Entscheidungsdatum
23.11.2020Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
L515 2230885-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. H. LEITNER als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Irene ALTENDORFER und den fachkundigen Laienrichter RR Johann PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice Landesstelle XXXX vom 27.03.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
1.) Soweit im angefochtenen Bescheid der Antrag in Bezug auf die beantragte Neufestsetzung des Grades der Behinderung abgewiesen wurde, wird die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF als unbegründet abgewiesen.
2.) Soweit im angefochtenen Bescheid der Antrag in Bezug auf die Zusatzeintragung in den Behindertenpass „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätsbeschränkung aufgrund einer Behinderung“ abgewiesen wurde wird der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF stattgegeben und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung in den Behindertenpass „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätsbeschränkung aufgrund einer Behinderung“ vorliegen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (auch: beschwerdeführende Partei bzw. "bP") ist seit 27.02.2018 aufgrund eines festgestellten Grades der Behinderung von 50 vH im Besitz eines Behindertenpasses.
I.2. Die bP beantragte am im Akt ersichtlichen Datum beim Sozialministeriumservice als belangte Behörde ("bB") unter Beifügung eines Befundkonvolutes die Neufestsetzung des Grades der Behinderung (bisheriger GdB: 50 vH) sowie die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätsbeschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass und die Ausstellung eines Parkausweises.
I.3. Die bP wurde am 27.02.2020 einer Begutachtung durch einen medizinischen Sachverständigen (FA f. Psychiatrie) zugeführt und wurde von diesem ein Gutachten erstellt. Das Gutachten ergab einen Gesamtgrad der Behinderung vom 50 v.H; die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde verneint.
I.4. Mit Schreiben vom 03.03.2020 informierte die bB die bP vom Ergebnis der Beweisaufnahme und forderte sie binnen zwei Wochen zur Stellungnahme auf. Am 11.03.2020 übermittelte die bP eine Stellungnahme, in welcher sie sich mit der Ablehnung der beantragten Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung wegen einer Behinderung“ als nicht einverstanden erklärte und legte nochmals ihre bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auftretenden Symptome dar.
I.5. Mit Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX , vom 27.03.2020 wurde der Antrag der bP auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung abgewiesen; mit einem Grad der Behinderung von 50% sei keine Veränderung des bisherigen Grades der Behinderung eingetreten. Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung“ würden nicht vorliegen. Das Gutachten des medizinischen Sachverständigen vom 02.03.2020 wurde dem Bescheid beigelegt. Mit einem zweiten Schreiben gleichen Datums wurde die bP unter Hinweis auf die Befristung des neuen Behindertenpasses bis 28.02.2023 aufgefordert, den alten Behindertenpass wegen Ungültigkeit der Behörde zu übermitteln.
I.6. Gegen diesen Bescheid erhob die bP mit Schreiben vom 27.05.2018 unter Verweis auf den beigefügten Befund des PSZW Eggenburg vom 24.01.2017 Beschwerde.
I.7. Auf Grund des –in Bezug auf den Entscheidungszeitpunkt durch die bB keinen neuen Sachverhalt und keine neuen Bescheinigungsmittel enthaltenden- Inhaltes Beschwerde sah sich die bB veranlasst, eine Beschwerdevorentscheidungsverfahren einzuleiten, weshalb sie am 12.05.2020 den ärztlichen Dienst ersuchte, einen anderen Arzt mit der Erstellung eines neuen Gutachtens zu beauftragen. Ein neues Gutachten wurde nicht erstattet. Auf Nachfrage des BVwG teilte die bB mit, dass wegen Überschreitung der 12 Wochenfrist und mangels Gutachter sich eine Untersuchung bis 27.05.2020 nicht mehr ausgegangen wäre.
I.8. Mit Schreiben vom 12.05.2020 erfolgte die Beschwerdevorlage an das Bundesverwaltungsgericht; diese langte am selben Tag hier ein.
I.9. Mit Beschluss vom 28.10.2020 entschied der erkennende Senat, spruchgemäß zu entscheiden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Das am 02.03.2020 (Begutachtung am 27.02.2020) von einem ärztlichen Sachverständigen (Facharzt für Psychiatrie) erstellte Gutachten weist nachfolgenden relevanten Inhalt auf:
„…
Anamnese:
Der Klient ist seit 2012 in psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung. Es fanden bisher 2 störungsspezifische Aufenthalte (2017 und 2019) in der Klinik Eggenburg statt. In der Vorgeschichte gibt es ein ADHS sowie eine kombinierte Persönlichkeitsstörung.
Derzeitige Beschwerden:
Der Klient beklagt wiederkehrend depressive Verstimmungen und Angstzustände. Er komme mit anderen Menschen nicht zurecht, kann mit ihnen schwer umgehen, fühlt sich teilweise auch bedroht. Er hat auch den Eindruck, dass über ihn gelegentlich gesprochen werde. Er bewege sich sehr viel draußen in der Natur, um sich Kontakten mit anderen Menschen nicht aussetzen zu müssen. Der Klient ist derzeit beim AMS. Das Rehageld wurde abgelehnt.
- In Bezug auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gibt er an, dass er diese nun nicht mehr benütze. Er vermeide solche Situationen gänzlich. Er würden dann Schwindelzustände, ein Gefühl wie auf Watte zu gehen und panikartige Angstzustände auftreten.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Fachärztliche Behandlung bei Dr. […].
- Psychotherapie bei Frau Mag. […] seit 2012 - Frequenz derzeit 3-wöchentlich.
- Medikamente:
- Strattera 60 mg 1-0-0-0
- Circadin 2 mg 0-0-0-1
- Melatonin 5 mg 0-0-0-1
- Trittico ret. 150 mg 0-0-0-1
[…]
Gesamtmobilität – Gangbild:
Status Psychicus:
Bewusstsein klar, orientiert, Antrieb vermindert, Affizierbarkeit im positiven Skalenbereich eingeschränkt, Stimmung depressiv, Duktus formal kohärent, inhaltlich teilweise paranoide Wahrnehmungen seiner Umgebung, keine Halluzinationen, Suizidgedanken werden verneint, Appetit gut, Durchschlafstörungen.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
1.) Rezidivierend depressive Störung - mittelgradig; ADHS; kombinierte Persönlichkeitsstörung, soziale Phobie
Bei dem Klienten gibt es eine komplexe Problematik mit wiederkehrend depressiven Phasen, aber auch dazwischen ist die Stimmung immer eher depressiv gefärbt. Weiters besteht eine kombinierte Persönlichkeitsproblematik mit emotional instabilen, passiv aggressiven und ängstlich vermeidenden Anteilen. Der Klient ist 2 x zur stationären Therapie in Eggenburg gewesen. Er ist seit mehreren Jahren in Psychotherapie und auch in fachärztlicher Kontrolle mit nur mäßigen Veränderungsmöglichkeiten bisher.
Pos. Nr. 03.06.02, GdB 50%
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Der Gesamtgrad der Behinderung wird durch die Nr. 1 mit 50% festgelegt.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
psychiatrisch keine
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:
Frau Dr. Feldinger vom 19.07.2018:
Übereinstimmung Pos. Nr. und Grad der Behinderung.
Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:
keine Änderung
Nachuntersuchung 02/2023 - da unter fortlaufender Therapie und je nach psychosozialen Rahmenbedingungen eine Änderung der psychischen Befindlichkeit eintreten kann.
[…]
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum? Der Klient hat aufgrund seiner psychischen Problematik grundsätzlich Probleme mit anderen Menschen umzugehen, hält Menschenansammlungen sehr schwer aus und es treten dann panikartige Zustände sowie teilweise auch eine paranoide Wahrnehmung auf. Er ist seit 2012 regelmäßig in psychotherapeutischer Behandlung und es fanden auch schon 2 störungsspezifische stationäre Behandlungsversuche statt. Die therapeutischen Möglichkeiten sind ausgeschöpft. Aus psychiatrischer Sicht ist dem Klienten derzeit die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel möglich. Klaustrophobie erscheint in den Befunden nicht als Diagnose.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor? Nein.
….“
1.2. In der Stellungnahme vom 11.03.2020 legt die bP nochmals ihre bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auftretenden Symptome dar, welche sich wie folgt äußern: Panikattacken, Unfähig sich zu bewegen, kann nicht aussteigen, Schwindelattacken bis zum Umfallen, paranoide Symptome, Zittern, Schwitzen, Herzrasen und Atemnot …
Sämtliche phobische Störungen würden seit 2017 nicht mehr als Einzeldiagnosen aufscheinen, weil diese im Rahmen einer umfassenden Diagnostik in der Klinik E. in die Diagnose „kombinierte Persönlichkeitsstörung“ mit emotional instabilen, passiv aggressiven und ängstlich vermeidenden Anteilen übergeleitet wurden. Der Fachstatus sei nie erhoben worden und decke sich auch nicht mit dem Protokoll der Untersuchung.
1.3. In ihrer am 15. 04.2020 bei der belangten Behörde eingelangten Beschwerde moniert die bP ohne nähere Angaben die ihrer Ansicht nach zu geringe Einschätzung des GdB. Sodann verwies die bP auf die widersprüchlichen Angaben im Sachverständigengutachten in Bezug auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel. Die bP habe im Rahmen ihrer psychischen Problematik grundsätzlich Probleme mit anderen Menschen umzugehen, halte Menschenansammlungen sehr schwer aus und es treten dann panikartige Zustände sowie teilweise auch eine paranoide Wahrnehmung auf. Die therapeutischen Möglichkeiten wären ausgeschöpft. Trotz dieser Diagnose stelle der Sachverständiger fest, dass der bP aus psychiatrischer Sicht derzeit die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel möglich sei. Ebenso habe der Sachverständige festgehalten, dass Klaustrophobie in den Befunden nicht als Diagnose aufscheine. Eine Prognose lasse das Sachverständigengutachten vermissen. Die mit der Covid 19 Pandemie einhergehenden Beschränkungen, wie das Tragen von Schutzmasken in öffentlichen Verkehrsmitteln, hätten seine Störungen verschlechtert, da die Menschen mit den Masken furchteinflößend wirken würden und auch die Passagieranzahl sei deutlich angestiegen. Die Angaben im Pkt „Klinischer Status – Fachstatus“ können unmöglich stimmen, da keine körperliche Untersuchung stattgefunden habe. In weiterer Folge werden noch Ausführungen, die die bP bereits in der Stellungnahme vom 11.03.2020 getätigt hat, wiederholt.
1.4. Die gutachtlichen Ausführungen in Bezug auf den festgestellten Grad der Behinderung werden zu den Feststellungen im gegenständlichen Erkenntnis erhoben.
Im Zusammenhang mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist davon auszugehen, dass die bP im Rahmen ihrer psychischen Problematik grundsätzlich Probleme habe, mit anderen Menschen umzugehen, sie hält Menschenansammlungen sehr schwer aus und es treten dann panikartige Zustände, sowie teilweise auch eine paranoide Wahrnehmung auf. Es treten Panikattacken, die Unfähig sich zu bewegen, die Unfähigkeit das öffentliche Verkehrsmittel zu verlassen, Schwindelattacken bis zum Umfallen, paranoide Symptome, Zittern, Schwitzen, Herzrasen und Atemnot auf. Die therapeutischen Möglichkeiten sind ausgeschöpft.
2. Beweiswürdigung
2.1. Aufgrund des vorliegenden Verwaltungsaktes ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen (VwGH 28.09.1978, Zahl 1013, 1015/76).
Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).
Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).
Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der gegen die Gutachten gerichteten sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, GZ 0705/77).
Ebenso kann die Partei Sachverständigengutachten erfolgreich bekämpfen, ohne diesem auf gleichem fachlichem Niveau entgegentreten zu müssen, wenn es Widersprüche bzw. Ungereimtheiten im Gutachten aufzeigt (vgl. z. B. VwGH vom 20.10.2008, GZ 2005/07/0108).
Unter dem Blickwinkel der Judikatur der Höchstgerichte, insbesondere der zitierten Entscheidungen, ist das im Verfahren zuletzt eingeholte Sachverständigengutachten schlüssig, soweit es den Grad der Behinderung der bP darstellt.
Nach Würdigung des erkennenden Gerichtes erfüllt es in diesem Punkt auch die an ein ärztliches Sachverständigengutachten gestellten Anforderungen. Die getroffenen Einschätzungen entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen.
Soweit sich das seitens der bB der Entscheidungsfindung zu Grunde gelegte Gutachten auf den festgestellten Grad der Behinderung bezieht, trat die bP dem Gutachten weder auf gleichem fachlichem Niveau entgegen, noch zeigte sie Unschlüssigkeiten im Gutachten auf.
1.5. Soweit im Gutachten Feststellungen zur Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel getroffen werden, ist einleitend Festzuhalten, dass es sich bei der Frage der Unzumutbarkeit um keine Rechts- sondern um eine Tatsachenfrage handelt, welche nicht vom Sachverständigen, sondern von der Behörde zu lösen ist (Erk. d. VwGH vom 23.5.2012, 2008/11/0128). Die Rolle des Sachverständigen erschöpft sich in der Feststellung es maßgeblichen Sachverhaltes.
Ebenso ist festzuhalten, dass die Behörde vor der Erlassung des Bescheides den maßgeblichen Sachverhalts (§ 37 AVG) vollständig zu ermitteln und ihrer Entscheidung zu Grunde zu legen hat, wobei sich dieser bei antragsbedürftigen Verfahren im Wesentlichen aus der Begründung des Antrages ergibt.
Laut herrschender Judikatur kommt im gegenständlichen Fall ärztlichen Attesten die gleiche Beweiskraft zu wie ärztlichen Sachverständigengutachten, zumal es auf die innere Wahrheit eines Beweismittels ankommt (VwSlgNF 2453 A).
Auch steht es dem ho. Gericht frei, die vorliegenden ärztlichen Atteste und Gutachten einer Schlüssigkeitsprüftung zu unterziehen und im Rahmen der freien Beweiswürdigung untereinander abzuwägen, ohne ein weiteres Gutachten („Übergutachten“) einzuholen.
Im gegenständlichen Verfahren sind sowohl die bP als auch die bB Verfahrensparteien und kommt ihnen sowohl die Rechte als auch die Pflichten einer Partei zu. Hierzu zählt auch die Obliegenheit zur Mitwirkung an der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts bzw. der Förderung des Verfahrens (vgl. § 39 Abs. 2a AVG) und ist das ho. Gericht berechtigt, die unterlassene Mitwirkung im Verfahren (idR zu Lasten jener Partei, welche nicht in der entsprechenden Weise mitwirkte [(VwGH 26.2.2002, 2001/11/0220; Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht, 3. Auflage, S 172 mwN) im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen.
Im Lichte der oa. Ausführungen ist daher festzuhalten, dass, wenn es der belangten Behörde obliegt, den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln und sie diese Ermittlungen unterlässt, das Verwaltungsgericht berechtigt ist, aus der unterlassenen Vornahme dieser Ermittlungstätigkeit die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.
In seinem Urteil vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 befasste sich der EuGH mit der Frage, ob nationale Bestimmungen, welche dem Verwaltungsgericht die amtswegige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts –bei entsprechender Untätigkeit der Behörde- der in der europarechtlichen Judikatur geforderten Objektivität und Unvoreingenommenheit des Gerichts entgegenstehen. Nach seiner Ansicht können die Gerichte nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281) diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben. Der EuGH führte weiters aus, dass die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, im Licht des Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Verfahrensregelung, nach der in Verwaltungsverfahren das Gericht, bei der Prüfung des maßgeblichen Sachverhalts die Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln hat, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung nicht zur Folge hat, dass das Gericht an die Stelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zu treten hat, denen es obliegt, die Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das Gericht eine entsprechende Prüfung durchführen kann. Die Ausführungen des EuGH beziehen sich zwar auf ein Verwaltungsstrafverfahren, sie sind nach ho. Ansicht jedoch auch im gegenständlichen Fall aufgrund der vergleichbaren Interessenslage anwendbar.
Im Rahmen der oa. Ausführungen ist festzuhalten, dass die bP im Rahmen ihrer Obliegenheit zur Mitwirkung im Verfahren schlüssig und konkret die Folgen der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in Bezug auf ihre Person beschrieb, diese durch die Vorlage von unbedenklichen Unterlagen auch bescheinigte und die bB keine schlüssigen und nachvollziehbaren Ermittlungen durchführte, aus denen Gegenteiliges bzw. das Vorbringen der bP Widerlegendes erschließbar wäre. Auch legte die bB nicht schlüssig und nachvollziehbar dar, ob und warum sie den amtswegig herbeigeschafften Bescheinigungsmitteln im Rahmen der freien Beweiswürdigung einen höheren Beweiswert als dem Vorbringen der bP und den von ihr vorgelegten Bescheinigungsmitteln einräumt. Das ho. Gericht geht daher im Lichte der vorliegenden Beweismittel im Rahmen der freien Beweiswürdigung der bP folgend davon aus, dass Menschenansammlungen zu einer schweren psychischen Belastung der bP führen und in solchen Fällen panikartige Zustände sowie teilweise auch eine paranoide Wahrnehmung auftreten. Konkret treten in öffentlichen Verkehrsmitteln nachfolgende Symptome auf: Panikattacken, Unfähig sich zu bewegen, die Unfähigkeit das öffentliche Verkehrsmittel zu verlassen, Schwindelattacken bis zum Umfallen, paranoide Symptome, Zittern, Schwitzen, Herzrasen und Atemnot.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
3.1.2. Gem. § 45 Abs. 3 BBG, BGBl. Nr. 283/1990 idgF entscheidet in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung das Bundesverwaltungsgericht durch den Senat.
3.1.3. Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Gemäß § 45 Abs. 4 BBG hat bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
Gemäß § 45 Abs. 5 BBG entsendet die im § 10 Abs. 1 Z 6 des BBG genannte Vereinigung die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 des BBG anzuwenden. Für jede Vertreterin und jeden Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.
In Anwendung des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG iVm § 45 Abs. 3 BBG wird die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes in der zugrundeliegenden Beschwerdeangelegenheit begründet und fällt die Entscheidung der gegenständlichen Rechtssache jenem Richtersenat zu, der unter Berücksichtigung der zitierten Bestimmungen in der Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes dafür vorgesehen ist. Der erkennende Senat ist daher in diesem Beschwerdeverfahren zuständig.
3.1.4. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.1.5. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
3.1.6. Als entscheidungsrelevante Rechtsgrundlagen sind im gegenständlichen Verfahren insbesondere anzuführen:
- Bundesverfassungsgesetz B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idgF
- Bundesbehindertengesetz BBG, BGBl. Nr. 283/1990 idgF
- Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010 idgF
- Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idgF
- Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF
- Verwaltungsgerichtshofgesetz VwGG, BGBl. Nr. 10/1985 idgF
- Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idgF
Nachfolgende Bestimmungen beziehen sich auf die im Pkt. 3.1. angeführten Rechtsgrundlagen in der jeweils geltenden Fassung.
3.2. Zu Spruchpunkt A:
Gemäß § 1 Abs 1 BBG soll Behinderten und von konkreter Behinderung bedrohten Menschen durch die in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Maßnahmen die bestmögliche Teilnahme am gesellschaftlichen Leben gesichert werden.
Gemäß § 1 Abs. 2 BBG ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
Gemäß § 40 Abs. 2 BBG ist behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376.
Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
Gemäß § 41 Abs. 2 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
Gemäß § 42 Abs. 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 42 Abs. 2 BBG ist der Behindertenpass unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
Gemäß § 43 Abs. 1 BBG hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, sofern Änderungen eintreten, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpass berührt werden, erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpass auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpass einzuziehen.
Gemäß § 43 Abs. 2 BBG ist der Besitzer des Behindertenpasses verpflichtet, dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen binnen vier Wochen jede Änderung anzuzeigen, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpass berührt werden, und über Aufforderung dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Behindertenpass vorzulegen.
Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Gemäß § 45 Abs. 2 BBG ist ein Bescheid nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
Gemäß § 47 BBG ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.
Gemäß § 54 Abs. 12 BBG treten § 1, § 13 Abs. 5a, § 41 Abs. 1 und 2, § 55 Abs. 4 und 5 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 81/2010 mit 1. September 2010 in Kraft.
Gemäß § 1 der Einschätzungsverordnung ist unter Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Gemäß § 2 Abs. 1 leg cit sind die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage der Einschätzungsverordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
Gemäß § 2 Abs. 2 leg cit ist bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
Gemäß § 2 Abs. 3 leg cit ist der Grad der Behinderung nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.
Gemäß § 3 Abs. 1 leg cit ist eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
Gemäß § 3 Abs. 2 leg cit ist bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
Gemäß § 3 Abs. 3 leg cit liegt eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, vor, wenn
- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.
Gemäß § 3 Abs. 4 leg cit ist eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.
Gemäß § 4 Abs. 1 leg cit bildet die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
Gemäß § 4 Abs. 2 leg cit hat das Gutachten neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.
Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat die Gesamtbeurteilung mehrerer Leidenszustände nicht im Wege einer Addition der aus den Richtsatzpositionen sich ergebenden Hundertsätze der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu erfolgen, sondern nach den Grundsätzen des § 3 der genannten Richtsatzverordnung. Nach dieser Bestimmung ist dann, wenn mehrere Leiden zusammentreffen, bei der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zunächst von der Gesundheitsschädigung auszugehen, die die höchste Minderung der Erwerbsfähigkeit verursacht. Sodann ist zu prüfen, ob und inwieweit der durch die Gesamteinschätzung zu erfassende Leidenszustand infolge des Zusammenwirkens aller zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen eine höhere Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit rechtfertigt, wobei im Falle der Beurteilung nach dem BEinstG gemäß § 27 Abs. 1 dieses Gesetzes Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v H. außer Betracht zu lassen sind, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht (u.a VwGH vom 24. September 2003, Zl. 2003/11/0032; VwGH vom 21. August 2014, Zl. Ro 2014/11/0023-7).
Das angeführte Sachverständigengutachten und die Angaben der bP im Verfahren sowie die im Rahmen der Beschwerde vorgelegten Befunde wurden im oben beschriebenen Umfang in freier Beweiswürdigung der Entscheidung des Gerichtes zu Grunde gelegt. Das zitierte Gutachten erfüllt sämtliche der in der Einschätzungsverordnung normierten Voraussetzungen.
Die vom ärztlichen Sachverständigen erfolgte Bewertung der angegebenen Beschwerden und Krankheitszustände entspricht der Einschätzungsverordnung sowohl hinsichtlich Position, als auch Prozentsatz. Festlegungen innerhalb eines Rahmensatzes wurden schlüssig begründet. Die Beschwerde war daher im genannten Umfang abzuweisen.
3.3. Zu Spruchpunkt B:
Gem. § § 41. (1) BBG hat der Behindertenpass den Vor- und Familiennamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 47 BBG ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.
Gemäß § 1 Abs 1 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen [….]
Gemäß Abs 4 leg cit ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen: [.…]
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
Gemäß Abs 5 leg cit bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktions-beeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
Gemäß § 3 Abs 1 leg cit ist dem Behindertenpassinhaber/der Behindertenpassinhaberin, zum Nachweis, dass er/sie über die Eintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ verfügt, die im § 29b Abs 2 bis 4 der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. 159 (StVO), genannten Berechtigungen in Anspruch nehmen kann, ein Parkausweis auszustellen. Die in einem gültigen Behindertenpass enthaltene Eintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung oder Blindheit“ ist der Eintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ gleichzuhalten.
Gem. § 29b StVO ist den Inhabern und Inhaberinnen eines Behindertenpasses …, die über die Zusatzeintragung „Unzumubarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ … ein Ausweis auszufolgen.
Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit im oa. Sinne ist somit im Rahmen der zu treffenden Feststellungen eine gesamtheitliche, umfassende Betrachtung des Gesundheits-zustandes der bP und die konkrete Auswirkung auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel (vgl. Erk. d. VwGH vom 20.4.2004, 2003/11/0078). Hier sind nicht nur die motorischen Fähigkeiten, sondern auch weitere Faktoren, auch beispielsweise psychische, neurologische, intellektuelle Faktoren zu berücksichtigen.
Im Rahmen einer gesamtheitlichen Betrachtung ergibt sich im gegenständlichen Falle einzel-fallbezogen, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit den bereits beschriebenen gesundheitlichen Folgen verbunden ist. Diese stellten dermaßen negative gesundheitliche Beeintächtigungen für die bP dar, dass ihr dies nicht zumutbar ist. Die rechtlichen Voraussetzungen für die beantragte und dem Beschwerde-gegenstand unterliegende Eintragung in den Behindertenpass sind daher gegeben.
3.4. Über ein allfälliges weiteres Begehren ist mangels Vorliegens eines Beschwerde-gegenstandes nicht abzusprechen.
3.5. Gemäß § 24 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage der maßgebliche Sachverhalt zu einen feststand und zum anderen der Beschwerde stattzugeben war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
3.6. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen. Diesbezüglich ist die vorliegende Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Sonstige Hinweise, die auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage schließen lassen, liegen ebenfalls nicht vor. Der wesentliche Schwerpunkt des gegenständlichen Erkenntnisses fand sich im Rahmen der Beweiswürdigung. Zu dieser Frage liegt umfangreiche und einheitliche Judikatur des VwGH vor. Die grundsätzliche Bestimmung betreffend der Einstufung bzw. der Feststellung des Grades der Behinderung erfuhr keine substanzielle Änderung. Im Rahmen der Frage des Umfanges der Ausnahme von der Verhandlungspflicht orientierte sich das ho. Gericht ebenfalls an der Judikatur des VwGH.
Schlagworte
Behindertenpass Grad der Behinderung Neufestsetzung Sachverständigengutachten Teilstattgebung Unzumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L515.2230885.1.00Im RIS seit
11.02.2021Zuletzt aktualisiert am
11.02.2021