aus der Aktenlage. Die in besonderem Maße geminderte Vertrauenswürdigkeit ergibt sich aus den vom Beschwerdeführer in den Asylverfahren bewusst getätigten falschen Angaben zu seiner Person und der Begehung von Straftaten sowie dem wiederholten Aufenthalt im Verborgenen. Hinweise für ein Fehlen der Haftfähigkeit oder gröbere gesundheitliche Probleme sind im Verfahren nicht hervorgetreten. Zudem befand sich der Beschwerdeführer vor Anordnung der Schubhaft regelmäßig in Strafhaft, Schubhaft oder anderen Formen der behördlichen Freiheitsentziehung.

3. Rechtliche Beurteilung:

(…)

Gemessen also an § 76 Abs. 3, konkret an dessen ersten Satz „liegt eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 - immer noch - vor, da „bestimmte Tatsachen“, nämlich jene bereits im Rahmen der angeführten Beweiswürdigung relevierten, indizieren, dass sich der Beschwerdeführer einer drohenden Abschiebung in den Herkunftsstaat entziehen wird.

Die Gründe, aus denen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Schubhaft anordnete, haben sich seither nicht geändert und erweisen sich als grundsätzlich nachvollziehbar. Insbesondere hat der Beschwerdeführer das Kriterium der Ziffer 1 des § 76 Abs. 3 FPG durch bewusst falsche Angaben zu seiner Identität im Rahmen des Asylverfahrens erfüllt und sich bereits mehrfach ins Ausland abgesetzt (Ziffer 6).

Mit der Anordnung gelinderer Mittel kann dementsprechend weiterhin nicht das Auslangen gefunden werden. Angesichts (in besonderem Umfang) fehlender persönlicher Vertrauenswürdigkeit – siehe dazu auch die wiederholte Nutzung falscher Identitätsangaben und die Straffälligkeit fast unmittelbar nach der ersten Asylantragstellung – kommen diese schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Betracht.

Der Beschwerdeführer war bei Anordnung der Schubhaft haftfähig und ist dies auch weiterhin.

Verzögerungen im Zusammenhang mit der Abschiebung, die in der Sphäre des Bundesamtes liegen würden, sind nicht zu erkennen. Vielmehr hätte die Abschiebung bereits am 30.03.2020 erfolgen sollen und musste lediglich pandemiebedingt storniert werden.

Die (zum Entscheidungszeitpunkt) voraussichtliche Dauer der Anhaltung ergibt sich aus den oben angeführten Umständen. Es kann gegenwärtig auch keine erhöhte Infektionsgefahr hinsichtlich Covid-19 während der laufenden Anhaltung in Schubhaft festgestellt werden. Substanzielle gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers sind nicht aktenkündig.

Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft gegeben ist.(…)“

Die Verwaltungsbehörde übermittelte am 03.06.2020 zum Zwecke der Überprüfung der Schubhaft im Sinne des § 22a Abs. 4 BFA-VG die Verwaltungsakten womit "die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht gilt".

Mit E-Mail vom 03.06.2020 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) folgende Stellungnahme:

„Das Bundesamt informiert über gegenständliches Verfahren, in welchem ein Mandatsbescheid gem. § 76 Abs. 2 Z 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG ergangen ist.

Oa. Fremde befindet sich seit 16.01.2020 in Schubhaft.

Übersicht zum Verfahren:

Die VP ist zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt, jedenfalls vor dem 13.03.2016, illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist.

Er stellte am 13.03.2016 bei einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der LPD Wien einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher am 15.03.2016 zugelassen und beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingebracht wurde.

Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 07.04.2016, XXXX abgewiesen, ihm der Status des Asylberechtigten und der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und seine Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Marokko verfügt.

Gegen den Bescheid des Bundesamtes brachte er keine Beschwerde ein, der Bescheid erwuchs mit 10.05.2016 in I. Instanz in Rechtskraft.

Ab 16.04.2016 war er unbekannten Aufenthaltes, für die Behörden nicht greifbar und entzog sich somit dem Verfahren.

Am 14.06.2016 wurde er gemäß dem Dubliner Übereinkommen von der Schweiz nach Österreich überstellt. In der Folge wurde mit Bescheid des BFA vom 14.06.2016 ( XXXX ) über ihn gem § 76 Absatz 2 Ziffer 1 FPG die Schubhaft verhängt.

Gegen diesen Bescheid erhob er das Rechtsmittel der Beschwerde.

Weiters stellte die VP am 14.06.2016 im Stande der Schubhaft einen weiteren Asylantrag.

Mit Erkenntnis des BVwG vom 22.06.2016 ( XXXX ), wurde die Beschwerde gem. § 22a Abs 1 BFA-VG idgF iVm § 76 Abs 2 Z 1 FPG als unbegründet abgewiesen.

Mit Bescheid des BFA vom 22.06.2016 wurde sein Antrag gemäß § 68 Absatz 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde Ihm nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 FPG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen. Es wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Marokko zulässig ist. Dieser Bescheid erwuchs in erster Instanz am 09.07.2016 in Rechtskraft.

Am selben Tag, mit 22.06.2016, trat er in den Hungerstreik.

Am 27.08.2016 wurde er auf Grund der zeitlich nicht absehbaren Erlangung eines HRZ aus der Schubhaft entlassen. Am selben Tag wurde Ihm die Verpflichtung zur Ausreise nachweislich übergeben.

Nach seiner Entlassung aus der Schubhaft war er wiederum ohne aufrechte Meldung im Bundesgebiet, für die Behörden nicht greifbar und hat sich diesen entzogen.

In weiterer Folge reiste er durch die Mitgliedstaaten Niederlande (23.12.2016), Dänemark (05.04.2017), Deutschland (18.04.2017) und Schweden. Da er sich den Dublin-Verfahren bzw. den jeweiligen Behörden der jeweiligen Mitgliedstaaten immer wieder entzog, erfolgte seine Dublin Überstellung erst am 03.08.2017, aus Schweden.

Nach seiner Überstellung am 03.08.2017 wurde er im XXXX , untergebracht. Mit 08.08.2017 wurde er auf Grund unbekannten Aufenthaltes amtswegig abgemeldet. Er war somit erneut unstet im Bundesgebiet aufhältig und entzog sich bewusst den Behörden.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 18.10.2017 ( XXXX ) wurde er wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 2a SMG zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Gem. § 43 Abs 1 1 StGB wurde die verhängte Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 21.11.2017 ( XXXX ) wurde er wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 2a SMG bzw. nach §§ 15 StGB, 27 Abs 2a SMG und § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 10 Monaten verurteilt.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.12.2017 zu Zahl: XXXX wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 1 Ziffer 1 FPG und ein auf 5 Jahre befristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz erlassen. Weiters wurde festgestellt dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Marokko zulässig ist. Einer Beschwerde wurde gemäß § 18 Absatz 2 Z. 1 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Gegen diesen Bescheid erhob er fristgerecht Beschwerde.

Mit Erkenntnis des BVwG vom 16.01.2018 zu Zahl: XXXX wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Bescheid erwuchs mit selben Tag in Rechtskraft.

Im Strafregister der Republik Österreich - geführt von der Landespolizeidirektion Wien - scheinen folgende Verurteilungen auf:

01) LG XXXX vom 18.10.2017 RK 18.10.2017

§ 27 (2a) SMG

Datum der (letzten) Tat 30.08.2017

Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

zu LG XXXX 18.10.2017

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG XXXX vom 21.11.2017

02) LG XXXX vom 21.11.2017 RK 21.11.2017

§§ 27 (1) Z 1 1. Fall, 27 (1) Z 1 2. Fall, 27 (2) SMG

§ 27 (2a) SMG

§ 15 StGB § 27 (2a) SMG

Datum der (letzten) Tat 22.10.2017

Freiheitsstrafe 10 Monate

Datum der (letzten) Tat 22.10.2017

Freiheitsstrafe 10 Monate

Gesamt sind zu seiner Person folgende EURODAC Treffer ersichtlich:

Abbildung 1: Entnommen Eurodac: Zentralsystem abgerufen am 16.01.2020

Er war von 22.08.2018 bis 11.10.2018 in der Justizvollzugsanstalt XXXX in Strafhaft.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.08.2018 zu Zahl: XXXX wurde gegen ihn die Schubhaft gemäß § 76 Absatz 2 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz erlassen.

Mit mündlich verkündetem Erkenntnis des BVwG vom 08.05.2019 zu Zahl: XXXX wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht mehr vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft nicht verhältnismäßig ist.

Er war von 11.10.2018 bis 08.05.2019 in Schubhaft.

Er verfügte seit der Entlassung aus der Schubhaft 08.05.2019 über keine aufrechte Meldeadresse in Österreich.

Er ist seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und hat sich stattdessen nach Deutschland abgesetzt.

Am 04.12.2019 wurde durch den Mitgliedsstaat Deutschland gem. EU-Verordnung Nr. 604/2016 ein Aufnahmegesuch gestellt.

Am 05.12.2019 wurde gemäß Artikel 18.1.d Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Rates der Übernahme seiner Person zugestimmt.

Am 06.01.2020 wurde von Deutschland die Übermittlung von Daten vor einer Überstellung nach Artikel 31 Abs. 4 der EU-Verordnung Nr. 604/2013 veranlasst.

Am 15.01.2020 wurde die VP aus Deutschland überstellt.

Er hat am 15.01.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz (weiterer Folgeantrag) gestellt. Er wurde am 15.01.2020 von der Polizei festgenommen. In weiterer Folge wurde er ins Polizeianhaltezentrum XXXX gebracht.

Am 15.01.2020 wurde er vom Polizeianhaltezentrum XXXX ins Polizeianhaltezentrum XXXX zur amtsärztlichen Untersuchung vorgeführt.

Am 15.01.2020 stellte der Polizeiarzt seine Haftfähigkeit fest.

Am 29.01.2020 wurde ihm vom BFA die Mitteilung gem § 29 Abs 3 iVm § 15a AsylG (Mitteilung mit Verfahrensanordnung, dass beabsichtigt ist seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen) zugestellt.

Mit mündlich verkündetem Bescheid des BFA vom 07.02.2020 wurde ihm gem § 12 a Abs 2 AsylG der faktische Abschiebeschutz aufgehoben. Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes wurde mit Beschluss des BVwG vom 13.02.2020 Zahl XXXX für rechtmäßig erklärt. Und erwuchs somit mit 13.02.2020 in 2. Instanz in Rechtskraft.

Bereits am 28.05.2019 ging eine Verbalnote der marokkanischen Botschaft beim BFA ein, wonach einer Abschiebung nach Marokko und somit der Ausstellung eines HRZ für Marokko im Falle einer Flugbuchung zugestimmt wurde.

Am 26.02.2020 wurden der Botschaft die Flugdaten übermittelt. Eine Abschiebung mit Begleitbeamten war im Vorfeld für den 30.03.2020 gebucht und fixiert worden.

Aufgrund der COVID-19 Krise musste der Flug und somit die Abschiebung storniert werden.


Aufgrund vorangeführter Übersicht zum Verfahren erlaubt sich das BFA folgendes auszuführen:

Wie bereits dargelegt zeigt sich das BFA entschlossen die Abschiebung der VP nach Marokko durchzuführen. Die Stornierung der bereits erfolgten Flugbuchung entstand aufgrund der nicht möglichen Flüge seit Bestehen der COVID-19 Krise.

Dass eine Abschiebung erst für März 2020 geplant und gebucht werden konnte ist in der Person der VP gelegen, indem sich diese mehrmals dem Verfahren durch Flucht in einen Mitgliedstaat entzog!

Weiters versuchte er während der am 16.01.2020 verhängten Schubhaft die Freilassung durch Hungerstreik zu erreichen.

Folgende Hungerstreikmeldungen gingen beim BFA ein:

Beginn am 18.01.2020 – Ende am 20.01.2020

Beginn am 14.04.2020 – Ende am 16.04.2020

Die VP zeigt durch Ihr wiederholtes Untertauchen und Ihr mehrjähriges Leben im Verborgenen, durch Angabe mehrerer Identitäten, durch das Begehen von nicht unerheblichen Strafrechtsdelikten, dem Nichtnachkommen von Behörden- und Gerichtsentscheidungen, ihrem Hungerstreik usw. seit jeher und bis dato anhaltend, dass Sie nicht gewillt ist, Behörden- und Gerichtsentscheidungen zu akzeptieren bzw. zu befolgen und sich an die ho. Gesetze zu halten.

Das Gesamtverhalten vor und während der Schubhaft lässt für die Behörde keinen anderen Rückschluss zu, als dass eine erhebliche Fluchtgefahr bei der VP besteht und von Ihr eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, sowie für die Allgemeinheit ausgeht.

Bezüglich der Situation im Zusammenhang mit „COVID-19“ wird mitgeteilt, dass derzeit Außerlandesbringungen noch stattfinden, jedoch auf den Landweg beschränkt sind. Eine Flugabschiebung ist derzeit nicht möglich. Hätte sich die VP in der Vergangenheit nicht laufend den Behörden entzogen bzw. sich selbst um eine Rückkehr in den Herkunftsstaat bemüht, hätte eine Außerlandesbringung zeitlich weit vor Beginn der „COVID-19“-Krise durchgeführt werden können und ist die weiter andauernde Anhaltung ausschließlich der VP zuzurechnen. Sowohl die österreichische Bundesregierung, als auch die Regierungen und Behörden weltweit sind mit Nachdruck bemüht, das COVID-19-Virus einzudämmen und so rasch als möglich wieder einen „normalen“ Zustand des täglichen Lebens und somit auch des Personenverkehrs zwischen den einzelnen Staaten zu schaffen. Mit diesem Hintergrund ist es nicht auszuschließen, dass eine Außerlandesbringung per Flugzeug bis wiedereinsetzen des Flugverkehrs wieder möglich ist, da die Verbalnote (Ausstellung eines HRZ bei Flugbuchung) der Botschaft nach wie vor aufrecht ist. Der Zweck der Schubhaft ist daher noch immer erreichbar.

Mit 29.04.2020 wurde der Sachverhalt erstmals gem § 22a Abs 4 BFA-VG dem BVwG zur Prüfung vorgelegt und mit 15.05.2020 erkannte das BVwG die Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft.

Bis dato konnte aufgrund der COVID-19 Situation kein Flug für die VP zustande gebracht werden. Letztmalig wurde am 03.06.2020 wegen einer eventuellen Buchung und Abschiebung nach Marokko angefragt, wobei mitgeteilt wurde, dass bis auf Weiteres sind keine Rückführungen nach Marokko möglich sind. Sobald wieder Flüge nach Marokko durchgeführt werden können wird dies unverzüglich mitgeteilt und ein Flug für die VP gebucht werden.(…)

Es wird beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge

1.       die Schubhaft zu o.a. Verfahrenszwecke weiter aufrechterhalten.

Bemerkungen zum Verfahren:

?        Fremder in Schubhaft.

?        Identifizierung und Verbalnote der marokkanischen Botschaft (Zusage der Ausstellung eines HRZ auch bei neuerlicher Flugbuchung).“

In einer ergänzenden Stellungnahme vom 04.06.2020 führte das BFA Folgendes aus: „Lt Rücksprache mit den entsprechenden Abteilungen des BFA wird mit Flügen außerhalb des europäischen Kontinentes mit Mitte - Ende Juni gerechnet.“


Das Bundesverwaltungsgericht hat von Amts wegen erwogen:

1. Feststellungen:

Der angeführte Verfahrensgang und die zitierten Entscheidungsgründe des Vorerkenntnisses werden übernommen und zu Feststellungen in der gegenständlichen Entscheidung erhoben; ebenso die von der Verwaltungsbehörde in ihren Stellungnahmen anlässlich der Aktenvorlage angeführten Ausführungen u. a. zum Heimreisezertifikat.

Auf der Tatsachenebene liegt keine Änderung - die Fluchtgefahr betreffend - vor.

Der BF ist haftfähig, es sind keine Umstände hervorgekommen, dass die weitere Inschubhaftnahme unverhältnismäßig wäre.

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang, die getroffenen Feststellungen und die Haftfähigkeit des BF ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Behörde und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes, insbesondere dem zitierten Vorerkenntnis. Auch die Feststellungen des Vorerkenntnisses werden der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.

Im Besonderen ist hervorzuheben, dass der Beschwerdeführer von der Marokkanischen Botschaft bereits als marokkanischer Staatsangehöriger identifiziert wurde. Seitens der Marokkanischen Botschaft wurde mit Verbalnote der Ausstellung eines Heimreisezertifikates - bei Flugbuchung - zugestimmt. Eine Abschiebung des Beschwerdeführers mit Begleitbeamten war bereits für den 30.03.2020 gebucht und fixiert worden. Aufgrund der COVID-19 Krise musste der Flug und somit die Abschiebung storniert werden. Mit Flügen außerhalb Europas ist ab Mitte / Ende Juni 2020 zu rechnen. Sobald der Flugbetrieb wieder aufgenommen wird, wird unverzüglich ein Flug für den Beschwerdeführer gebucht werden.


3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. – Fortsetzung der Schubhaft

Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG idgF die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

Gemäß § 76 Abs 1 FPG idgF können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

Die Schubhaft darf gemäß § 76 Abs 2 FPG idgF nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

§ 76 Abs. 3 FPG idgF lautet:

Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise - wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG - erreicht werden ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig.

§ 80 FPG idgF lautet:

(1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1.         drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2.         sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1.         die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2.         eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3.         der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4.         die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.


Zur Judikatur:

Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auf Art 1 Abs. 3 PersFrSchG 1988 hinzuweisen, aus dem sich das für alle Freiheitsentziehungen geltende Gebot der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit ergibt, deren Prüfung im Einzelfall eine entsprechende Interessenabwägung verlangt. Für die Schubhaft ergibt sich das im Übrigen auch noch aus der Wendung "... wenn dies notwendig ist, um ..." in Art 2 Abs. 1 Z 7 PersFrSchG 1988. Dementsprechend hat der VfGH - nachdem er bereits in seinem Erkenntnis vom 24.06.2006, B 362/06, die Verpflichtung der Behörden betont hatte, von der Anwendung der Schubhaft jedenfalls Abstand zu nehmen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig und verhältnismäßig ist - in seinem Erkenntnis vom 15.06.2007, B 1330/06 und B 1331/06, klargestellt, dass die Behörden in allen Fällen des § 76 Abs. 2 FrPolG 2005 unter Bedachtnahme auf das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Der VwGH hat dazu beginnend mit dem Erkenntnis vom 30.08.2007, 2007/21/0043, mehrfach festgehalten, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 Abs. 2 FrPolG 2005 gestützt werden soll, stets nur ultima ratio sein dürfe.“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kann stets nur dann rechtens sein, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich infrage kommt. Die begründete Annahme, dass eine Aufenthaltsbeendigung erfolgen wird, ist dabei ausreichend. Dass die Effektuierung mit Gewissheit erfolgt, ist nicht erforderlich (vgl. dazu etwa VwGH 07.02.2008, Zl. 2006/21/0389; VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/21/0039). Steht hingegen von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Anderenfalls erwiese sich die Schubhaft nämlich als für die Erreichung des Haftzweckes (der Abschiebung) "nutzlos". Umgekehrt schadet es - wie sich aus den Verlängerungstatbeständen des § 80 FPG ergibt - nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen. Den erwähnten Verlängerungstatbeständen liegt freilich zugrunde, dass die infrage kommenden Hindernisse längstens innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer beseitigt werden. Ist hingegen bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht binnen dieser Frist zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers von Anfang an nicht verhängt werden. Dasselbe gilt, wenn während der Anhaltung in Schubhaft Umstände eintreten, aus denen erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann. (vgl. VwGH 11.06.2013, Zl. 2013/21/0024, zum Erfordernis einer Prognosebeurteilung, ob die baldige Ausstellung eines Heimreisezertifikates trotz wiederholter Urgenzen durch das Bundesministerium für Inneres angesichts der Untätigkeit der Vertretungsbehörde des Herkunftsstaates zu erwarten ist; vgl. VwGH 18.12.2008, Zl. 2008/21/0582, zur rechtswidrigen Aufrechterhaltung der Schubhaft trotz eines ärztlichen Gutachtens, wonach ein neuerlicher Versuch einer Abschiebung des Fremden in den nächsten Monaten aus medizinischen Gründen nicht vorstellbar sei).

Aufgrund der zitierten gesetzlichen Bestimmungen hat die Behörde nach § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht die Verwaltungsakten zur amtswegigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der weiteren Anhaltung, welche über die Viermonatsfrist gehen solle, vorzulegen. Dabei hat sie darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig wäre. Es ist Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes hierüber im Verfahren eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit durchzuführen und hat sich im Rahmen dieser Überprüfung auch im Hinblick auf die vorzunehmende Zukunftsprognose für das Gericht ergeben, dass eine weitere Anhaltung weiter als verhältnismäßig angesehen werden kann.

Der Verwaltungsgerichthof führte in seiner Entscheidung vom 30.08.2018 (Ra 2018/21/0111) Folgendes aus: „In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG 2014 ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG 2014 - einen neuen Hafttitel dar. Über vor oder nach der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen. Ein Erkenntnis nach § 22a Abs. 4 BFA-VG 2014 steht daher einer Beschwerde nach § 22a Abs. 1 BFA-VG 2014, mit der die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von vor oder nach der Erlassung des Erkenntnisses liegenden Haftzeiten begehrt wird, nicht entgegen.“

Aufgrund der Kriterien des § 76 Abs. 3 Z 1 FPG liegt weiterhin Fluchtgefahr vor und ist auch Sicherungsbedarf gegeben. Insbesondere zu berücksichtigen ist, ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert. Die Schubhaft ist jedenfalls wegen Fluchtgefahr aufrechtzuerhalten, weil aus dem vergangenen und aktuellen Verhalten des Beschwerdeführers mit Sicherheit geschlossen werden kann, dass der Beschwerdeführer seine Abschiebung zu verhindern oder jedenfalls zu behindern beabsichtigt. Es ist zu betonen, dass bei Kooperation des Beschwerdeführers die Anhaltung in Schubhaft mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit schon früher hätte beendet werden können. Dass sie noch andauert - und damit nun auch von den Maßnahmen hinsichtlich der Covid-19-Pandemie betroffen war/ist - hat zu einem überwiegenden Teil der Beschwerdeführer zu verantworten. Die realistische Möglichkeit der Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftstaat – innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft – besteht weiterhin.

Der Beschwerdeführer hatte keine berücksichtigungswürdigen Umstände dargetan, wonach die Schonung seiner Freiheit das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würde. Die Schubhaft ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände und vor dem Hintergrund - dass mit Verbalnote der Marokkanischen Botschaft der Ausstellung eines Heimreisezertifikates bei Flugbuchung zugestimmt wurde - auch verhältnismäßig. Sobald der Flugbetrieb - Mitte/Ende Juni 2020 - wieder aufgenommen wird, wird unverzüglich ein Flug für den Beschwerdeführer gebucht werden.

In diesem Zusammenhang war auch die Straffälligkeit des Beschwerdeführers zu berücksichtigen und §76 Abs. 2a FPG anzuwenden: „(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.“

Das Verhalten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit schließt auch die Anordnung gelinderer Mittel aus.

Die getroffenen Feststellungen und ihre rechtliche Würdigung lassen im Hinblick auf ihre Aktualität und ihres Zukunftsbezuges keine - die Frage der Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft - ändernden Umstände erkennen.

Es war daher spruchgemäß festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.


Zu Spruchpunkt II. – Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie ausgeführt, sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

falsche Angaben Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft Identität Kooperation Mittellosigkeit öffentliche Interessen Pandemie Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft Untertauchen Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W140.2128773.10.00

Im RIS seit

11.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten