TE Vwgh Beschluss 2021/1/13 Ra 2020/14/0571

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Veröffentlicht am 13.01.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch Mag. Nicole Nossek und Mag. Wolfgang Polster, Rechtsanwälte in 3002 Purkersdorf, Kaiser Josef Straße 1/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2020, W229 2174268-1/21E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 10. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid vom 21. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Zu ihrer Zulässigkeit bringt die Revision vor, es fehle Rechtsprechung zu der Frage, „welche innerstaatlichen Fluchtalternativen das Bundesverwaltungsgericht prüfen müsse“. Weiters gehe aus der bisherigen Rechtsprechung nicht hervor, welche sozialen Kontakte dafür ausreichend seien. Der Revisionswerber habe keine Anknüpfungspunkte in Herat und Mazar-e Sharif. Zudem halte sich der Revisionswerber bereits über fünf Jahre im Bundesgebiet auf. Es sei fraglich, wie lange der Aufenthalt sein müsse, um von einer Entfremdung vom Herkunftsstaat auszugehen. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich zudem nicht ausreichend mit den in Frage kommenden innerstaatlichen Fluchtalternativen auseinandergesetzt.

8        Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der gesonderten Zulassungsbegründung konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. VwGH 28.6.2018, Ra 2018/19/0114 bis 0119, mwN). Mit dem bloßen Verweis auf fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einer näher bezeichneten Frage wird nicht dargelegt, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Rahmen der Entscheidung über die Revision zu lösen wäre (vgl. VwGH 9.11.2016, Ra 2016/19/0296, mwN).

9        Soweit die Revision ihre Zulässigkeit mit dem Fehlen von Rechtsprechung im Zusammenhang mit der innerstaatlichen Fluchtalternative begründet, ist ihr zunächst entgegenzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht eine Rückkehr nach Kabul, wo der Revisionswerber nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts geboren und aufgewachsen sei sowie die Schule besucht habe, angenommen und sich nur hilfsweise auf das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazar-e Sharif gestützt hat. Dass die einzelfallbezogene Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, das ausgehend von aktuellen Länderberichten die Möglichkeit einer Rückkehr des Revisionswerbers in seine Heimatstadt Kabul bejaht und keine reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen hat, unvertretbar erfolgt wäre, wird von der Revision nicht dargelegt.

10       Darüber hinaus entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Beantwortung der Frage, ob die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zumutbar ist, eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers erfordert. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 9.11.2020, Ra 2020/20/0373, mwN).

11       Im Übrigen haben die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts bereits festgehalten, dass einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrsche, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei und die Möglichkeit habe, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative - fallbezogen in Mazar-e Sharif oder Herat - grundsätzlich zugemutet werden könne (vgl. VwGH 23.1.2020, Ra 2019/01/0140, mwN). Soweit die Revision fehlende Anknüpfungspunkte in den beiden genannten afghanischen Städten ins Treffen führt, ist darauf zu verweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof zu der auch hier anzuwenden Berichtslage die Auffassung vertritt, dass allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht hindere (vgl. VwGH 7.10.2020, Ra 2020/14/0432, mwN).

12       Dass sich das Bundesverwaltungsgericht mit seiner Beurteilung von den dargestellten Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes in unvertretbarer Weise entfernt hätte, wird von der Revision vor dem Hintergrund der Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts, dass es sich bei dem Revisionswerber um einen gesunden und jungen Mann im erwerbsfähigen Alter handle, der über eine mehrjährige Schulausbildung verfüge, der mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei, und der getroffenen Feststellungen zur Situation vor Ort, nicht dargetan (vgl. etwa VwGH 10.1.2020, Ra 2019/20/0582, mwN).

13       Auch im Zusammenhang mit der im Sinn des Art. 8 EMRK durchgeführten Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts vermag die Revision keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. etwa wiederum VwGH 7.10.2020, Ra 2020/14/0432, mwN).

14       Soweit der Revisionswerber auf den Umstand seines mehr als fünfjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet verweist, übersieht er einerseits, dass er sich zum Entscheidungszeitpunkt erst knapp unter fünf Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hat und zudem einer solchen Aufenthaltsdauer für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt. In Fällen, in denen - wie hier - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vorliegt, wird regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, sodass es gerechtfertigt wäre, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären (vgl. VwGH 3.12.2020, Ra 2020/20/0392, mwN). Die Revision zeigt eine Unvertretbarkeit der vorgenommenen Interessenabwägung nicht auf.

15       Soweit die Revision auf fehlende Kontakte im Heimatstaat verweist, entfernt sie überdies sich von den im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts, ohne jedoch auszuführen, inwieweit die diesbezügliche Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts fehlerhaft wäre, sodass schon deshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegen kann (vgl. VwGH 27.8.2019, Ra 2019/20/0336, mwN).

16       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher schon deshalb, ohne dass auf die Frage ihrer Rechtzeitigkeit (der in der Revision angeführte Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Erkenntnisses steht mit der Aktenlage nicht im Einklang) näher einzugehen war, gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückweisen.

Wien, am 13. Jänner 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020140571.L00

Im RIS seit

22.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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