TE Bvwg Beschluss 2020/10/23 W129 2236003-2

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Veröffentlicht am 23.10.2020
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Entscheidungsdatum

23.10.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W129 2236003-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter DDr. Markus GERHOLD über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, Wattgasse 48, 3.Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.09.2020, Zl. 504717403/200115277, beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, hält sich seit 08.03.2010 durchgehend rechtmäßig in Österreich auf. Er stellte am 17.11.2009 erstmals einen Antrag auf Ausstellung einer Niederlassungsbewilligung für Familienangehörige; diese Bewilligung wurde erteilt und in weiterer Folge immer wieder verlängert (zuletzt bis 04.07.2022).

2. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 06.05.2020, 063 Hv 33/2020p, wurde der Beschwerdeführer (unter anderem) wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und fünfter Fall, Abs 2 Z 3 sowie Abs 4 Z 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

3. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 11.09.2020, Zl. 504717403/200115277, erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gem. § 52 Abs 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt 1.), stellte gem. § 52 Abs 9 FPG fest, dass seine Abschiebung in den Iran gem. § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt 2.), gewährte gem. § 55 Abs 4 FPG keine Frist für eine freiwillige Ausreise (Spruchpunkt 3.), aberkannte einer Beschwerde gem. § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt 4.) und verhängte gem. § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt 5.).

4. Mit Schriftsatz vom 08.10.2020 erhob der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde gegen diesen Bescheid.

5. Mit Begleitschreiben vom 12.10.2020, eingelangt am 16.10.2020, legte die belangte Behörde die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Die belangte Behörde setzte sich in ihrer Entscheidung nur ansatzweise mit dem bestehenden Familienleben sowie dem Kindeswohl auseinander, insbesondere mit den Auswirkungen auf die beiden minderjährigen Kinder im Alter von 4 und 7 Jahren. Es fehlen dazu substantiierte Erhebungsschritte. Dem Beschwerdeführer wurde zwar Gelegenheit gegeben, sich schriftlich zu einem bestimmten Fragenkatalog zum Privat- und Familienleben zu äußern; das vom Beschwerdeführer dort gezeichnete Bild ist das einer intakten und glücklichen Familie

Die Feststellung, dass kein Abhängigkeitsverhältnis besteht und damit kein Eingriff in das Familienleben gegeben ist, steht im Widerspruch zu den schriftlichen Angaben des Beschwerdeführers, dass er finanziell zur Miete, den Lebensmitteln und den Aufwendungen der Kinder beitrage.

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten bzw. eingescannten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und den durchgeführten Abfragen im IZR, ZMR und AJ-WEB. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen insoweit nicht vor, sodass sich eine eingehendere Beweiswürdigung erübrigt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde iSd Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG wie die vorliegende dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009). Von der Möglichkeit einer Zurückverweisung kann nur bei besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 28 VwGVG Anm 13), wie sie hier vorliegen.

Im gegenständlichen Fall kommt hinzu, dass die belangte Behörde vom Gericht eine Entscheidung innerhalb einer Woche einfordert, ohne alle Aspekte des Falles vollständig, zweifelsfrei und umfassend erhoben zu haben. Das gilt insbesondere in Bezug auf das Privat- und Familienleben des seit 2010 in Österreich aufhältigen, mit einer Aufenthaltsbewilligung ausgestatteten Beschwerdeführers. Es fand keine persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers statt, die schriftliche Beantwortung der dem Beschwerdeführer vorab übermittelten Fragen zum Privat- und Familienleben steht zum Teil im Widerspruch zu dem von der Behörde festgestellten Sachverhalt. Es mag zutreffend sein, dass der Beschwerdeführer vor seiner Inhaftierung an einer anderen Adresse gemeldet war als seine Ehefrau; es mag auch zutreffend sein, dass die Ehefrau sich im Verfahren vor der MA 40 (Verfahren zur Gewährung der Mindestsicherung) als Alleinerzieherin bezeichnet hat. Und zuletzt mag es zutreffend sein, dass das vom Beschwerdeführer in seinen schriftlichen Antworten gezeichnete Bild einer intakten Familie letztlich unrichtig ist und zu den sonstigen Ermittlungsergebnissen der belangten Behörde im Widerspruch steht. Diese Umstände wären dem Beschwerdeführer jedoch in einer persönlichen Einvernahme vorzuhalten gewesen. So ist nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, dass die Ehefrau im Verfahren vor der MA40 Falschangaben getätigt hat, welche im Widerspruch zu einem tatsächlichen Familienleben des Beschwerdeführers stehen.

Die vorliegende Aktenlage ist daher nicht ausreichend, um im gegenständlichen Fall die notwendige Abwägung zwischen dem Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet und dem öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung auch ohne persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers durchzuführen.

Die belangte Behörde wird sich mit dem Familien- und Privatleben, der Integration und der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet auseinanderzusetzen, entsprechende Feststellungen zu treffen und auf dieser Basis erneut eine Entscheidung zu treffen haben. Auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen ist noch keine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts möglich; dieser ist vielmehr in wesentlichen Teilen ergänzungsbedürftig.

Da zu den tragenden Sachverhaltselementen noch keine eindeutigen Beweisergebnisse vorliegen und zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden, ist eine meritorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes weder im Sinne einer Kostenersparnis noch einer Verfahrensbeschleunigung gegeben.

Im Ergebnis war angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Die Revision ist wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (siehe z.B. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Schlagworte

Ermittlungspflicht Kassation Kindeswohl mangelnde Sachverhaltsfeststellung öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W129.2236003.2.00

Im RIS seit

11.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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