TE Lvwg Erkenntnis 2021/1/28 LVwG-2020/37/0962-6

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Veröffentlicht am 28.01.2021
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Entscheidungsdatum

28.01.2021

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

B-VG §139
VStG 1991 §45
VwGVG 2014 §44
VwGVG §50
VwGVG §52

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Dr. Hirn über die Beschwerde des AA, Adresse 1, *** Z, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Z vom 05.05.2020, Zl ***, betreffend eine Übertretung nach der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 20.03.2020, LGBl Nr 35/2020,

zu Recht:

1.       Der Beschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang:

Mit Straferkenntnis vom 05.05.2020, Zahl ***, hat die Bezirkshauptmannschaft Z AA, Adresse 1, *** Y, zur Last gelegt, sich am 02.04.2020 um 10:50 Uhr an einem öffentlichen Ort, nämlich in *** Z beim X, Bushaltestelle, BB, aufgehalten und sohin im Landesgebiet von Tirol einen öffentlichen Ort betreten zu haben, obwohl zur Verhinderung der weiteren Verbreitung von COVID-19 das Betreten öffentlicher Orte im gesamten Landesgebiet nach Maßgabe der §§ 2 bis 5 der Verordnung des Landeshauptmannes vom 20.03.2020, LGBl Nr 35/2020, unter Gewährung der Versorgungssicherheit und des freien Warenverkehrs für alle Gemeinden verboten (gewesen) sei.

Dadurch habe er die Rechtsvorschrift des § 1 Abs 1 in Verbindung mit (iVm) § 6 der Verordnung des Landeshauptmannes vom 20.03.2020, LGBl Nr 35/2020, verletzt, weshalb über ihn gemäß § 6 der Verordnung des Landeshauptmannes vom 20.03.2020, LGBl Nr 35/2020, iVm
§ 3 Abs 3 COVID-19-Maßnahmengesetz eine Geldstrafe in der Höhe von Euro 180,00 (Ersatzfreiheitsstrafe: 16 Stunden) verhängt wurde. Die Kosten des Strafverfahrens hat die Bezirkshauptmannschaft Z mit insgesamt Euro 18,00 bestimmt.

Gegen dieses Straferkenntnis hat AA, Adresse 1, *** Y, Beschwerde erhoben ? die Beschwerde wurde im Rahmen der Amtshandlung am 13.05.2020 protokolliert ? und beantragt, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

Mit Schriftsatz vom 03.08.2020, Zahl LVwG-2020/15/1047-1, hat das Landesverwaltungsgericht Tirol im Rahmen des zur angeführten Zahl anhängigen Beschwerdeverfahrens beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag gemäß Art 139 Abs 1 Z 1
B-VG (Verordnungsprüfung) eingebracht und beantragt festzustellen, dass § 4 der Verordnung des Landeshauptmannes vom 20.03.2020, LGBl Nr 35/2020, allenfalls § 4 Abs 1, allenfalls
§ 4 Abs 1 und Abs 2 der Verordnung, gesetzwidrig war. Das AA betreffende Beschwerdeverfahren hat das Landesverwaltungsgericht Tirol mit Beschluss vom 10.08.2020, Zl LVwG-2020/37/0962-4, bis zum Abschluss des beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Verordnungsprüfungsverfahrens ausgesetzt.

Mit Erkenntnis vom 10.12.2020, V 512/2020-12, hat der Verfassungsgerichthof festgestellt, dass § 4 Abs 1, Abs 2 und Abs 5 der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 20.03.2020 nach § 2 Z 2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, LGBl für Tirol Nr 35/2020, gesetzwidrig war und die als gesetzwidrig festgestellten Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind.

II.      Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer hat sich am 02.04.2020 um 10:50 Uhr an der Bushaltestelle vor dem BB, *** Z, X, und damit außerhalb seines eigenen Wohnsitzes aufgehalten. Er saß am angeführten Ort auf einer Bank.

III.     Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsdarstellung stützt sich auf die schlüssigen und nachvollziehbaren Angaben in der Anzeige der Polizeiinspektion Z vom 10.04.2020, Zl ***. Der Rechtsmittelwerber hat in seiner Beschwerde nicht bestritten, sich an der Bushaltestelle vor dem BB aufgehalten zu haben. Eine plausible Erklärung für den Aufenthalt am angegebenen Ort enthält das Rechtsmittel nicht.

IV.      Rechtslage:

1.     Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Vorbereitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz):

Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen des COVID-19-Maßnahmengesetzes,
BGBl I Nr 12/2020, lauten samt Überschriften auszugsweise wie folgt:

„Betreten von bestimmten Orten

§ 2. Beim Auftreten von COVID-19 kann durch Verordnung das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist. Die Verordnung ist

1.   vom Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Bundesgebiet erstreckt,

2.   vom Landeshauptmann zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf das gesamte Landesgebiet erstreckt, oder

3.   von der Bezirksverwaltungsbehörde zu erlassen, wenn sich ihre Anwendung auf den politischen Bezirk oder Teile desselben erstreckt.


Das Betretungsverbot kann sich auf bestimmte Zeiten beschränken.“

„Strafbestimmungen

§ 3. […]

(3) Wer einen Ort betritt, dessen Betreten gemäß § 2 untersagt ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von bis zu 3 600 Euro zu bestrafen.“

2.     Verordnung des Landeshauptmannes nach § 2 Z 2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes:

Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen der Verordnung des Landeshauptmannes vom 20. März 2020 nach § 2 Z 2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, LGBl Nr 35/2020, lauten auszugsweise wie folgt:

„§ 1

(1)  Zur Verhinderung der weiteren Verbreitung von COVID-19 ist das Betreten öffentlicher Orte im gesamten Landesgebiet nach Maßgabe der §§ 2 bis 5 unter Gewährung der Versorgungssicherheit und des freien Warenverkehrs für alle Gemeinden verboten.

[…]

§ 2

[…]

(6)      Als Wohnsitz im Sinn dieser Verordnung gelten der Hauptwohnsitz, der Nebenwohnsitz oder der Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes im Landesgebiet.“

§ 4

(1) Das Verlassen des eigenen Wohnsitzes (§ 2 Abs. 6) ist verboten.

(2) Ausgenommen vom Verbot nach Abs. 1 ist das Verlassen des eigenen Wohnsitzes aus triftigen Gründen zur Deckung von Grundbedürfnissen. Das Verlassen des eigenen Wohnsitzes ist dabei auf ein zeitlich und örtlich unbedingt notwendiges Minimum zu beschränken.

[…]

(5) Triftige Gründe zur Deckung von Grundbedürfnissen, die ein Verlassen des eigenen Wohnsitzes rechtfertigen, sind die Ausübung beruflicher Tätigkeiten die Inanspruchnahme medizinischer und veterinärmedizinischer Versorgungsleistungen (z.B. Arztbesuch, medizinische Behandlungen, Therapie), sonstige Handlungen zur Versorgung der Grundbedürfnisse (z.B. Lebensmitteleinkauf, Gang zur Apotheke oder zum Geldautomat, Besuch bei Alten, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen in ihrem jeweiligen privaten Bereich) und Handlungen zur Versorgung von Tieren. Diese triftigen Gründe sind im Falle von Kontrollen durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes glaubhaft zu machen.“

„§ 6

Wer dieser Verordnung zuwiderhandelt, begeht gemäß § 3 Abs. 3 COVID-19-Maßnahmengesetz eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von bis zu 3.600,- Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu vier Wochen, zu bestrafen.

§ 7

(1) Diese Verordnung tritt mit 21. März 2020 in Kraft, soweit in den Abs. 2, 3 und 4 nicht anderes bestimmt wird.

[…]

(5) Diese Verordnung tritt mit dem Ablauf des 13. April außer Kraft.

(6) Die Verordnung des Landeshauptmannes nach § 2 Z 2 des COVID-19-Maßnahmen-gesetzes LGBl. Nr. 33/2020, in der Fassung der Verordnung LGBl. Nr. 34/2020, tritt mit dem Ablauf des 20. März 2020 außer Kraft.“

3.   Bundes-Verfassungsgesetz:

Der entscheidungswesentliche Art 139 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG), BGBl Nr 1/1930 in der Fassung (idF) BGBl I Nr 114/2013, lautet auszugsweise wie folgt:

„Artikel 139. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen

         1.       auf Antrag eines Gerichtes;

[…]

(4) Ist die Verordnung im Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten und wurde das Verfahren von Amts wegen eingeleitet oder der Antrag von einem Gericht oder von einer Person gestellt, die durch die Gesetzwidrigkeit der Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, so hat der Verfassungsgerichtshof auszusprechen, ob die Verordnung gesetzwidrig war. Abs. 3 gilt sinngemäß.

[…]

(6) Ist eine Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Abs. 4 ausgesprochen, dass eine Verordnung gesetzwidrig war, so sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist jedoch die Verordnung weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist gemäß Abs. 5 gesetzt, so ist die Verordnung auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles anzuwenden.

[…]“

4.   Verwaltungsstrafgesetz 1991:

Die entscheidungswesentliche Bestimmung des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG), BGBl Nr 52/1991 in der Fassung BGBl I Nr 33/2013, lautet auszugsweise wie folgt:

„§ 45. (1) Die Behörde hat von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn

1.   die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann oder keine Verwaltungsübertretung bildet;

2.   der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen;

3.   Umstände vorliegen, die die Verfolgung ausschließen;

4.   die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind;

5.   die Strafverfolgung nicht möglich ist;

6.   die Strafverfolgung einen Aufwand verursachen würde, der gemessen an der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat unverhältnismäßig wäre.

Anstatt die Einstellung zu verfügen, kann die Behörde dem Beschuldigten im Fall der Z 4 unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid eine Ermahnung erteilen, wenn dies geboten erscheint, um ihn von der Begehung strafbarer Handlungen gleicher Art abzuhalten.

[…].“

5.   Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz:

Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl I Nr 33/2013 in den Fassungen BGBl I Nr 24/2017 (§ 44) und BGBl I Nr 57/2018 (§§ 50 und 52), lauten samt Überschriften auszugsweise wie folgt:

„Verhandlung

§ 44. […]

(2) Die Verhandlung entfällt, wenn der Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

[…].“

„Erkenntnisse

§ 50. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen und das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.

[…].“

„Kosten

§ 52. […]

(8) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind dem Beschwerdeführer nicht aufzuerlegen, wenn der Beschwerde auch nur teilweise Folge gegeben worden ist.

[…].“

V.       Erwägungen:

1.       Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde:

Gemäß § 7 Abs 4 VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen einen Bescheid einer Behörde vier Wochen.

Das angefochtene Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer am 11.05.2020 zugestellt. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde im Rahmen der Amtshandlung am 13.05.2020 protokolliert. Die Einbringung der Beschwerde erfolgte somit fristgerecht.

2.   In der Sache:

Grundlage für die von der Bezirkshauptmannschaft Z im angefochtenen Straferkenntnis vorgenommene Bestrafung des Beschwerdeführers ist die Verordnung des Landeshauptmannes vom 20.03.2020, LGBl Nr 35/2020. Diese Verordnung wurde mit Verordnung des Landeshauptmannes vom 06.04.2020, LGBl Nr 44/2020, aufgehoben, da sich die Gesamtsituation betreffend die Verbreitung des SARS-CoV-2 Virus in Tirol zu diesem Zeitpunkt wiederum deutlich verbessert hat. Die Aufhebung der Verordnung LGBl Nr 35/2020 ist somit eindeutig auf eine Änderung der für die Anordnung relevanten Sachlage zurückzuführen und nicht auf eine nachträgliche andere Beurteilung der Gefährlichkeit des Virus.

Das in § 1 Abs 2 VStG normierte Günstigkeitsprinzip gilt nicht für „Zeitgesetze“. Dabei handelt es sich um Gesetze, die von vornherein nur für einen bestimmten Zeitraum gegolten haben und der Wegfall der Regelung somit nicht auf einem geänderten Unwerturteil des Normgebers basiert (generell VwGH 22.07.2019, Ra 2019/02/0107). Das in § 1 Abs 2 VStG normierte „Günstigkeitsprinzip“ ist daher trotz Aufhebung der Verordnung LGBl Nr 35/2020 mit der Verordnung LGBl Nr 44/2020 nicht anzuwenden.

Auf das dem Beschwerdeführer vorgeworfene Verhalten ist die zum Tatzeitpunkt (02.04.2020) geltende, auf § 2 Z 2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes gestützte Verordnung des Landeshauptmannes vom 20.03.2020, LGBl Nr 35/2020, anzuwenden. Die Bezirkshauptmannschaft Z hat das angefochtene Straferkenntnis vom 05.05.2020, Zahl ***, auch auf näher bezeichnete Bestimmungen der Verordnung des Landeshauptmannes vom 20.03.2020, LGBl Nr 35/2020, gestützt. Im gegenständlichen Fall wird dem Beschwerdeführer insbesondere zur Last gelegt, entgegen § 4 Abs 1 der Verordnung des Landeshauptmannes vom 20.03.2020, LGBl Nr 35/2020, ohne triftigen Grund (vgl § 4 Abs 5 der Verordnung) den eigenen Wohnsitz verlassen zu haben.

Mit Schriftsatz vom 03.08.2020, Zahl LVwG-2020/15/1047-1, hat das Landesverwaltungsgericht Tirol gemäß Art 139 Abs 1 Z 1 B-VG beantragt festzustellen, „dass § 4 der Verordnung des Landeshauptmannes vom 20.03.2020, LGBl Nr 35/2020, in eventu
§ 4 Abs 1, in eventu § 4 Abs 1 und 2 der Verordnung, gesetzwidrig war.“ Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 10.12.2020, V 512/2020-12, festgestellt, dass § 4 Abs 1, Abs 2 und Abs 5 der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 20. März 2020 nach § 2 Z 2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, LGBl für Tirol Nr 35/2020, gesetzwidrig war und die als gesetzwidrig festgestellten Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind.

Gemäß Art 139 Abs 6 B-VG sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Das dem Beschwerdeführer vorgeworfene Verhalten, nämlich am 02.04.2020 seinen Wohnsitz ohne triftigen Gründe verlassen zu haben, war somit nicht rechtswidrig.

3.       Ergebnis:

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer im angefochtenen Straferkenntnis zur Last gelegt, am 02.04.2020 entgegen § 4 Abs 1 der Verordnung des Landeshauptmannes vom 20.03.2020, LGBl Nr 35/2020, ohne triftigen Grund im Sinn des § 4 Abs 5 der Verordnung LGBl Nr 35/2020 den eigenen Wohnsitz verlassen zu haben. Gemäß dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10.12.2020, V 512/2020-12, waren § 4 Abs 1, Abs 2 und Abs 5 der Verordnung des Landeshauptmannes von Tirol vom 20.03.2020, LGBl Nr 35/2020, gesetzwidrig und sind die als gesetzwidrig festgestellten Bestimmungen nicht mehr anzuwenden. An diesen Spruch des Verfassungsgerichtshofes ist das Landesverwaltungs-gericht Tirol gemäß Art 139 Abs 6 B-VG gebunden. Die dem Beschwerdeführer im angefochtenen Straferkenntnis zur Last gelegte Verhaltensweise, nämlich am 02.04.2020 seinen Wohnsitz ohne triftigen Grund verlassen zu haben, war daher nicht rechtswidrig. Das angefochtene Straferkenntnis war daher zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG einzustellen. Dementsprechend lautet Spruchpunkt 1. des gegenständlichen Erkenntnisses

Gemäß § 44 Abs 2 VwGVG konnte die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung entfallen, da – ausgehend von der Aktenlage – das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben war.

VI.      Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hatte im gegenständlichen Fall das angefochtene Straferkenntnis zu beheben, da der Verfassungsgerichtshof im Rahmen einer Verordnungsprüfung § 4 Abs 1, Abs 2 und Abs 5 der Verordnung des Landeshauptmannes vom 20.03.2020, LGBl Nr 35/2020, als gesetzwidrig festgestellt hat und diese als gesetzwidrig festgestellten Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind. Das § 4 Abs 1 der Verordnung des Landeshauptmannes vom 20.03.2020, LGBl Nr 35/2020, widersprechende Verhalten des Beschwerdeführers war somit nicht rechtswidrig.

Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung waren als Folge der in Art 139 Abs 6 B-VG verankerten Bindungsverpflichtung der Gerichte an Aussprüche des Verfassungsgerichts-gerichtshofes nicht zu erötern. Dementsprechend wird die ordentliche Revision in Spruch-
punkt 2. des gegenständlichen Erkenntnisses für nicht zulässig erklärt.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Der Antrag auf Verfahrenshilfe ist innerhalb der oben angeführten Frist für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof beim Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof ist, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr. Hirn

(Richter)

Schlagworte

Betretungsverbot;
Wohnsitz;
Verlassen des Wohnsitzes;
Verordnungsprüfung;
Bindungswirkung;
Günstigkeitsprinzip;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2020.37.0962.6

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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