TE Bvwg Beschluss 2020/12/1 W124 2217914-3

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Veröffentlicht am 01.12.2020
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Entscheidungsdatum

01.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AVG §68
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W124 2217914-3/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. FELSEISEN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

I.1. Verfahrensgang

Am XXXX stellte der BF einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX abgewiesen wurde, der Status des Asylberechtigten und der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurden nicht zuerkannt und die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Somalia wurde verfügt.

Gegen den Bescheid des Bundesamtes brachte der BF eine Beschwerde ein, welche mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX abgewiesen wurde und das Verfahren in weiterer Folge in Rechtskraft erwuchs.

Am XXXX wurde dem BF im Rahmen einer nachfolgenden Untersuchung in einem namentlich genannten Krankenhaus ein Spannungsgefühl im Bereich der sogenannten „Cubita“ bei Extension attestiert. Im Nachfolgebefund vom XXXX wurden für den BF neben einer stationären Behandlung weitere medizinische Maßnahmen ins Auge gefasst. Entsprechende Nachbehandlungen auf dem europäischen Standard seien demnach in Somalia nicht möglich und würde eine anzunehmende „Revisionsoperation“ auf dem Standard der westlichen Medizin nicht durchgeführt werden können.

Mit gegenständlich angefochtenen Bescheid des BFA wurde der Folgeantrag des BF hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für seine freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.), sowie gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein befristetes Einreiseverbot für die Dauer von 2 Jahren erlassen.

Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass sich der BF im gegenständlichen Verfahren auf dieselben Probleme beziehe, die er bereits im Vorverfahren ausgeführt habe. Er würde nach wie vor eine Verfolgung durch Mitglieder der Terrormiliz Al Shabab schildern.

Abweichend zu den Angaben im Vorverfahren würde der BF schildern, dass sein Vater bereits XXXX getötet worden sei. Dass der BF diesen Umstand erst jetzt zur Sprache bringen würde, begründe der BF damit, dass er in Somalia niemanden mehr haben würde. Erst vor kurzem habe er vom Tod seines Vaters erfahren. Er würde niemanden mehr in seinem Heimatland haben und sei deshalb eine Rückkehr für ihn nicht mehr möglich.

Zum Vorbringen, dass sein Vater von der Terrormiliz Al-Shabad getötet worden sei, sei anzumerken, dass es sich dabei um eine nicht glaubhafte Behauptung gehandelt habe. Es sei unglaubwürdig, dass der BF keinerlei Kontakt mit seiner Familie in Somalia pflege. Es sei anzunehmen, dass er sofort von seiner Familie kontaktiert worden sei, wenn seinem Vater etwas zugestoßen sei, zumal der BF zuletzt mit seiner in England lebenden Großmutter telefonischen Kontakt gehabt habe. Wäre es tatsächlich zur Ermordung seines Vaters gekommen, sei anzunehmen, dass ihm seine Großmutter davon erzählt hätte, dass seine Familie in Somalia ein Problem bekommen habe.

Des weiteres habe der BF angegeben, dass seine namentlich genannte Tante vor kurzem in Somalia gewesen sei. Anzunehmen sei, dass seine Tante eine derartige Reise nicht unternommen hätte, wenn tatsächlich eine so große Gefährdung seiner Familie bestehen würde. Seine Tante sei in Österreich anerkannter Flüchtling und sei im Besitz eines österreichischen Konventionsreispasses. Mit diesem sei seiner Tante jedoch nicht möglich nach Somalia zu reisen, da eine Reise in den Herkunftsstaat mit einem solchen Reisedokument nicht legal sein würde. Seine Tante hätte dadurch ein Aberkennungsverfahren ihres Status in Österreich riskiert.

Das Vorbringen, dass seine Tante ihm nach ihrem Aufenthalt in Somalia erzählt habe, dass die Al-Shaabad Leute nach dem BF gefragt und danach den Vater des BF ermordet hätten, sei nicht glaubhaft.

Fragwürdig sei auch, warum der BF erst im August dieses Jahres einen weiteren Asylantrag gestellt und angegeben habe, dass ihm die Änderung der Situation bzw. des Fluchtgrundes seit August 2020 bekannt sei, wenn seine Tante bereits im Februar laut Einreise-, und Ausreisestempel in Kenia gewesen sei. Somit sei lediglich eine Reise seiner Tante nach Kenia und nicht nach Somalia nachweisbar. Des weiteres sei es ihm auch nicht möglich, sein Vorbringen durch Vorlage von Beweisen nachvollziehbar zu machen. Wenn der Vater des BF tatsächlich getötet worden sei, sei ihm dies wohl möglich, durch eine Urkunde oder Berichte aus Somalia zu beweisen.

Im Rahmen der Einvernahme vom XXXX habe der BF erstmals angegeben, dass er von einem Nachbarn in Somalia sexuell missbraucht worden sei.

Dass der BF die Vergewaltigung nicht früher erwähnt habe, würde jeder Lebensgrundlage entbehren. Mehrfach habe der BF die Gelegenheit gehabt, dies in seinem vorherigen Asylverfahren vorzubringen. Der BF sei auch im gegenständlichen Verfahren mehrmals belehrt worden wahre und vollständige Angaben zu machen. Es hätte ihm klar sein müssen, dass konkrete Angaben in einem Asylverfahren wichtig sein würden.

Hinsichtlich seines Privat-, und Familienleben wurde ausgeführt, dass keine besondere Integrationsverfestigung seiner Person in Österreich bestehen würde. Im Verfahren habe der BF nicht dargelegt, dass in seinem Fall besonders gewichtige Interessen an einem Verbleib in Österreich bestehen würden. Unter diesen Gesichtspunkten sei auszuschließen, dass eine Integrationsverfestigung seiner Person in Österreich erfolgen könne.

Aus dem Vorbringen im gegenständlichen Verfahren und den im Erstverfahren zugrunde gelegten Feststellungen zu seinem Heimatland unter Berücksichtigung von aktualisierten Versionen des im Erstverfahren verwendeten Quellenmaterials, würden sich keine Hinweise auf eine sich seit dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens maßgeblich geänderten Lage in seinem Heimatland ergeben.

Gegen diesen Bescheid des BFA wurde fristgerecht durch den Vertreter des BF Beschwerde erhoben. Hierin wurde zusammenfassend ausgeführt, dass seit dem Abschluss des Vorverfahrens neue Verfolgungsmomente aufgetreten wären, hinsichtlich welcher der BF Angst um sein Leben gehabt hätte.

Wegen seines langen Aufenthaltes in Österreich habe der BF in Österreich bereits jegliche Bindung zu Somalia verloren und könne im Falle einer Abschiebung keine menschenwürdige Existenz dort mehr führen. Das Bundesamt behaupte, dass kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt vorhanden sein würde, ohne diesen soweit geprüft zu haben, dass im konkreten Fall eine Ausweisung gegen Art 2 oder Art 3 EMRK verstoßen würde. Ebenso würde keine ordnungsgemäße Beurteilung der Situation des BF im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegen.

Eigene dem Verfahren zugrunde gelegten Länderberichte würden für Personen, die nach Europa geflüchtet seien und den familiären bzw. sozialen Bezug verloren hätten, zeigen, dass diese keine Zukunftsperspektive in Somalia haben würden. Eine innerstaatliche Fluchtalternative würde nicht vorliegen.

Der BF habe ausführlich erklärt, worin die Neuerungen der Verfolgung bestehen würden, die zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Vorverfahrens noch nicht bestanden hätten. Es seien vom BFA keinerlei Recherchen zu den vorgebrachten Fluchtgründen getätigt worden. Zentrale Teile des Vorbringens seien von der Behörde nicht in die Beurteilung des Falles einbezogen worden. Die vom BF vorgelegten Beweismittel seien nicht untersucht worden.

Es könne unmöglich angenommen werden, dass das Vorbringen keinen glaubwürdigen Kern enthalte, der eine Neubeurteilung notwendig machen würde.

Der BF habe in seiner Einvernahme angegeben, inwieweit er durch die Situation in seinem Heimatland dazu gezwungen gewesen sei nach Österreich zu flüchten, um einen Asylantrag zu stellen und worin die neu entstandenen Verfolgungsmomente bestehen würden, die eine Neubeurteilung seiner Gefährdung erforderlich machen würde. Es habe kein Interesse bestanden den relevanten Sachverhalt aufzuklären.

Ein bloßer Verweis auf eine angeblich bestehende innerstaatliche Fluchtalternative, die der BF bereits in nachvollziehbarer Weise ausgeschlossen habe und auf das rechtskräftig abgeschlossene Vorverfahren, könne eine eigentliche Beschäftigung mit dem Vorbringen des BF nicht ersetzten. Auch einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung könne Asylrelevanz zukommen, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, diese Verfolgungshandlungen zu unterbinden. Auch wenn der Staat nicht jeden Übergriff Dritter verhindern könne, sei die Frage zu beantworten, ob im Falle des BF eine Verfolgung entsprechender Intensität auf Grund von Konventionsgründen durch Dritte mit ausreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. Die heimatlichen Behörden würden dem BF gegenüber jedenfalls schutzunfähig sein, möglicherweise auch schutzunwillig.

Von Seiten des BFA sei es unterlassen worden zu prüfen, inwieweit die in Somalia grassierende Covid-19 Epedemie dazu führen würde, dass der BF im Falle einer Abschiebung einer Art 2 bzw. 3 EMRK widersprechenden Situation ausgesetzt sein würde. Der BF sei aktuell in Covid-19 Quarantäne. Es wäre daher jedenfalls vorübergehend eine Ausweisung als unzulässig zu erklären gewesen.

Die Abwägung des BFA zwischen dem öffentlichen Interesse und dem Privat-, und Familienleben des BF sei unrichtig. Der BF sei arbeits-, und integrationswillig. Er habe umfangreiche soziale Kontakte und die deutsche Sprache ausreichend erlernt, um sich im Alltag verständigen zu können. Im Falle der Erteilung eines Aufenthaltstitels sei er auf jeden Fall in der Lage sich aus eigenem seinen Lebensunterhalt zu verdienen ohne auf Leistungen der Gebietskörperschaft angewiesen zu sein. Es habe keine Neubeurteilung dessen stattgefunden, obwohl sich hinsichtlich der Integration zweifellos Änderungen ergeben hätten. Der bloße Verweis des BFA auf die Aufenthaltsdauer des BF könne die Tatsachen nicht entkräften und jedenfalls alleine kein überzeugender Grund für eine Ablehnung der Schützenswürdigkeit des Privat-, und Familienlebens des BF sein.

Dem BF würde in seiner Heimat Verfolgung i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention drohen und es würde ihm daher Asyl zu gewähren sein. Allenfalls wäre dem BF auf Grund der Situation in seiner Heimat subsidiärer Schutz zu gewähren oder eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären.

Des weiteres sei kein Grund ersichtlich, worin die Notwendigkeit bestehen würde, den BF abzuschieben, bevor eine Entscheidung über die vorliegende Beschwerde ergehe.

Für die Erlassung eines Einreiseverbotes würde kein dringender Anlass bestehen. Weder aus präventiven Gründen noch zur Wahrung der Interessen Österreichs. Es seien auch keine nachvollziehbaren Überlegungen bezüglich des Einreiseverbotes erkennbar.

Es würde eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens darstellen, als es die Behörde verabsäumt habe sich mit der konkreten Situation des BF und der aktuellen Situation in seinem Heimatland auseinanderzusetzen. Die Verpflichtung ein amtswegiges Ermittlungsverfahren durchzuführen bedeute, dass die konkrete und aktuelle Situation untersucht werden würde. Dies sei im konkreten Fall verabsäumt worden.

6. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX zur GZ XXXX wurde der gegenständlichen Beschwerde gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird der oben ausgeführte Verfahrensgang. Da es sich vorliegend um keine Entscheidung in der Sache, sondern um eine zurückverweisende Entscheidung handelt, erübrigen sich weitere Feststellungen.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt des von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakts und des Gerichtsakts.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

In vorliegendem Fall ist in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen und obliegt somit in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 3 Bundesgesetz über die Einrichtung und Organisation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA-Einrichtungsgesetz - BFA-G) BGBl. I Nr. 87/2012 idgF obliegt dem Bundesamt die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr.100 (Z 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes - Bund 2005, BGBl. I Nr.100 (Z 4).

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs.1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: "Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufgrund der Beschwerde oder aufgrund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung zu überprüfen, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet.

Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Zu A) Behebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG:

3.1 Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Der oben dargestellte § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend wie folgt festgehalten (VwGH vom 06.07.2016, Ra 2015/01/0123):

In § 28 VwGVG 2014 ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg cit vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (Hinweis E vom 17. Dezember 2014, Ro 2014/03/0066, mwN). Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Hinweis E vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/22/0087, mwN). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (Hinweis E vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, mwN).

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer- Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).

3.2 Die belangte Behörde hat im gegenständlichen Fall in wesentlichen Punkten geeignete Ermittlungen unterlassen und nur ansatzweise ermittelt.

Aus den dem BFA vom XXXX vorgelegten Ambulanzbefund der Orthopädischen Abteilung eines namentlich genannten Krankenhauses, geht hervor, dass nach einer Kontrolle des Ellenbogens des BF bei diesem ein Spannungsgefühl wahrnehmbar und die Beweglichkeit dessen bis zu einen im Befund angegebenen Winkel möglich ist. Im Übrigen wird angemerkt, dass eine Nachbehandlung im Heimatstaat des BF einerseits nicht den Europäischen Standards entspricht und andererseits eine Weiterbehandlung nicht sichergestellt ist. Eine notwendige „Revisions-Operation“ würde nur die westliche Medizin bieten können. Im nachfolgenden Krankenhausbericht vom XXXX wird zwar ein schmerzfreier Zustand attestiert, allerdings würden beim BF entsprechende Einschränkungen (Supination 60 Grad, Pronation 10 Grad) vorliegen.

Der BF moniert in der Niederschrift vom XXXX , dass den Aussagen seines Arztes nach dieser immer wieder operiert werden müsse und dies in Somalia nicht möglich sein würde.

Das BFA stellt in diesem Zusammenhang zwar fest, dass der BF Träger einer Armprothese ist. Offen bleibt dabei allerdings, inwieweit das Verwenden einer solchen für den BF eine unabdingbare Notwendigkeit darstellt. Auf Grund der derzeit vorliegenden Unterlagen kann nicht konkret beurteilt werden, inwieweit der BF unter Berücksichtigung seiner bisherigen Schul-, und Berufsausbildung bzw. beruflichen Praxis erwerbstätig sein kann bzw. der BF in den Möglichkeiten seiner Erwerbstätigkeit eingeschränkt ist oder ihm diese in eventu (zum Teil) verwehrt ist.

Ebenso geht aus den durchgeführten Verfahren auch im Hinblick der Behauptung des BF einer mehrmals notwendigen Operation nicht klar hervor, ob für den BF (eine) nachfolgende Operation(en) eine unumgängliche Voraussetzung für die Erhaltung seiner Motorik darstellt. Den vom BFA herangezogenen Länderberichten nach, würden komplexere chirurgische Eingriffe in Somalia selbst nicht durchgeführt werden.

Ebenso wenig sind die Folgen der Unterlassung (eines) weitere(r)n Eingriff(e)s nicht erkennbar, sodass zur Beurteilung der gegenständlichen offenen Fragen ein entsprechender unabhängiger, fachkundiger Gutachter beizuziehen und mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen sein wird, um auf Grundlage von diesem eine entsprechende abschließende Beurteilung vornehmen zu können, inwieweit es dem BF möglich ist einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können.

Dies ist im gegenständlichen Fall umso relevanter, als sich überdies Unklarheiten hinsichtlich des Aufenthaltes der Familienangehörigen des BF ergeben. Dem BFA ist zwar beizupflichten, dass es nicht nachvollziehbar ist, dass der BF nicht schon früher von seiner in England lebenden Großmutter verständigt worden wäre, wenn der Vater des BF von Mitgliedern der Terrormiliz Al-Shabad im Jahr XXXX getötet worden wäre.

Der BF führte in diesem Zusammenhang allerdings darüber hinaus auch an, dass ihm seine in Österreich lebende Tante XXXX nach einem Aufenthalt in Somalia erzählt habe, dass diese von Leuten der Al-Shaabad nach dem Aufenthalt des BF gefragt worden sei und danach dessen Vater umgebracht worden wäre. Das BFA führt in der Begründung des Bescheides zwar diesbezüglich aus, dass die Tante des BF Inhaberin eines Konventionsreisepasses sei und auf Grund dieses Umstandes nicht angenommen werden könne, dass diese sich später in Somalia aufgehalten habe, als diese ansonsten im Zuge eines Aberkennungsverfahren Gefahr gelaufen wäre, ihren Asylstatus zu verlieren. Gleichzeitig geht das BFA aber offensichtlich davon aus, dass die Tante des BF in Somalia gewesen sei und begründet dies damit, dass diese eine solche Reise nach Somalia nicht unternommen hätte, wenn tatsächlich eine große Gefahr für die Familie des BF bestanden hätte.

Insofern wird man im gegenständlichen Fall für eine abschließende Beurteilung des Wahrheitsgehaltes der Ausführungen des BF u.a. auch des Aufenthaltes der Familienangehörigen des BF allerdings nicht hinwegkommen die Tante des BF einer zeugenschaftlichen Einvernahme zu unterziehen. Auf Grundlage einer ausführlichen Befragung dieser, werden die Angaben des BF in eventu auch unter Berücksichtigung des Ergebnisses des medizinischen Gutachtens einer neuen Bewertung hinsichtlich einer Rückkehrmöglichkeit nach Somalia zu prüfen sein.

Im fortgesetzten Verfahren wird sich die belangte Behörde daher mit der individuellen Lage des BF im Falle einer Rückkehr nach Somalia, sowie der Frage, ob im Bundesgebiet ein hinsichtlich Art. 8 EMRK bzw. § 55 AsylG 2005 relevantes Familienleben besteht, noch einmal ausführlich auseinanderzusetzen haben.

Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gem. § 21 Abs. 7 BFA-VG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, da aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, liegen vor.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde in den Erwägungen zu Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Erwerbsfähigkeit Familienleben Gesundheitszustand Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung medizinische Versorgung Resozialisierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W124.2217914.3.01

Im RIS seit

11.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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