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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des V in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. November 1995, Zl. 4.343.645/9-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. November 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines vormals (nach der Beschwerde seit Mai 1994 staatenlos) russischen Staatsangehörigen, der am 10. November 1993 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 18. November 1993 den Asylantrag gestellt hat, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23. November 1993, mit dem dieser Antrag abgewiesen worden ist, abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Befragung am 22. November 1993 angegeben, der Grund seiner Flucht aus Rußland bestehe darin, daß er von einer Gruppe Männern, die Kommunisten seien, verfolgt, bedroht und erpreßt worden sei. Im August 1991, im Zuge des Putsches gegen Gorbatschow, sei er im Militäreinsatz gestanden. Er sei in Moskau zum Schutz des Weißen Hauses als Kommandant der dritten Abteilung eingesetzt gewesen. Er habe sich damals freiwillig über Radioaufrufe zum Einsatz gemeldet, da er für Jelzin eingestellt sei. Im Jahr 1991 sei er auch öfters bei Kundgebungen für Jelzin dabeigewesen. Im Jahr 1992 sei im Fernsehen retrospektiv eine Sendung über die damaligen Ereignisse ausgestrahlt worden, anläßlich derer er in Großaufnahme auf dem Bildschirm erschienen sei. Seit damals habe er anonyme Anrufe bekommen, in denen er jeweils als "Scheißdemokrat" beschimpft worden sei. Auch habe man ihm gesagt, er solle Rußland verlassen. Er habe damals nichts dagegen unternommen und habe auch keine Angst davor gehabt. Am 1. Mai 1993 hätten die Kommunisten den Tag der Arbeit gefeiert, wobei tagelang gefeiert und sehr viel getrunken worden sei. Am 4. Mai 1993 sei es in seinem Wohnort K zwischen
drei Kommunisten und ihm selbst zu einem Streit und zu Beschimpfungen auf offener Straße sowie in der Folge zu einer Schlägerei gekommen, anläßlich derer er seine Widersacher verprügelt habe, da er Karate könne. Am nächsten Tag hätten sie ihm bei einer Unterführung aufgelauert, ihn aus dem Auto gezerrt, in einen Wald verbracht und dort mit Hockeyschlägern verprügelt. Dabei hätten sie ihm eine Rippe gebrochen und ihn am Ohr verletzt. Er habe nichts dagegen unternommen und habe sich auch nicht an die Miliz gewandt. Dann sei ein Monat Ruhe gewesen. Im Juni sei er einen Tag in Moskau gewesen. Als er zurückgekommen sei, habe er einen Mann dabei ertappt, der sein Auto geöffnet habe. Er habe ihn geschlagen und zur Miliz gebracht. Der Mann sei dann von der Miliz freigelassen, er selbst aber für eine Nacht in den Arrest geschickt worden, unter dem Vorwurf, er habe seine Rechte überschritten. Bei seiner Entlassung habe ihn dieser Mann mit den Männern, die ihn bereits im Wald verprügelt hätten, erwartet und erneut verprügelt. Die Polizei habe dies tatenlos mitangesehen. Er habe dadurch begriffen, daß es sinnlos sei, sich zu verteidigen. In seiner Stadt existierten
drei Mafiagruppierungen, die die Macht in der Hand hätten. Er habe dann telefonische Anrufe erhalten, in denen Geld verlangt worden sei. Im Juli 1993 habe er beschlossen, sich an Jelzin zu wenden, und habe ihm einen Brief geschrieben. Diesen habe er aus Sicherheitsgründen erst in Moskau aufgegeben. Eine Woche später sei er von den Männern erneut erwartet und ins Auto gezerrt worden, wo sie ihm den Brief gezeigt hätten, mit dem Hinweis, es hätte keinen Sinn, sich um Hilfe zu bemühen. Sie hätten 125.000 Rubel von ihm gefordert, die er ihnen auch gegeben habe. Nach 2 Tagen hätten sie schon 5 Millionen Rubel von ihm gefordert. Er habe zwar gesagt, daß er das Geld nicht habe, sie hätten aber gewußt, daß sein Schwager ihm diese Summe schulde, die er diesem für seine Firma geliehen gehabt habe. Sein Schwager habe daraufhin das Geld aufgebracht, und er habe den Männern diese Summe gegeben, in der Hoffnung, daß er dann Ruhe haben werde. Dem sei aber nicht so gewesen, weil sie eine Woche später bereits wieder Geld von ihm verlangt hätten. Auf dem Markt habe er dann von Aserbeidschanern eine Granate gekauft und habe sich mit der Granate im Auto zu dem Treffpunkt begeben. Dort habe er den Männern die Granate gezeigt und die Sicherung gelöst. Daraufhin hätten sie von ihm abgelassen und seien verschwunden. Ende September/Anfang Oktober (1993) sei es wiederum zu einem Drohanruf gekommen, in dem man mit der Schändung seiner Kinder gedroht und von ihm Gold verlangt habe, da "die" gewußt hätten, daß er Juwelier sei. Er habe keinen anderen Ausweg gesehen und ihnen auch die Wertgegenstände gegeben. Bei diesem Treffen habe einer der Männer eine Pistole dabeigehabt. Sie seien mit ihm in den Wald gefahren und hätten ihn dort mit Benzin übergossen und gedroht, ihn beim nächsten Mal anzuzünden. Er habe dann eine Annonce in der Zeitung gelesen, daß man ein Visum kaufen könne, und sich zur Flucht entschlossen. Auf die Frage, warum er nicht in Rußland seinen Wohnort gewechselt habe, um diesem Treiben ein Ende zu setzen, antwortete der Beschwerdeführer, dies habe er nicht in Erwägung gezogen, weil er vermutet habe, daß man ihn überall finden würde. Er habe sogar Angst, daß man ihn in Österreich finden könnte. Derzeit habe in Rußland die Mafia die Macht im Wirtschaftsleben in Händen, das Wirtschaftsleben spiele sich bei den Leuten noch im Geist der kommunstischen Vergangenheit ab. Im Falle seiner Rückkehr nach Rußland würde er sicherlich von diesen Männern getötet werden.
In seiner Berufung gegen den abweislichen Bescheid des Bundesasylamtes brachte der Beschwerdeführer im wesentlichen keinen anderslautenden Sachverhalt vor, bezog sich jedoch zum Beweis seiner Darstellung auf ein Dankschreiben des Präsidenten Rußlands, Boris Jelzin, und bot als weitere Beweismittel die Einholung eines medizinischen Gutachtens über die von ihm erlittenen Verletzungen an.
Mit Bescheid vom 28. Dezember 1993 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.
Auf Grund der dagegen gerichteten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. Oktober 1994, Zl. 94/19/1131-6, den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit dessen Erkenntis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94) auf, sodaß das Berufungsverfahren wiederum bei der belangten Behörde anhängig wurde.
Mit (Ersatz-)Bescheid vom 2. November 1995 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers (neuerlich) gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Sie erhob das im Bescheid des Bundesasylamtes "richtig und im wesentlichen vollständig" wiedergegebene Vorbringen des Beschwerdeführers "auch zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides", schloß sich nach Darstellung des Verfahrensganges und der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage ausgehend vom Vorbringen des Beschwerdeführers in erster Instanz gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 - eine der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 leg. cit erachtete die belangte Behörde als nicht vorliegend - sich der rechtlichen Würdigung des Bundesasylamtes im bekämpften Bescheid vollinhaltlich an und erhob die diesbezüglich begründenden Ausführungen (des Bundesasylamtes) zum Inhalt auch des gegenständlichen (angefochtenen) Bescheides. Die belangte Behörde ergänzte zum Berufungsvorbringen, daß die für kriminelle Delikte zuständigen Organe im Heimatland des Beschwerdeführers vielfach noch immer von kommunistischen und mafiösen Elementen beherrscht seien, weshalb er von dort keine Hilfe zu erwarten gehabt hätte, mit dem Hinweis, daß sich aus diesem Vorbringen keinerlei Anhaltspunkte entnehmen ließen, daß ihm, hätte er sich tatsächlich um Hilfe an die Behörden seines Heimatlandes gewandt, diese auch tatsächlich verweigert worden wäre. Außerdem schütze das Asylrecht nur Personen, gegen die mit staatlichen Maßnahmen von erheblicher Intensität aus einem der in § 1 Z. 1 AsylG 1991 genannten Gründe in Verfolgungsabsicht vorgegangen werde. In diesem Sinne sei auch das vorgelegte Dankschreiben für seinen Einsatz im August 1991 und das damit verbundene Berufungsvorbringen nicht geeignet gewesen, eine konkrete Verfolgung des Beschwerdeführers im Sinne des Asylgesetzes 1991 zu beweisen. Auf die Einholung des beantragten medizinischen Sachverständigengutachtens sei zu verzichten gewesen, da derartigen Gutachten nicht zu entnehmen sei, welche Motivation allfällig festgestellten Verletzungen zugrundegelegen sei und von wem diese tatsächlich verursacht worden seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer rügt unter dem Blickwinkel der Verletzung von Verfahrensvorschriften, die belangte Behörde habe sein Vorbringen gleichsam in "Einzelteile" zerlegt und diese isoliert voneinander und aus dem Zusammenhang gerissen einer rechtlichen Beurteilung unterzogen, ohne die in seinem Heimatland herrschenden Verhältnisse, insbesondere den Umstand, daß sein Heimatstaat auf Grund seiner in Auflösung befindlichen staatlichen Ordnung nicht mehr in der Lage sei, Staatsbürger vor terroristischen Übergriffen durch politisch-kriminielle Mafiacliquen zu schützen, in ihre Überlegungen miteinzubeziehen. Er macht damit Ermittlungsfehler der Verwaltungsbehörden geltend. Wie der Verwaltungsgerichtshof jedoch mehrfach ausgesprochen hat, ist aus § 16 Abs. 1 AsylG 1991, der eine Konkretisierung der sich aus § 37 in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG ergebenden amtswegigen Ermittlungspflicht darstellt, nicht abzuleiten, die Behörden träfe auch eine darüber hinausgehende Ermittlungspflicht. Lediglich dort, wo in den Angaben eines Asylwerbers konkrete Hinweise auf einen asylrechtlich relevanten Sachverhalt enthalten sind, ist die Behörde verpflichtet, amtswegig auf die Konkretisierung dieser Angaben zu dringen und für die nötigen Aufschlüsse des Sachverhaltes zu sorgen. Derartige konkrete Anhaltspunkte auf einen asylrechtlich relevanten Sachverhalt hat der Beschwerdeführer jedoch in seiner erstinstanzlichen Vernehmung nicht vorgebracht. Da der Beschwerdeführer auch in seiner Berufung Mängel des Verfahrens erster Instanz nicht gerügt und aus dem Akt solche auch nicht ersichtlich sind, ist die belangte Behörde bei ihrer rechtlichen Beurteilung im Sinne des § 20 Abs. 1 AsylG 1991 zutreffend von den Ermittlungsergebnissen des Verfahrens erster Instanz ausgegangen. Diese lassen sich dahingehend zusammenfassen, daß der Beschwerdeführer von - möglicherweise mafiösen Kriminellen - nach einer persönlichen Auseinandersetzung wiederholt tätlich angegriffen und erpreßt worden ist.
Die Behörde ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer einen Zusammenhang zwischen der von ihm behaupteten Verfolgungsgefahr und seiner politischen Gesinnung nicht glaubhaft machen konnte, zumal er nicht ausgeführt hat, daß er mit den von ihm als "Kommunisten" bezeichneten Personen einen Streit über politische Inhalte geführt hätte. Gemäß § 1 Z. 1 AsylG 1991 ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Selbst im Falle der Annahme, staatliche Hilfe wäre ihm nicht zuteil geworden, könnte in den auf persönlichen bzw. kriminellen Motiven beruhenden Verfolgungshandlungen durch Dritte keine dem Staat mittelbar zurechenbare Verfolgung AUS EINEM DER IN DER GENFER FLÜCHTLINGSKONVENTION GENANNTEN GRÜNDE entnommen werden.
Soweit der Beschwerdeführer unter dem Blickwinkel der inhaltlichen Rechtswidrigkeit in der Beschwerde vorträgt, die von ihm behaupteten Verfolgungshandlungen wiesen einen politischen Aspekt auf, so ist dem das sich aus § 41 Abs. 1 VwGG abzuleitende und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot entgegenzuhalten, hat doch der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren die von Dritten ausgehenden Verfolgungshandlungen lediglich auf deren kriminellen Charakter bzw. die tätliche Auseinandersetzung mit seinen Widersachern zurückgeführt.
Insgesamt kann daher der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie diese Angaben als ungeeignet erachtet hat, asylrechtlich relevante, konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete, aktuelle und lediglich durch Ausreise aus dem Heimatland hintanzuhaltende Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen.
Deshalb war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995010616.X00Im RIS seit
20.11.2000