TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/2 W171 2237268-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.12.2020
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Entscheidungsdatum

02.12.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
VwG-AufwErsV §1 Z3
VwG-AufwErsV §1 Z4
VwGVG §35 Abs3

Spruch


W171 2237268-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA, als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Nigeria, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.10.2020, Zl: XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG i.V.m. § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG i.V.m. § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG wird festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

III. Gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG i.V.m. § 1 Z. 3 und Z. 4 VwG-AufwErsV hat die beschwerdeführende Partei dem Bund Aufwendungen in Höhe von € 426,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

IV. Der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (BF) ist nigerianischer Staatsangehöriger, seine Identität steht nicht fest. Er reiste unbekannten Datums, spätestens aber am 15.08.2017 illegal ins Bundesgebiet ein.

1.2. Er stellte am 15.08.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in Folge auch BFA oder Behörde genannt) vom 19.04.2018 in allen Punkten abgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde eine seine Person betreffende Rückkehrentscheidung nach Nigeria ausgesprochen. Diese wurde schließlich mit Erkenntnis des BVwG vom 02.12.2019 rechtskräftig und danach durchsetzbar.

1.3. Nebenher wurde bereits mit 27.11.2018 ein HRZ-Verfahren eingeleitet und ist dieses noch nicht abgeschlossen.

1.4. Am 28.10.2020 wurde der BF nach einem Fluchtversuch bei dem er sich selbst und andere Personen gefährdete, von Beamten einer Personenkontrolle unterzogen und in der Folge festgenommen.

1.5. Im Rahmen einer am 29.10.2020 durchgeführten Einvernahme führte der BF im Wesentlichen aus, er sei gesund und er bestätigte den ihm vorgehaltenen bisherigen Verfahrensgang. Er sei seit seiner illegalen Einreise durchgehend in Österreich gewesen und habe seit seiner Abmeldung aus dem ZMR am 16.12.2019 in der U-Bahn und bei einem Freund übernachtet. Eine Adresse des nur mit dem Vornamen genannten Freundes wollte bzw. konnte der BF nicht angeben. Er habe gebettelt und habe nicht gewusst, dass er ausreisen müsse. Er habe weder Familienangehörige, noch enge Freunde in Österreich.

1.6. Im Anschluss an seine Einvernahme wurde über den BF am 29.10.2020 mit Mandatsbescheid gem. § 76 Abs. 2 Z.2 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Der Bescheid wurde dem BF persönlich übergeben. Der BF habe danach durch sein Vorverhalten die Tatbestandsmerkmale des § 76 Abs. 3 Zi. 1 und 9 FPG erfüllt und es sei daher von Fluchtgefahr auszugehen. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit habe ergeben, dass die privaten Interessen der Schonung der persönlichen Freiheit des BF dem Interesse des Staates am reibungslosen Funktionieren der öffentlichen Verwaltung hintanzustehen haben. Ein gelinderes Mittel sei nach Ansicht der Behörde nicht als ausreichende Sicherung anzusehen, um von einer gesicherten Rückführung des BF in seinen Herkunftsstaat ausgehen zu können. Die gegenständliche Schubhaft sei daher notwendig und rechtmäßig.

1.7. Aufgrund der in Österreich von Mitte November bis zum 06.12.2020 pandemiebedingten Situation des sog. „Lockdowns“ konnte der BF bisher der nigerianischen Botschaft zur Identitätsfeststellung und zu Ausstellung eines Heimreisezertifikates nicht vorgeführt werden.

1.8. Gegen den Mandatsbescheid, die Schubhaftnahme und die Anhaltung in Schubhaft erhob die Rechtsvertretung des BF mit Schriftsatz vom 24.11.2020 (bei Gericht eingelangt am 26.11.2020) Beschwerde. Sie beantragte, den Bescheid zu beheben, die bisherige Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig zu erklären und auszusprechen, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung nicht vorlägen. Weiters wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, in der ein Freund des BF zur Wohnmöglichkeit des BF befragt werden solle, die Einvernahme des BF zur Kooperationswilligkeit sowie Kosten- und Barauslagenersatz beantragt. Ergänzend wurde ausgeführt, dass dem BF nicht bewusst gewesen sei, dass er sich um seine Ausreise kümmern hätte müssen und, dass er über weitreichende soziale Bindungen im Bundesgebiet verfügen würde. Darüber hinaus bestehe eine unentgeltliche Wohnmöglichkeit bzw. finanzielle Unterstützung durch einen namentlich genannten österreichischen Freund. Schließlich sei die Verhängung eines gelinderen Mittels im konkreten Falle als ausreichend anzusehen und die Verweigerung dieses im Bescheid nicht hinreichend begründet worden.

1.9. Die Behörde legte die Akten vor, gab eine Stellungnahme im Rahmen des Akteninhalts ab und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Dabei wurde näher ausgeführt, dass der BF nunmehr für einen Vorführtermin nach dem „Lockdown“ am 17.12.2020 vorgemerkt worden sei. Der BF sei fast ein Jahr nicht gemeldet, und somit unbekannten Aufenthaltes gewesen. Derzeit fänden laufend freiwillige Ausreisen nach Nigeria statt, der BF habe jedoch die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise bisher abgelehnt. Sobald die Identität des BF geklärt sei und ein Heimreisezertifikat vorliege, könne der BF mit dem nächstmöglichen Charter nach Nigeria zurückgebracht werden. Begehrt werde der Ersatz für den Vorlage- und Schriftsatzaufwand.

2.0. Auf gerichtlichen Auftrag hin legte die Rechtsvertretung bzw. der beantragte Zeuge am 30.11.2020 dem Gericht eine schriftliche Erklärung des Zeugen vor, in welcher sich dieser bereit erklärte, den BF bis zu seiner Abschiebung kostenfrei Kost und Quartier zu gewähren.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person:

1.1. Der BF reiste illegal in das Bundesgebiet ein und ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er ist Fremder i.S.d. Diktion des FPG.

1.2. Er stellte am 15.08.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bisher hat der BF keinen gültigen dauerhaften Aufenthaltstitel in Österreich erhalten und wurde eine durchsetzbare Rückkehrentscheidungen gegen ihn erlassen.

1.3. Der BF leidet an keinen nennenswerten Erkrankungen und hat der Behörde bisher ein nigerianisches Identitätsdokument vorgelegt. Die Identität ist durch die Botschaft noch nicht geklärt worden.

Zu den allgemeinen Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Seit dem 02.12.2019 besteht gegen den BF eine (durchsetzbare) Rückkehrentscheidung.

2.2. Ein Heimreisezertifikat für den BF liegt noch nicht vor. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikates durch Nigeria nach Prüfung der Daten ist sehr wahrscheinlich, da der BF über ein nigerianisches Identitätsdokument verfügt.

2.3. Der BF ist haftfähig.

Zum Sicherungsbedarf:

3.1. Gegen den BF liegt eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.

3.2. Der BF ist nach Eintritt der Rechtskraft der Rückkehrentscheidung untergetaucht und war während des weiteren Verfahrens für die Behörde nicht greifbar. Er konnte nur durch Zufall aufgegriffen werden und wollte sich dabei einer Identitätsfeststellung durch Flucht entziehen. Er hat daher bereits vor Pandemieausbruch seine Abschiebung verhindert.

3.3. Er ist nicht vertrauenswürdig.

3.4. Er ist nicht rückreisewillig und nicht kooperativ.

3.5. Er hatte seit 16.12.2019 in Österreich keine Meldeadresse mehr und war unsteten Aufenthalts.

Zur familiären/sozialen Komponente:

4.1. In Österreich bestehen keine familiären und sonstigen nennenswerten sozialen Beziehungen.

4.2. Der BF geht im Inland keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, ist nicht selbsterhaltungsfähig, nicht im Besitz von wesentlichen Barmitteln und weist keine besonderen Integrationsmerkmale auf.

4.3. Er verfügt über keine ausreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung.

4.4. Der BF könnte bei einem namentlich genannten Freund wohnen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person und zum Verfahrensgang (1.1.-1.3.):

Der Verfahrensgang sowie die Feststellungen zur Person des BF ergeben sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten der Behörde und dem gerichtlichen Vorakt sowie dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes (1.1.). Die Feststellung zu 1.2. hinsichtlich des Bestehens einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung ergibt sich aus dem Akteninhalt und wurde dies auch in der Beschwerde nicht thematisiert bzw. bestritten. Darüber hinaus sind keine nennenswerten Erkrankungen des BF aktenmäßig erfasst (1.3.) und hat der BF auch selbst stets angegeben, gesund zu sein (EV vom 29.10.2020). Das Gericht konnte daher davon ausgehen, dass der BF im Wesentlichen gesund ist.

2.2. Zu den Voraussetzungen der Schubhaft (2.1.-2.3.):

Die Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung ergibt sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten und wurde seitens des Beschwerdeführers nicht in Zweifel gezogen. Die behördliche Rückkehrentscheidung wurde schließlich durch Abweisung der Beschwerde seitens des BVwG mit Erkenntnis vom 02.12.2019 rechtskräftig und danach durchsetzbar (2.1.).

Die Feststellung zu 2.2. ergibt sich daraus, da der BF einen nigerianischen Identitätsnachweis im Verfahren vorgelegt hatte (Kopie im Verwaltungsakt). Es ist daher davon auszugehen, dass die nigerianische Botschaft bei der kommenden Vorführung die Identität des BF bestätigen wird und für ihn in weiterer Folge auch ein Heimreisezertifikat ausgestellt wird. Die aktuelle Antragstellung durch die Behörde ist daher nach derzeitigem Stand der Informationen alles andere als aussichtslos und ist die Ausstellung eines Heimreisezertifikates sehr wahrscheinlich.

Die Feststellung zur Haftfähigkeit (2.3.) ergibt sich aus den Angaben im Akt und liegen diesbezüglich dem Gericht zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung keine anderslautenden Informationen vor. Es war daher von einer bestehenden Haftfähigkeit auszugehen.

2.3. Zum Sicherungsbedarf (3.1.-3.5.):

Das Vorliegen einer durchsetzbaren und aufenthaltsbeendenden Maßnahme ergibt sich bereits aus dem Akteninhalt (3.1.). Ebenso lässt sich den Behördenakten sowie dem gerichtlichen Vorakt entnehmen, dass der BF nach Erlassung der verfahrensbeendenden Entscheidung des BVwG vom 02.12.2019 sodann mit 16.12.2019 abgemeldet wurde und für die Behörde nicht mehr greifbar war. Er selbst gibt an, in der U-Bahn bzw. bei einem nicht näher genannten Freund übernachtet zu haben, also unsteten Aufenthalts gewesen zu sein. Aus dem Schubhaftakt ergibt sich zudem, dass sich der BF am 28.10.2020 einer Identitätsfeststellung durch Flucht entziehen wollte, was die Annahme von Fluchtgefahr massiv verstärkt hat (3.2.). Aus diesem gesamten Verhalten des BF ergibt sich auch, dass dieser nicht als vertrauenswürdig anzusehen ist (3.3.). Die fehlende Rückreisewilligkeit lässt sich aus dem Gesamtverhalten des BF klar entnehmen und daraus, dass der BF auch bisher der Behörde gegenüber keinerlei Schritte unternommen hatte, die auf eine gewollte Ausreise schließen lassen würden. So hat der BF der Behörde gegenüber nach deren glaubwürdigen Angaben nach, bisher die freiwillige Ausreise abgelehnt und sich auch insofern unkooperativ verhalten, als er Unterschriften verweigert hat (AS 3). Er gab auch in seiner Einvernahme vom 28.10.2020 an, dass er, wenn er gewusst hätte, dass er ausreisen hätte müssen, nach Italien weitergereist wäre (3.4.). Für den BF bestand laut ZMR seit dem 17.12.2019 keine Meldeadresse mehr. Er gab selbst in der Einvernahme vom 28.12.2020 glaubhaft an, in der U-Bahn bzw. bei einem Freund übernachtet zu haben (3.5.).

2.4. Familiäre/soziale Komponente (4.1.-4.4.):

Aufgrund der Aktenlage (behördlicher und gerichtlicher Schubhaftakt, sowie aus dem Asylakt) ergibt sich, dass der BF über keinerlei familiäre oder anderweitige wesentliche soziale Kontakte in Österreich verfügt. Er gibt dies auch selbst in der aktuellen Einvernahme vom 28.10.2020 nicht an. In der Beschwerdeschrift werden zwar völlig unsubstanziiert soziale Kontakte behauptet, doch reicht diese Behauptung aufgrund der aktuellen eigenen Angaben und der ebenso aktuellen gerichtlichen Feststellungen im Asylverfahren nicht hin, nunmehr ohne weitere Anhaltspunkte von einer nennenswerten sozialen Integration ausgehen zu können. Er hat auch keine ausreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung (€ 214,-- per 26.11.2020) und war nicht legal erwerbstätig. Ein diesbezüglich konträres Vorbringen enthält die Beschwerde nicht.

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens wurde nunmehr eine Wohnmöglichkeit bei einem Freund bescheinigt. Da der angegebene Zeuge eine diesbezügliche schriftliche Erklärung dem Gericht gegenüber abgegeben hat, geht das Gericht diesbezüglich von glaubwürdigen Angaben in der Beschwerdeschrift aus.

2.5. Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht mehr aufzunehmen.
Von einer Anberaumung einer mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf die geklärte Sachlage Abstand genommen werden.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. – Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft:

3.1.1. Gesetzliche Grundlage:

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.

Zur Judikatur:

3.1.2. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Daraus leitete der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527, unter Hervorhebung der in § 80 Abs. 1 FPG 2005 ausdrücklich festgehaltenen behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, insbesondere auch ab, „dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig“(VwGH vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527). Bereits im Erkenntnis des VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595, wurde dazu klargestellt, dass der Schubhaft nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zu kommt, „weshalb ohne besondere Anhaltspunkte für eine absehbare Änderung der Einstellung des Fremden die Haft nicht allein im Hinblick darauf aufrechterhalten werden darf, diese ’Einstellungsänderung’ durch Haftdauer zu erwirken. (Hier: Der Fremde hatte, nachdem er nach zwei Monaten nicht aus der Schubhaft entlassen worden war, seine vorgetäuschte Mitwirkungsbereitschaft aufgegeben und zu erkennen gegeben, dass er nicht in den Kamerun zurückkehren wolle und auch nicht an einer Identitätsfeststellung mitwirken werde. Die mangelnde Kooperation des Fremden gipfelte schließlich in der Verweigerung jeglicher Angaben. Die belangte Behörde hat in Folge bis zu einem neuerlichen Einvernahmeversuch zugewartet ohne zwischenzeitig auf Basis der vorhandenen Daten zwecks Erstellung eines Heimreisezertifikates an die Botschaft von Kamerun heranzutreten oder sonst erkennbare Schritte in Richtung Bewerkstelligung einer Abschiebung zu setzen. In diesem Verhalten der belangten Behörde ist eine unangemessene Verzögerung zu erblicken).“ (VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595; vgl. dazu etwa auch VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).

3.1.3. Aufgrund des gerichtlichen Beweisverfahrens sieht das Gericht Sicherungsbedarf für gegeben an, da der BF nicht rechtmäßig im Inland aufhältig ist und gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung besteht. Der BF hat in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, jedoch keinen dauerhaften Aufenthaltstitel erhalten. Die Behörde konnte den BF seit der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung seit Dezember 2019 nicht auffinden und ihn nur im Rahmen eines Zufallsaufgriffes habhaft werden. Er lebte seit 16.12.2019 ohne behördliche Meldung und war nach eigenen Angaben unsteten Aufenthalts. Er übernachtete in der U-Bahn und bei einem Freund dessen Namen und Adresse er den Behörden bisher nicht bekannt gegeben hat. Er hat sich selbst bisher in keiner Weise bemüht, seine Ausreise vorzubereiten. Darüber hinaus gab er an, wenn er gewusst hätte, dass er ausreisen müsse, er nach Italien weitergereist wäre. Er kann daher nach Ansicht des Gerichtes nicht als kooperativ, ausreisewillig oder auch vertrauenswürdig angesehen werden.

Darüber hinaus manifestierte sich die bestehende Fluchtgefahr klar durch den Fluchtversuch am 28.10.2020 um einer einfachen Identitätsfeststellung zu entkommen. Es ist aus dem Beschwerdeverfahren in keiner Weise hervorgekommen, weshalb der Bf nunmehr kooperativ, ausreisewillig und nicht mehr fluchtgefährdet sein sollte. Darüber hinaus steht bei einer Freilassung auch eine Weiterreise nach Italien im Raum, was ebenso einer gesicherten Ausreise (in seinen Herkunftsstaat) widerspricht.

Lediglich einen möglichen gesicherten Wohnsitz konnte der BF im Beschwerdeverfahren vorweisen. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dennoch nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich der BF tatsächlich an der Adresse des Freundes für eine baldige Abschiebung bereithalten und für die Behörde greifbar sein würde. Wie die Vergangenheit zeigt, zog es der BF vor, unsteten Aufenthalts zu sein und für die Behörde nicht greifbar zu bleiben. Die nunmehr glaubhaft dargelegte Möglichkeit der Unterkunftnahme ist daher aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit nicht geeignet, die Beurteilung des Sicherungsbedarfes zu Gunsten des BF zu verändern. Darüber hinaus kamen im Zuge des Verfahrens auch keinerlei weitere nennenswerten sozialen Kontakte des BF ans Tageslicht, wiewohl der BF bereits seit Mitte 2017 in Österreich aufhältig ist. Der BF ist gesund und haftfähig.

Das Gericht geht daher in einer Gesamtsicht des Verhaltens unter den oben angeführten und festgestellten Tatbeständen des § 76 Abs. 3 jedenfalls vom Bestehen erheblichen Sicherungsbedarfes hinsichtlich der Person des BF aus. Die im Bescheid erwähnten Kriterien zur Annahme des Sicherungsbedarfes haben sich im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens als weiterhin zutreffend erwiesen. Das Gericht sieht daher ebenso die Tatbestandsmerkmale der Zif. 1 und 9 als erfüllt an.

3.1.4. Darüber hinaus ist die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft nach Ansicht des erkennenden Gerichtes ebenso gegeben. Betrachtet man die Interessen des BF an den Rechten seiner persönlichen Freiheit in Bezug auf seine familiären bzw. sozialen Verhältnisse im Inland zeigt sich, dass der Beschwerdeführer zwar nunmehr eine Wohnmöglichkeit ins Treffen führen konnte, aber sonst keinerlei nennenswerte familiäre/soziale Kontakte im Inland hat, die im Rahmen der gerichtlichen und behördlichen Abwägung die Entscheidung zu Gunsten einer Freilassung bzw. eines Belassen in Freiheit zu beeinflussen ausreichend waren. Der BF hat durch seine Ignoranz seiner Ausreiseverpflichtung gegen geltende Gesetze des Landes verstoßen und damit zum Ausdruck gebracht, dass er ganz klar keine Unterordnung unter das im Inland bestehende Rechtssystem beabsichtigt. Er hat in Österreich erfolglos einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und wurden über ihn eine aufenthaltsbeendende Entscheidung getroffen. Die Republik Österreich hat damit nach Ansicht des Gerichts nunmehr ausreichend klar dargestellt, dass ein Verbleib des BF im Inland rechtlich nicht gedeckt ist und sohin auch ein erhöhtes Interesse an einer Außerlandesbringung des BF bekundet. Dem gegenüber wiegen die persönlichen Interessen des BF weit weniger schwer als das öffentliche Interesse einer baldigen gesicherten Außerlandesbringung des BF. Das Gericht geht daher – wie oben angeführt – von der Verhältnismäßigkeit der Verhängung der Schubhaft aus, zumal die Bemühungen des BFA ein Heimreisezertifikat für den BF zu erlangen, im Rahmen des Verfahrens deutlich hervorgekommen sind. Dabei sei die manifestierte Unkooperativität des BF herauszuheben, die sich mehrfach im Verfahren deutlich gezeigt hat. Es ist daher dem BF nach heutiger Sicht zuzumuten, die Zeit bis zur Entscheidung über die Ausstellung eines Heimreisezertifikates bzw. bis zu seiner Rückführung in Schubhaft zuzubringen.

3.1.5. Zur bezweifelten Effektuierbarkeit der Abschiebung:

3.1.5.1.

Für den BF wurde rechtzeitig (lang vor Beendigung des Asylverfahrens) ein Heimreisezertifikat beantragt. Durch das Untertauchen und den aktuell laufenden pandemiebedingten „Lockdown“ war es nicht möglich den BF am 19.11.2020 der nigerianischen Delegation vorzuführen. Auch der kommende Termin am 03.12.2020 wird aufgrund des dann noch immer laufenden Lockdowns nicht wahrgenommen werden können. Es zeichnet sich für das Gericht aufgrund der vorliegenden Informationen jedoch klar ab, dass nach Beendigung des Lockdowns zeitnah eine Vorführung vor die nigerianische Delegation möglich sein wird, um die Identität des BF zu bestätigen.

Die Behörde durfte bei Beantragung eines Heimreisezertifikates von einer realistischen Möglichkeit der Ausstellung eines Zertifikates ausgehen. Aussichtslosigkeit konnte gerichtlich nicht festgestellt werden. Wie sich den Ausführungen der behördlichen Stellungnahme vom 27.11.2020 entnehmen lässt, finden derzeit laufend freiwillige Ausreisen nach Nigeria statt. Der BF hat jedoch die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise bisher abgelehnt. Sobald der BF der nigerianischen Delegation im Dezember vorgeführt wurde und seine nigerianische Staatsangehörigkeit bestätigt wurde, kann, nach Ausstellung des Heimreisezertifikats, der BF mit dem nächstmöglichen Charter nach Nigeria abgeschoben werden. Es steht dem BF frei, seiner Mitwirkungspflicht nachzukommen und dadurch eine massive Verkürzung seiner Schubhaft aktiv zu unterstützen. Die laufende Schubhaft ist daher auch aus diesem Gesichtspunkt weiter verhältnismäßig.

3.1.5.2. Das Gericht schließt nicht aus, dass es aufgrund der derzeitigen Pandemie (CoViD-19) in den kommenden Wochen weiterhin zu Verzögerungen oder Annullierungen von Flügen im internationalen Flugverkehr kommen könnte. Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat (innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft) besteht jedoch aus aktueller Sicht weiterhin. Die absehbare weitere Dauer der Anhaltung in Schubhaft ist nach derzeitigem Stand – kooperatives Verhalten des Beschwerdeführers vorausgesetzt - mit wenigen Monaten einzustufen. Eine baldige Abschiebung ist aus derzeitiger Sicht jedenfalls realistisch.

3.1.6. Die Anordnung eines gelinderen Mittels führt nach Ansicht des Gerichts nicht zu einer ausreichenden Sicherung der Durchführbarkeit der konkreter werdenden Abschiebung. Die Kriterien, die bereits unter dem Punkt „Sicherungsbedarf“ erörtert wurden, zeigen eindeutig, dass eine jederzeitige Erreichbarkeit des Beschwerdeführers nicht mit der erforderlichen Sicherheit gewährleistet wäre. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, der ein evidentes Interesse daran hat, dass er im Inland verbleiben kann, nicht abermals für die Behörde unerreichbar sein und nicht wieder erfolgreich untertauchen würde. Auch hat die Vergangenheit bereits gezeigt, dass der BF nicht gewillt war, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten. Es besteht daher für das Gericht kein Grund davon auszugehen, dass ein gelinderes Mittel eine ausreichende Sicherung der Abschiebung des BF bedeuten würde. Er konnte im gerichtlichen Verfahren zwar einen möglichen Wohnsitz vorweisen. Dies reicht jedoch nicht hin annehmen zu können, dass er nicht wieder untertauchen, oder aber seine Worte in die Tat umsetzen und nach Italien weiterreisen würde. Das zu BVwG W171 2124161-1 zitierte Judikat (ein Judikat der erkennenden Gerichtsabteilung selbst) bereitet für Rechtsvertreter immer wieder Probleme bei der Auslegung bzw. bei der Vergleichbarkeit mit anderen Fallkonstellationen. Der zitierte Fall ist, wie fast immer wenn es zu diesem Zitat kommt, mit dem laufenden Fall in keiner Weise vergleichbar. Während es im zitierten Fall lediglich um die Bewertung eines kurzen Meldeverstoßes ging (sonst lag hier nichts Wesentliches vor), war der BF im vorliegenden Fall nicht nur über länger Zeit ohne Meldeadresse (sohin wohl kein einfaches Versehen!), sondern tauchte der BF auch für eine beträchtliche Zeit unter. Dazu kommt noch, dass sich der BF einer Identitätsüberprüfung durch Exekutivbeamte entziehen wollte und seinen waren Aufenthalt nur sehr ungenügend und für die Behörde nicht verwertbar ausführte. Die Fälle sind daher in keiner Weise ähnlich und kann daher das zitierte Judikat im vorliegenden Fall nicht vergleichsweise herangezogen werden. Unter Berücksichtigung aller Umstände ist die Behörde daher zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Anordnung gelinderer Mittel das Auslangen nicht gefunden werden kann.

3.1.7. Die gegenständlich verhängte Schubhaft erweist sich daher auch als „ultima ratio“ und wird die Schubhaft auch bis zur erfolgreichen Abschiebung vorerst weiterzuführen sein. Auf Grund des zuvor Ausgeführten ergibt sich, dass sowohl Sicherungsbedarf, als auch Verhältnismäßigkeit gegeben sind und die Anwendung eines gelinderen Mittels nicht als erfolgversprechend zu beurteilen war. In diesem Sinne ist auch das Kriterium der „ultima ratio“ im vorliegenden Schubhaftverfahren gegeben.

3.1.8. Die Behörde hat im gegenständlichen bekämpfen Schubhaftbescheid die Beweggründe für die Erforderlichkeit der Verhängung der Haft erkennbar aufgezeigt und sich mit der konkreten Situation des BF auseinandergesetzt. Wie oben näher ausgeführt wird, gelangt die gerichtliche Überprüfung der laufenden Schubhaft nicht zu einer Unrechtmäßigkeit der bescheidmäßig verhängten Schubhaft.

3.1.9. Im vorliegenden Fall konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hinreichend geklärt werden konnte. Der Sachverhalt konnte aus den Akten (Behördenakt und gerichtlicher Vorakt) abschließend ermittelt und beurteilt werden. Gründe für die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung liegen daher nicht vor. Das Gericht weicht nicht von der Beweiswürdigung der Behörde ab und hat sich bereits aus dem vorliegenden Akteninhalt klar ergeben, dass zur Klärung der Rechtmäßigkeit der vorliegenden Schubhaft die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung nicht erforderlich gewesen ist. Eine Einvernahme des BF zur Abklärung einer behaupteten Kooperationsbereitschaft bedurfte es schon aufgrund der bisherigen Verhaltensweise des BF nicht, da auch in diesem Verfahren keine Gründe behauptet worden, oder hervorgekommen sind, weshalb der BF seine bisherige Vorgehensweise des Untertauchens gerade jetzt ändern und für die Behörde nun greifbar bleiben sollte. Die Verantwortung des BF, er habe nicht gewusst, dass er ausreisen müsse (PS 5) stellt sich klar als Schutzbehauptung dar, da es sonst nicht erklärlich ist, weshalb der BF gerade kurz nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung im Dezember 2019 untertauchte. Ein üblicher Vorgang, wenn man bedenkt, dass sich der BF Monate später bei seinem Aufgriff am 28.10.2020 dem Behördenzugriff entziehen hatte wollen.

Zu Spruchpunkt II. – Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft:

Die getroffenen Feststellungen und ihre rechtliche Würdigung lassen im Hinblick auf ihre Aktualität und ihres Zukunftsbezuges keine, die Frage der Rechtmäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft ändernde Umstände erkennen. Es war daher spruchgemäß festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Zu Spruchpunkt III. und IV. – Kostenbegehren

Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da die Verwaltungsbehörde vollständig obsiegte, steht ihr nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz ihrer Aufwendungen zu. Die Höhe der zugesprochenen Verfahrenskosten stützt sich auf die im Spruch des Erkenntnisses genannten gesetzlichen Bestimmungen.

Zu Spruchpunkt B. – Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie zu Spruchpunkt I. und II. ausgeführt sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher in Bezug auf beide Spruchpunkte nicht zuzulassen. Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage in den übrigen Spruchpunkten war die Revision gleichfalls nicht zuzulassen.

Schlagworte

Ausreisewilligkeit Fluchtgefahr gelinderes Mittel Kooperation Kostenersatz Mittellosigkeit öffentliche Interessen Pandemie Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Ultima Ratio Untertauchen Verhältnismäßigkeit Vertrauenswürdigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W171.2237268.1.00

Im RIS seit

11.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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