TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/25 W185 2235536-1

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Veröffentlicht am 25.11.2020
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Entscheidungsdatum

25.11.2020

Norm

AsylG 2005 §5
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W185 2235536-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Pakistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.09.2020, Zl. 1265875705-200708383, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 idgF und § 61 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger aus Pakistan, stellte nach irregulärer Einreise in das Bundesgebiet am 02.07.2020 in weiterer Folge (erst) am 11.08.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Eine Eurodac-Abfrage ergaben Treffermeldungen der Kategorie „1“ mit Griechenland vom 22.09.2017 und Italien am 14.12.2018.

Im Rahmen der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 11.08.2020 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, zuckerkrank zu sein, der Einvernahme jedoch ohne Probleme folgen zu können. In Österreich oder einem anderen EU-Staat habe der Beschwerdeführer keine Familienangehörigen. Ein bestimmtes Zielland habe er nicht gehabt, als er die Heimat Ende 2016 verlassen habe. Über den Iran und die Türkei sei der Beschwerdeführer nach Griechenland gelangt. Dort habe er Behördenkontakt und eine ED-Behandlung gehabt und sich für etwa 6 Monate aufgehalten. In der Folge sei er über Albanien, Montenegro, Bosnien, Kroatien und Slowenien nach Italien gelangt. Dort habe er Behördenkontakt und eine ED-Behandlung gehabt und sich für etwa 2 Jahre aufgehalten, bevor er (Anm: am 02.07.2020) nach Österreich weitergereist sei. Außer in Österreich habe der Beschwerdeführer nirgendwo um Asyl angesucht. Zu den durchreisten EU-Ländern befragt erklärte der Beschwerdeführer, sich in den andren EU-Ländern „nicht wohlgefühlt“ zu haben. Er wolle nunmehr in Österreich bleiben und arbeiten; hier seien die Leute nett zu ihm. In Pkt 14 des Protokolls wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer wissentlich falsche Angaben zur Reisroute, zum Zeitpunkt der Einreise nach Österreich und zu etwaigen Beziehungen in Österreich erstatten würde.

Das Bundesamt richtete am 03.07.2020 ein auf Art. 18 Abs 1 lit b der Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmegesuch an Italien. Dies unter Hinweis auf den Eurodac-Treffer der Kategorie „1“ mit Italien aus dem Jahr 2018 und der Information, dass der Beschwerdeführer aufgrund illegaler Einreise mit dem Zug von Italien kommend am 02.07.2020 festgenommen worden sei und dieser (bis dato) keinen Asylantrag gestellt habe.

Mit Schreiben vom 14.07.2020 stimmte die Italienische Dublinbehörde der Wiederaufnahme des Beschwerdeführers gemäß Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO ausdrücklich zu. Auf den Ablauf der Überstellungsfrist mit 14.01.2021 und das Überstellungshindernis der COVID-19-Pandemie wurde in dem Schreiben hingewiesen (AS 1).

Am 21.07.2020 informierte das Bundesamt die italienischen Behörden vom Untertauchen des Beschwerdeführers und der sich daraus ergebenden Verlängerung der Entscheidungsfrist auf 18 Monate.

Dem Akt ist zu entnehmen, dass sich der Beschwerdeführer vom 13.08.2020 bis 19.08.2020 in einem namentlich genannten Krankenhaus in stationärer Behandlung befunden hat.

Aus einer Meldung seitens des BMI Grundversorgung vom 31.08.2020 ergibt sich, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum vom 28.08.2020 bis 31.08.2020 nicht in der Betreuungsstelle anwesend war; unbekannter Aufenthalt und Verlegung in „Quartier unstet“.

Mit E-Mail vom 31.08.2020 wurde eine Adresse angeführt, an welcher sich der Beschwerdeführer nunmehr aufhalte und angegeben, dass so rasch als möglich dessen Anmeldung beim Meldeamt erfolgen werde.

Mit Schreiben des Bundesamtes vom 07.09.2020 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass dessen Antrag auf Aufnahme in die Grundversorgung genehmigt worden sei. Er habe sich an einer namentlich genannten Betreuungsstelle einzufinden.

Am 10.09.2020 fand - in Anwesenheit einer Rechtsberaterin und nach durchgeführter Rechtsberatung - die Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt statt. Hierbei gab dieser zu seinem Gesundheitszustand befragt an, sich physisch und psychisch in der Lage zu sehen, die Befragung zu absolvieren; er sei zuckerkrank und deshalb auch eine Woche lang im Spital behandelt worden. Er müsse Insulin einnehmen. Der Beschwerdeführer habe weder in Österreich noch sonst im Bereich der Europäischen Union Familienangehörige. Er habe in Österreich eine Freundin, bei welcher er auch gewohnt habe. Die Genannte sei 24 Jahre alt; ihren Nachnamen könne er nicht angeben. Gefragt, ob der Beschwerdeführer mit dieser Dame eine Beziehung führe oder ob es sich lediglich um eine „Freundin“ handle, erklärte der Beschwerdeführer, dass es sich um eine „Freundin“ handle. Er habe die Genannte vor etwa drei bis vier Monaten über das Internet kennengelernt. Über Befragen bestätigte der Beschwerdeführer, in Griechenland und in Italien um Asyl angesucht zu haben und seither Europa nicht wieder verlassen zu haben. Über Vorhalt der beabsichtigten Zurückweisung seines Asylantrages in Österreich und der geplanten Überstellung nach Italien erklärte der Beschwerdeführer, auf gar keinen Fall nach Italien zurückkehren zu wollen. Es gefalle ihm in Österreich sehr gut, weshalb er hierbleiben wolle.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 14.09.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß Artikel 18 Abs. 1 lit d Dublin III-VO Italien für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass demzufolge dessen Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Die Feststellungen zur Lage in Italien wurden im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst:

COVID-19 Pandemie

Derzeit herrscht weltweit die als COVID-19 bezeichnete Pandemie. COVID-19 wird durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursacht. In Italien wurden bisher 287.753 Fälle von mit diesem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei bisher 213.634 Personen wieder genesen sind und 35.610 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden (https://coronavirus.jhu.edu/map.html, abgerufen am 14.09.2020).

Wie gefährlich der Erreger SARS-CoV-2 ist, kann derzeit noch nicht genau beurteilt werden. Man geht aber von einer Sterblichkeitsrate von bis zu drei Prozent aus, wobei v.a. alte Menschen und immungeschwächte Personen betroffen sind (https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen.html, abgerufen am 14.09.2020).
1.         Allgemeines zum Asylverfahren

In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten. Im Oktober 2018 gab es mit Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018 (auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) einige legislative Änderungen (siehe dazu insbesondere Abschnitte 6. und 7. in diesem LIB, Anm.):

(AIDA 4.2019; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).

Mit Stand 27. September 2019 waren in Italien 49.014 Personen in einem Asylerfahren, davon haben 26.240 Personen ihren Asylantrag im Jahr 2019 gestellt (MdI 27.9.2019).

Im Jahre 2019 haben die italienischen Asylbehörden bis zum 7. Juni 42.916 Asylentscheidungen getroffen, davon erhielten 4.605 Personen Flüchtlingsstatus, 2.790 subsidiären Schutz, 672 humanitären Schutz, 2.340 waren unauffindbar und 32.304 wurden negativ entschieden (MdI 7.6.2019). Mit Anfang Oktober 2019 waren in Italien 50.298 Asylanträge anhängig (SN 2.10.2019).

Die Asylverfahren nehmen, inklusive Beschwerdephase, bis zu zwei Jahre in Anspruch (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 27.8.2019

?        MdI – Ministero dell‘Interno (27.9.2019): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo, per E-Mail

?        MdI – Ministero dell‘Interno (7.6.2019): Commissione Nazionale per il Diritto di Asilo, https://www.camera.it/application/xmanager/projects/leg18/attachments/upload_file_doc_acquisiti/pdfs/000/001/795/REPORT_FINO_AL_07.06.2019_.pdf, Zugriff 24.9.2019

?        SN – Salzburger Nachrichten (2.10.2019): Zahl der Migrantenankünfte in Italien 2019 stark rückläufig, https://www.sn.at/politik/weltpolitik/zahl-der-migrantenankuenfte-in-italien-2019-stark-ruecklaeufig-77097958, Zugriff: 9.10.2019

?        USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004308.html, Zugriff 23.9.2019
2.         Dublin-Rückkehrer

Wenn Italien einer Überstellung ausdrücklich zustimmt, wird der Flughafen angegeben, welcher der für das konkrete Asylverfahren zuständigen Quästur am nächsten liegt. Wenn Italien durch Fristablauf zustimmt, landen Rückkehrer üblicherweise auf den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Quästur für ihr Asylverfahren zuständig ist. Mit dieser ist dann ein Termin zu vereinbaren. Die Quästuren sind oft weit von den Ankunftsflughäfen entfernt und die Asylwerber müssen auf eigene Faust und oft auch auf eigene Kosten innerhalb weniger Tage dorthin reisen, was bisweilen problematisch sein kann (AIDA 4.2019).

Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab:
1. Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, kann er dies tun, so wie jede andere Person auch. Der Rückkehrer könnte aber auch als illegaler Migrant betrachtet und mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung konfrontiert werden. Derartige Fälle wurden 2018 vom Flughafen Mailand Malpensa berichtet (AIDA 4.2019).
2. Wenn das Verfahren eines Antragstellers suspendiert wurde, weil er sich dem Verfahren vor dem Interview entzogen hat, kann der Rückkehrer binnen 12 Monaten ab Suspendierung einen neuen Interviewtermin beantragen. Sind mehr als 12 Monate vergangen und das Verfahren wurde beendet, kann nur ein Folgeantrag gestellt werden, für den seit Oktober 2018 verschärfte Regelungen gelten (AIDA 4.2019).

3. Wurde das Verfahren des Antragstellers in der Zwischenzeit negativ entschieden und ihm dies zur Kenntnis gebracht, ohne dass er Beschwerde eingelegt hätte, ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich. Wenn dem Antragsteller die negative Entscheidung nicht zur Kenntnis gebracht werden konnte, gilt diese seit Oktober 2018 nach 20 Tagen als zugestellt und ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich (AIDA 4.2019). (Für weitere Informationen, siehe Kapitel 6.2. „Dublin-Rückkehrer“, Anm.)

Mit Gesetz 132/2018 wurde der humanitäre Schutzstatus stark überarbeitet und der Zugang zu dieser Schutzform eingeschränkt. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, werden nicht erneuert (VB 22.2.2019) und können auch nicht mehr verlängert werden. Sie können jedoch bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden (Aufenthaltstitel für Arbeit, Familienzusammenführung, etc. oder in einen humanitären Titel neuer Rechtslage) (VB 25.2.2019). Ansonsten läuft der Titel ab und der Aufenthalt in Italien ist nicht mehr rechtmäßig (VB 22.2.2019). (für nähere Informationen zu diesem Thema siehe Abschnitt 7. “Schutzberechtigte”, Anm.) Wenn Dublin-Rückkehrer im Besitz eines humanitären Aufenthaltes waren, der nicht fristgerecht in einen der neuen Aufenthaltstitel umgewandelt wurde, sind sie zum Aufenthalt in Italien nicht mehr berechtigt und damit von der Versorgung ausgeschlossen (SFH 8.5.2019).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 27.8.2019

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

?        VB des BM.I Italien (25.2.2019): Auskunft des VB, per E-Mail

?        VB des BM.I Italien (22.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail
3.         Non-Refoulement

Medienberichten zufolge wurden 2018 über 100 auf See aufgelesene Migranten nach Libyen zurückgebracht. Italienische Gerichte haben Überstellungen von afghanischen Asylwerbern in EU-Mitgliedsstaaten, in denen Asylverfahren der besagten Afghanen bereits negativ erledigt worden waren, unter Verweis auf ein Ketten-Refoulement-Risiko nach Afghanistan annulliert (AIDA 4.2019).

Mit Gesetz 132/2018 wurde auch das Prinzip der sicheren Herkunftsstaaten in Italien eingeführt. Da aber bislang keine entsprechende Liste sicherer Herkunftsstaaten beschlossen wurde, wird das Konzept in der Praxis derzeit nicht angewendet (AIDA 4.2019).

Es gibt Berichte über ignorierte Versuche Asyl zu beantragen und kollektive Kettenabschiebung nach Slowenien und weiter bis nach Bosnien-Herzegowina (AI 1.3.2019).

Quellen:

?        AI – Amnesty International (1.3.2019): Italy: Refugees and migrants' rights under attack: Amnesty International submission for the UN Universal Periodic Review, 34th Session of the UPR Working Group, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007541/EUR3002372019ENGLISH.pdf, Zugriff 30.9.2019

?        AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 29.8.2019
4.         Versorgung

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018 auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) gibt es auch weitgehende Änderungen im Unterbringungssystem. Das bisherige System (CARA als Erstaufnahme, SPRAR als kommunal organisierte Unterbringung und Integration für Asylwerber und Schutzberechtigte, CAS als Notmaßnahme für Bootsflüchtlinge) wird völlig neu organisiert und nur noch zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene unterschieden (VB 19.2.2019; vgl. AIDA 4.2019).

Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“) werden CAS und CARA ersetzen. Zielgruppe dieser Einrichtungen sind Asylwerber (auch in einem Beschwerdeverfahren oder in Dublin-out-Verfahren bis zur Überstellung), ausdrücklich auch Dublin-Rückkehrer (VB 19.2.2019) und Vulnerable (mit Ausnahme von UMA) (SFH 8.5.2019). Fremde, die in Italien bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, werden in jener Region untergebracht, in welcher der Antrag ursprünglich eingebracht wurde. In allen anderen Fällen ist jene Region zuständig, in der sich der Flughafen befindet, an dem der Fremde ankommt. Für diese Erstaufnahmeeinrichtungen wurden seitens des italienischen Innenministeriums neue Ausschreibungsspezifikationen ausgearbeitet, die bereits durch den italienischen Rechnungshof genehmigt und an die Präfekturen übermittelt wurden. Die Ausschreibung und staatliche Verwaltung/Kontrolle der Einrichtungen obliegt nach wie vor den Präfekturen. Seitens des italienischen Innenministers wurde betont, dass die Einhaltung sämtlicher europarechtlicher Bestimmungen (hier insbesondere die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU) unter Wahrung der menschlichen Würde jedenfalls sichergestellt ist. Herkunft, religiöse Überzeugung, Gesundheitszustand, Vulnerabilität sowie die Familieneinheit finden Berücksichtigung. Bei den Kernleistungen (Sozialbetreuung, Information, soziokulturelle Mediation, sanitäre Einrichtungen sowie Startpaket, Taschengeld und Telefonkarte) soll es zu keiner Kürzung oder Streichung kommen. Integrationsmaßnahmen werden im neuen System nur noch Schutzberechtigten zukommen. Bei den Ausschreibungsspezifikationen wird zwischen kollektiven und individuellen (z.B. Selbstversorger) Unterbringungsplätzen unterschieden. Die Versorgung sieht unter anderem folgende Leistungen vor:

- Unterbringung, Verpflegung

- Sozialbetreuung, Information, linguistisch-kulturelle Mediation

- notwendige Transporte

- medizinische Betreuung: Erstuntersuchung, ärztliche Betreuung in den Zentren zusätzlich zum allgemeinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst

- Hygieneprodukte

- Wäschedienst oder Waschprodukte

- Erstpaket (Kleidung, Bettzeug, Telefonkarte)

- Taschengeld (€ 2,50/Tag/Person bis zu € 7,50/Tag für eine Kernfamilie)

- Schulbedarf

- usw.

Nach Auskunft des italienischen Innenministeriums sind Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen. In den Spezifikationen sind Personalschlüssel, Reinigungsintervalle, Melde- und Aufzeichnungsverpflichtungen des Betreibers in Bezug auf Leistungen an die Bewohner, An-/Abwesenheiten etc. festgelegt. Die Präfekturen sind zu regelmäßigen, unangekündigten Kontrollen berechtigt und verpflichtet (VB 19.2.2019).

Ende 2018 wurden amtliche Ausschreibungsvorgaben für die Unterbringungseinrichtungen veröffentlicht, die die Standards für die Unterbringung im gesamten Land vereinheitlichen sollen. Die Vorgaben garantieren persönliche Hygiene, Taschengeld (Euro 2,50/Tag in der Erstaufnahme) und Euro 5,- für Telefonwertkarten, jedoch keine Integrationsmaßnahmen mehr (Italienisch-Kurse, Orientierungskurse, Berufsausbildungen oder Freizeitaktivitäten). Ebenso eingespart wird psychologische Betreuung, welche nur noch in Hotspots und Schubhaftzentren verfügbar ist. Rechtsberatung und kulturelle Mediation werden reduziert (AIDA 4.2019; vgl. SFH 8.5.2019).

Die sekundären Aufnahmeeinrichtungen (früher SPRAR) heißen ab sofort SIPROIMI („Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“ – Schutzsystem für international Schutzberechtigte und unbegleitete minderjährige Fremde). Asylwerber, mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger, haben dort keinen Zugang mehr (AIDA 4.2019). SIPROIMI stehen nur noch Personen mit internationalem Schutz, unbegleiteten Minderjährigen, sowie Personen zur Verfügung, die nach der neuen Rechtslage einen Aufenthaltstitel wegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände haben („neue“ humanitäre Titel; siehe dazu mehr in Abschnitt 7. „Schutzberechtigte“, Anm.). In diesen Einrichtungen werden zusätzlich zu den oben beschriebenen Leistungen auch Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration (Gesellschaft, Arbeitsmarkt, Sprache, etc.) geboten (VB 19.2.2019).

Nur diejenigen asylsuchenden Personen und Inhaber eines humanitären Status, denen vor dem 4. Oktober 2018 ein Platz in einem SPRAR-Zentrum zugesagt wurde, werden noch in einem SPRAR-Zentrum untergebracht (SFH 8.5.2019). Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich mit Stichtag 05.10.2018 noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw. bis zum Ende des Projektzeitraumes weiterhin bleiben. Jene Fremde mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben dort so lange, bis ihnen von der Quästur der Aufenthaltstitel („permesso di soggiorno“) übergeben wurde und werden danach aus dem Aufnahmesystem entlassen (VB 19.2.2019).

In den letzten Jahren war das italienische Aufnahmesystem angesichts der zahlreichen Anlandungen von Migranten von Überforderung und dem Versuch geprägt, möglichst viele Unterbringungsplätze in möglichst kurzer Zeit zu schaffen. Dabei entstanden verschiedene Arten von Unterbringungszentren auf Projektbasis in Gemeinden, Regionen und zentraler Ebene mit nur grob festgelegt Zielgruppen. Mit der Neustrukturierung wurde ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen, das auch der Kritik des italienischen Rechnungshofes Rechnung trägt, der die undifferenzierte Unterbringung bzw. Erbringung insbesondere von kostspieligen Integrationsmaßnahmen an Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltstitel bemängelt hat. So werden Asylwerber zukünftig in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie allein reisende Minderjährige erhalten Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden (VB 19.2.2019). Ende 2018 wurden amtliche Ausschreibungsvorgaben für Unterbringungseinrichtungen veröffentlicht, die die Standards für die Unterbringung im gesamten Land vereinheitlichen sollen. Durch die neuen Vergabekriterien wurde auch auf den Vorwurf reagiert, dass die Aufnahmeeinrichtungen außerhalb des SPRAR keine einheitlichen Standards sicherstellen. Durch die Staffelung der Strukturen nach Unterbringungsplätzen mit entsprechend angepasstem Personalstand und Serviceleistungen kann seitens der Präfekturen im Rahmen der Vergabeverfahren auf den Bedarf und die Gegebenheiten vor Ort im jeweiligen Fall eingegangen werden, wodurch sich die Kosten von € 35/Person/Tag auf € 21/Person/Tag senken sollen. Die Vorgaben garantieren persönliche Hygiene, Taschengeld (Euro 2,50/Tag in der Erstaufnahme) und Euro 5,- für Telefonwertkarten, jedoch keine Integrationsmaßnahmen mehr (VB 19.2.2019; vgl. AIDA 4.2019). Dass eine solche Restrukturierung ohne Einbußen bei der Qualität oder dem Leistungsangebot (so der Vorwurf bzw. die Befürchtung der Kritiker) machbar ist, scheint angesichts der vorliegenden Unterlagen aus Sicht des VB nachvollziehbar (VB 19.2.2019). Kritiker meinen hingegen, die neuen Vorgaben würden zu einem Abbau von Personal in den Unterbringungseinrichtungen und zur Reduzierung der gebotenen Leistungen führen. Kleinere Zentren würden unwirtschaftlich und zur Schließung gezwungen, stattdessen würden größere, kostensenkende Kollektivzentren geschaffen (SFH 8.5.2019).

Asylwerber dürfen zwei Monate nach Antragstellung legal arbeiten (AIDA 4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). In der Praxis haben Asylwerber jedoch Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt, etwa durch Verzögerungen bei der Registrierung ihrer Asylanträge (die damit einhergehende Aufenthaltserlaubnis ist für den Zugang zum Arbeitsmarkt wichtig), oder durch die anhaltende Wirtschaftskrise, die Sprachbarriere, oder die geografische Abgelegenheit der Unterbringungszentren usw. (AIDA 4.2019).

Es gibt Berichte über Diskriminierung und Ausbeutung von Migranten durch Arbeitgeber. Die hohe Arbeitslosigkeit schmälert die Chancen von Migranten auf legale Anstellung (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 19.9.2019

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

?        USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004308.html, Zugriff 23.9.2019

?        VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

4.1.    Unterbringung

Grundsätzlich sind bedürftige Fremde zur Unterbringung in Italien berechtigt, sobald sie den Willen erkennbar machen, um Asyl ansuchen zu wollen. Das Unterbringungsrecht gilt bis zur erstinstanzlichen Entscheidung bzw. dem Ende der Rechtsmittelfrist. Bei Rechtsmitteln mit automatischer aufschiebender Wirkung besteht das Unterbringungsrecht auch bis zur Entscheidung des Gerichts. Bei Rechtsmitteln ohne automatische aufschiebende Wirkung kann diese vom Gericht zuerkannt werden und in einen solchen Fall besteht auch das Unterbringungsrecht weiter. Seit Ende 2018 haben einige Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung mehr. Gemäß der Praxis in den Vorjahren erfolgt der tatsächliche Zugang zur Unterbringung erst mit der formellen Registrierung des Antrags (verbalizzazione), die bis zu einige Monate nach der Antragstellung stattfinden kann, abhängig von Region und Antragszahlen. In dieser Zeit müssen Betroffene alternative Unterbringungsmöglichkeiten finden, was problematisch sein kann. Zum Ausmaß dieses Phänomens gibt es allerdings keine statistischen Zahlen. Betroffene Asylwerber ohne ausreichende Geldmittel sind daher auf Freunde oder Notunterkünfte angewiesen, oder es droht ihnen Obdachlosigkeit. In ganz Italien gibt es auch informelle Siedlungen oder besetzte Häuser, in denen Fremde leben, unter ihnen Asylwerber und Schutzberechtigte (AIDA 4.2019).

Das offizielle italienische Unterbringungssystem für erwachsene Asylwerber stellt sich folgendermaßen dar:

CPSA (Centri di primo soccorso e accoglienza) / Hotspots

Es handelt sich dabei um Zentren an den Hauptanlandungspunkten der Migranten, die über das Mittelmeer nach Italien kommen. Die CPSA wurden 2006 gegründet und fungieren seit 2016 formell als “Hotspots” (gemäß dem sogenannten “Hotspot-approach” der Europäischen Kommission). Diese dienen der raschen erkennungsdienstlichen Behandlung, Trennung von Asylwerbern und Migranten und ihrer entsprechenden weiteren Behandlung. Ende 2018 gab es in Italien vier Hotspots in Apulien (Taranto) und Sizilien (Lampedusa, Pozzalo, Messina), die zusammen 453 Migranten beherbergten. Zu Identifikationszwecken werden Migranten in den Hotspots oft wochenlang festgehalten, was Kritiker als ungesetzlich bezeichnen (AIDA 4.2019).

Erstaufnahme

Diese soll in den bereits existierenden Zentren (Centri d’accoglienza richiedenti asilo, CARA und Centri di accoglienza, CDA) und in neu festzulegenden Einrichtungen umgesetzt werden. Die Zentren sind meist groß, geografisch isoliert und der Standard der Unterbringungsbedingungen schwankt zum Teil erheblich. Derzeit gibt es 14 Erstaufnahmezentren, aber Anfang 2019 hat das Innenministerium verlautbart, die großen Zentren schließen und durch kleinere ersetzen zu wollen, weil diese leichter zu kontrollieren seien. Im Falle von Platzmangel kann auch auf temporäre Strukturen (Centri di accoglienza straordinaria, CAS) zurückgegriffen werden, das sind Notunterkünfte der Präfekturen. Die Unterbringung in einem CAS soll so kurz als möglich dauern, bis zur Unterbringung des Betreffenden in einem Erstaufnahmezentrum. Doch es gibt derzeit über 9.000 CAS in ganz Italien und sie bilden damit die Mehrheit der im Land verfügbaren Unterbringungsplätze. Auch in den CAS ist der Unterbringungsstandard stark von der betreibenden Präfektur abhängig. In der Vergangenheit wurden einige CAS stark für die dortigen Zustände kritisiert. In Zukunft sollen die Ende 2018 veröffentlichten amtlichen Ausschreibungsvorgaben für Unterbringungseinrichtungen die Standards für die Unterbringung im gesamten Land vereinheitlichen (AIDA 4.2019).

Die Erstaufnahmezentren müssen seit Oktober 2018 alle Asylsuchenden, einschliesslich Vulnerabler, mit Ausnahme von UMA, aufnehmen. Die Aufnahmezentren der ersten Stufe haben infolge der neuen Vorschriften für das öffentliche Auftragswesen mit erheblichen Budgetkürzungen zu kämpfen. Diese Kürzungen führen zu einer Verringerung des Personalbestands und somit einer Verschlechterung der Betreuung der Asylsuchenden (SFH 8.5.2019).

Die Integration der Asylsuchenden beginnt erst nach Zuerkennung eines Schutztitels und Verlegung in ein SIPROIMI. Die Erstaufnahmeeinrichtungen bieten keine Integrationsprojekte, wie Berufsorientierung, etc. (AIDA 4.2019).

(Für Informationen zu SIPROIMI siehe Abschnitt 7. “Schutzberechtigte”, Anm.)

Private Unterbringung / NGOs

Außerhalb der staatlichen Strukturen existiert noch ein Netzwerk privater Unterbringungsmöglichkeiten, betrieben von karitativen Organisationen bzw. Kirchen. Ihre Zahl ist schwierig festzumachen. Interessant sind sie speziell in Notfällen oder als Integrationsmittel. Im April 2017 beherbergten außerdem über 500 Familien in Italien einen Fremden. In einer Initiative der Caritas waren im Mai 2017 rund 500 weitere Migranten privat untergebracht (AIDA 4.2019).

Im Feber 2018 waren in ganz Italien geschätzt mindestens 10.000 Personen von der Unterbringung faktisch ausgeschlossen, darunter Asylwerber und Schutzberechtigte. Sie leben nicht selten in besetzen Gebäuden, von denen mittlerweile durch Involvierung von Regionen oder Gemeinden aber auch viele legalisiert wurden (MSF 8.2.2018). Informelle Siedlungen gibt es im ganzen Land, wenn auch Ende 2018 einige von den Behörden geräumt wurden (AIDA 4.2019). Auch Vertreter von UNHCR, IOM und anderer humanitärer Organisationen und NGOs, berichteten über tausende von legalen und illegalen Migranten und Flüchtlingen, die in verlassenen Gebäuden und in unzulänglichen und überfüllten Einrichtungen in Rom und anderen Großstädten leben und nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, Rechtsberatung, Bildung und anderen öffentlichen Dienstleistungen haben (USDOS 13.3.2019).

Mit Stand 30.9.2019 befanden sich in Italien 99.599 Migranten in staatlicher Unterbringung (VB 30.9.2019).

CPR (Centri di Permanenza per il Rimpatrio)

Italien verfügt außerdem über sieben Schubhaftzentrum (CPR) mit zusammen 751 Plätzen. Unbegleitete Minderjährige und Vulnerable dürfen nicht in CPR untergebracht werden, Familien hingegen schon. In der Praxis werden aber nur sehr selten Kinder in CPR untergebracht. Wenn Migranten in den Hotspots die Abgabe von Fingerabdrücken verweigern, können sie zu Identifikationszwecken für max. 180 Tage in CPR inhaftiert werden (AIDA 4.2019).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 19.9.2019

?        MSF – Médecins Sans Frontières (8.2.2018): “Out of sight” – Second edition, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424506.html, Zugriff 8.10.2019

?        USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004308.html, Zugriff 23.9.2019

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

?        VB des BM.I Italien (30.9.2019): Bericht des VB, per E-Mail

?        VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

4.2.    Dublin-Rückkehrer

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) wird festgelegt, dass die Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“), welche CAS und CARA ersetzen sollen, ausdrücklich auch die reguläre Unterbringungsmöglichkeit für Dublin-Rückkehrer sind (VB 19.2.2019), da für Asylwerber kein Zugang zu den Zentren der zweiten Stufe (SIPROIMI-Zentren) vorgesehen ist (AIDA 4.2019).

Im Sinne des Tarakhel-Urteils stellte Italien im Februar 2015 in einem Rundbrief eine Liste von Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, welche als Dublin-Rückkehrer nach Italien kommen. Im Sinne der neuen Rechtslage im Land hat Italien am 8. Jänner 2019 einen neuen Rundbrief versendet und auf die geänderten Gegebenheiten reagiert. Es wird darin bestätigt, dass in Übereinstimmung mit dem neuen Gesetz 132/2018, gemäß der Dublin-VO rücküberstellte Antragsteller nicht in SIPROIMI, sondern im Rahmen der Erstaufnahme (s.o.) untergebracht werden. Italien garantiert, dass diese Zentren dafür geeignet sein werden, um alle Arten von Betroffenen zu betreuen und die Einhaltung ihrer Grundrechte zu gewährleisten, vor allem die Familieneinheit und den Schutz Minderjähriger (MdI 8.1.2019; vgl. AIDA 4.2019).

Genauer sollen Dublin-Rückkehrer, die bereits einen Asylantrag in Italien gestellt hatten, bevor sie das Land verließen, vom Flughafen in die Provinz der Antragstellung überstellt werden. Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Asylantrag in Italien gestellt haben, sind in der Provinz des Ankunftsflughafens unterzubringen. Die Familieneinheit sollte dabei immer gewahrt bleiben. (AIDA 4.2019).

Bezüglich des Verlustes des Rechtes auf Unterbringung gelten noch immer die Regeln aus dem Dekret 142/2015: Verlässt eine Person unerlaubt eine staatliche Unterbringung, so wird von einer freiwilligen Abreise ausgegangen und sie verliert das Recht auf Unterbringung. Dies gilt auch nach einer Dublin-Rückkehr (SFH 8.5.2019). Die Präfektur kann eine neuerliche Unterbringung verweigern (AIDA 4.2019). Solche Personen sind gegebenenfalls auf private oder karitative Unterbringungsmöglichkeiten bzw. Obdachlosenunterkünfte angewiesen. Hat der Rückkehrer vor der Weiterreise kein Asylgesuch in Italien gestellt und tut dies erst nach der Rückkehr, besteht das Recht auf Unterbringung ohne Einschränkung. Da sich die formelle Einbringung des Antrags aber oftmals über Wochen verzögern kann, kann bis zur Unterbringung eine entsprechende Lücke entstehen (SFH 8.5.2019; vgl. AIDA 4.2019).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 29.8.2019

?        MdI – Ministero dell‘Interno (8.1.2019): Circular Letter, per E-Mail

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

?        VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

4.3.    Medizinische Versorgung

Mit Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) ist die medizinische Versorgung von Asylwerbern weiterhin gewährleistet. Es wurde oft kritisiert, dass durch das neue Gesetz Asylwerber von der medizinischen Versorgung abgeschnitten würden, weil deren Registrierung bei den Gemeinden („residenza“) nicht mehr vorgesehen ist. Letzteres ist grundsätzlich richtig, allerdings unterscheidet Italien beim „Wohnsitz“ zwischen „residenza“ und „domicilio“ (VB 19.2.2019). Nach der neuen Rechtslage ist die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst für Asylwerber auf Basis des „domicilio“ garantiert (CILD 1.2.2019), welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Somit ist auch für Asylwerber weiterhin die Ausstellung einer Gesundheitskarte („tessera sanitaria“) möglich, mit welcher sie Zugang zu den medizinischen Leistungen erhalten. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmezentren Ärzte beschäftigt, die neben medizinischen Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen auch die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (VB 19.2.2019).

Asylwerber und Personen mit einem Schutzstatus in Italien müssen sich beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst registrieren und haben dann in Bezug auf medizinische Versorgung dieselben Rechte und Pflichten wie italienische Staatsbürger. Das gilt unabhängig davon, ob sie staatliche Versorgung genießen oder nicht. Das Recht auf medizinische Versorgung entsteht formell im Moment der Registrierung eines Asylantrags, wobei es aber in der Praxis in einigen Regionen bis zu einigen Monaten Verzögerung kommen kann (AIDA 4.2019), weil bei bestimmten Quästuren die Zuweisung des Steuer-Codes (codice fiscale), die im Zuge der Formalisierung des Asylantrags erfolgt und für den Zugang zur medizinischen Versorgung wichtig ist, länger dauert. Bis dahin haben die betroffenen Asylsuchenden nur Zugang zu medizinischen Basisleistungen wie etwa einer Notfallversorgung, wie sie gemäß Artikel 35 des Einwanderungsgesetzes (TUI) auch illegalen Migranten zusteht. Die Anmeldung beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst erfolgt im zuständigen Büro des lokalen Gesundheitsdienstes (Azienda sanitaria locale, ASL), in der Gemeinde, in der der Asylwerber seinen Wohnsitz (domicilio) hat. Im Zuge der Registrierung wird eine europäische Gesundheitskarte (tessera europea di assicurazione malattia) ausgestellt. Die Registrierung berechtigt zu folgenden Leistungen: freie Wahl eines Hausarztes bzw. Kinderarztes (kostenlose Arztbesuche, Hausbesuche, Rezepte, usw.); Geburtshilfe und gynäkologische Betreuung bei der Familienberatung (consultorio familiare) ohne allgemeinärztliche Überweisung; kostenlose Aufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern. Das Recht auf medizinische Versorgung sollte im Rahmen der Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis nicht erlöschen. Wenn die Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, besteht keine Garantie auf Zugang zu nicht notwendiger medizinischer Versorgung bis zur Erneuerung derselben, was aufgrund bürokratischer Verzögerungen einige Zeit dauern kann. Wenn Asylwerber keine Wohnsitzmeldung (domicilio) vorweisen können, erhalten sie auch keine Gesundheitskarte. Eines der größten Hindernisse für den Zugang zu Gesundheitsdiensten ist jedoch die Sprachbarriere (AIDA 4.2019).

Asylwerber können sich auf Basis einer Eigendeklaration bei den ASL als bedürftig registrieren lassen. Sie werden dann arbeitslosen Staatsbürgern gleichgestellt und müssen keine Praxisgebühr („Ticket“) bezahlen. Die Befreiung gilt zunächst für zwei Monate ab Asylantragstellung (da in diesem Zeitraum kein Zugang zum Arbeitsmarkt besteht). Um die Ticket-Befreiung danach beizubehalten, müssen sich die AW offiziell arbeitslos melden. Laut Gesetz ist die Ticket-Befreiung auch bei niedrigem Einkommen möglich, doch durch die neue Rechtslage mit Gesetz 132/2018 kommen Asylwerber mit niedrigem Einkommen nicht in diesen Genuss, da ihnen entsprechende Bestätigungen aufgrund mangelnder verwaltungsinterner Anweisungen nicht ausgestellt werden (AIDA 4.2019).

Asylwerber mit psychischen Problemen und Folteropfer haben dasselbe Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung wie italienische Bürger. In der Praxis haben sie die Möglichkeit, von speziellen Leistungen des nationalen Gesundheitsdienstes, spezialisierter NGOs oder privater Stellen zu profitieren. Die NGOs ASGI und Ärzte ohne Grenzen betreiben in Rom seit April 2016 ein Zentrum zur Identifikation und Rehabilitation von Folteropfern. ASGI arbeitet auch mit anderen Institutionen zusammen und beobachtet die Einhaltung der verfassungsmäßigen Rechte der Migranten auf medizinische Versorgung (AIDA 4.2019).

Bei den Gesundheitsdienstleistungen in den Zentren sehen die neuen Ausschreibungskriterien in Aufnahmezentren mit bis zu 50 Plätzen durchschnittlich nur noch vier Stunden ärztliche Betreuung pro Person und Jahr vor, Pflegepersonal ist in diesen Zentren keines mehr vorgesehen. In großen Zentren (bis zu 300 Plätzen) muss ein Arzt nur noch 24 Stunden pro Woche statt wie bisher rund um die Uhr anwesend sein. Für die Zentren ist keine Unterstützung durch interne Psychologen/Psychiater mehr vorgesehen. Die soziale Unterstützung für Zentren mit bis zu 50 Plätzen wurde auf sechs Stunden pro Woche reduziert, jene für Zentren mit bis zu 300 Plätzen auf 24 Stunden pro Woche (SFH 8.5.2019).

MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (4.2019): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf, Zugriff 19.9.2019

?        CILD - Coalizione Italiana Libertà e Diritti Civili (1.2.2019): ANAGRAFE E DIRITTI: COSA CAMBIA COL DECRETO SALVINI. Know Your Rights, https://immigrazione.it/docs/2019/know-your-rights.pdf, Zugriff 26.2.2018

?        MedCOI – Medical Country of Origin Information (14.12.2016): Auskunft MedCOI, per E-Mail

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (8.5.2019): Aktuelle Situation für Asylsuchende in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008993/190508-auskunft-italien.pdf, Zugriff 25.9.2019

?        VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

Zusammengefasst wurde im Bescheid festgehalten, dass die Identität des Beschwerdeführers nicht feststehe. Der Beschwerdeführer leide an keinen schweren, lebensbedrohenden Krankheiten. Er leide an Diabetes und müsse Medikamente einnehmen. In Österreich sei der Beschwerdeführer deswegen auch eine Woche in einem Krankenhaus stationär behandelt worden. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer an schweren Erkrankungen leiden würde, welche einer Überstellung nach Italien entgegenstehen würden. Er habe auch in Italien die notwendigen Medikamente erhalten. Eine Immunschwäche bestehe nicht, sodass der Beschwerdeführer auch in Hinblick auf die COVID-19-Pamdemie nicht als besonderer Risikofall anzusehen sei. Die italienischen Behörden hätten der Wiederaufnahme des Beschwerdeführers nach Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO ausdrücklich zugestimmt. Der Beschwerdeführer habe nach seiner Einreise in die EU das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zwischenzeitig auch nicht wieder verlassen. In Österreich oder einem anderen Staat der EU verfüge der Beschwerdeführer über keine familiären Bindungen. Als private Bindung in Österreich habe er seine „Freundin“ angeführt. Er habe explizit angegeben, dass es sich bei dieser Dame um eine „Freundin“ und nicht um seine „Partnerin“ handle. Zu dieser Dame sei der Beschwerdeführer auch kurzzeitig verzogen; da die Vermieterin der Genannten die Anmeldung des Beschwerdeführers jedoch nicht zugelassen hätte, habe dieser dort nicht bleiben können. Ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis habe weder der Beschwerdeführer noch die angeführte „Freundin“ behauptet und sei auch der Aktenlage nicht zu entnehmen. In Gesamtschau habe daher kein Privat- oder Familienleben festgestellt werden können. Eine besondere Integrationsverfestigung des Beschwerdeführers sei nicht zu erkennen. Gründe, welche gegen eine Rückkehr nach Italien sprechen würden, habe der Beschwerdeführer nicht angegeben. Er habe lediglich erklärt, dass es ihm in Österreich gut gefalle und er hier arbeiten wolle. Er habe in Italien die notwenige Medikation erhalten und er werde diese auch bei seiner Rückkehr wieder erhalten. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr in Italien ordnungsgemäß untergebracht und versorgt werden würde. Eine Schutzverweigerung Italiens sei nicht zu erwarten. Asylwerber könnten sich im Zuge der Feststellung des für das Asylverfahren zuständigen Dublinstaates nicht jenen Mitgliedstaat aussuchen, der seinen persönlichen Präferenzen am besten entsprechen würde. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Italien systematischen Misshandlungen bzw Verfolgungen ausgesetzt gewesen wäre oder diese dort zu erwarten hätte. Die Feststellungen zur COVID-19-Pandemie würden sich aus dem Amtswissen und die konkreten Daten aus den Angaben der Johns Hopkins University in Baltimore ergeben, welche Daten rund um die Pandemie sammle, auswerte und zur Verfügung stelle. Die Feststellungen zum Virus SARS-CoV-2 würden sich aus den vom BM für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz als oberste Gesundheitsbehörde veröffentlichten Informationen ergeben. Aus den Angaben des Beschwerdeführers seien keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden, dass dieser tatsächlich konkret Gefahr liefe, in Italien Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass diesem eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Es liege, wie bereits gesagt, kein Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich vor; das habe dieser auch selbst explizit so angegeben. Zum Privatleben des Beschwerdeführers in Österreich sei festzuhalten, dass sich dieser erst seit wenigen Wochen in Österreich aufhalte. Dem Beschwerdeführer habe bereits im Zeitpunkt der Asylantragstellung klar sein müssen, dass der Aufenthalt in Österreich im Falle einer Ab- oder Zurückweisung seines Asylantrages nur ein vorübergehender sei. Die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und einem geordneten Zuzug würden dem privaten Interesse an einem Verbleib in Österreich überwiegen. Es sei daher davon auszugehen, dass die Anordnung der Außerlandesbringung nicht zu einer relevanten Verletzung der Dublin III-VO sowie von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK führe und die Zurückweisungsentscheidung daher unter diesen Aspekten zulässig sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG habe bei Abwägung aller Umstände nicht erschüttert werden können. Die aktuelle COVID-19-Pandemie erfordere auch nicht, dass Österreich vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müsse. Eine Epidemie in einem Mitgliedstaat sei zwar grundsätzlich unter dem Aspekt des Art 3 EMRK beachtlich. Da es sich gegenständlich jedoch nicht bloß um einen Epidemie in einem Mitgliedstaat, sondern um eine Pandemie handle, sei das allgemeine Lebensrisiko am Erreger SARS-CoV-2 zu erkranken, weltweit, dh sowohl im zuständigen Mitgliedstaat als in Österreich, erhöht. Hinzu komme, dass das individuelle Risiko des Beschwerdeführers an SARS-CoV-2 schwer oder gar tödlich zu erkranken nicht sehr hoch sei. Das Risiko eines schweren Verlaufs der Erkrankung sei bei gesunden, nicht immungeschwächten Menschen viel geringer als bei Menschen aus Risikogruppen. Ein „real risk“ einer Verletzung des Art 3 EMRK drohe dem Beschwerdeführer in Italien aufgrund der Pandemie nicht. Es habe sich kein zwingender Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts ergeben.

Am 25.09.2020 langte fristgerecht eine Beschwerde beim Bundesamt ein. Darin wird zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer im Verfahren die Gründe geschildert habe, warum er nicht nach Italien zurückkehren könne. Darauf werde verwiesen und diese würden aufrechterhalten. Wie bereits ausgeführt, habe der Beschwerdeführer in Österreich eine Freundin, welche er vor ein paar Monaten über das Internet kennengelernt habe. Er habe auch bereits einige Tage bei der Genannten gewohnt. Man wolle die Beziehung gerne vertiefen. In Italien habe der Beschwerdeführer demgegenüber niemanden. Das italienische Asylwesen würde systemische Mängel aufweisen Die Schweizerische Flüchtlingshilfe würde vor Überstellungen nach Italien deshalb auch abraten. Aufgrund der Salvini-Gesetze würde den Dublin-Rückkehren nun erst recht drohen, weder Unterkunft noch Verpflegung oder ausreichende Unterstützung zu bekommen. Es sei davon auszugehen, dass sich aufgrund der COVID-19-Pandemie, von der gerade Italien besonders schwer getroffen würde, die Situation für Flüchtlinge noch zusätzlich verschlechtert habe. Die Behörde habe auch die Diabeteserkrankung des Beschwerdeführers nicht ausreichend berücksichtigt. Zuckerkranke könnten sehr wohl zur Risikogruppe der Corona-Pandemie gehören; die Behörde habe hiezu weitere Nachforschungen unterlassen. Die Überstellung nach Italien würde Art 3 EMRK widersprechen, weshalb vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch gemacht hätte werden müssen. Es wurde beantragt, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Die „Freundin“ des Beschwerdeführers gab schriftlich bekannt, dass sie mit dem Beschwerdeführer, welchen sie vor etwa 4 Monaten über das Internet kennen gelernt habe, eine Partnerschaft aufbauen und diesen sobald als möglich heiraten wolle. Der Beschwerdeführer habe in Italien alles hinter sich gelassen, um sich mit ihr hier ein gemeinsames Leben aufzubauen. Sie werde sich bemühen, dem Beschwerdeführer schnellstmöglich die Sprache beizubringen und für diesen eine Arbeit zu finden. In Italien habe der Beschwerdeführer niemanden.

Mit Beschwerdeergänzung vom 16.10.2020 wurde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer und seine „Freundin“ bereits am 15.07.2020 in einem Islamischen Zentrum in Österreich nach muslimischen Recht geheiratet hätten. Aus Angst, dass seine nunmehrige Frau dadurch Probleme bekommen könnte, habe er dies bisher verschwiegen. Nunmehr sei ihm aber klar geworden, dass es besser sei, die Wahrheit zu sagen. Der Beschwerdeführer wolle sich für sein Verhalten entschuldigen. Vorgelegt wurden eine Kopie der Heiratsurkunde, der Bestätigung der Konversion seiner nunmehrigen Frau und 3 Fotos der „Hochzeit“. Bei Bedarf könnten auch Videos der Hochzeit vorgelegt werden. Am 20.10.2020 wurden weitere 10 Fotos der „Hochzeit“ in Kopie vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger aus Pakistan, reiste aus der Türkei kommend ursprünglich über Griechenland, wo er sich für etwa 6 Monate aufhielt und auch um Asyl ansuchte (22.09.2017), in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ein. In der Folge gelangte der Beschwerdeführer eigenen Angaben zufolge über Albanien, Montenegro, Bosnien, Kroatien und Slowenien nach Italien. Dort suchte der Beschwerdeführer am 14.12.2018 um Asyl an. Am 02.07.2020 reiste der Beschwerdeführer illegal nach Österreich und stellte hier am 11.08.2020 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer hat nach seiner Einreise in Italien das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht wieder für mehr als 3 Monate verlassen.

Der Beschwerdeführer hat nach seiner illegalen Einreise nach Österreich am 02.07.2020 nicht sofort um Asyl angesucht. Die österreichische Dublin-Behörde leitete am 03.07.2020 ein Konsultationsverfahren mit Italien ein (Wiederaufnahmegesuch nach Art 18 Abs 1 lit b Dublin III-VO). Mit Schreiben vom 14.07.2020 stimmte Italien der Wiederaufnahme des Beschwerdeführers nach Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO ausdrücklich zu. Das Konsultationsverfahren ist im Akt dokumentiert.

Am 15.07.2020 heiratete der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsangehörige nach islamischem Ritus in einem Islamischen Zentrum in Österreich.

Mit Schreiben vom 21.07.2020 informierte das Bundesamt die italienische Dublin-Behörde vom unbekannten Aufenthalt des Beschwerdeführers und die sich daraus ergebende Verlängerung der Überstellungsfrist.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Allgemeinsituation im Mitgliedstaat Italien an.

Konkrete, in der Person des Beschwerdeführers gelegene Gründe, welche für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, liegen nicht vor.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Überstellung nach Italien Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Der Beschwerdeführer ist nicht lebensbedrohlich erkrankt; er leidet nicht an akuten Erkrankungen, die eine Überstellung nach Italien unzulässig machen würden. Der Beschwerdeführer leidet an Diabetes und muss Insulin einnehmen. In Österreich wurde der Beschwerdeführer aufgrund der angeführten Erkrankung eine Woche stationär in einem Krankenhaus behandelt. In Italien sind alle Krankheiten behandelbar und alle gängigen Medikamente, so auch Insulin, erhältlich. Es ist ausreichende medizinische Versorgung für Asylwerber gewährleistet, welche auch in der Praxis zugänglich ist.

Die aktuelle Situation hinsichtlich der Covid-19-Pandemie begründet keine Unmöglichkeit einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Italien. Bei Covid-19 handelt es sich um eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung so schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf. Mit Stichtag 24.11.2020 hat es in Italien insgesamt 1.431.795 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen, 796.849 aktive Fälle, 584.493 genesene Fälle und 50.453 Todesfälle gegeben.

In Österreich befindet sich die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, welche dieser zwei Wochen nach seiner illegalen Einreise nach Österreich nach islamischem Ritus in einem Islamischen Zentrum „geheiratet“ hat. Der Beschwerdeführer hat wenige Tage bei seiner Lebensgefährtin, einer österreichischen Staatsangehörigen, gewohnt. Es besteht derzeit weder ein gemeinsamer Haushalt noch liegen finanzielle oder sonstige wechselseitige Abhängigkeiten zwischen den Genannten vor; ein Pflegebedarf ist nicht ersichtlich.

Seit 07.09.2020 befindet sich der Beschwerdeführer wieder in der Grundversorgung des Bundes und ist in einer Betreuungsstelle untergebracht.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen hinsichtlich der illegalen Einreise des Beschwerdeführers in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten über Griechenland und in der Folge aus Slowenien kommend in Italien ergeben sich aus den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers in Zusammenschau mit den Eurodac-Treffermeldungen der Kategorie „1“ mit Griechenland und mit Italien.

Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer nach seiner Einreise in Italien im Dezember 2018 das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten wieder für mehr als 3 Monate verlassen hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Die Feststellung hinsichtlich der Zustimmung Italiens zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers nach Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO ergibt sich aus dem durchgeführten Konsultationsverfahren zwischen der österreichischen und der italienischen Dublin-Behörde. Der diesbezügliche Schriftwechsel ist im Akt dokumentiert.

Der Umstand des vorübergehenden unbekannten Aufenthalts des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer entsprechenden Mitteilung des Bundesamtes an Italien vom 21.07.2020. Dass der Beschwerdeführer einige Tage bei seiner Lebensgefährtin aufhältig war, ergibt sich auch aus den glaubhaften Ausführungen hiezu in der Beschwerde.

Dass der Beschwerdeführer nunmehr (wieder) in einer Betreuungseinrichtung aufhältig ist und wieder Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch nimmt, ergibt sich aus einer ZMR-Abfrage bzw einer Abfrage des Betreuungsinformationssystems des Bundes sowie einem diesbezüglichen Schreiben des Bundesamtes vom 07.09.2020.

Die Feststellung der „Eheschließung“ des Beschwerdeführers in einem islamischen Zentrum nach islamischem Ritus mit einer österreichischen Staatsangehörigen am 15.07.2020 beruht auf den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers und der im Beschwerdeverfahren vorgelegten Kopie einer Heiratsurkunde. Wenn die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers in ihrer am 22.09.2020 übermittelten „Stellungnahme“ davon spricht, den Beschwerdeführer schnellst möglich heiraten zu wollen, ist nach dem oben Gesagten davon auszugehen, dass damit eine standesamtliche Eheschließung gemeint ist.

Die Feststellung des Nichtbestehens von finanziellen Abhängigkeiten beruht darauf, dass sich der Beschwerdeführer (wieder) in der Grundversorgung befindet und auch behördlich untergebracht ist. Das Vorliegen irgendwelcher sonstiger Abhängigkeiten wurde weder vom Beschwerdeführer noch von dessen Lebensgefährtin im Verfahren jemals behauptet. Ein etwaiger (wechselseitiger) Pflegebedarf wurde nicht releviert.

Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat resultiert aus den umfangreichen und durch aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides, welche auf alle entscheidungsrelevanten Fragen eingehen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat in seiner Entscheidung neben Ausführungen zur Versorgungslage von Asylwerbern in Italien auch Feststellungen zur dortigen Rechtslage und Vollzugspraxis von asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen (darunter konkret auch im Hinblick auf Rückkehrer nach der Dublin-VO) samt dem jeweiligen Rechtschutz im Rechtsmittelweg getroffen. Dabei wurde die geänderte Gesetzeslage in Italien (Gesetzesdekret Nr 113 vom 4.10.2018 in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr 132 vom 1.12.2018; „Salvini-Dekret“ bzw „Salvini-Gesetz“) berücksichtigt und die Neuerungen betreffend die Erteilung von Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen und betreffend die (medizinische) Versorgung von Asylwerbern umfassend dargestellt.

Aus den im angefochtenen Bescheid dargestellten Länderinformationen ergeben sich keine ausreichend begründeten Hinweise darauf, dass das italienische Asylwesen grobe systemische Mängel aufweisen würde. Insofern war aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts insbesondere in Bezug auf die Durchführung des Asylverfahrens, die medizinische Versorgung sowie die Sicherheitslage von Asylsuchenden in Italien, den Feststellungen der erstinstanzlichen Entscheidung zu folgen. Individuelle, unmittelbare und vor allem hinreichend konkrete Bedrohungen, welche den Länderberichten klar und substantiell widersprechen würden, hat der Beschwerdeführer nicht dargetan. Eine den Beschwerdeführer konkret treffende Bedrohungssituation in Italien wurde nicht ausreichend substantiiert vorgebracht (siehe hiezu die weiteren Ausführungen unten).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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