TE OGH 2020/11/26 10Bs338/20m

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Veröffentlicht am 26.11.2020
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Das Oberlandesgericht Graz hat durch die Richter Dr.Sutter (Vorsitz), Mag.Redtenbacher und Mag.Ohrnhofer in der Übergabesache des ***** ***** zur Strafvollstreckung an Italien über die Beschwerde des Betroffenen gegen die vom Landesgericht für Strafsachen Graz am 4.November 2020 verfügte Aufhebung gelinderer Mittel nach § 177 Abs 4 erster Satz StPO, GZ 25 HR 97/20p-50, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

 

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.

Text

begründung:

In der oben genannten Übergabesache erfolgte mit unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 23. Oktober 2020 die Aufhebung der am 20. August 2020 über den Betroffenen verhängten Übergabehaft bei Fortbestand des Haftgrunds der Fluchtgefahr gegen Anwendung – konkret angeführter – gelinderer Mittel iSd des § 173 Abs 5 StPO (ON 41).

Am 4.November 2020 verfügte das Landesgericht für Strafsachen Graz über dahingehenden Antrag der Staatsanwaltschaft Graz gemäß § 177 Abs 4 StPO mit Beschluss die Aufhebung der auferlegten gelinderen Mittel (ON 1, AS 29; ON 50).

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Betroffenen, in der er reklamiert, die Aufhebung der gelinderen Mittel sei nicht gerechtfertigt, insbesondere sei er aufgrund eines aufrechten Aufenthaltsverbots in Österreich mit seiner Abschiebung in sein Heimatland Rumänien konfrontiert, sodass dem Übergabeantrag nicht nachgekommen werden könne (ON 51).

Die Beschwerde ist nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Neben dem Urteil entscheiden die Gerichte mit Beschluss (§ 86 StPO) soweit sie nicht bloß eine auf den Fortgang des Verfahrens oder die Bekanntmachung einer gerichtlichen Entscheidung gerichtete Verfügung erlassen (siehe § 35 Abs 2 StPO).

Ist die Staatsanwaltschaft der Ansicht, dass die Aufhebung gelinderer Mittel zu verfügen sei, so beantragt sie dies beim Gericht, das daraufhin entsprechend zu verfügen hat. Beantragt die Staatsanwaltschaft eine Änderung oder der Beschuldigte eine Aufhebung oder Änderung gelinderer Mittel und spricht sich die Staatsanwaltschaft dagegen aus, so hat das Gericht zu entscheiden. Eine Beschwerde gegen diesen Beschluss ist binnen drei Tagen ab seiner Bekanntmachung einzubringen (§ 177 Abs 4 StPO).

Weil die Untersuchungshaft nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft fortgesetzt werden darf (§ 173 Abs 1 StPO) und gelindere Mittel nur ein Ersatz für die Untersuchungshaft sind, ist das Gericht an einen Antrag iSd § 177 Abs 4 erster Satz StPO gebunden (vgl Kirchbacher/Rami in Fuchs/Ratz, WK-StPO § 177 Rz 13; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 7.854).

Der Wortlaut des § 177 Abs 4 StPO bringt deutlich zum Ausdruck, dass in dem im ersten Satz geregelten Fall das - hier keine eigene Entscheidungskompentenz aufweisende, sondern lediglich mit einer Umsetzungsverpflichtung konfrontierte - Gericht nur eine Verfügung zu treffen hat, während in den im zweiten Satz geregelten Fällen dem Gericht eine beschlussmäßig wahrzunehmende eigene Entscheidungskompetenz zukommt. Auch nach den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 25 BlgNR 22. GP 227) entscheidet das Gericht nur über kontradiktorische Anträge und hätte bei nicht vorliegenden widersprechenden Anträgen, wenn die Staatsanwaltschaft auf den Einsatz gelinderer Mittel bloß (teilweise) verzichtet, „bloß die entsprechenden Veranlassungen zu treffen.“. In den Gesetzesmaterialien wird zudem angeführt, die Formulierung übernehme im Wesentlichen und präzisiere das geltende Recht (§ 193 Abs 6 StPO), wozu anzumerken ist, dass zuvor die Differenzierung in der Entscheidungsform ebenso deutlich ausgedrückt wurde (§ 193 Abs 6 StPO idF vor BGBl I 2004/19 lautete: „Der Untersuchungsrichter hat die Aufhebung gelinderer Mittel zu verfügen, wenn der Beschuldigte dies beantragt und der Staatsanwalt zustimmt. Ansonsten entscheidet der Untersuchungsrichter über die Aufhebung oder Änderung gelinderer Mittel nach Anhörung des Staatsanwalts mit Beschluß. […]“). Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut, den Inhalt der Gesetzesmaterialien und der nach § 177 Abs 4 erster Satz StPO in Ansehung des Gerichts ausschließlich normierten Durchführungsverpflichtung ohne eigene Entscheidungskompetenz ist die Umsetzung der von der Staatsanwaltschaft beantragten Aufhebung gelinderer Mittel durch das Gericht als (bloße) Verfügung zu beurteilen (so im Ergebnis auch Nimmervoll, Haftrecht3 198 {„ […] das Gericht bloß die entsprechenden Veranlassungen zu treffen hat, einer Beschlussfassung bedarf es also nicht.“}; siehe auch Fabrizy, StPO13 § 177 Rz 5, Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren Rz 738; Haißl in Schmölzer/Mühlbacher StPO1 § 177 Rz 17; ohne nähere Begründung zum entgegenstehenden Wortlaut von einem Beschluss ausgehend Kirchbacher/Rami in Fuchs/Ratz, WK-StPO § 177 Rz 13 [iVm Rz 14]; darauf verweisend/diesen folgend Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 7.854; Haißl in Schmölzer/Mühlbacher StPO1 § 177 FN 14; Bertel/Venier, Kommentar zur StPO § 177 Rz 6).

Anzumerken bleibt, dass selbst bei einer von der Staatsanwaltschaft beantragten Aufhebung der Untersuchungshaft (§ 177 Abs 3 StPO), das (auch hier lediglich mit einer Umsetzungsverpflichtung ohne eigene Entscheidungskompetenz befasste) Gericht bloß eine Verfügung trifft (vgl Kirchbacher/Rami in Fuchs/Ratz, WK-StPO § 177 Rz 12 mwN). Auch vor diesem Hintergrund besteht kein Anlass bei der von der Staatsanwaltschaft beantragten Aufhebung – (nur) einen Ersatz für die Untersuchungshaft darstellender – gelinderer Mittel von der nach dem Wortlaut zwischen gerichtlicher Verfügung (§ 177 Abs 4 erster Satz StPO) und gerichtlicher Entscheidung in Beschlussform (§ 177 Abs 4 zweiter und dritter Satz StPO) differenzierenden Regelung abzugehen, vielmehr erweisen sich die – das Gericht bindenden – Aufhebungsanträge der Staatsanwaltschaft in § 177 Abs 3 und Abs 4 erster Satz StPO in Ansehung der gerichtlichen Entscheidungsform (Verfügung) als kongruent geregelt.

Das Vorliegen einer nicht anfechtbaren Verfügung bedingt die Unzulässigkeit der Beschwerde und deren Zurückweisung.

Eine Beschwerde gegen die gegenständliche Entscheidung ist mangels gesetzlicher Anordnung nicht zulässig (siehe RIS-Justiz RS0124936).

Oberlandesgericht Graz, Abteilung 10

Textnummer

EG00185

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0639:2020:0100BS00338.20M.1126.000

Im RIS seit

10.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.02.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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