Index
19/05 MenschenrechteNorm
AsylG 2005 §11Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in den Revisionssachen 1. des AB und 2. des CD, beide vertreten durch Mag.a Julia M. Kolda, Rechtsanwältin in 4400 Steyr, Pacherstraße 17, Büro 5A/3, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Mai 2020, 1. W192 2185758-1/10E und 2. W192 2186584-1/15E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerber sind Brüder und Staatsangehörige Afghanistans. Sie stellten am 23. Oktober 2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz, den sie im Wesentlichen mit einer Bedrohung der Familie durch die Taliban begründeten.
2 Mit den Bescheiden vom 12. Jänner 2018 und 17. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Revisionswerber ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die belangte Behörde jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobenen Beschwerden der Revisionswerber als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils nicht zulässig sei.
4 Die Revisionswerber erhoben gegen diese Erkenntnisse Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 7. Oktober 2020, E 3097-3098/2020-5, die Behandlung derselben ablehnte und sie aufgrund des nachträglichen Antrages mit Beschluss vom 2. November 2020, E 3097-3098/2020-8, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge wurden die gegenständlichen Revisionen eingebracht.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Revisionen wenden sich in der Zulässigkeitsbegründung gegen die Beweiswürdigung und machen geltend, das BVwG sei von näher genannter Judikatur zur „Glaubhaftmachung“ der Verfolgungsgründe abgewichen. Die Revisionswerber hätten im Wesentlichen übereinstimmende und schlüssige Angaben zu ihrer Verfolgung gemacht. Die angenommenen Widersprüche seien lediglich Ungenauigkeiten, die sich nachvollziehbar aus der Befragungssituation, der Wiedergabe nicht eigener Wahrnehmung und sprachlichen Unterschieden ergeben hätten. Allenfalls hätte das BVwG weitere Ermittlungen vornehmen müssen. Weiters lägen Ermittlungs- und Begründungsmängel im Zusammenhang mit der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif und Herat vor. Das BVwG sei seiner Verpflichtung zur Heranziehung aktueller Länderberichte nicht nachgekommen. Es ziehe aus den getroffenen Feststellungen zur schwierigen Lebenssituation in Herat und Mazar-e Sharif und den lediglich auf allgemeine Ausführungen beschränkten Feststellungen zur vorliegenden Covid-19-Pandemie Schlussfolgerungen, die nicht nachvollziehbar seien.
9 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revisionen nicht dargelegt.
10 Soweit sich die Revisionen gegen die der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten zu Grunde liegenden beweiswürdigenden Erwägungen wenden, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 19.11.2020, Ra 2020/14/0192 bis 0196, mwN).
11 Das BVwG hat sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem Vorbringen der Revisionswerber zu den Gründen ihrer Flucht auseinandergesetzt und im Rahmen einer umfassenden Beweiswürdigung dargelegt, weshalb es zum Ergebnis gelangte, deren Vorbringen habe sich als nicht glaubwürdig erwiesen. Alternativ verwies das BVwG darauf, dass jedenfalls in Mazar-e Sharif und Herat keine aktuelle Verfolgungsgefahr bestehe, die mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohe. Den Revisionen gelingt es nicht, eine den beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts anhaftende und vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Mangelhaftigkeit aufzuzeigen. Darüber hinaus lassen sie die für sich tragfähige Alternativbegründung außer Acht (vgl. zur Unzulässigkeit einer Revision bei einer tragfähigen Alternativbegründung etwa VwGH 13.11.2019, Ra 2019/01/0326, mwN).
12 Soweit sich die Revisionen im Zusammenhang mit der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz gegen die Annahme des BVwG wenden, den Revisionswerbern stehe in Mazar-e Sharif und Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative, deren Inanspruchnahme auch zumutbar sei, offen, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach es sich hierbei letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall handelt, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. etwa VwGH 2.9.2019, Ra 2019/20/0379, mwN).
13 Es entspricht weiters der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 14.9.2020, Ra 2020/14/0314, mwN). In der Rechtsprechung wurde auch bereits klargestellt, dass für sich nicht entscheidungswesentlich ist, wenn sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus und von Erkrankungen an Covid-19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellte, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. auch VwGH 9.11.2020, Ra 2020/20/0373, mwN).
14 Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungs-, Begründungs- und Feststellungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 11.11.2020, Ra 2020/14/0149, mwN).
15 Das BVwG traf fallbezogen hinreichend aktuelle Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif sowie zu deren sicheren Erreichbarkeit und setzte sich mit den individuellen Umständen der Revisionswerber und den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf diese auseinander. Es kam zum Ergebnis, dass bei einer Niederlassung in den genannten afghanischen Städten die grundlegende Versorgung der Revisionswerber gewährleistet sei, zumal es sich um zwei volljährige, gesunde, arbeitsfähige, ledige Männer im erwerbsfähigen Alter mit Schulbildung, überdurchschnittlicher Anpassungs- und Lernfähigkeit sowie einschlägigen Sprachkenntnissen handle. Die Revisionswerber seien mit den Gepflogenheiten ihres Herkunftsstaates vertraut und könnten für den Aufbau einer neuen Existenz, abgesehen von der gegenseitigen Unterstützung sowie Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten, Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Dies wird in den Revisionen nicht substantiiert bestritten. Die Revisionen zeigen nicht auf, dass diese Einzelfallbeurteilung unvertretbar erfolgt wäre (vgl. zur innerstaatlichen Fluchtalternative für junge, gesunde und arbeitsfähige Männer in Mazar-e Sharif etwa VwGH 15.5.2020, Ra 2020/20/0140) und dass im Hinblick auf die Covid-19-Pandemie in Herat und Mazar-e Sharif solche exzeptionellen Umstände vorlägen, welche konkret die reale Gefahr einer Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte darstellen würden.
16 In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 13. Jänner 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020140287.L00Im RIS seit
22.02.2021Zuletzt aktualisiert am
22.02.2021