TE Vwgh Erkenntnis 2021/1/4 Ra 2020/18/0251

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Veröffentlicht am 04.01.2021
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Index

E6J
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2
62011CJ0071 Y und ZVORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A A, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Mai 2020, W123 2196465-1/17E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl):

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird insoweit, als sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten wendet, zurückgewiesen;

II. zu Recht erkannt:

Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 3. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, seine Eltern verloren und bei seinem drogensüchtigen Onkel gelebt zu haben, der ihn misshandelt habe, weshalb er in den Iran geflohen sei. Zudem brachte der Revisionswerber vor, mit dem Onkel in Afghanistan Erb- und Grundstücksstreitigkeiten gehabt zu haben.

2        Mit Bescheid vom 24. April 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde, in der der Revisionswerber seine Konversion zum Christentum vorbrachte, wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Begründend führte das BVwG aus, dass es sich bei den Problemen mit dem Onkel um private Probleme handle, denen aufgrund der Tatsache, dass der Onkel die Grundstücke des Revisionswerbers (und seiner Schwester) bereits in Besitz genommen hatte, die Aktualität fehle. Das Vorbringen zur Konversion sei aufgrund der widersprüchlichen Angaben des Revisionswerbers und der Steigerung seit der Ersteinvernahme nicht glaubwürdig. So habe der Revisionswerber sein Fluchtvorbringen nicht gleichbleibend geschildert und etwa unterschiedliche Angaben zum Zeitpunkt des beginnenden Interesses am Christentum und zu den handelnden Personen im Iran gemacht. Auch habe er widersprüchliche Angaben zu seiner Hinwendung zum Christentum in Österreich gemacht, habe sich nicht mit den unterschiedlichen christlichen Kirchen befasst und vor seiner Kontaktaufnahme mit einer evangelikalen Kirche sich auch nicht mit den wesentlichen Unterschieden zwischen dem christlichen und dem islamischen Glauben auseinandergesetzt. Der erkennende Richter habe den Eindruck gewonnen, der Revisionswerber sei vielmehr aus Zufall zu der Gemeinde in W. gestoßen und nicht aufgrund umfangreicher eigener Erwägungen. Auch sei hervorgekommen, dass der Revisionswerber seinen Glauben nicht besonders intensiv praktiziere. Die Angaben zu seiner Freundin in Österreich und die zeitlichen Angaben, wie diese von seiner Konversion erfahren haben soll, seien ebenfalls widersprüchlich. Schließlich habe auch die Einvernahme des Zeugen, eines Pastors der Gemeinde in W., den gewonnenen Eindruck nicht zerstreuen können, zumal dieser selbst angegeben habe, oft als Zeuge in Konversionsfällen vor dem BVwG aussagen zu müssen, was nach Ansicht des BVwG mit der niederschwelligen Taufmöglichkeit in der Gemeinde in W. zu erklären sei. Zur Nichtgewährung subsidiären Schutzes führte das BVwG aus, dass eine Rückkehr in die Heimatprovinz des Revisionswerbers aufgrund der schlechten Sicherheitslage nicht möglich sei, dem Revisionswerber aber die Inanspruchnahme einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e Sharif zur Verfügung stehe.

5        Dagegen richtet sich die vorliegende Revision.

6        Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8        Die Revision ist teilweise zulässig und begründet.

9        Zu I.:

10       Die Revision bringt zur Frage der Gewährung von Asyl vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Konversionsfällen abgewichen, habe unzureichende Feststellungen dazu getroffen und eine im Hinblick auf die Würdigung der Einvernahme des Zeugen unvertretbare Beweiswürdigung getätigt.

11       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine begründete Furcht des Asylwerbers vor asylrelevanter Verfolgung wegen einer Konversion vorliegen, wenn anzunehmen wäre, dass der konvertierte Asylwerber nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen werden. Wesentlich ist somit, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden.

12       Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und einer daraus resultierenden Verfolgungsgefahr kommt es wesentlich auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist.

13       Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltens- bzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. zum Ganzen VwGH 12.6.2020, Ra 2019/18/0440, mwN).

14       Im vorliegenden Fall hat das BVwG dem Fluchtvorbringen zur Konversion aus den oben dargestellten Gründen die Glaubwürdigkeit abgesprochen und eine Rückkehrgefährdung verneint. Es hat sich dazu in einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschafft sowie den beantragten Zeugen einvernommen. Wenn die Revision nun vermeint, dass eine unzureichende Würdigung der Aussage des einvernommenen Pastors zu diesem Ergebnis geführt habe, so übersieht sie, dass das BVwG seine Beweiswürdigung zu einem Großteil auf die Steigerung des Vorbringens seit der Ersteinvernahme, die unterschiedlichen Angaben zum ersten Kontakt mit dem Christentum in Afghanistan, im Iran bzw. in Österreich, sowie die mangelnde Auseinandersetzung des Revisionswerbers mit dem neuen Glauben stützte. Auch hielt es fest, dass die Meinung des einvernommenen Pastors, der Revisionswerber sei aus innerer Überzeugung konvertiert, dieses Ergebnis nicht zu verändern vermögen.

15       Dass dem BVwG gesamtheitlich gesehen bei dieser Würdigung ein vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifender Fehler in der Beweiswürdigung (zum diesbezüglichen Maßstab für das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vgl. etwa VwGH 21.2.2020, Ra 2020/18/0055, mwN) oder ein aufzugreifender Verstoß gegen die amtswegige Ermittlungspflicht (vgl. etwa VwGH 10.8.2020, Ra 2020/18/0158) unterlaufen wäre, legt die Revision nicht dar.

16       Die Revision war daher hinsichtlich des Abspruchs des BVwG über den Status des Asylberechtigten gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG zurückzuweisen.

17       Zu II.:

18       Zulässig und begründet ist die Revision in Bezug auf die Bekämpfung der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz und die darauf aufbauenden weiteren Spruchpunkte des angefochtenen Erkenntnisses.

19       Das BVwG verweist den Revisionswerber hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in den afghanischen Städten Herat oder Mazar-e Sharif, wo er nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis über keine familiären oder sozialen Kontakte verfügt. Der Revisionswerber könne sich seine Existenz mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern und mit Unterstützung seiner Verwandten in Afghanistan rechnen sowie eine einfache Unterkunft finden. In diesem Zusammenhang verweist das BVwG vor allem auf Länderberichte zu Afghanistan aus den Jahren 2018 und 2019.

20       Das BVwG hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei seiner Entscheidung die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen, wobei zu beachten ist, dass bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben können (vgl. etwa VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).

21       Die Revision macht näher begründet geltend, dass die Rückkehrsituation für den Revisionswerber aufgrund der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 anders beschaffen sei als es vom BVwG - wie zuvor geschildert - angenommen werde. Dabei zieht sie insbesondere die Versorgungslage für den Revisionswerber in den als innerstaatliche Fluchtalternative in Rede stehenden Städten in Zweifel und weist daraufhin, dass den im Entscheidungszeitpunkt maßgeblichen Länderberichten zu entnehmen sei, dass der Arbeitsmarkt für Tagelöhner, auf den der Revisionswerber verwiesen werde, nicht mehr existiere.

22       Das BVwG hat sich mit der COVID-19-Pandemie nur insoweit beschäftigt, als es allgemein ausführte, dass diese Viruserkrankung am häufigsten bei älteren Personen und Personen mit Vorerkrankungen zu schweren Krankheitsverläufen führe. Der junge und nicht schwerwiegend erkrankte Revisionswerber zähle nicht zu dieser Risikogruppe, weshalb in seinem Fall kein „real risk“ einer Verletzung des Art. 3 EMRK erkennbar sei.

23       Bei dieser Beurteilung übersieht das BVwG, dass im vorliegenden Fall auch die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative geprüft werden muss (vgl. dazu insbesondere VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001) und dabei nicht nur auf die Gefahr einer schweren Erkrankung des Revisionswerbers Bedacht zu nehmen ist, sondern auch die sonstigen Auswirkungen der Pandemie auf seine Rückkehrsituation (Versorgungslage, Unterkunft, Arbeitsmarkt) Berücksichtigung finden müssen.

24       Dem vorliegenden Erkenntnis sind jedoch keine diesbezüglichen Feststellungen zu den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie zu entnehmen, die sich auf zeitnahe Länderberichte stützen können, und es werden insoweit auch keine rechtlichen Überlegungen zur Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e Sharif angestellt (vgl. dazu auch VwGH 15.9.2020, Ra 2020/18/0145).

25       Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das BVwG bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensmängel zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis in Bezug auf die Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes und die darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

26       Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 4. Jänner 2021

Gerichtsentscheidung

EuGH 62011CJ0071 Y und Z VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180251.L00

Im RIS seit

16.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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