TE Vwgh Beschluss 2021/1/4 Ra 2020/18/0495

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Veröffentlicht am 04.01.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M A, vertreten durch Mag. Mirsad Musliu und Mag. Nikolaus Rast, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Oktober 2020, W127 2182908-1/20E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volksgruppenzugehörigkeit aus der Provinz Laghman, stellte am 26. Juli 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, sein Heimatland aus Furcht vor einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban verlassen zu haben.

2        Mit Bescheid vom 29. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4        Begründend führte das BVwG - soweit für das Revisionsverfahren relevant - aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers betreffend die behaupteten Rekrutierungsversuche durch die Taliban sei aufgrund näher dargestellter Widersprüche nicht glaubhaft. Selbst bei Zugrundelegung seiner diesbezüglichen Angaben sei jedoch davon auszugehen, dass die Taliban kein solches Interesse am Revisionswerber hätten, dass sie ihn aktuell landesweit suchen würden. Eine ungefährdete Rückkehr in die Heimatprovinz sei aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage nicht möglich. Dem Revisionswerber stehe aber aus näher dargestellten Gründen eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in den afghanischen Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif zur Verfügung. Ihm sei deshalb kein internationaler Schutz zu gewähren. Im Rahmen der Rückkehrentscheidung nahm das BVwG eine Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK vor. Es gestand dem Revisionswerber zu, während seines Aufenthalts in Österreich Integrationsschritte gesetzt zu haben (gute Deutschkenntnisse; Teilnahme an einem Pflichtschulabschlusskurs; Aufnahme sozialer Kontakte zu österreichischen Bekannten und Freunden). Vor dem Hintergrund seiner Aufenthaltsdauer von etwas mehr als vier Jahren könne aber auch unter Berücksichtigung der vorgelegten Unterlagen von einer verfestigten und gelungenen Eingliederung des Revisionswerbers in die österreichische Gesellschaft noch nicht ausgegangen werden. Hingegen habe er den Großteil seines bisherigen Lebens bei seiner Familie in Afghanistan verbracht, sei in diesem Umfeld sozialisiert worden, spreche eine der Amtssprachen in Afghanistan als Muttersprache und habe weiterhin nahe Angehörige im Heimatland. Im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan würde er sich bei der Wiedereingliederung in die afghanische Gesellschaft keinen unüberwindbaren Hürden gegenübersehen. Das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung, das sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestiere, dass die Einbringung eines Asylantrags nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen dürfe, wiege im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen des Revisionswerbers am Verbleib in Österreich.

5        Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit vorbringt, das BVwG habe dem Vorbringen des Revisionswerbers hinsichtlich seiner Bedrohung durch die Taliban in keiner Weise Beachtung geschenkt, sondern sei willkürlich und spontan von einer Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers ausgegangen. Die aufgezeigten Widersprüche seien nur untergeordnet gewesen und basierten auf einem Missverständnis. Die Tatsache, dass der Revisionswerber zum Zeitpunkt seines ersten Fluchtvorbringens noch minderjährig und schwer traumatisiert gewesen sei, sei ungerechtfertigter Weise nicht in die Entscheidungsfindung eingeflossen. Den Länderinformationen sei zu entnehmen, dass die Rekrutierung von jungen Männern durch die Taliban durchaus die Regel darstelle und der Revisionswerber bei Rückkehr dieser realen Gefahr gegenüberstehe. Wenn das BVwG feststelle, der Revisionswerber müsse sich nicht in seiner Heimatregion aufhalten, sondern könne sich in einer der näher genannten Städte neuansiedeln, werde willkürlich nicht berücksichtigt, dass er dort keine sozialen, familiären oder wirtschaftlichen Anknüpfungspunkte habe. Er wäre obdachlos, auf sich allein gestellt und nicht selbsterhaltungsfähig. Weiters befinde sich der Revisionswerber bereits seit fast fünf Jahren im Bundesgebiet und weise eine überragende und außergewöhnliche Integration auf. Er besuche die Schule, pflege viele soziale Kontakte, spreche gut Deutsch, sei strafrechtlich unbescholten, verfüge über mehrere Empfehlungsschreiben und hole momentan seinen Pflichtschulabschluss nach. Das angefochtene Erkenntnis weiche insgesamt eindeutig von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Die Beweiswürdigung des BVwG sei unvertretbar vorgenommen worden.

6        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

9        Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

10       Die Revision bezeichnet die Beweiswürdigung des BVwG als „willkürlich und spontan“ und behauptet, die vom BVwG aufgezeigten Widersprüche in der Aussage seien untergeordnet gewesen, beruhten auf Missverständnissen und hätten dem Umstand, dass der Revisionswerber zu Beginn des Asylverfahrens minderjährig gewesen sei, nicht Rechnung getragen. Dem ist zu entgegnen, dass sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung mehrfach mit der Minderjährigkeit des Revisionswerbers im Zeitpunkt der behaupteten Erlebnisse und zu Beginn des Asylverfahrens auseinandergesetzt und auch begründet hat, welche konsistenten Angaben es von einer Person im Alter des Revisionswerbers erwartet hätte, die der Revisionswerber jedoch nicht gemacht habe. Der Vorwurf, die Minderjährigkeit des Revisionswerbers sei in die Beweiswürdigung nicht eingeflossen, trifft daher nicht zu. Soweit die Revision von einer schweren Traumatisierung des Revisionswerbers ausgeht, die sein Aussageverhalten beeinflusst habe, vermag sie dafür keinen Beleg anzubieten. Die Revision erklärt auch nicht, wieso die vom BVwG aufgezeigten Widersprüche in den Angaben des Revisionswerbers nur untergeordnet und auf Missverständnisse zurückzuführen gewesen seien.Wenn die Revision meint, den Länderberichten sei zu entnehmen, dass dem Revisionswerber bei Rückkehr nach Afghanistan eine Zwangsrekrutierung drohe, legt sie nicht dar, welche Berichte diese Schlussfolgerung für den gesamten Herkunftsstaat des Revisionswerbers rechtfertigen sollten. In den Länderfeststellungen des BVwG wird die Gefahr einer Zwangsrekrutierung nur für Gebiete, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausübten, angesprochen. Das BVwG verweist den Revisionswerber aber ohnedies nicht auf eine Rückkehrmöglichkeit in ein derartiges Gebiet, sondern nimmt - auch im Zusammenhang mit dem subsidiären Schutz - eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 AsylG 2005 an, die dem Revisionswerber aufgrund der näher dargestellten allgemeinen Lage im Heimatland und seiner persönlichen Verhältnisse zumutbar sei. Die Revision bestreitet auch dies, setzt sich mit den vom BVwG angeführten Argumenten aber nicht näher auseinander und vermag deshalb nicht aufzuzeigen, dass die Einschätzung des BVwG mit den höchstgerichtlichen Leitlinien nicht im Einklang stünde. Die bloße Behauptung, der Revisionswerber habe dort keine sozialen, familiären oder wirtschaftlichen Anknüpfungspunkte, wäre obdachlos, auf sich allein gestellt und nicht selbsterhaltungsfähig, steht jedenfalls in einem nicht aufgeklärten Widerspruch zu den diesbezüglichen Feststellungen des BVwG im angefochtenen Erkenntnis.Der Revision gelingt es somit nicht, eine vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmende unvertretbare Beweiswürdigung des BVwG im Zusammenhang mit dem Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz darzutun.

11       Soweit sich die Revision gegen die Rückkehrentscheidung richtet, ist ihr entgegenzuhalten, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 14.9.2020, Ra 2020/18/0357, mwN). Liegt - wie im vorliegenden Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig vorausgesetzt, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären (vgl. etwa VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0246, mwN). Dass eine derartige außergewöhnliche Integration im vorliegenden Fall gegeben wäre, wird von der Revision zwar behauptet; die dafür angeführten Umstände wurden vom BVwG aber ohnedies bedacht und vermögen die Außergewöhnlichkeit nicht darzutun.

12       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 4. Jänner 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180495.L00

Im RIS seit

15.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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