TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/25 L503 2235995-1

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Veröffentlicht am 25.11.2020
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Entscheidungsdatum

25.11.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


L503 2235995-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. DIEHSBACHER als Vorsitzenden und die Richterin Mag.a JICHA sowie den fachkundigen Laienrichter RgR PHILIPP über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Oberösterreich, vom 09.04.2020, XXXX , zu Recht erkannt:

A.) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B.) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Die nunmehrige Beschwerdeführerin (im Folgenden kurz: „BF“) beantragte am 16.1.2020 beim Sozialministeriumservice (im Folgenden kurz: „SMS“) die Ausstellung eines Behindertenpasses (angeführte Gesundheitsschädigung: „Krebs“).

2. Am 31.1.2020 beantragte die BF die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO (Parkausweis) und somit die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ im Behindertenpass (angeführte Gesundheitsschädigung wiederum: „Krebs“).

3. Im Gefolge der Anträge der BF wurde am 17.2.2020 von Dr. M. M. ein Aktengutachten erstellt, in dem als Ergebnis der durchgeführten Begutachtung zusammengefasst wie folgt festgehalten wurde:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Darmkrebs / primär hepatal metastasiertes Rektum-CA (ED 04/2018) mit Zweitcarcinom Colon rechte Flexur (ED 12/2018) bei V.a. familiärer Adenopolyposis Coli;

Z.n. Hemicolektomie links und Lobektomie linker Leberlappen 5/2018 sowie Z.n. erweiterter Hemicolektomie rechts mit lleodescendostomie und intraoperativer Coloskopie bei Zweitcarcinom 4/2019, Z.n. postoperativem subdiaphragmalen Abszess, Z. n. postoperativer Anastomoseninsuffizienz mit Pigtail-Drainage, adjuvanter Konversionstherapie mit Folfox/Cetuximab, erneut multiple Polypen mit zum Teil hochgradigen Dysplasien, lt. CT-Kontrolle von 11/2019 finden sich keine intrahepatalen Herdbefunde mehr, kein Anhalt für eine Lokal- oder Fernmetastasierung, Tumormarker sind unauffällig, Begleitdepression, Gewicht ist stabil, ansonsten guter Allgemeinzustand - innerhalb der Heilungsbewährung mit weiterführender Behandlungsnotwendigkeit;

13.01.03

80 vH

 

Gesamtgrad der Behinderung

80 vH

 

Im Hinblick auf die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde ausgeführt, es hätten keine Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt werden können, die zu einer erheblichen Einschränkung der Mobilität führen.

4. Mit Schreiben vom 26.2.2020 übermittelte das SMS der BF das Gutachten von Dr. M. M. vom 17.2.2020 und wies darauf hin, dass die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ nicht vorliegen würden; somit seien auch die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Parkausweises und ein Anspruch auf den Bezug einer Gratisvignette nicht gegeben. Es bestehe die Möglichkeit, innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt dieses Schreibens eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.

5. Seitens der BF wurde keine Stellungnahme abgegeben.

6. Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 9.4.2020 wies das SMS den Antrag der BF auf Vornahme der Zusatzeintragung in den Behindertenpass „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ gemäß §§ 42 und 45 BBG ab.

Begründend wurde – neben Darstellung der rechtlichen Grundlagen - ausgeführt, im Ermittlungsverfahren sei ein Gutachten eingeholt worden; nach diesem Gutachten würden die Voraussetzungen für die begehrte Zusatzeintragung nicht vorliegen. Gemäß § 45 Abs 3 AVG sei der BF mit Schreiben vom 26.2.2020 Gelegenheit gegeben worden, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen; da eine Stellungnahme innerhalb der gesetzten Frist nicht eingelangt sei, habe vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens nicht abgegangen werden können. Beigelegt wurde das Gutachten von Dr. M. M. vom 17.2.2020.

7. Mit E-Mail vom 28.5.2020 erhob die BF fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid vom 9.4.2020. In der Beschwerde führte die BF wörtlich wie folgt aus: „Ich S. S. erhebe Einspruch auf Grund dessen, dass ich eine schwere Darmerkrankung habe und es mir einfach nicht möglich ist einen weiten Weg auf mich zu nehmen wenn es dringend ist (WC). Ansonsten kann ich es schwer zurück halten und bekomme starke Schmerzen. Ich bin auch in Therapie seit meiner Operation da mir das gehen und lange stehen Schmerzen verursacht! Ich bitte Sie höflichst es erneut zu prüfen und mir einen positiven Bescheid zuzusenden!“

8. Im Gefolge der Stellungnahme der BF holte das SMS ein weiteres Sachverständigengutachten ein und wurde die BF am 16.9.2020 von Dr. F. K., Facharzt für Innere Medizin, untersucht und führte der Gutachter in seinem Gutachten vom 12.10.2020 auszugsweise wie folgt aus:

„Anamnese:

Antrag zur Ausstellung eines Behindertenpasses und eines Parkausweises.

Alle vorhandenen Befunde wurden eingesehen.

Vorgutachten, Dr. M. M. vom 16.02.2020, GdB: 80 %

Diagnose:

Darmkrebs / primär hepatal metastasiertes Rektum-CA (ED 04/2018) mit Zweitcarcinom Colon rechte Flexur (ED 12/2018) bei V.a. familiärer Adenopolyposis Coli

Z.n. Hemicolektomie links und Lobektomie linker Leberlappen 5/2018 sowie Z.n. erweiterter Hemicolektomie rechts mit lleodescendostomie und intraoperativer Coloskopie bei Zweitcarcinom 4/2019, Z.n. postoperativem subdiaphragmalen Abszess, Z. n. postoperativer Anastomoseninsuffizienz mit Pigtail-Drainage, adjuvanter Konversionstherapie mit Folfox/Cetuximab, erneut multiple Polypen mit zum Teil hochgradigen Dysplasien, lt. CT-Kontrolle von 11/2019 finden sich keine intrahepatalen Herdbefunde mehr, kein Anhalt für eine Lokal- oder Fernmetastasierung, Tumormarker sind unauffällig, Begleitdepression, Gewicht ist stabil, ansonsten guter Allgemeinzustand

Antrag Parkausweis

Derzeitige Beschwerden:

wenn sie aufs WC - große Seite - muss sie sofort aufs Klo, kann den Stuhl nicht halten – bis zu 6-7x Stuhlgänge tagsüber, nachts auch bis zu 5x je nach Essensaufnahme (Scharfe Speisen und fetthaltige Speisen), wird leicht müde, schlecht belastbar, kann 1 Std. in der Ebene spazieren gehen. Durch Anämie kann sie den Haushalt eingeschränkt machen – ist schnell müde

klagt über Nackenschmerzen und Rückenschmerzen und Füße, keine Schwellungen -

Antrag auf Reha gestellt.

Zusammengefasst wurde als Ergebnis der durchgeführten Begutachtung sodann im Gutachten wie folgt festgehalten:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

01

Darmkrebs / primär hepatal metastasiertes Rektum-CA (ED 04/2018) mit Zweitcarcinom Colon rechte Flexur (ED 12/2018 - Z.n. Hemicolektomie links und Lobektomie linker Leberlappen 5/2018 sowie Z.n. erweiterter Hemicolektomie rechts mit lleodescendostomie und intraoperativer Coloskopie bei Zweitcarcinom 4/2019, Z.n. postoperativem subdiaphragmalen Abszess, Z. n. postoperativer Anastomoseninsuffizienz mit Pigtail-Drainage, adjuvanter Konversionstherapie mit Folfox/ Cetuximab, erneut multiple Polypen mit zum Teil hochgradigen Dysplasien, lt. CT-Kontrolle von 11/2019 finden sich keine intrahepatalen Herdbefunde mehr, kein Anhalt für eine Lokal- oder Fernmetastasierung, Tumormarker sind unauffällig, Begleitdepression, Gewicht ist stabil, ansonsten stabiler Allgemeinzustand ;

Als Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten wurde ausgeführt: „Weitere Stabilisierung des Grundleidens (die stationäre Entlassung erfolgte bereits 11/2019 in gutem Allgemeinzustand). Kein Hinweis auf eine erneut aufgetretene subdiaphragmale Abszessbildung, es finden sich keine intrahepatalen Herdbefunde mehr, kein Anhalt für eine Lokal- oder Fernmetastasierung, Tumormarker sind unauffällig. Begleitende Eisenmangelanämie wird durch Eisensubstitution therapiert.“

Im Hinblick auf die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde ausgeführt: „Es besteht eine Müdigkeit aufgrund der Eisenmangelanämie, die jedoch gut durch eine Substitutionstherapie beherrschbar ist. Es finden sich keine Hinweise in den Befunden, dass postoperative Komplikationen aufgetreten wären, weshalb ein WC häufiger aufgesucht werden müsste als üblicherweise nach derartigen Operationen. Ebenso findet sich kein Hinweis darauf, dass handelsübliche Inkontinenzprodukte nicht ausreichend wären (bei dieser Form des Stuhldranges können Einlagen verwendet werden). Kurze Wegstrecke können somit problemlos zurückgelegt werden. Das Ein- und Aussteigen erfolgt ohne Behinderung, der sichere Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist seitens der körperlichen Leistungsfähigkeit gegeben. Frau S. kann ca. 1 Std. in der Ebene spazieren gehen.“

Als gutachterliche Stellungnahme wurde abschließend wie folgt ausgeführt: Gutachterliche Stellungnahme: „Die stationäre Entlassung erfolgte bereits 11/2019 in gutem Allgemeinzustand. Weitere Stabilisierung des Grundleidens (kein Hinweis auf nachfolgende Komplikationen), keine Lebermetastasen mehr nachweisbar (daher auch dadurch bedingt keine Schmerzen), Stuhldrang könnte mit Vorlagen beherrscht werden. Es besteht keine Stomaversorgung.“

9. Am 13.10.2020 legte das SMS den Akt dem BVwG vor und wies darauf hin, dass die fristgerechte Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung nicht mehr möglich gewesen sei.

10. Mit Schreiben zur Wahrung des Parteiengehörs vom 28.10.2020 übermittelte das BVwG der BF das Gutachten von Dr. F. K. vom 12.10.2020 und räumte ihr die Möglichkeit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen ein.

11. Eine Stellungnahme wurde seitens der BF nicht abgegeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF verfügt seit 16.1.2020 über einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 80 v. H.

Am 31.1.2020 beantragte die BF die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass.

1.2. Bei der BF bestehen folgende Funktionseinschränkungen:

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

01

Darmkrebs / primär hepatal metastasiertes Rektum-CA (ED 04/2018) mit Zweitcarcinom Colon rechte Flexur (ED 12/2018 - Z.n. Hemicolektomie links und Lobektomie linker Leberlappen 5/2018 sowie Z.n. erweiterter Hemicolektomie rechts mit lleodescendostomie und intraoperativer Coloskopie bei Zweitcarcinom 4/2019, Z.n. postoperativem subdiaphragmalen Abszess, Z. n. postoperativer Anastomoseninsuffizienz mit Pigtail-Drainage, adjuvanter Konversionstherapie mit Folfox/ Cetuximab, erneut multiple Polypen mit zum Teil hochgradigen Dysplasien, lt. CT-Kontrolle von 11/2019 finden sich keine intrahepatalen Herdbefunde mehr, kein Anhalt für eine Lokal- oder Fernmetastasierung, Tumormarker sind unauffällig, Begleitdepression, Gewicht ist stabil, ansonsten stabiler Allgemeinzustand ;

1.3. Es besteht eine Müdigkeit aufgrund einer Eisenmangelanämie, die jedoch gut durch eine Substitutionstherapie beherrschbar ist. Es finden sich keine Hinweise in den Befunden, dass postoperative Komplikationen aufgetreten wären, weshalb ein WC häufiger aufgesucht werden müsste als üblicherweise nach derartigen Operationen. Ebenso findet sich kein Hinweis darauf, dass handelsübliche Inkontinenzprodukte nicht ausreichend wären (bei dieser Form des Stuhldranges können Einlagen verwendet werden). Kurze Wegstrecke können somit problemlos zurückgelegt werden. Das Ein- und Aussteigen erfolgt ohne Behinderung, der sichere Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist seitens der körperlichen Leistungsfähigkeit gegeben. Die BF kann ca. 1 Std. in der Ebene spazieren gehen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes des SMS.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen zum Behindertenpass der BF und ihrem Antrag auf Vornahme einer Zusatzeintragung ergeben sich unmittelbar aus dem Akteninhalt.

2.3. Die getroffenen Feststellungen zu den bei der BF bestehenden Funktionseinschränkungen und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beruhen auf dem (zuletzt) – aufgrund des Beschwerdevorbringens des BF - vom SMS eingeholten (weiteren) Sachverständigengutachten von Dr. F. K. vom 12.10.2020. Vorweg ist zu diesem Gutachten anzumerken, dass der Gutachter – ein Facharzt für Innere Medizin - die BF eingehend untersucht und in sämtliche Vorbefunde Einsicht genommen und ein nachvollziehbares Gutachten erstattet hat.

Die BF ist diesem weiteren Gutachten trotz der ihr vom BVwG eingeräumten Gelegenheit (Schreiben zur Wahrung des Parteiengehörs vom 28.10.2020) nicht entgegengetreten; sie hat keine Stellungnahme abgegeben. Insofern ist davon auszugehen, dass die BF den Ausführungen des Gutachters nichts entgegen zu setzen vermag.

Darüber hinaus ist anzumerken, dass sich Dr. F. K. in seinem Gutachten mit dem – im Übrigen unsubstantiiert gehaltenen Beschwerdevorbringen (arg. „…ich eine schwere Darmerkrankung habe und es mir einfach nicht möglich ist einen weiten Weg auf mich zu nehmen wenn es dringend ist (WC) …“) eingehend auseinandergesetzt hat. So betonte er – von der BF unbeanstandet -, dass im Fall der BF keine postoperativen Komplikationen aufgetreten seien und dass zwar nach derartigen Operationen (Hemicolectomien – Anmerkung des BVwG: die operative Entfernung von Teilen des Dickdarms) tatsächlich ein erhöhter Stuhldrang vorliegen kann, wobei dieser allerdings nicht ein Ausmaß erreicht, welches der BF die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar machen würde und dass allenfalls auch Einlagen verwendet werden können. Damit im Einklang stehen auch die vom Gutachter wiedergegeben eigenen Angaben der BF, wonach sie Spaziergänge in der Dauer von einer Stunde in der Ebene zurücklegen könne und spricht die BF in ihrer Beschwerde, wie bereits dargelegt, nur lapidar davon, dass es ihr wegen ihres Stuhldranges nicht möglich sei, „weite Wege“ zurückzulegen bzw. dass ihr das Gehen und lange stehen Schmerzen verursache.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1. Allgemeine rechtliche Grundlagen

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gemäß § 45 Abs 4 BBG hat bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs 3 eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

Gegenständlich liegt somit die Zuständigkeit eines Senats vor.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache gem. § 28 Abs 1 VwGVG durch Erkenntnis zu erledigen.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Die hier einschlägigen Bestimmungen des BBG lauten:

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, […]

§ 42. (1) […] Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

[…]

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. […]

§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.

3.3. § 1 Abs 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 idF BGBl. II Nr. 263/2016, lautet:

[…] (4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen: […]

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

[…]

3.4. Im konkreten Fall bedeutet dies:

3.4.1. Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich bereits wiederholt mit der Frage zu beschäftigen, ob Inkontinenz zur Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel führt und eine entsprechende Zusatzeintragung in den Behindertenpass rechtfertigt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 23. Februar 2011, Zl. 2007/11/0142, vom 17. Juni 2013, Zl. 2010/11/0021, und zuletzt vom 21. April 2016, Zl. Ra 2016/11/0018; vgl. auch aus jüngster Zeit das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 23. September 2016, E 439/2016). In den genannten Erkenntnissen hielt der Verwaltungsgerichtshof die Annahme der dort belangten Behörden, die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel durch den Betroffenen sei zumutbar, im Hinblick auf Art und Ausmaß der Inkontinenz für nicht nachvollziehbar. Es wurde ausgeführt, dass es zur Beantwortung dieser Frage - sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt - eines ärztlichen Sachverständigengutachtens bedarf, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden (VwGH vom 9.11.2016, Zl. Ra 2016/11/0137).

3.4.2. Eine offenkundige Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erblickte der VwGH etwa in einem Fall, in dem die Revisionswerberin an einer Durchfallerkrankung „mit häufigem und imperativem Stuhlgang“ (nach ihren unwidersprochenen Angaben mindestens 20mal pro Tag und mit Flatulenzen verbunden) litt, wobei die Zeitpunkte des Stuhlganges für sie in der Regel weder vorhersehbar noch beeinflussbar waren (VwGH 21.4.2016, Zl. Ra 2016/11/0018). Eine offenkundige Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erblickte der VfGH etwa auch in einem Fall, in dem der Beschwerdeführer infolge einer Morbus Crohn Erkrankung an chologener Diarrhö mit 5-10 täglichen, auch nächtlichen Stühlen bei Dranginkontinenz, litt (VfGH vom 23.9.2016, Zl. E 439/2016). In diesem Sinne bemängelte etwa auch der VwGH in seinem Erkenntnis vom 9.11.2016, Zl. Ra 2016/11/0137, die Abweisung des Antrags auf Vornahme der Zusatzeintragung bei 5 bis 8 täglichen, nicht kontrollierbaren Stuhlgängen.

3.4.3. Was nun den vorliegenden Fall anbelangt, so bejahte der Letztgutachter in seinem von der BF trotz Gelegenheit (Schreiben des BVwG zur Wahrung des Parteiengehörs vom 28.10.2020) nicht beanstandeten Gutachten zwar die Frage, dass nach derartigen Operationen, wie sie an der BF durchgeführt worden waren (Hemicolectomien – Anmerkung des BVwG: die operative Entfernung von Teilen des Dickdarms) tatsächlich ein erhöhter Stuhldrang vorliegen kann, er betonte jedoch auch, dass im Fall der BF keine postoperativen Komplikationen aufgetreten seien und es finden sich keine Hinweise darauf, dass bei der BF im Sinne der dargestellten Rechtsprechung des VwGH eine Vielzahl von – unkontrollierbaren – Stuhlgängen vorliegen würde. Derartiges bringt die BF im Übrigen auch in ihrer Beschwerde – welche Anlass für die Einholung des weiteren Gutachtens war – nicht konkret vor (arg. „…ich eine schwere Darmerkrankung habe und es mir einfach nicht möglich ist einen weiten Weg auf mich zu nehmen wenn es dringend ist (WC). Ansonsten kann ich es schwer zurück halten …“). In dieser Hinsicht ist somit noch von der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auszugehen. Darüber hinaus liegen auch keine sonstigen Umstände vor, die Zweifel an der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel durch die BF aufkommen lassen würden; so hat die BF insbesondere selbst angegeben, dass sie Spaziergänge in der Dauer von einer Stunde in der Ebene zurücklegen könne; die Fähigkeit, eine Wegstrecke von etwa 300 bis 400 Meter ohne fremde Hilfe zurückzulegen, wird in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich als ausreichend angesehen, um von einer Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auszugehen (vgl. etwa VwGH vom 21.6.2017, Zl. Ra 2017/11/0040, mit zahlreichen weiteren Judikaturhinweisen). Auch das sichere Ein- und Aussteigen und der sichere Transport während der Fahrt sind gewährleistet.

Das SMS kam somit zutreffend zum Ergebnis, dass der BF die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht unzumutbar im Sinne von § 1 Abs 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ist; folglich ist die Beschwerde spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gemäß Art 133 Abs 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen. Das BVwG konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des VwGH bzw. klare Rechtslage betreffend Vornahme der Zusatzeintragung „Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar“ stützen.

Absehen von einer Beschwerdeverhandlung:

Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.

Gemäß § 24 Abs 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC] entgegenstehen.

Die Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung ist am Maßstab des Art 6 EMRK zu beurteilen. Dessen Garantien werden zum Teil absolut gewährleistet, zum Teil stehen sie unter einem ausdrücklichen (so etwa zur Öffentlichkeit einer Verhandlung) oder einem ungeschriebenen Vorbehalt verhältnismäßiger Beschränkungen (wie etwa das Recht auf Zugang zu Gericht). Dem entspricht es, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung für gerechtfertigt ansieht, etwa wenn der Fall auf der Grundlage der Akten und der schriftlichen Stellungnahmen der Parteien angemessen entschieden werden kann (vgl. EGMR 12.11.2002, Döry / S, RN 37). Der Verfassungsgerichtshof hat im Hinblick auf Art 6 EMRK für Art 47 GRC festgestellt, dass eine mündliche Verhandlung vor dem Asylgerichtshof im Hinblick auf die Mitwirkungsmöglichkeiten der Parteien im vorangegangenen Verwaltungsverfahren regelmäßig dann unterbleiben könne, wenn durch das Vorbringen vor der Gerichtsinstanz erkennbar werde, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlagen nicht erwarten lasse (vgl. VfGH 21.02.2014, B1446/2012; 27.06.2013, B823/2012; 14.03.2012, U466/11; VwGH 24.01.2013, 2012/21/0224; 23.01.2013, 2010/15/0196).

Im gegenständlichen Fall ergab sich aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung des Sachverhalts zu erwarten war. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt erweist sich aufgrund der Aktenlage – in Verbindung mit der Gewährung von Parteiengehör durch das BVwG - als geklärt.

Schlagworte

Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L503.2235995.1.00

Im RIS seit

11.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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