TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/4 W165 2236953-1

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Veröffentlicht am 04.12.2020
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Entscheidungsdatum

04.12.2020

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz1
B-VG Art133 Abs4
Dublin III-VO Art13 Abs1
Dublin III-VO Art21 Abs1

Spruch


W165 2236953-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ilse LESNIAK als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.10.2020, Zl. 811299909-200441055, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG idgF stattgegeben, der bekämpfte Bescheid wird behoben und das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz zugelassen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF), eine Staatsangehörige der Russischen Föderation, stellte am 28.05.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass die BF zuvor am 26.10.2011 in Polen und am 28.10.2011 in Österreich um Asyl angesucht hatte (EURODAC-Treffermeldungen der Kategorie „1“).

Anlässlich der ersten Asylantragstellung der BF in Österreich am 28.10.2011 wurde von Österreich kein Wiederaufnahmegesuch an Polen in Bezug auf die dortige, zuvor am 26.10.2011 erfolgte Asylantragstellung der BF gestellt.

Der erste Asylantrag der BF in Österreich vom 28.10.2011 wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), vom 15.09.2014 negativ beschieden und ist in zweiter Instanz in Rechtskraft erwachsen (Erkenntnis des BVwG vom 02.02.2016).

Am 23.01.2018 wurde die BF in ihren Herkunftsstaat überstellt.

Im Zuge ihrer polizeilichen Erstbefragung zum verfahrensgegenständlichen Asylantrag am 29.05.2020 gab die BF an, dass sie an keinen Beschwerden oder Krankheiten leide, die sie an der Einvernahme hindern oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigen würden. In Österreich habe sie keine Familienangehörigen. Sie habe ihren Herkunftsstaat am 22.02.2020 mit einem Bus nach Weißrussland verlassen. Ihr Reiseziel sei Österreich gewesen, da sie 2012 schon einmal hier gewesen sei. Sie sei legal aus ihrem Herkunftsstaat ausgereist. Nach dreimonatigem Aufenthalt in Polen sei sie am 28.05.2020 in Österreich eingereist. Sie habe in keinem anderen Land ein Visum oder einen Aufenthaltstitel erhalten.

Am 24.06.2020 erfolgte eine Einvernahme der BF vor dem BFA. Auf Frage, ob sie sich geistig und körperlich in der Lage fühle, die Einvernahme durchzuführen, gab die BF an: „Ja körperlich schon, aber sie habe seit gestern Stress, da im Geschäft etwas vorgefallen sei“ (Anmerkung: Die BF wurde des Diebstahls verdächtigt). Sie sei verheiratet. Ihr Ehemann und ihre Kinder würden sich zu Hause in Tschetschenien befinden. Die im Zuge der Erstbefragung zu ihrer Person und ihrem Reiseweg gemachten Angaben seien zutreffend. Das Geld für die neuerliche Ausreise habe sie von ihrer Schwester erhalten. Das Geld habe nur bis Polen gereicht. Dann habe ihr eine pakistanische Familie Unterkunft gewährt. Aufgrund der Corona-Krise sei sie gezwungen gewesen, bei dieser Familie zu bleiben. Der Mann habe ihr das Taxi von Polen nach Österreich bezahlt (300 Euro). Sie habe die weiße Asylkarte mitgehabt. An der Grenze zu Polen habe sie gelogen und habe man ihr einen Stempel in den Pass gegeben und sie über die Grenze gelassen. Die Länder, die sie von Polen mit dem Taxi durchreist sei, kenne sie nicht. Sie habe ihre Kinder nicht mitgenommen, da sie Probleme mit der Familie ihres Mannes gehabt habe, da er ihr die Kinder weggenommen habe. Ihr Mann habe bemerkt, dass sie über die sozialen Medien Kontakt mit einem anderen Mann aufgenommen habe. Auf Vorhalt, dass sie bereits im Oktober 2011 in Österreich einen rechtskräftig abgewiesenen Asylantrag gestellt habe, gab die BF auf Nachfrage an, dass sie nach ihrer Rückkehr 2018 nach wie vor jene Probleme gehabt habe, derentwegen sie ursprünglich ausgereist sei. Aus Rücksicht auf ihre Kinder sei sie mit ihrem Mann im Jahr 2018 gemeinsam zurückgekehrt und habe mit ihm gelebt.

Am 01.07.2020 fand eine weitere Einvernahme der BF vor dem BFA statt. Dabei gab diese an, sich geistig und körperlich in der Lage zu fühlen, die Einvernahme durchzuführen. Sie halte alle im Zuge ihrer ersten Einvernahme gemachten Angaben aufrecht und habe alle Fragen wahrheitsgemäß beantwortet. Im Zuge der Einvernahme schilderte die BF ihre im Herkunftsstaat betreffend ihren Ehemann und dessen Familie bestehenden Probleme. Die BF wurde seitens des Einvernahmeorgans in Kenntnis gesetzt, dass beabsichtigt sei, ihren Asylantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen und ein befristetes zweijähriges Einreiseverbot zu erlassen, da sie im Vorverfahren der Frist für die freiwillige Ausreise nicht nachgekommen sei.

Im Akt liegen Reisepasskopien der BF ein, worin ein Einreisestempel nach Polen vom 22.02.2020 aufscheint.

Im Akt liegt ein Untersuchungsbericht der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 12.07.2020 betreffend den Reisepass der BF ein. Demzufolge ist der fragliche Formularvordruck nach dem derzeitigen Kenntnisstand authentisch und hätten sich bei der Untersuchung der eingetragenen Daten (Ausfüllschriften/Lichtbild/Stempelabdrucke) keine Hinweise auf das Vorliegen einer Verfälschung ergeben.

Dokument und Untersuchungsbericht wurden in weiterer Folge dem BFA übermittelt.

Im Akt findet sich eine Verständigung des BFA durch eine Staatsanwaltschaft über eine gegen die BF wegen § 127 StGB erhobene Anklage vom 25.08.2020.

Am 28.07.2020 richtete das BFA ein auf Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO), gestütztes Aufnahmeersuchen an Polen. In diesem wurde auf die in Polen am 26.10.2011 und in Österreich am 28.10.2011 erfolgten Asylantragstellungen hingewiesen. Weiters darauf, dass Österreich seinerzeit kein Wiederaufnahmegesuch an Polen gestellt habe und das erste Asylverfahren (Antrag vom 28.10.2011) am 02.02.2016 negativ abgeschlossen worden sei. In weiterer Folge sei die BF von den österreichischen Behörden am 23.01.2018 erfolgreich in ihren Herkunftsstaat rücküberstellt worden. Die BF habe in ihrer nunmehrigen Erstbefragung (29.05.2020) angegeben, dass sie ohne ihre Familie alleine nach Österreich gekommen sei. Sie habe angegeben, dass sie, nachdem sie im Jahr 2018 in ihr Herkunftsland rückverbracht worden sei, dieses am 22.02.2020 wieder verlassen habe und sich nach Polen (Warschau) begeben habe, wo sie drei Monate verblieben sei. Dann sei sie nach Österreich gereist, wo sie am 28.05.2020 angekommen sei. Im vorgelegten Reisepass scheine ein polnischer Einreisestempel vom 22.02.2020 auf. Im Hinblick auf den Einreisestempel im Reisepass sei es eine Tatsache, dass die BF mit den polnischen Behörden Kontakt gehabt habe. Daher sei Polen für das Asylverfahren der BF gem. Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO zuständig.

Die den polnischen Einreisestempel enthaltende Reisepasskopie wurde dem Aufnahmegesuch des BFA vom 28.07.2020 angeschlossen.

Mit per E-Mail übermitteltem Schreiben an das BFA vom 07.09.2020 lehnte Polen die Rückübernahme der BF auf der Grundlage des Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO ab. Die BF sei am 22.02.2020 an der Grenze XXXX unter Verwendung ihres Reisepasses legal in Polen eingereist. Darüber hinaus sei die BF im Besitz einer - unter Angabe der Dokumentennummer bezeichneten - österreichischen Aufenthaltsberechtigung gewesen. Polen sei somit für die Rückübernahme der BF gem. Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO nicht zuständig.

Mit E-Mail vom 24.09.2020 richtete das BFA ein Remonstrationsschreiben an Polen. Darin wurde darauf hingewiesen, dass die BF bei ihrer Einreise nach Polen am 22.02.2020 nicht legal gereist sei, da deren österreichische Aufenthaltsberechtigungskarte am 02.02.2016 abgelaufen sei. Der erste Asylantrag der BF sei negativ entschieden worden. Maßgeblich sei nicht das Reiseziel der BF (Österreich), sondern deren Einreise nach Polen. Diesbezüglich gebe es einen behördlichen polnischen Einreisestempel (22.02.2020) und sei irrelevant, dass der österreichische Aufenthaltstitel (Endziel der Reise der BF sei Österreich gewesen), bereits abgelaufen gewesen sei. Weiters wies das BFA darauf hin, dass die BF selbst angegeben habe, dass sie anlässlich ihres Grenzübertrittes vor den polnischen Behörden gelogen habe: „Ich hatte diese weiße Asylkarte mitgehabt, und an der Grenze in Polen hatte ich gelogen und die haben einen Stempel in den Pass gegeben und mich über die Grenze gelassen“. Es handle sich um eine illegale Einreise der BF mittels Reisepasses und sei die BF nicht erst in Österreich illegal eingereist.

Dem Remonstrationsschreiben des BFA vom 24.09.2020 wurden die den polnischen Einreisestempel enthaltende Reisepasskopie und das österreichische Aufenthaltsdokument angeschlossen.

Am 01.10.2020 richtete das BFA unter Bezugnahme auf sein Remonstrationsschreiben vom 24.09.2020 eine Urgenz an Polen und ersuchte um Beantwortung bis längstens 08.10.2020.

Mit per E-Mail übermitteltem Schreiben vom 06.10.2020 hielt Polen seine ursprüngliche negative Entscheidung vom 07.09.2020 aufrecht. Zur von Österreich ins Treffen geführten Aufenthaltsberechtigung, die im Zeitpunkt der Einreise der BF nach Polen (22.02.2020) bereits abgelaufen gewesen sei, berief sich Polen darauf, dass darin kein Gültigkeitsdatum vermerkt sei. Im Dokument sei vermerkt, dass dieses dem Nachweis des legalen Aufenthaltes im Bundesgebiet diene. Die polnische Grenzwache sei zur Überprüfung, ob das Dokument bereits abgelaufen gewesen sei, nicht in der Lage zu gewesen und habe der BF die Einreise in das Gebiet der Mitgliedstaaten gestattet. Die Fremde habe die Grenzkontrolle nicht umgangen und sich allen notwendigen Kontrollen unterzogen. Die polnische Grenzbehörde erachte den Eintritt der BF nach Polen daher als legal. Polen erachte sich daher nicht zur Führung des Verfahrens gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO zuständig.

Mit per E-Mail übermitteltem Schreiben vom 12.10.2020 richtete das BFA abermals eine Remonstration an Polen. Zusammengefasst wurde ausgeführt, dass die BF die Aufenthaltsberechtigungskarte mit Ablauf ihrer Aufenthaltsberechtigung am 02.02.2016 retournieren hätte müssen und Polen seinerseits die Gültigkeit der Karte zu überprüfen gehabt hätte. Im Zeitpunkt ihrer Einreise nach Polen habe sich die BF nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltsberechtigungskarte befunden.

Mit per E-Mail übermitteltem Schreiben vom 19.10.2020 übermittelte das BFA eine Urgenz zu seinem am 12.10.2020 übermittelten abermaligen Remonstrationsbegehren und ersuchte um ehestmögliche Beantwortung, spätestens bis 23.10.2020.

Mit per E-Mail übermitteltem Schreiben an das BFA vom 22.10.2020 stimmte Polen der Rückübernahme der BF auf der Grundlage des Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO zu.

Am 30.10.2020 fand eine weitere Einvernahme der BF vor dem BFA statt. Der BF wurde vorgehalten, dass sie die weißrussisch-polnische Grenze unter Vorweis ihrer Aufenthaltsberechtigungskarte aus dem Vorverfahren überquert habe und man sie nicht einreisen lassen hätte dürfen, da die Karte nur für Österreich gültig gewesen und bereits abgelaufen gewesen sei. Die BF räumte ein, dass sie das alles gewusst, jedoch „durchwollen“ habe, weshalb sie die Karte hergezeigt habe. Die polnischen Grenzbeamten hätten wissen müssen, dass sie nicht einreisen dürfe. Nach Angehörigen oder sonstigen Verwandten in Österreich befragt, gab die BF an, dass sie Freunde, unter anderem eine Freundin in Wien, habe. Verwandte habe sie keine. Auf die Zuständigkeit Polens zur Bearbeitung ihres Antrages hingewiesen, gab die BF zu Protokoll, dass sie dort weder einen Asylantrag gestellt noch Fingerabdrücke abgegeben habe. Sie sei lediglich durch Polen durchgereist. Auf die ihr eingeräumte Möglichkeit, zu den Berichten zum Mitgliedstaat Polen Stellung zu nehmen, gab die BF zu Protokoll, dass sie dies nicht interessiere und sie nichts davon hören wolle. Sie habe diese nicht durchgelesen. Sie möge Polen nicht.

Mit Bescheid des BFA vom 30.10.2020 wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Polen für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Zudem wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG gegen die BF die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung der BF nach Polen zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Im Bescheid wurden der Ablauf des Vorverfahrens und der Ablauf des Remonstrationsverfahrens dargestellt und zusammenfassend mitgeteilt, dass Polen der Wiederaufnahme der BF zugestimmt habe, sodass Polen gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO zur Führung des Verfahrens zuständig sei. Die BF hätte bei Verlust ihres Aufenthaltsrechtes die Aufenthaltsberechtigungskarte an das BFA zu retournieren gehabt, sodass diese nicht in Besitz einer gültigen Aufenthaltsberechtigungskarte gewesen sei. Die BF sei unter Vorweisen ihrer bereits abgelaufenen Aufenthaltsberechtigungskarte von den polnischen Grenzbeamten am 22.02.2020 unberechtigt an der weissrussisch-polnischen Grenze durchgelassen worden. Psychische Störungen und/oder schwere oder ansteckende Krankheiten sowie eine Schwächung des Immunsystems hätten nicht festgestellt werden können. In Österreich habe die BF keine Angehörigen oder sonstigen Verwandten, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung bestünde. Die BF habe Freunde in Wien. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Überstellung nach Polen eine Verletzung des Art. 8 EMRK bedeuten würde. Eine besondere Integrationsfestigung sei nicht vorhanden und stelle die Außerlandesbringung keinen Eingriff nach Art. 8 EMRK dar. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, welche die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung der BF ernstlich für möglich erscheinen lassen würden, sei im Verfahren nicht erstattet worden. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005 sei nicht erschüttert worden und es habe sich kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ergeben.

Mit Schriftsatz vom 13.11.2020 erhob die BF fristgerecht die gegenständliche Beschwerde und brachte zu ihrer Einreise nach Polen wie im Verfahren vor der Behörde vor. Die Behörde wäre trotz Anwendung der Dublin III-VO verpflichtet gewesen, zu untersuchen, ob im konkreten Einzelfall das Risiko einer Kettenabschiebung in ein Land bestanden habe, in welchem der Asylwerber dem Risiko einer Verletzung des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre. Diesfalls wäre das Eintrittsrecht auszuüben gewesen. Obgleich die belangte Behörde die betreffende Entscheidung des VfGH vom 17.06.2005, B 336/05, zitiert habe, habe sie diese in der Bescheidbegründung nicht berücksichtigt. Die Behörde hätte im gegenständlichen Fall zu dem Schluss kommen müssen, dass die BF im Fall einer Überstellung nach Polen eine Verletzung ihrer in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte erleiden würde. Die BF habe sieben Jahre lang in Österreich gelebt, spreche die deutsche Sprache auf einem guten Niveau und habe hier viele Freunde. Seit ihrer neuerlichen Asylantragstellung seien fast sechs Monate vergangen und habe sie sich während dieser Zeit in Österreich wieder gut eingelebt. In Polen kenne sie hingegen niemanden und spreche auch die Landessprache nicht. In ihrer Erstbefragung habe sie falsche Informationen zu ihrem Polenaufenthalt angegeben, da sie Angst gehabt habe, zu erzählen, dass sie sich bereits seit 23.02.2020 in Österreich aufgehalten habe. Sie sei in Polen nur auf der Durchreise gewesen. Dies könne sie mit der Kopie ihres Bustickets vom 22.02.2020 belegen. Sie sei sofort nach ihrer Einreise in Polen mit einem Flix-Bus von Warschau nach Wien gefahren, wo sie am 23.02.2020 angekommen sei. Infolge der Corona-Pandemie habe sie erst Ende Mai um Asyl ansuchen können. Die Überstellung nach Polen würde mit Sicherheit zur Verletzung von Art. 8 EMRK führen. Das Privatleben der BF in Österreich sei von der belangten Behörde nicht berücksichtigt worden. Die Behörde hätte den Antrag inhaltlich prüfen müssen. Des Weiteren seien die Länderberichte unvollständig und würden die Lage von Asylwerbern in Polen beschönigen. Laut einem Zeitungsartikel würden Tschetschenen in Polen als Wirtschaftsflüchtlinge betrachtet werden und deshalb kaum Asyl erhalten.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.11.2020 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation stellte am 28.05.2020 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass die BF zuvor am 26.10.2011 in Polen und am 28.10.2011 in Österreich Asylanträge gestellt hatte.

Im Vorverfahren war kein Wiederaufnahmegesuch Österreichs an Polen gestellt worden.

Der erste Asylantrag der BF in Österreich vom 28.10.2020 wurde in einem inhaltlichen Verfahren mit Bescheid des BFA vom 15.09.2014 negativ entschieden und ist in zweiter Instanz in Rechtskraft erwachsen (Erkenntnis des BVwG vom 02.02.2016).

Am 23.01.2018 wurde die BF in ihren Herkunftsstaat rücküberstellt.

Am 28.07.2020 richtete das BFA ein auf Art.13 Abs. 1 Dublin III-VO gestütztes Aufnahmegesuch an Polen. Polen lehnte das Aufnahmegesuch mit Schreiben vom 07.09.2020 ab. Nach (fristgerechter) Erhebung einer Remonstration, einer Urgenz, einer abermaligen Ablehnung Polens, eines abermaligen Remonstrationsschreibens des BFA und einer abermaligen Urgenz, stimmte Polen der Übernahme der BF mit Schreiben vom 22.10.2020 zu.

Die BF ist unter Vorweis ihrer abgelaufenen, nach Verlust ihres Aufenthaltsrechtes in Österreich mit 02.02.2016 nicht retournierten Aufenthaltsberechtigungskarte, an der weissrussisch-polnischen Grenze am 22.02.2020 nach Polen eingereist. Es findet sich ein dies bestätigender behördlicher polnischer Einreisestempel in deren in einer kriminaltechnischen Untersuchung als unbedenklich eingestuften Reisepass.

Innerhalb der dreimonatigen Frist des Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO wurde von Österreich kein neuerliches Aufnahmegesuch an Polen gerichtet.

Im Übrigen werden der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang und Sachverhalt festgestellt.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen ergeben sich aus den Verwaltungsakten des Vorverfahrens und des verfahrensgegenständlichen Asylverfahrens einschließlich den eigenen Angaben der BF.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

Die maßgebliche Bestimmung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lautet:

§ 5. (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2)      Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin - Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3)      Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.“

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:

§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin lll-VO lauten:

Art. 3

Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

Art. 7

Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Art. 13

Einreise und/oder Aufenthalt

(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Art. 18

Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird.

In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.

[...]

Art. 20

Einleitung des Verfahrens

(1) Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

(2) Ein Antrag auf internationalen Schutz gilt als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Bei einem nicht in schriftlicher Form gestellten Antrag sollte die Frist zwischen der Abgabe der Willenserklärung und der Erstellung eines Protokolls so kurz wie möglich sein.

(3) Für die Zwecke dieser Verordnung ist die Situation eines mit dem Antragsteller einreisenden Minderjährigen, der der Definition des Familienangehörigen entspricht, untrennbar mit der Situation seines Familienangehörigen verbunden und fällt in die Zuständigkeit des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz dieses Familienangehörigen zuständig ist, auch wenn der Minderjährige selbst kein Antragsteller ist, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient. Ebenso wird bei Kindern verfahren, die nach der Auskunft des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für diese eingeleitet werden muss.

(4) Stellt ein Antragsteller bei den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats einen Antrag auf internationalen Schutz, während er sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, obliegt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Antragsteller aufhält. Dieser Mitgliedstaat wird unverzüglich von dem mit dem Antrag befassten Mitgliedstaat unterrichtet und gilt dann für die Zwecke dieser Verordnung als der Mitgliedstaat, bei dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde.

Der Antragsteller wird schriftlich von dieser Änderung des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats und dem Zeitpunkt, zu dem sie erfolgt ist, unterrichtet.

(5) Der Mitgliedstaat, bei dem der erste Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, ist gehalten, einen Antragsteller der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält oder dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem er seinen ersten Antrag noch während des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zurückgezogen hat, nach den Bestimmungen der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zum Abschluss zu bringen.

Diese Pflicht erlischt, wenn der Mitgliedstaat, der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats abschließen soll, nachweisen kann, dass der Antragsteller zwischenzeitlich das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen oder in einem anderen Mitgliedstaat einen Aufenthaltstitel erhalten hat.

Ein nach einem solchen Abwesenheitszeitraum gestellter Antrag im Sinne von Unterabsatz 2 gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.


Art. 21 Aufnahmegesuch

lautet auszugsweise:

(1) Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig, so kann er so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne von Artikel 20 Absatz 2, diesen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen.

Abweichend von Unterabsatz 1 wird im Fall einer Eurodac-Treffermeldung im Zusammenhang mit Daten gemäß Artikel 14 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 dieses Gesuch innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Treffermeldung gemäß Artikel 15 Absatz 2 jener Verordnung gestellt.

Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der in Unterabsätzen 1 und 2 niedergelegten Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für die Prüfung des Antrags zuständig.

(2) Der ersuchende Mitgliedstaat kann in Fällen, in denen der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, nachdem die Einreise oder der Verbleib verweigert wurde, der Betreffende wegen illegalen Aufenthalts festgenommen wurde oder eine Abschiebungsanordnung zugestellt oder vollstreckt wurde, eine dringende Antwort anfordern.

In dem Gesuch werden die Gründe genannt, die eine dringende Antwort rechtfertigen, und es wird angegeben, innerhalb welcher Frist eine Antwort erwartet wird. Diese Frist beträgt mindestens eine Woche.

Art. 5 der Durchführungsverordnung zur Dublin III-VO lautet:

Ablehnende Antwort

(1)      Vertritt der ersuchte Mitgliedstaat nach Prüfung der Unterlagen die Auffassung, dass sich aus ihnen nicht seine Zuständigkeit ableiten lässt, erläutert er in seiner ablehnenden Antwort an den ersuchenden Mitgliedstaat ausführlich sämtliche Gründe, die zu der Ablehnung geführt haben.

(2)      Vertritt der ersuchende Mitgliedstaat die Auffassung, dass die Ablehnung auf einem Irrtum beruht, oder kann er sich auf weitere Unterlagen berufen, ist er berechtigt, eine neuerliche Prüfung seines Gesuchs zu verlangen. Diese Möglichkeit muss binnen drei Wochen nach Erhalt der ablehnenden Antwort in Anspruch genommen werden. Der ersuchte Mitgliedstaat erteilt binnen zwei Wochen eine Antwort. Durch dieses zusätzliche Verfahren ändern sich in keinem Fall die in Artikel 18 Absätze 1 und 6 und Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe b) der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vorgesehenen Fristen. 

Art. 6 der Durchführungsverordnung zur Dublin III-VO lautet:

Zustimmende Antwort

Erkennt der ersuchte Mitgliedsstaat seine Zuständigkeit an, erklärt er dies in seiner Antwort, die neben der Angabe der für diese Anerkennung relevanten Bestimmung der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 die sachdienlichen Hinweise für die weitere Abwicklung der Überstellung enthält, darunter insbesondere die Koordinaten der Dienststelle oder Person, mit der Kontakt aufzunehmen ist.

Polen hat das Aufnahmegesuch Österreichs vom 28.07.2020 (Asylantragstellung der BF in Österreich am 28.05.2020) mit Schreiben vom 07.09.2020 abgelehnt. Österreich richtete hierauf am 24.09.2020 ein Remonstrationsschreiben und am 01.10.2020 ein Urgenzschreiben hiezu an Polen. Nach abermaliger Ablehnung seiner Zuständigkeit mit Schreiben vom 06.10.2020 richtete Österreich abermals eine Remonstration an Polen (12.10.2020) und nach Urgenz vom 19.10.2020 stimmte Polen der Rückübernahme der BF mit Schreiben vom 22.10.2020 auf der Rechtsgrundlage des Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO schließlich zu.

Zur Auslegung von Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung zur Dublin III-VO hat der EuGH im Urteil vom 13.11.2018 in der Rs C-47/17 und C-48/17, klargestellt, dass bei Ausbleiben einer Antwort auf das Remonstrationsschreiben innerhalb der zweiwöchigen Antwortfrist die Zuständigkeit beim ersuchenden Staat liegt, es sei denn die (zwingenden) Fristen nach der Dublin III-VO zur Stellung eines erneuten Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs wären noch nicht abgelaufen. Das Remonstrationsverfahren als zusätzliches Verfahren der neuerlichen Prüfung sei nach Ablauf der zweiwöchigen Antwortfrist endgültig abgeschlossen, sodass der ersuchende Mitgliedstaat nach Ablauf dieser Frist als für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig anzusehen sei. Vgl. hiezu auch das auf das Urteil des EuGH vom 13.11.2018 in der Rs C-47/17 und C-48/17, Bezug nehmende Erkenntnis des VwGH vom 13.12.2018, Ra 2017/18/0110-14, worin ebenfalls darauf hingewiesen wird, dass Art. 5 der Durchführungsverordnung zur Dublin III-VO zwar vorsieht, dass der ersuchte Mitgliedstaat binnen zwei Wochen auf eine Remonstration zu antworten hat, im Falle, dass der ersuchte Mitgliedstaat diese Frist jedoch ungenützt verstreichen lässt, dies weder einen Übergang der Zuständigkeit auf diesen noch eine Fristerstreckung nach sich zieht; vgl. auch Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, K4 zu Art. 5 Durchführungsverordnung.

Verfahrensgegenständlich hat der ersuchte Mitgliedstaat zwar das Remonstrationsbegehren Österreichs innerhalb der vorgesehenen Frist von zwei Wochen „beantwortet“, jedoch keine seine Zuständigkeit bejahende zustimmende Antwort, sondern (abermals) eine abschlägige Antwort erteilt. Bei der innerhalb von zwei Wochen zu erteilenden Antwort des ersuchten Mitgliedstaates hat es sich um eine seine Zuständigkeit anerkennende Antwort zu handeln (vgl. auch Art. 6 Durchführungsverordnung: „Erkennt der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit an, erklärt er dies in seiner Antwort“). Eine wie im vorliegenden Fall - wenn auch fristgerechte - negative Antwort auf ein Remonstrationsbegehren vermag ebenso keinen Zuständigkeitsübergang herbeizuführen, wie im Falle, dass ein ersuchter Mitgliedstaat innerhalb der zweiwöchigen Frist überhaupt keine Antwort erteilt.

Der Umstand, dass die polnische Dublin-Behörde der Rücknahme der BF mit Schreiben vom 22.10.2020, also rund einen Monat nach Erhalt des Remonstrationsbegehrens, zugestimmt hat, vermag sohin nichts daran zu ändern, dass Polen nicht, wie verlangt, binnen zwei Wochen nach Erhalt des fristgerecht gestellten österreichischen Ersuchens um neuerliche Prüfung vom 24.09.2020 (positiv) geantwortet hat und innerhalb der Frist des Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO auch kein neuerliches Aufnahmegesuch Österreichs gestellt wurde.

Das Schreiben Polens vom 22.10.2020, mit welchem der Aufnahme der BF nach einem weiteren Remonstrationsbegehren Österreichs samt einer weiteren Urgenz letztlich gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO zugestimmt wurde, vermochte daher die Zuständigkeit Polens nicht mehr zu begründen. Die Zuständigkeit zur Führung des materiellen Verfahrens ist somit auf Österreich übergegangen.

Der bekämpfte Bescheid war daher zu beheben und das Verfahren in Österreich zuzulassen.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Die entsprechende Judikatur wurde oben unter Punkt A) angeführt. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Dublin III-VO Fristablauf Remonstration Wiederaufnahme Zulassungsverfahren Zuständigkeit Zuständigkeitsübergang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W165.2236953.1.01

Im RIS seit

11.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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