TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/3 97/06/0067

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Veröffentlicht am 03.06.1997
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Index

L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Steiermark;
L80006 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan
Steiermark;
L82006 Bauordnung Steiermark;

Norm

BauG Stmk 1995 §51 Abs1;
ROG Stmk 1974 §22 Abs3;
ROG Stmk 1974 §24 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde des E in F, vertreten durch Dr. R., Rechtsanwalt in F, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 27. Jänner 1997, Zl. 03-12.10 F 50 - 97/1, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei:

1. L in F, 2. Stadtgemeinde F, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit einem am 23. Februar 1996 bei der mitbeteiligten Stadtgemeinde eingelangten Ansuchen beantragte der Erstmitbeteiligte (Bauwerber) die Erteilung der Baubewilligung für den Abbruch, Neubau, Umbau und Ausbau des Dachgeschoßes auf dem Grundstück Nr. .36/4, KG F. Über dieses Ansuchen wurde mit Kundmachung vom 14. März 1996 eine mündliche Verhandlung für den 26. März 1996 anberaumt, zu der der Beschwerdeführer als Anrainer nachweislich unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen des § 42 AVG geladen wurde. Diese Verhandlung wurde am 6. Mai 1996 fortgesetzt. Der Beschwerdeführer brachte unter Bezugnahme auf § 26 BauG vor, das geplante Gebäude solle unmittelbar an der Grundgrenze zum Beschwerdeführer angebaut werden. Die Bestimmungen des § 51 Abs. 1 und 3 des Baugesetzes würden diesbezüglich nicht eingehalten. Es sei eine Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens über das Grundstück Nr. 36/2 (des Beschwerdeführers) für das zu bebauende Grundstück einverleibt; die rechtliche Grundlage für diese Wegdienstbarkeit habe den Gegebenheiten einer Drogerie bis zum Kauf durch den Bauwerber entsprochen. Aufgrund des Bauvorhabens sei nun unter anderem beabsichtigt, im gesamten Erdgeschoß einen Garagentrakt zu errichten, der wiederum nur über den oben zitierten Servitutsweg erreichbar sei. Es komme zu einer wesentlichen Änderung der Benützungsart und in der Folge damit zu einer wesentlichen Mehrleistung des dienenden Gutes. Der Beschwerdeführer erteile seine Zustimmung zur Bauführung nicht.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 13. Mai 1996 wurde dem Bauwerber die beantragte Baubewilligung für den Abbruch erteilt. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft. Mit einem weiteren Bescheid vom 16. August 1996 erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde dem Bauwerber die beantragte Baubewilligung über den Um- und Neubau und den Dachgeschoßausbau unter Vorschreibung von Auflagen. Die Einwendungen des Beschwerdeführers wurden zum Teil zurückgewiesen, zum Teil auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer aus, daß dann, wenn ein Gebäude unmittelbar an die Nachbargrenze angebaut werde, die Außenwände als Brandwände ausgestaltet werden müßten. Dies sei bei dem gegenständlichen Bauvorhaben nicht der Fall. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 zweiter Satz BauG lägen nicht vor, da es sich bei dem Streifen auf dem Grundstück des Beschwerdeführers, auf dem die Dienstbarkeit zugunsten des Grundstückes des Bauwerbers eingetragen sei, nicht um eine Verkehrsfläche handle.

Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 9. Oktober 1996 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bügermeisters vom 16. August 1996 abgewiesen. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, im Baugesetz seien unter "Verkehrsflächen" schlicht und einfach jene Flächen gemeint, die dem fließenden und ruhenden Verkehr im allgemeinen, aber auch auf einem Privatgrundstück dienten. Daß ein Teil der Parzelle .36/2, KG F, im Grenzbereich zur Parzelle .36/4 seit vielen Jahren dem Verkehr (Hofzufahrt) diene, sei bekannt. Es werde auch in diesem Bereich - aus anderen baugesetzlichen Bestimmungen - eine Bauführung durch den Besitzer der Parzelle .36/2 nicht erfolgen können. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 zweiter Satz des Baugesetzes, wonach die Außenmauern an der Grundgrenze zur Verkehrsfläche nicht als Brandwände ausgestaltet werden müßten, lägen somit vor.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Vorstellung des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde mit Bescheid vom 20. Jänner 1997 abgewiesen. In ihrer Begründung hat sich die Vorstellungsbehörde im wesentlichen der Rechtsansicht des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde angeschlossen und überdies ausgeführt, mit dem erstmals in der Vorstellung erhobenen Einwand betreffend die Verletzung von Abstandsbestimmungen sei der Beschwerdeführer präkludiert.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten mit einer Gegenschrift vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Das Mitspracherecht des Nachbarn ist im Bauverfahren in zweifacher Hinsicht beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als die jeweiligen baurechtlichen Vorschriften dem Nachbarn ein Mitspracherecht einräumen, und andererseits nur insofern, als der Nachbar seine Einwendungen rechtzeitig erhoben hat. Eine nach § 42 Abs. 1 und 2 AVG eingetretene Präklusion ist für das weitere Verfahren von der Baubehörde, der Berufungsbehörde, der Aufsichtsbehörde und dem Verwaltungsgerichtshof zu beachten (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10.317/A u.v.a.). Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung dargetan hat, liegt eine dem § 42 AVG entsprechende Einwendung nur dann vor, wenn der Nachbar die Verletzung eines subjektiven Rechtes geltend gemacht hat, wobei Einwendungen spezialisiert werden müssen und aufgrund der Einwendungen jedenfalls erkennbar sein muß, welche Rechtsverletzung behauptet wird, wenngleich der Nachbar nicht verpflichtet ist, seine Einwendungen zu begründen (vgl. dazu die diesbezügliche hg. Judikatur in Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, Seite 278 E 3, und 3a). Hinsichtlich der Verletzung von Abstandsvorschriften hat der Beschwerdeführer erstmals in der Vorstellung Einwände erhoben. Der Umstand, daß sich der Beschwerdeführer schon vor und in der mündlichen Verhandlung ganz allgemein auf § 26 des Baugesetzes bezogen hat, bedeutet nicht, daß er die Verletzung aller dort genannten, subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte geltend gemacht hat; hinsichtlich der erstmals in der Vorstellung geltend gemachten Abstandsverletzung hat somit die belangte Behörde zu Recht das Vorliegen der Präklusion angenommen.

Rechtzeitig hat der Beschwerdeführer jedoch die Verletzung des § 51 Abs. 1 BauG geltend gemacht, diesbezüglich ist dem Nachbarn im § 26 Abs. 1 Z. 4 des Baugesetzes ein subjektiv-öffentliches Recht eingeräumt. Die Bestimmung des § 51 Abs. 1 bis 3 BauG lautet wie folgt:

"§ 51

Brandwände

(1) Wird ein Gebäude unmittelbar an eine Nachbargrenze oder an ein anderes Gebäude angebaut, so müssen die Außenwände an der Grundgrenze oder die an das andere Gebäude anschließenden Außenwände als Brandwände ausgestaltet werden. Dies gilt nicht für Grundgrenzen zu Verkehrsflächen und Gewässern. Jedes Gebäude muß eigene Brandwände haben. Nur zum Zwecke der gemeinsamen Benützung benachbarter Gebäude können Brandwände durchbrochen werden, wenn der Brandschutz dadurch nicht beeinträchtigt wird.

(2) Werden auf ein und demselben Bauplatz Gebäude mit maximal drei oberirdischen Geschossen (einschließlich Dachgeschossen) aneinander gebaut, so genügt eine Trennung durch hochbrandhemmende Wände anstelle der Ausbildung von Brandwänden.

(3) Vom Erfordernis der Brandwände an der Grundgrenze kann abgesehen werden, wenn der Nachbar zustimmt und die Gesichtspunkte des Brandschutzes es zulassen. Ist eine offene Bebauung an der Grundgrenze durch Bebauungspläne oder Bebauungsrichtlinien festgelegt, ist die Zustimmung des Nachbarn nicht erforderlich."

Strittig ist, ob die der Geh- und Fahrservitut dienende Grundstücksfläche, die sich im Eigentum des Beschwerdeführers befindet, als "Verkehrsfläche" im Sinne des § 51 Abs. 1 zweiter Satz BauG anzusehen ist oder nicht. Das Steiermärkische Baugesetz, LGBl. Nr. 59/1995, enthält hinsichtlich des Begriffes "Verkehrsfläche" keine Definition. Es unterscheidet aber in seinem § 5 Abs. 1 Z. 6 zwischen den Begriffen "rechtlich gesicherte Zufahrt" und "befahrbare öffentliche Verkehrsfläche", da in dieser Bestimmung gefordert ist, daß ein Bauplatz eine für den Verwendungszweck geeignete und rechtlich gesicherte Zufahrt von einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche aufweist (vgl. weiters § 9 BauG). Damit ist klargestellt, daß auch der steiermärkische Landesgesetzgeber davon ausgeht, daß nicht alles, was als Zufahrt geeignet und rechtlich gesichert ist, einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche gleichzusetzen ist. Mangels einer Definition im Baugesetz ist auch die Bestimmung des Begriffes "Verkehrsflächen" im Raumordnungsgesetz desselben Landesgesetzgebers heranzuziehen. § 24 des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes, LGBl. Nr. 127/1974 (ROG), lautet wie folgt:

"§ 24

Verkehrsflächen

(1) Als Verkehrsflächen sind solche Flächen festzulegen, die für die Abwicklung des fließenden und ruhenden Verkehrs sowie für die Aufschließung des Baulandes und des Freilandes vorgesehen sind. Dazu gehören auch die für die Erhaltung, den Betrieb und den Schutz der Verkehrsanlagen und Versorgungsanlagen erforderlichen Flächen.

(2) Verkehrsflächen, deren Festlegung im Flächenwidmungsplan nicht möglich oder zweckmäßig ist, sind im Bebauungsplan festzulegen."

Schließlich legt § 22 Abs. 3 ROG fest, daß der Flächenwidmungsplan das gesamte Gemeindegebiet räumlich zu gliedern und die Nutzungsart für alle Flächen entsprechend den räumlich-funktionellen Erfordernissen festzulegen hat. Hiebei sind folgende Nutzungsarten vorzusehen:

1.

Bauland

2.

Verkehrsflächen

3.

Freiland.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß der Steiermärkische Landesgesetzgeber zwischen Bauland und Verkehrsflächen unterscheidet, woraus sich einerseits ergibt, daß eine Grundfläche (auf einer Ebene) nicht gleichzeitig Bauland und Verkehrsfläche sein kann, und andererseits, daß Verkehrsflächen solche Flächen sind, die für die Abwicklung des fließenden und ruhenden Verkehrs sowie für die Aufschließung des Baulandes und Freilandes vorgesehen sind (§ 24 Abs. 1 ROG), wobei die Festlegung der Verkehrsflächen im Flächenwidmungs- oder im Bebauungsplan erfolgt.

Die belangte Behörde ist nun davon ausgegangen, daß der im Bauland liegende Teil des Grundstückes des Beschwerdeführers, der mit der Servitut des Gehens und Fahrens zugunsten des zu bebauenden Grundes belastet ist, als "Verkehrsfläche" im Sinne des § 51 Abs. 1 zweiter Satz des Baugesetzes anzusehen ist. Diese Rechtsauffassung findet, wie dargelegt, weder im Baugesetz noch im Raumordnungsgesetz eine Grundlage. Wie in der Beschwerde ausgeführt wird, ist die gegenständliche Fläche weder im Flächenwidmungsplan noch in einem Bebauungsplan als Verkehrsfläche festgelegt, vielmehr scheint sie dort als Bauland auf. Nach Ansicht der belangten Behörde ergebe sich aus dem Grundbuchsauszug und den tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten, daß es sich bei dem gegenständlichen Weg um eine Verkehrsfläche handle, damit verkennt sie aber, daß der Landesgesetzgeber im Baugesetz derartige (nicht als Verkehrsfläche gewidmete) Teile von Grundstücken als "Zufahrt" bezeichnet und Verkehrsflächen im Sinne des Raumordnungsgesetzes entweder im Bebauungsplan oder im Flächenwidmungsplan ausgewiesen sein müssen. Mit dieser Ansicht wird aber auch die im § 5 Abs. 1 Z. 6 des Baugesetzes vorgenommene Unterscheidung zwischen geeigneter und rechtlich gesicherter Zufahrt und der befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche mißachtet.

Für den Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 zweiter Satz BauG findet sich daher im Beschwerdefall keine Grundlage. Da das Bauvorhaben den Bestimmungen des § 51 Abs. 1 erster Satz BauG insofern widerspricht, als das an der Grundgrenze angebaute Gebäude in der dort situierten Außenwand sowohl Fenster als auch Garageneinfahrten vorsieht, diese Außenwand somit nicht als Brandwand ausgestaltet ist, dem Beschwerdeführer diesbezüglich ein subjektiv-öffentliches Recht eingeräumt ist und er die Verletzung dieses Rechtes auch rechtzeitig geltend gemacht hat, belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren für zuviel entrichtete Stempelgebühren war abzuweisen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1997060067.X00

Im RIS seit

07.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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