TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/21 L509 2206743-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.08.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

21.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L509 2206743-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Ewald HUBER-HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX ; geb. am XXXX , StA. Pakistan vertreten durch RAe Mag. BISCHOF, Mag. LEPSCHI gegen den Bescheid des BFA RD Kärnten - ASt Klagenfurt vom 03.08.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.07.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF), ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte am 14.08.2016 aus dem Stande der Schubhaft den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er wurde am 15.08.2016 von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und am 23.08.2018 bei der belangten Asylbehörde niederschriftlich einvernommen.

2. Zum Grund der Antragstellung befragt gab er zunächst an, er sei ein Angehöriger der Glaubensrichtung Ahmadiya und solche würden in Pakistan von den Sunniten verfolgt. Es sei den Ahmadis in Pakistan verboten, eine Moschee zu besuchen oder selbst eine Moschee zu errichten. Er habe versucht, nach Deutschland zu gelangen, weil es dort eine Organisation gäbe, die die Glaubensrichtung der Ahmadiya unterstützt. Er könne jetzt allerdings nicht mehr nach Deutschland weiterreisen (Antragstellung in Österreich). Nach Pakistan wolle er nicht zurück, dort gäbe es keine Sicherheit für ihn und er könne dort nicht leben.

3. Bei der niederschriftlichen Vernehmung gab der BF auf konkrete Frage (AS 107) an, dass er als Person wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch nie konkret verfolgt wurde. Er habe um Asyl angesucht, weil das Leben in Pakistan wegen seines Glaubens sehr schwer wäre. Auf ein Bekenntnis in der Öffentlichkeit zum Glauben der Ahmadis würde eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren verhängt oder man würde getötet werden, außerdem dürfte man als Ahmadi nicht an Wahlen teilnehmen. In der Stadt Rabwah hätte sich die Lage seit 2016 verschlechtert. Vom Staat würde man zwar nicht verfolgt werden, aber von der Bevölkerung. Der BF habe als Wächter bei einer Moschee gearbeitet und dort auch den Kindern den Koran beigebracht. Die Bewohner hätten ihn beschimpft. Handgreiflichkeiten habe es zwar nicht gegeben, einmal sei er aber bei der Arbeit auf dem Feld (als Landwirt) von 5 Bewohnern (Sunniten) geschlagen worden. Die Sicherheitslage habe sich von Tag für Tag verschlechtert. Seine Mutter hätte entschieden, ihn nach Europa zu schicken. Diese sei sehr krank.

4. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 30.08.2018 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2015 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Des Weiteren wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Dem BF wurde gem. § 57 AsylG kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.). Gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I NR. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.). Gem. § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Pakistan gem. § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise des BF wurde gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

In der Begründung führt das BFA aus, dass die Verfolgungsbefürchtungen vom BF frei erfunden seien und ihm die Glaubwürdigkeit anzusprechen sei. Eine aktuelle oder zukünftige asylrelevante Verfolgung sei im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen. Der BF sei gesund, mobil und arbeitsfähig. Er würde durch eine Rückkehr nicht in eine hoffnungslose Lage kommen. Er sei fähig, sich eine ausreichende Lebensgrundlage zu sichern und habe familiäre Anknüpfungspunkte. Der Status eines subsidiär Schutzberechtigten sei daher nicht zuzuerkennen. Hinweise auf das Vorliegen von Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG seien nicht vorhanden. Der BF sei nach Österreich illegal eingereist und führe kein Familienleben. Sonstige Gründe, die für eine intensive Integration des BF sprechen würden, würden nicht vorliegen. Es würden daher die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremden- und Asylwesen die privaten Interessen des BF am weiteren Verbleib in Österreich überwiegen, weshalb eine Rückkehrentscheidung zulässig und der Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben gerechtfertigt sei. Da keine Gefährdung des BF im Falle der Rückkehr festzustellen gewesen sei, sei auch die Abschiebung nach Pakistan zulässig. Die Frist zur freiwilligen Ausreise sei gesetzlich mit 2 Wochen festzusetzen.

5. Dagegen wurde von einem vom BF bevollmächtigten Rechtsanwalt rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde eingebracht. Mit der Beschwerde wird der Bescheid in vollem Umfang bekämpft und inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Aus dem Umstand, dass die Mutter des BF und sein Onkel nach wie vor in Pakistan aufhältig sind, lasse sich nicht schlüssig mangelnde Verfolgungsgefahr für den BF begründen. Zudem seien 2 Brüder des BF bereits geflüchtet und in der EU aufhältig. Diesen sei aufgrund ihrer Verfolgung als Ahmadis Asyl zuerkannt worden. Weiters sei zu bedenken, dass der BF in der Missionierung bei Jugendlichen tätig gewesen sei. Er habe jeweils nachmittags 1 bis 2 Stunden den Koran unterrichtet. Der BF habe zutreffend bei der Erstbefragung erklärt, dass es ihm verboten sei, Moscheen zu besuchen. Ahmadi Moscheen gäbe es einige, die jedoch häufig attackiert würden. Es sei auch zutreffend, dass die Regierung keine religiösen Bauten für Ahmadis unterstütze und religiösen Eiferern freie Hände lasse, wenn solche Objekte zerstört werden. Der BF sei zu dem Vorfall im Jahr 2015, bei dem er brutal zusammengeschlagen worden sei, nicht näher befragt worden. Er sei damals bei der Wasserzuteilung bewusst von Sunniten benachteiligt worden und als er sich zur Wehr gesetzt habe, sei er aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Ahmadis körperlich angegriffen worden. Es seien dem BF beim BFA keine Fragen zur tatsächlichen Religionsausübung gestellt worden. Der BF habe sich sein ganzes Leben als Ahmadi verstanden und dies auch nicht unter Inkaufnahme von Nachteilen verleugnet. Zum Beweis dafür, dass der BF der Glaubensgruppe der Ahmadis angehört und diesen Glauben aktiv praktiziert, werde er binnen 14 Tagen einen Brief der Ahmadi-Gesellschaft nachreichen. Sein Vorbringen decke sich mit den aktuellen Berichten über die Lage der Ahmadis, dass diese nicht nur Verfolgung in Form von körperlichen Übergriffen bis hin zur Tötung, sondern auch in der Religionsausübung vollständig gehindert werden. Er beantrage die Beiziehung eines länderkundlichen Sachverständigen zum Beweis dafür, dass er als praktizierender Ahmadi religiös motivierter Verfolgung ausgesetzt sei, dass keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht und das Ausmaß der Verfolgungshandlungen in der Gesamtbetrachtung Gruppenverfolgung erreicht.

Die belangte Behörde habe sich mit der allgemeinen Lage der Ahmadis in Pakistan nur unzureichend auseinandergesetzt. Der Beschwerde wurden Berichte über eine systematische Verfolgung der Ahmadis in Pakistan vom März 2018 und eine Anfragebeantwortung von ACCORD vom 23.01.2018 über die strafgesetzlichen Vorschriften gegen Ahmadis und schikanöse Praktiken der pakistanischen Behörden beigelegt. Laut UNHCR werde Gewalt gegen Ahmadis nicht untersucht und nur selten verfolgt. Selbst in Gegenwart der Polizei werde gegen Ahmadis ausgeübte Gewalt nicht verhindert. Laut UNHCR beziehe sich die Verfolgungsgefahr der Ahmadis auf das gesamte Staatsgebiet. Die belangte Behörde habe sich mit den von ihr selbst eingebrachten Länderfeststellungen nicht auseinandergesetzt. Sie spreche lediglich von gelegentlichen Repressalien den Ahmadis gegenüber. Aus den Berichten gehe jedoch hervor, dass Gerichte dabei versagen, die Rechte der religiösen Minderheiten zu schützen., dass Polizeikräfte den Ahmadis den Schutz vor Übergriffen versagen und dass es vielfältige gesetzliche Diskriminierung im Alltag gebe. Darin sei ein Begründungsmangel zu sehen. Ebenso sei die Interessensabwägung gemäß Art. 8 EMRK mangelhaft geblieben und nicht berücksichtigt worden, dass der BF Deutsch sprechen kann und teilweise selbsterhaltungsfähig ist. Der Bescheid sei inhaltlich rechtswidrig und rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Es wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, den Bescheid zu beheben und internationalen Schutz zu gewähren, in eventu den Bescheid abzuändern und die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären, in eventu festzustellen, dass die Abschiebung nach Pakistan unzulässig ist in eventu den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

6. Eine Nachreichung – wie in der Beschwerde angeführt – ist bis dato nicht eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verwaltungsakt und Durchführung einer öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung, bei der der BF in Anwesenheit seines bevollmächtigten Vertreters und eines Dolmetschers für die Sprache Urdu persönlich einvernommen und dem BF die aktuellen Länderinformationen zur Kenntnis gebracht wurden.

1. Feststellungen:

1. Der BF ist pakistanischer Staatsangehöriger, besitzt die im Spruch angeführte Identität und stammt aus der Umgebung von XXXX in Pakistan. Der Vater ist bereits verstorben, die Mutter lebt mit einem Bruder und einer Schwester des BF nach wie vor in Pakistan, wo auch der BF von seiner Geburt bis zur Ausreise aus Pakistan gelebt hatte. Die Familie erwirtschaftet sich den Lebensunterhalt durch die Landwirtschaft. Ein Bruder des BF ist bereits im Jahr 2011 ausgereist und lebte als Taxifahrer in Saudi Arabien, bevor er nach Deutschland auswanderte. Die übrigen Angaben des BF über seine Geschwister sind unklar, da widersprüchlich. Geschwister des BF halten sich derzeit in Deutschland auf.

Der BF hat bis 2011 die Grundschule und danach 2 Jahre ein College besucht. Über eine berufliche Ausbildung verfügt der BF nicht.

Nachdem der BF seinen Heimatort verlassen hatte, hat er sich bis zur Ausreise aus Pakistan noch ca. 1 Jahre bei einem Verwandten in Pakistan aufgehalten. Die Einreise des BF nach Österreich ist auf dem Landweg über mindestens 2 Mitgliedsländer der EU (Griechenland und Ungarn) illegal erfolgt. Ein Antrag auf internationalen Schutz wurde nur in Österreich gestellt. Der BF hat während des Asylverfahren Österreich zwei Mal illegal verlassen und ist er nach Deutschland gereist, wo er aufgegriffen und jeweils gemäß der Dublin-Verordnung nach Österreich rücküberstellt wurde – dies am 07.03.2017 und am 17.07.2018.

Der BF ist ein Angehöriger der Glaubensgemeinschaft Ahmadiya, einer islamischen Gemeinschaft, die von Mirza Ghulam Ahmad in den 1880er Jahren in Britisch-Indien gegründet wurde. Diese Religionsgemeinschaft versteht sich als Reformbewegung des Islams und hält an den islamischen Rechtsquellen – Koran, Sunna und Hadith – fest, wobei zusätzlich die Schriften und Offenbarungen von Mirza Ghulam Ahmad eine erhebliche Bedeutung haben. Die Gemeinde sieht sich dem Islam zugehörig.

2. Der BF war vor seiner Ausreise – abgesehen von allgemeinen Diskriminierungen während seiner Schulzeit – keinen gegen ihn gerichteten individuellen Verfolgungshandlungen ausgesetzt. Es ist somit nicht davon auszugehen, dass der BF sein Herkunftsland aus asylrelevanten Gründen verlassen hat und dass er aus solchen Gründen nicht in sein Heimatland zurückkehren kann. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der BF im Falle der Rückkehr am Leben, an seiner Gesundheit oder körperlichen Unversehrtheit gefährdet wäre oder keine Existenzgrundlage vorfände. Seine Integration in Österreich ist noch nicht so weit fortgeschritten, dass nach Abwägung der privaten gegen die öffentlichen Interessen Erstgenannte überwiegen. Gründe für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen oder die gegen die Zulässigkeit einer Abschiebung nach Pakistan sprechen würden, sind nicht hervorgekommen. Insofern der BF wegen Auseinandersetzungen mit Privaten nicht in seinen Heimatort zurückkehren kann, ist er auf die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in eine der Großstädte Pakistans oder nach Chenab Nagar, vormals: Rabwah, einem Zentrum der Ahmadis mit ca. 90 bis 95%igem Anteil an Einwohnern, die der Gemeinschaft der Ahmadyyia angehören, zu verweisen.

3. Zur Beurteilung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsland Pakistan wurde das Länderinformationsblatt Pakistan der Staatendokumentation mit Stand vom 27.03.2020 herangezogen. Ergänzend wurde die Kurzinformation der Staatendokumentation zur Lage der Covid-19-Pandemie in Pakistan mit Stand vom 29.06.2020 berücksichtigt. Bezogen auf den Fall der BF sind dabei folgende Feststellungen zu treffen:

Rechtsschutz / Justizwesen

Das Gesetz garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 13.3.2019). Die pakistanische Verfassung und die Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemiegesetzen (ÖB 10.2018). Der Aufbau des Justizsystems ist in der Verfassung geregelt. Der Supreme Court ist das pakistanische Höchstgericht und kann sich in Fällen von öffentlichem Interesse auch der Rechtsdurchsetzung bei Grundrechtsverletzungen, die gem. Verfassung in die Zuständigkeit der High Courts fällt, annehmen. Die fünf High Courts (je einer pro Provinz und im Islamabad Capital Territory) fungieren u.a. als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von Special Courts sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Ferner bestehen Provinz- und Distriktgerichte, Zivil- und Strafgerichte sowie spezialisierte Gerichte für Steuern, Banken und Zoll (ÖB 10.2018).

Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court, der zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen werden und diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Er fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood Ordinances von 1979, die eine v.a. Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in – Kritikern zufolge bei Weitem nicht ausreichenden – Teilen entschärft wurden (ÖB 10.2018). Die Richter des Supreme Court, der High Courts sowie des Federal Shariat Court werden vom Staatspräsidenten auf Vorschlag der Judicial Commission of Pakistan und nach Bestätigung durch einen Parlamentsausschuss ernannt. Der Supreme Court und die High Courts gelten als chronisch überlastet (ÖB 10.2018).

Die Justiz steht weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 21.8.2018). Gerichte sind überlastet, die Judikative ist nicht in der Lage, Menschenrechte besser zu schützen (AA 1.2.2019). Laut NGOs und Rechtsexperten ist die Justiz in der Praxis oft von externen Einflüssen, wie der Angst vor Repressionen durch extremistische Elemente bei Fällen von Terrorismus, Blasphemie oder öffentlichkeitswirksamen politischen Fällen beeinträchtigt (USDOS 13.3.2019). Die im Rahmen des nationalen Anti-Terror-Aktionsplans vom 24.12.2014 vorgesehene grundlegende Reform des Systems der Strafjustiz kommt bislang nicht voran (AA 21.8.2018).

Viele Gerichte unterer Instanzen bleiben korrupt, ineffizient und anfällig für den Druck von wohlhabenden Personen und einflussreichen religiösen und politischen Akteuren. Es gibt Beispiele, wo Zeugen, Staatsanwälte oder ermittelnde Polizisten in High Profile Fällen von unbekannten Personen bedroht oder getötet wurden. Die oberen Gerichte und der Supreme Court werden allerdings von den Medien und der Öffentlichkeit als glaubwürdig eingestuft (USDOS 13.3.2019).

Verzögerungen in zivilen und Kriminalfällen sind auf ein veraltetes Prozessrecht, unbesetzte Richterstellen, ein schlechtes Fallmanagement und eine schwache rechtliche Ausbildung zurückzuführen. Der Rückstand sowohl in den unteren als auch in den höheren Gerichten beeinträchtigt, zusammen mit anderen Problemen, den Zugang zu Rechtsmitteln oder eine faire und effektive Anhörung (USDOS 13.3.2019).

De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für normale Pakistaner kaum eine Rolle (AA 21.8.2018). Vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans bestehen informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen und die oft Menschenrechtsverletzungen zur Folge haben (USDOS 13.3.2019; vgl. ÖB 10.2018).

Im Zivil-, Kriminal- und Familienrecht gibt es öffentliche Verhandlungen, es gilt die Unschuldsvermutung, und es gibt die Möglichkeit einer Berufung. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts. Die Kosten für die rechtliche Vertretung vor den unteren Gerichten muss der Angeklagte übernehmen, in Berufungsgerichten kann auf öffentliche Kosten ein Anwalt zur Verfügung gestellt werden. Angeklagte können Zeugen befragen, eigene Zeugen und Beweise einbringen und haben rechtlichen Zugang zu den Beweisen, die gegen sie vorgebracht werden (USDOS 13.3.2019).

Gerichte versagen oft dabei, die Rechte religiöser Minderheiten zu schützen. Gesetze gegen Blasphemie werden diskriminierend gegen Schiiten, Christen, Ahmadis und andere religiöse Minderheiten eingesetzt. Untere Gerichte verlangen oft keine ausreichenden Beweise in Blasphemie-Fällen und einige Angeklagte oder Verurteilte verbringen Jahre im Gefängnis, bevor ein höheres Gericht ihre Freilassung anordnet oder ihren Schuldspruch aufhebt (USDOS

13.3.2019). Auf dem Index des „World Justice Project“ zur Rechtsstaatlichkeit 2019 rangiert Pakistan auf Platz 117 von 126; gemäß Bereinigung um die 13 im Vergleich zum Vorjahr hinzugefügten Staaten würde das eine Verschlechterung um einen Rang darstellen (WJP 2019).

Quellen:

? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (1.2.2019): Pakistan: Staatsaufbau und Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/pakistan-node/pakistan-- innenpolitik/205010, Zugriff 25.2.2019

? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (21.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik PAKISTAN (Stand: August 2018), https://www.ecoi.net/en/file/local/1442726/4598_1536328003_deutschland-auswaertiges-amtbericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-pakistanstand-august-2018-21-08-2018.pdf, Zugriff 21.2.2019

? Dawn (31.5.2018): Mainstreaming Fata with interim governance law, https://www.dawn.com/news/1411061, Zugriff 26.2.2019

? JPP – Justice Project Pakistan (4.10.2018): Counting the Condemned – Data Analysis of Pakistan’s Use of the Death Penalty, https://www.jpp.org.pk/wp-content/uploads/2018/10/2018_10_04_Counting-the-Condemned- Final.pdf, Zugriff 26.2.2019

? News, the (19.1.2019): Decision on military courts’ extension rests with parliament: DG ISPR, https://www.thenews.com.pk/latest/420639-decision-on-military-courts-extension-rests-withparliament-dg-ispr, Zugriff 26.2.2019

? ÖB – Österreichische Botschaft Islamabad (10.2018): Asylländerbericht Pakistan

[Arbeitsversion]

? USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices for 2018 – Pakistan https://www.state.gov/documents/organization/289500.pdf, Zugriff 14.3.2019

? WJP - World Justice Project (2019): Rule of Law Index 2019, https://worldjusticeproject.org/sites/default/files/documents/WJP-ROLI-2019-Single%20Page%20View-Reduced_0.pdf, Zugriff8.4.2019

Informelle Rechtsprechungssysteme

Neben dem in den vorigen Abschnitten dargestellten staatlichen Justizwesen bestehen vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. So spielt in von Paschtunen bewohnten Teilen des Landes, vor allem in den ehem. semi-autonomen Federally Administered Tribal Areas (FATA), der für diese Volksgruppe maßgebliche Rechts- und Ehrenkodex Paschtunwali, der in Unrechtsfällen vom Vergeltungsgedanken sowie vom zentralen Wert der Ehre bestimmt wird, nach wie vor eine bedeutende Rolle. Streitigkeiten werden dort auf Basis des Paschtunwali von Stammesräten bzw. -gerichten (Jirgas) entschieden, wobei vor allem Frauen menschenunwürdige Bestrafungen drohen.

Diese neben dem formellen Rechtssystem bestehenden ad hoc-Gerichte führen unter anderem zu einem Rechtspluralismus, der Opfer von Verfolgung, insbesondere Frauen, stark benachteiligt (ÖB 10.2018; vgl. AA 21.8.2018). Besonders in Punjab und Khyber Pakhtunkhwa ist es trotz gesetzlichen Verbots verbreitet, zur Beendigung von Blutfehden eine junge Frau (oft Mädchen unter 18 Jahren) als Blutzoll an eine verfeindete Familie zu übergeben (ÖB 10.2018).

Jirgas sind in Pakistan generell auch außerhalb paschtunischer Gebiete nach wie vor weit verbreitet (neben den ehem. FATA auch in Belutschistan, im inneren Sindh, in ländlichen Gebieten von Khyber Pakhtunkhwa sowie im südlichen Punjab) und wenden neben Stammes- auch Schariarecht an. Ähnliche Systeme existieren auch unter Hindus (Panchayat); daneben üben in Sindh und Punjab manche Feudalherren zum Teil richterliche Funktionen aus (ÖB 10.2017; vgl. USDOS 13.3.2019). Diese informellen Rechtssysteme bieten keinen institutionalisierten Rechtsschutz und haben häufig Menschenrechtsverletzungen zur Folge (USDOS 13.3.2019).

Der High Court of Sindh erklärte die Abhaltung von Jirgas in der Provinz in einem Urteil im Jahr 2004 ausdrücklich für verfassungswidrig; nichtsdestotrotz finden sie auch in Sindh regelmäßig statt. Der Supreme Court sprach sich bisher mehrmals gegen von Jirgas verhängte Strafen wie die Hergabe von Töchtern als Kompensation für begangenes Unrecht sowie gegen andere verfassungswidrige Praktiken der Stammesräte aus, was deren Fortbestand allerdings bisher nicht verhindern konnte (ÖB 10.2018). Darüber hinaus ist selbst in städtischen Gebieten eine zunehmende Ausbreitung von „Sharia Courts“ zu beobachten; so wurde etwa im April 2016 ein Verfahren gegen Jamaat ud-Dawa (JuD), eine der größten Hilfsorganisationen Pakistans mit Verbindungen zur Terrororganisation Lashkare-Taiba (LeT), wegen Betreibens eines solchen Tribunals vor dem Lahore High Court eingeleitet (ÖB 10.2018).

Als weitere Besonderheiten sind die Praktiken Diyat (Blutgeld) und Qisas (Vergeltung) zu nennen, die sich beide als Strafen für Delikte gegen die körperliche Integrität im Pakistan Penal Code (Act XLV of 1860) finden, sowie in FATA und PATA bis zur Zusammenlegung mit den entsprechenden Provinzen Ende Mai 2018 auf Basis der Frontier Crimes Regulation (FCR) angewandt wurden (ÖB 10.2018). Im Oktober 2016 wurde die Anti-Honour Killings Bill zur Eindämmung von Ehrenmorden erlassen, die Implementierung geht aber vor allem im ländlichen Bereich nur schleppend voran. Eine wesentliche Neuerung der Anti-Honour Killings Bill ist die Abschaffung des Konzepts der Vergebung (diyat) bei Ehrenmorden, sodass eine Straffreiheit des Täters bei Vergebung durch die Familie der Ermordeten nicht mehr zulässig ist (ÖB 10.2018)

Quellen:

? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (21.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik PAKISTAN (Stand: August 2018), https://www.ecoi.net/en/file/local/1442726/4598_1536328003_deutschland-auswaertiges-amtbericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-pakistanstand-august-2018-21-08-2018.pdf, Zugriff 21.2.2019

? ÖB – Österreichische Botschaft Islamabad (10.2018): Asylländerbericht Pakistan [Arbeitsversion]

? USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices for 2018 – Pakistan https://www.state.gov/documents/organization/289500.pdf, Zugriff 14.3.2019

Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden Pakistans bestehen aus der Polizei, die dem Innenministerium untersteht (AA 21.8.2018), dem Heer, das dem Verteidigungsministerium untersteht (MoD o.D.), militärische Hilfstruppen, die dem Innenministerium unterstehen (EASO 10.2018) sowie den Geheimdiensten (AA 21.8.2018).

Die polizeilichen Zuständigkeiten sind zwischen nationalen und regionalen Behörden aufgeteilt (AA 21.8.2018). Die Bundespolizei (Federal Investigation Agency, FIA) ist dem Innenministerium unterstellt. Sie ist zuständig für die Bereiche Einwanderung, organisierte Kriminalität, Interpol und verfügt über eine Abteilung zur Terrorismusbekämpfung (Counter Terrorism Wing - CTWI) (AA 21.8.2018).

Im Wesentlichen ist die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung Aufgabe der Provinzen, die über eigene Polizeieinheiten verfügen (Noureen/Sarfraz 2016; vgl. AA 21.8.2018). Gegenüber den Provinzbehörden ist die FIA nicht weisungsbefugt (AA 21.8.2018). Die lokalen Einheiten der Provinzpolizei unterstehen dem District Nazim [~Bezirkshauptmann] (Noureen/Sarfraz 2016)

Pakistan verfügt über einen Auslands-/Inlandsnachrichtendienst (Directorate for Inter-Service Intelligence, ISI), einen Inlandsnachrichtendienst (Intelligence Bureau, IB) sowie einen militärischen Nachrichtendienst (Military Intelligence, MI). Das IB untersteht dem Innenministerium und ist für Diplomatenschutz, Abwehr terroristischer Bedrohungen im Inland sowie Ermittlungen bei Kapitalverbrechen zuständig. Der ISI wird vom Militär dominiert. Seine Aufgabe, die nationalen Interessen Pakistans zu schützen, ermöglicht ihm ein Tätigwerden in den unterschiedlichsten Bereichen. De jure untersteht der ISI dem Verteidigungsministerium, de facto jedoch dem jeweiligen Armeechef (Chief of Army Staff). Eine effektive zivile Kontrolle über die militärischen Geheimdienste gibt es nicht (AA 21.8.2018). Der pakistanische Geheimdienst ist auch intensiv in der Innenpolitik Pakistans involviert und der Generaldirektor des ISI gilt neben dem Armeechef als mächtigste Person im Land (Globalsecurity.org o.D.).

Frontier Corps (FC) und Rangers sind militärische Hilfstruppen, die dem Innenministerium unterstehen. FC sind in Khyber Pakhtunkwa und Belutschistan und die Rangers in Punjab und Sindh stationiert. Sie unterstützen die örtlichen Strafverfolgungsbehörden u.a. bei der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung und der Grenzsicherung. Der Ausschuss der Vereinten Nationen gegen die Folter (UNCAT) ist der Ansicht, dass die FC an außergerichtlichen Tötungen und dem Verschwinden von Menschen beteiligt ist. Im April 2018 hat die Regierung in Sindh beschlossen, „die besonderen Befugnisse zur Polizeiarbeit“ für die Rangers in Sindh auszuweiten und ihren Einsatz und ihr Mandat zur Durchführung von „Operationen gegen militante Flügel, Erpresser, Auftragsmörder und aufständische Kämpfer“ in Karatschi zu verlängern (EASO 10.2018).

In Khyber Pakhtunkwa und den [ehem.] FATA setzen die pakistanische Armee und die Polizei mitunter illegale Milizen, sogenannte „Lashkars“, zur informellen Strafverfolgung ein. Berichten zufolge wenden sie willkürlich Gewalt an, zerstören Häuser, die mutmaßlichen Taliban und ihren Familien gehören, nehmen willkürliche Verhaftungen vor und führen rechtswidrige Tötungen durch. Die Regierung der Provinz Khyber Pakhtunkhwa hat beschlossen, ihre Finanzierung einzustellen. Dem NAP zufolge werden die Lashkars aufgelöst (EASO 10.2018). Nach der Integration der FATA in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa im Mai 2018 wurde die Provinzpolizei auch in den ehem. FATA tätig, jedoch muss erst neues Personal aufgenommen und ausgebildet werden, um die ehem. FATA komplett abzudecken (USDOS 13.3.2019).

Die Effizienz der Arbeit der Polizeikräfte variiert von Bezirk zu Bezirk und reicht von gut bis ineffizient (USDOS 13.3.2019). In der Öffentlichkeit genießt die vor allem in den unteren Rängen schlecht ausgebildete, gering bezahlte und oft unzureichend ausgestattete Polizei kein hohes Ansehen. So sind u.a. die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung und Beweiserhebung gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen. Zum geringen Ansehen der Polizei tragen die extrem hohe Korruptionsanfälligkeit ebenso bei wie häufige unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam genommenen Personen. Illegaler Polizeigewahrsam und Misshandlungen gehen oft Hand in Hand, um den Druck auf die festgehaltene Person bzw. deren Angehörige zu erhöhen, durch Zahlung von Bestechungsgeldern eine zügige Freilassung zu erreichen, oder um ein Geständnis zu erpressen. Die Polizeikräfte sind oft in lokale Machtstrukturen eingebunden und dann nicht in der Lage, unparteiische Untersuchungen durchzuführen. So werden Strafanzeigen häufig gar nicht erst aufgenommen und Ermittlungen verschleppt (AA 21.8.2018).

Die Polizeikräfte versagen oftmals dabei, Angehörigen religiöser Minderheiten – wie beispielsweise Ahmadis, Christen, Schiiten und Hindus – Schutz vor Übergriffen zu bieten. Es gibt jedoch Verbesserungen bei der Professionalität der Polizei. Einzelne lokale Behörden demonstrierten die Fähigkeit und den Willen, unter großer eigener Gefährdung Minderheiten vor Diskriminierung und Mob-Gewalt zu schützen (USDOS 13.3.2019).

Es gibt weiterhin Berichte, dass Sicherheitskräfte in Menschenrechtsverletzungen involviert sind, darunter Folter und andere Misshandlungen, willkürliche Verhaftungen, außergerichtliche Exekutionen und Verschwindenlassen. Diese bleiben aufgrund des Fehlens unabhängiger und unparteiischer Mechanismen, um gegen die Täter zu ermitteln und sie vor Gericht zu stellen, straflos (AI 21.2.2018). Berichten zufolge werden von einigen Einheiten der Sicherheitskräfte Gefangene in Isolationshaft festgehalten und die Aufenthaltsorte dieser Gefangenen nicht offen gelegt. Menschenrechtsorganisationen berichteten darüber, dass viele paschtunische Aktivisten sowie Nationalisten der Provinzen Sindh und Belutschistan verschwanden oder grundlos verhaftet wurden (USDOS 13.3.2019).

Mangelnde Bestrafung von Übergriffen, begangen von Angehörigen der Sicherheitskräfte, trägt zu einem Klima der Straflosigkeit bei. Interne Ermittlungen und Strafen können bei Übergriffen bzw. Misshandlungen vom Generalinspektor, den Bezirkspolizeioffizieren, den District Nazims, Provinzinnenministern oder Provinzministerpräsidenten, dem Innenminister, dem Premierminister und den Gerichten angeordnet werden. Die Exekutive und Polizeibeamte sind ebenfalls dazu befugt, in solchen Fällen eine kriminalstrafrechtliche Verfolgung zu empfehlen, die gerichtlich angeordnet werden muss. Das Gerichtssystem bleibt das einzige Mittel, um Missbrauch durch Sicherheitskräfte zu untersuchen (USDOS 13.3.2019).

Im November 2018 wurde mit Unterstützung der USA ein modernes Trainingszentrum der Polizei eröffnet, um die Ausbildung von Führungskräften zu verbessern (USEC 27.11.2018). Im Jahr 2018 wurden insgesamt sieben Trainingslehrgänge im Bereich Menschenrechte und Flüchtlingsrechte für ca. 200 Polizeibeamte in verschiedenen Städten von der NGO SHARP-Pakistan (Society for Human Rights and Prisoners' Aid) durchgeführt (SHARP 29.12.2018).

Quellen:

? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (21.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik PAKISTAN (Stand: August 2018),

https://www.ecoi.net/en/file/local/1442726/4598_1536328003_deutschland-auswaertiges-amtbericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-pakistanstand-august-2018-21-08-2018.pdf, Zugriff 21.2.2019

? AI - Amnesty International (21.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights – Pakistan, https://www.amnesty.org/en/countries/asia-and-the-pacific/pakistan/report-pakistan/, Zugriff 4.4.2018

? EASO – European Asylum Support Office (10.2018): EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Pakistan Sicherheitslage, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/Plib/EASO_Pakistan_SecuritySituation_October2018_DE.pdf, Zugriff 12.3.2019

? Globalsecurity.org (o.D.): Directorate for Inter-Services Intelligence [ISI] http://www.globalsecurity.org/intell/world/pakistan/isi.htm, Zugriff 12.3.2019

? MoD – Government of Pakistan – Ministry of Defense (o.D.): Ministry Overview,

http://www.mod.gov.pk/, Zugriff 14.5.2019

? Noureen, Asima; Sarfraz, Zaigham (2016): Structural Organization of Police: Official Record of the Government of Pakistan Based on Cabinet Division and Secretariat, in: JPUHS - Journal of Punjab University Historical Society, Vol.29, No.2, July-December, 2016, http://pu.edu.pk/images/journal/HistoryPStudies/PDF-FILES/4-v29_2_16.pdf, Zugriff 9.4.2019.

? SHARP - Society for Human Rights and Prisoners' Aid (29.12.2018 – neuester Eintrag): Category: Activites & Events, https://sharp-pakistan.org/index.php/category/latest-news/activities-and-events/, https://sharppakistan.org/index.php/category/latest-news/activities-and-events/page/2/, Zugriff 12.3.2019

? USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices for 2018 – Pakistan https://www.state.gov/documents/organization/289500.pdf, Zugriff 14.3.2019

? USEC – U.S. Embassy & Consulates in Pakistan (27.11.2018): National Police Academy Improves Police Training, https://pk.usembassy.gov/national-police-academy-improves-policetraining/, Zugriff 12.3.2019

Religionsfreiheit

Laut Volkszählung 2017 sind 96,28 % der ca. 207 Millionen Einwohner Pakistans muslimisch, 1,59 % Christen, 1,6 % Hindus, 0,22 % Ahmadi, 0,25 % gelistete Kasten („scheduled castes“) und 0,07 % gehören einer anderen Religion an (PBS 2017b). CIA World Factbook gibt an, dass von den Muslimen ca. 85-90 % Sunniten und 10-15 % Schiiten sind (CIA 5.2.2019); USDOS geht anhand der Volkszählung 1998 davon aus, dass 75 % der muslimischen Bevölkerung offiziell als Sunniten und 25 % als Schiiten geführt werden. Weitere Religionsgemeinschaften sind Zoroastrier, Bahai, Sikh, Buddhisten, und kleinere Gruppen wie Kalasha, Kihal und Jainisten. Minderheitenvertreter schätzen die Anhängerzahl der religiösen Minderheiten auf 6-10 Millionen Menschen (USDOS 29.5.2018).

Artikel 227 der Verfassung besagt, dass alle Gesetze mit den Regeln des Islam konform sein müssen, wobei der Artikel auch Schutz der Rechte von Nicht-Muslimen vorsieht (Pakistan Constitution 1973/2016; vgl. USDOS 29.5.2018). Die Verfassung verbietet Diskriminierung in religiösen Bereichen (USDOS 29.5.2018). Am 28.11.2018 wurde Pakistan vom USAmerikanischen Außenministerium in Bezug auf Religionsfreiheit als besonders besorgniserregendes Land („Country of Particular Concern under the International Religious Freedom Act of 1998“) eingestuft, da systematische, ständige und schwerwiegende Verletzungen der Religionsfreiheit von staatlicher Seite durchgeführt oder toleriert werden (USDOS 11.12.2018).

Vertreter der Minderheiten berichten, dass die Regierung bei der Sicherung der Rechte der Minderheiten auf Bundes- und Provinzebene inkonsequent sei und dass die Maßnahmen der Regierung zur Unterbindung von Zwangskonvertierungen religiöser Minderheiten zum Islam unzureichend seien (USDOS 29.5.2018).

Die Lage der religiösen Minderheiten - vor allem Christen und Hindus sowie der Ahmadis, die vom pakistanischen Staat nicht als Muslime anerkannt werden -, ist weiterhin schwierig. Viele sind Zwangsarbeit ausgesetzt und leben in Schuldknechtschaft. Eine Bedrohung geht von militanten Organisationen vor allem gegen Schiiten, Ahmadis und Christen, aber auch gegen gemäßigte Sunniten und Muslime, die nicht einer konservativen Islam-Auslegung folgen, wie die Sufis, aus (AA 1.2.2019). Das Antreten von extremistischen religiösen Parteien im Wahlkampf 2018 führte zu vermehrten Bedrohungen und verhetzender Sprache gegenüber religiösen Minderheiten (USCIRF 4.2019).

Laut PIPS wurden im Jahr 2018 bei insgesamt 16 religiös oder konfessionell motivierten Terroranschlägen 59 Menschen getötet (PIPS 1.2019 S 53, 59); im Jahr 2017 gab es 26 religiös oder konfessionell motivierte Terroranschläge mit insgesamt 87 Toten (PIPS 7.1.2018 S 60, 68). Gemäß Menschenrechtsaktivisten haben weder Bundes- noch Provinzbehörden substanzielle Fortschritte bei der Umsetzung der Entscheidung des Obersten Gerichtes von 2014 gemacht, die die Regierung dazu verpflichtet, religiöse Minderheiten zu schützen (USDOS 29.5.2018). Gerichte und Polizei versagen oft darin, religiöse Minderheiten zu schützen. NGOs kritisieren die Behörden, dass die Polizei Angriffe auf Mitglieder der religiösen Minderheiten nicht erfolgreich verhindert bzw. erfolglos bei der Verhaftung der Täter ist. Es gibt allerdings Verbesserungen in der Professionalität der Polizei und einzelne Beispiele, wo lokale Behörden unter großem persönlichen Risiko Minderheitenangehörige vor Diskriminierung und Mob-Gewalt schützen (USDOS 13.3.2019). Es gibt auch Berichte über Angriffe auf religiöse Plätze, Friedhöfe und religiöse Symbole der religiösen Minderheiten, die nicht von der Polizei unterbunden werden konnten (USDOS 29.5.2018).

Die umstrittene Blasphemie-Gesetzgebung sieht für Gotteslästerung die Todesstrafe vor, die allerdings im Zusammenhang mit diesem Delikt noch nie vollstreckt wurde (AA 21.8.2018). Die Blasphemiegesetze werden diskriminierend gegen Christen, Ahmadis, Schiiten und andere Mitglieder religiöser Minderheiten angewendet (USDOS 13.3.2019) und gemäß Interessenvertretungen sind Mitglieder religiöser Minderheiten überproportional von der Anwendung der Blasphemiegesetze betroffen (USDOS 29.5.2018).

Grundsätzlich hat jede Person die Freiheit, ihre Religion selbst zu bestimmen. Artikel 20 der Verfassung von 1973 garantiert die freie Religionsausübung. Die Rechtsordnung schränkt die Freiheit, die Religion zu wechseln, nicht ein. Für Apostasie – Abfall vom Islam – gibt es in Pakistan keine strafrechtliche Bestimmung. Die Gesellschaft akzeptiert Apostasie aber in keiner Weise (AA 21.8.2018).

Per Gesetz ist es Madrassen verboten, interkonfessionellen oder interreligiösen Hass oder Gewalt zu propagieren. Es wurde gesetzlich vorgeschrieben, dass sich Madrassen in einem von fünf Verbänden oder direkt bei der Regierung registrieren lassen und ihre Finanzierung nachweisen müssen. Anführer der Zivilgesellschaft sagen, dass die Lehre religiöser Intoleranz weiterhin weit verbreitet ist. Es gibt Berichte, dass einzelne Madrassen Gewalt oder extremistische Inhalte lehren. Der nationale Aktionsplan gegen Terror sieht explizit die Bekämpfung von Hassreden vor. Einige Fälle wurden strafrechtlich verfolgt. Auch wurde die Bewegungs- und Redefreiheit von Klerikern eingeschränkt, denen vorgeworfen wird, religiösen Hass zu verbreiten (USDOS 29.5.2018).

Laut Vertretern der Minderheitsreligionsgemeinschaften hindert die Regierung organisierte religiöse Gruppen prinzipiell nicht daran, Gebetsstätten zu errichten und ihre Geistlichen auszubilden, jedoch verweigern lokale Behörden Ahmadis regelmäßig notwendige Baubewilligungen. Die Religionszugehörigkeit wird in Pässen angegeben und bei einem Antrag auf eine Identitätskarte wird danach gefragt (USDOS 29.5.2018).

Ehen, die gegen die Vorgaben des Islam geschlossen werden, werden nicht anerkannt. So wäre z.B. eine Heirat einer muslimischen Frau mit einem nicht-muslimischen Mann nicht gültig, der umgekehrte Fall dagegen schon. Im Allgemeinen gibt es in Pakistan keine dem österreichischen Rechtssystem vergleichbare zivile Ehe: Muslime heiraten nach islamischem Recht und lassen ihre Ehe in der Folge vor staatlichen Stellen registrieren; für andere Religionsangehörige gelten wiederum eigene Regelungen (ÖB 10.2018).

Von den 342 Sitzen im Parlament sind zehn für Angehörige religiöser Minderheiten reserviert (NAP 25.2.2019; vgl. USDOS 29.5.2018). Im Senat sind vier der 104 Sitze für religiöse Minderheiten reserviert – je einer für jede Provinz (USDOS 29.5.2018). Reservierte Sitze für religiöse Minderheiten bestehen auch in den Provinzversammlungen; vier in Khyber Pakhtunkhwa, acht im Punjab, neun im Sindh und drei in Belutschistan (Pakistan Constitution §106). Die gewählten Parteien und nicht die Minderheitenversammlungen bestimmen die Minderheitenvertreter (USDOS 29.5.2018). In den lokalen Regierungen ist ein Minimum von einem Sitz pro Zila (Distrikt) und pro Tehsil (~Bezirk) vorgesehen, in Belutschistan mindestens zwei (BFA 10.2014 S 75).

Im Rahmen der Umsetzung der 18. Verfassungsänderung wurden in allen Provinzen Ministerien zur Wahrung der Rechte der Minderheiten eingerichtet (AA 21.8.2018). Das Ministerium für religiöse Angelegenheiten und interkonfessionelle Harmonie organisiert die Teilnahme am Hajj und anderen islamischen Pilgerfahrten. Das Budget des Ministeriums deckt auch finanzielle Hilfen für autochthone Minderheiten ab; darunter die Renovierung von Glaubensstätten, kleine Entwicklungsprojekte, Stipendien und die Durchführung religiöser Feiertage (USDOS 29.5.2018).

Die meisten Minderheitengruppen berichten von Diskriminierungen bei Anstellungen in der öffentlichen Verwaltung und bei der Aufnahme an Hochschulen. Im staatlichen Bereich gilt auf nationaler Ebene eine 5-Prozent-Quote für Minderheiten. Diese wird allerdings nach Aussage von Minderheitenvertretern nicht durchgesetzt. Vertreter religiöser Minderheiten berichten von einer „Gläsernen Decke“, die verhindert, dass Nicht-Muslime in höhere Positionen im öffentlichen Dienst befördert würden. Auch im Militärdienst gibt es zwar keine offiziellen Hinderungsgründe, jedoch würden Angehörige von religiösen Minderheiten nur selten in Dienstgrade höher als Colonel [Oberst] aufsteigen (USDOS 29.5.2018; vgl. AA 21.8.2018).

Quellen:

? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (1.2.2019): Pakistan: Staatsaufbau und Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/pakistan-node/pakistan—innenpolitik/205010, Zugriff 25.2.2019

? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (21.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik PAKISTAN (Stand: August 2018), https://www.ecoi.net/en/file/local/1442726/4598_1536328003_deutschland-auswaertiges-amtbericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-pakistanstand-august-2018-21-08-2018.pdf, Zugriff 21.2.2019

? BBC News (12.7.2017): Pakistan’s secret atheists, https://www.bbc.com/news/magazine-40580196, Zugriff 25.2.2019

? BFA – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (10.2014): Pakistan – Challenges and Perspectives, https://www.ecoi.net/en/file/local/1095862/1729_1413272641_pakistan.pdf, Zugriff 25.2.2019

? CIA - Central Intelligence Agency (5.2.2019): World Factbook - Pakistan, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/pk.html, Zugriff 21.2.2019

? NAP – National Assembly of Pakistan (25.2.2019): Composition, http://www.na.gov.pk/en/composition.php, Zugriff 25.2.2019

? ÖB – Österreichische Botschaft Islamabad (10.2018): Asylländerbericht Pakistan [Arbeitsversion]

? Pakistan Constitution (1973, amend. 2016): Constitution of the Islamic Republic of Pakistan (1973) As Amended by The Constitution Twenty Second Amendment Act, 2016 Article: 227 Provisions relating to the Holy Quran and Sunnah, https://pakistanconstitutionlaw.com/article-227-provisions-relating-to-the-holy-quran-and-sunnah/, Zugriff 25.2.2019

? Pakistan Constitution (o.D.): 106. Constitution of Provincial Assemblies, http://www.pakistani.org/pakistan/constitution/part4.ch2.html, Zugriff 25.2.2019

? PBS - Pakistan Bureau of Statistics (2017b): Population by Religion, http://www.pbs.gov.pk/sites/default/files//tables/POPULATION%20BY%20RELIGION.pdf, Zugriff 25.2.2019

? PIPS - Pakistan Institute for Peace Studies (7.1.2018): Pakistan Security Report 2017, https://pakpips.com/app/reports/wp-content/uploads/2018/03/sr2017.pdf, Zugriff 8.4.2019 ? PIPS – Pak Institute for Peace Studies (7.1.2019): Pakistan Security Report 2018, https://pakpips.com/app/reports/396, Zugriff 8.1.2019

? UNHCR – United Nations High Commissioner for Refugees (1.2017): Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1407844/90_1490341007_2017-01-unhcr-pakistan-religiousminorities.pdf, Zugriff 25.2.2019

? USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 1 Countries (Recommended for CPC Designation): Pakistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008197/Tier1_PAKISTAN_2019.pdf, Zugriff 15.5.2019

? USDOS - US Department of State (11.12.2018): Religious Freedom Designations – Press Statement, https://www.state.gov/secretary/remarks/2018/12/288006.htm, Zugriff 25.2.2019

? USDOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 International Religious Freedom Report –Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436800.html, Zugriff 25.2.2019

? USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices for 2018 – Pakistan https://www.state.gov/documents/organization/289500.pdf, Zugriff 14.3.2019

Muslimische Denominationen, insbesondere Schiiten

In Pakistan finden sich verschiedene Ausmaße der muslimischen Identität und der religiösen Intensität. Die beiden Hauptzweige des Islams, das Schiitentum und das Sunnitentum, teilen sich in Pakistan auch in mehrere Untergruppen. Die Sunniten unterteilen sich in hauptsächlich drei Gruppen. Von diesen formen die Barelvis [auch Ahle Sunnat wal Jama'at] die überwiegende Mehrheit mit ungefähr 60 % der sunnitischen Bevölkerung. Deobandis werden auf ungefähr 35 % der Sunniten geschätzt und machen damit die zweitgrößte sunnitische Subsekte aus. Eine kleine Anzahl von ungefähr 5 % der Sunniten folgt der Ahl-e Hadith (Salafi) Schule des Islam. Religiöse Intoleranz und Gewalt findet auch zwischen den muslimischen Denominationen und innerhalb der sunnitischen Konfession statt, z. B. zwischen der Barelvi-Sekte, die erheblichen Sufi-Einfluss aufweist und die Mehrheit der Pakistanis ausmacht, und der Deobandi-Sekte, die islamistisch geprägt ist (BFA 10.2014).

Die schiitische Bevölkerung Pakistans wird auf 20 bis 50 Millionen Menschen geschätzt. Die Mehrheit der Schiiten in Pakistan gehört den Zwölfer-Schiiten an, andere Subsekten sind Nizari-Ismailiten, Daudi Bohras und Sulemani Bohras. Laut Australian Department of Foreign Affairs and Trade sind Schiiten im ganzen Land verteilt und stellen in der semi-autonomen Region Gilgit-Baltistan die Bevölkerungsmehrheit. Viele urbane Zentren in Pakistan beheimaten große Schia-Gemeinden. Manche Schiiten leben in Enklaven in den Großstädten, sind aber ansonsten gut integriert. Abgesehen von den Hazara unterscheiden sich Schiiten weder physisch noch linguistisch von den Sunniten. Schiitische Muslime dürfen ihren Glauben frei ausüben. Es gibt keine Berichte über systematische staatliche Diskriminierung gegen Schiiten. Schiiten sind in der Regierung und im öffentlichen Dienst gut vertreten. (UKHO 1.2019).

Religiös/konfessionell motivierte bzw. intra-konfessionelle Gewalt ("sectarian violence") führen weiterhin zu Todesfällen. Opfer sind zumeist gemäßigte Sunniten sowie Schiiten, die von militanten sunnitischen Organisationen wie Lashkar-e-Jhangvi (LeJ) oder den Taliban attackiert werden (AA 21.8.2018; vgl. UKHO 1.2019, NCHR 2.2018). Diese Gruppen bedrohen direkt reilgiöse Minderheiten sowie Anhänger der Mehrheitsreligion, die sich öffentlich für Religionsfreiheit oder die Rechte religiöser Minderheiten einsetzen (USCIRF 4.2019). Hazara sind das Hauptziel sunnitischer Extremistengruppen, die gegen Schiiten vorgehen (USCIRF 4.2018; vgl. Abschnitt 17.2).

Die Zahl konfessionell motivierter Gewalttaten geht seit dem Jahr 2013 kontinuierlich zurück (PIPS 7.1.2019; vgl. AA 21.8.2018). Im Jahr 2018 gab es zwölf Fälle konfessionell motivierter Gewalt (minus 40 % zum Vorjahr) mit 51 Todesopfern (minus 31 % zum Vorjahr). Sieben der zwölf Angriffe galten Mitgliedern der schiitischen Glaubensgemeinschaft und drei Angriffe wurden gegen Sunniten durchgeführt. Zehn der zwölf Angriffe fanden in Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan statt (PIPS 7.1.2019).

Bei einem terroristischen Anschlag durch den Islamischen Staat im November 2018 auf einen Markt in einer schiitisch dominierten Gegend in Orakzai, Khyber Pakhtunkhwa, wurden 35 Menschen getötet (darunter über zwei Dutzend Schiiten, sieben Sunniten und drei Sikh). (PIPS

7.1.2019; vgl. ET 23.11.2018).

Es gibt Berichte über willkürliche Verhaftungen von Schiiten während des religiösen Feiertages Muharram (UKHO 1.2019). Einige Bundes- und Provinzbehörden schränken rund um das schiitische Muharram-Fest die Bewegungsfreiheit von Klerikern, die dafür bekannt sind, konfessionelle Gewalt zu propagieren, ein (USDOS 29.5.2018; vgl. HRCP 3.2019) und hunderttausende Sicherheitskräfte werden im ganzen Land während des Aschura-Fests zum Schutz der schiitischen Zeremonien eingesetzt, die gemäß Beobachtern 2017 friedlicher als in den Vorjahren abliefen. Das sunnitisch-deobandi-dominierte Pakistan Ulema Council rief für Muharram 2017 die sunnitische Gemeinschaft auf, schiitischen Prozessionen Respekt entgegenzubringen und von Konfessionalismus abzusehen (USDOS 29.5.2018).

Das Militär stellt Eskorten für schiitische Pilger zur Verfügung, die durch Sindh und Belutschistan in den Iran reisen. Zwischen den organisierten Eskorten können jedoch längere Zeiträume von bis zu drei Monaten liegen. Somit sind schiitische Pilger gezwungen, ihre Reise zu verschieben, oder das Risiko gezielter Angriffe durch militante Gruppen einzugehen (DFAT 20.2.2019; vgl. UKHO 1.2019).

? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (21.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik PAKISTAN (Stand: August 2018), https://www.ecoi.net/en/file/local/1442726/4598_1536328003_deutschland-auswaertiges-amtbericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-pakistanstand-august-2018-21-08-2018.pdf, Zugriff 21.2.2019 .

? BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (10.2014): Pakistan –Challenges & Perspectives, https://www.ecoi.net/en/file/local/1095862/1729_1413272641_pakistan.pdf, Zugriff 25.2.2019

? DFAT – Australian Government, Department of Foreign Affairs and Trade (20.2.2019): DFAT Country Information Report Pakistan, https://dfat.gov.au/about-us/publications/Documents/country-information-report-pakistan.pdf, Zugriff 15.5.2019

? ET - Express Tribune, the (23.11.2019): 31 dead as bomb rips through busy market in Orakzai, https://tribune.com.pk/story/1852844/1-least-20-dead-orakzai-market-blast/, Zugriff 29.3.2019

? HRCP – Human Rights Commission of Pakistan (3.2019): State of Human Rights in 2018, http://hrcp-web.org/hrcpweb/wp-content/uploads/2019/04/State-of-Human-Rights-in-2018-English-1.pdf, Zugriff 23.4.2019

? NCHR – National Commission for Human Rights Pakistan (2.2018): Understanding the Agonies of Ethnic Hazaras, https://nchr.gov.pk/wp-content/uploads/2019/01/HAZARA-REPORT.pdf, Zugriff 12.4.2019

? PIPS – Pak Institute for Peace Studies (7.1.2019): Pakistan Security Report 2018, https://pakpips.com/app/reports/396, Zugriff 8.1.2019

? UKHO – UK Home Office (1.2019): Country Policy and Information Note Pakistan: Shia Muslims, https://www.ecoi.net/en/file/local/2002540/CPIN-Pakistan-Shias-v2.0_Jan_2019_.pdf, Zugriff 29.3.2019

? USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom (4.2018): 2018 Annual Report – Pakistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1435658/1226_1529394139_tier1-pakistan.pdf, Zugriff 25.2.2019

? USCIRF - United States Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 1 Countries (Recommended for CPC Designation): Pakistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008197/Tier1_PAKISTAN_2019.pdf, Zugriff 15.5.2019

? USDOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 International Religious Freedom Report –Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436800.html, Zugriff 25.2.2019

Ahmadis

Die islamische Religionsgemeinschaft der Ahmadiya wird von muslimischen Geistlichen in Pakistan nicht als muslimisch anerkannt. Durch Änderung der Verfassung 1974 wurde diese Lehrmeinung Verfassungsgrundsatz (AA 21.8.2018). Die Glaubensgemeinschaft der Ahmadiya teilt sich in die Qadiani-Gruppe (Ahmadiya Muslim Jamaat) und die wesentlich kleinere Lahore-Gruppe (Ahmadiya Anjuman Ischa?at-i-Islam Lahore) (BFA 10.2014). Die Bezeichnung „Qadiani“ wird als abfällige Bezeichnung gesehen (UKHO 6.2018; vgl. PT 5.9.2018).

Es gibt keine zuverlässigen Statistiken zur Anzahl der in Pakistan lebenden Mitglieder der Ahmadiya-Gemeinschaft. Bei der Nationalen Registrierungsbehörde NADRA sind ca. 167.000 Personen als Ahmadis registriert (UKHO 6.2018). Laut Ergebnissen der Volkszählung 2017 sind 0,22 % der ca. 207 Millionen Pakistanis Ahmadis [Anm.: ca. 460.000] (PBS 2017b). Andere Schätzungen liegen zwischen 400.000 bis fünf Millionen. Die Divergenz dieser Werte wird damit begründet, dass die meisten Ahmadis eine Registrierung als Nicht-Muslime ablehnen und auch die Volkszählung 2017 boykottierten (UKHO 6.2018). Das Zentrum der Ahmadis in Pakistan liegt in Chenab Nagar, dem vormaligen Rabwah. 90-95 % der Einwohner der Stadt, ca. 60.000-70.000 Menschen, sind Ahmadis. Weitere wichtige Ansiedlungen der Ahmadis befinden sich in Sialkot, Quetta, Multan, Rawalpindi, Karatschi, Lahore und Faisalabad, sowie weiters auch Khewra, Sarghoda, Bhalwal, Shahpur, Gujaranwala (UKHO 6.2018). Gemäß Aussagen von Ahmadis fühlen sich diese in Rabwah am sichersten (DFAT 20.2.2019; vgl. UKHO 6.2018). Jedoch ist ein Ahmadi, der die Aufmerksamkeit der Behörden oder der Gesellschaft auf sich gezogen hat, auch dort nicht sicher (DFAT 20.2.2019). Die Anti-Ahmadi-Gesetze [s. unten] haben auch in Rabwah Gültigkeit (UKHO 6.2018).

Der weitaus größte Teil der Ahmadis lebt friedlich mit den muslimischen Nachbarn zusammen, berichtet wird aber weiterhin über Fälle von Repressionen Dritter gegen Ahmadis (AA 21.8.2018).

Ahmadis sind von gezielten Angriffen, Blasphemie-Vorwürfen, der Entweihung und Zerstörung ihrer Kultstätten sowie verschiedenen Formen der sozialen Diskriminierung betroffen (UKHO 6.2018). Die Diskriminierung der religiösen Minderheit der Ahmadis durch das Verhalten der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung hält an (AA 21.8.2018). Auch sind die Ahmadis Ziel von Angriffen durch nicht-staatliche Akteure aus den Bereichen der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung (UKHO 5.2016). Ahmadis haben das höchste Risiko für Diskriminierung und Gewalt in ländlichen Ortschaften, wo es keine größere Ahmadi-Gemeinschaft gibt (DFAT 20.2.2019)

Die Ahmadis werden über eine speziell gegen sie gerichtete Gesetzgebung diskriminiert: Per Gesetz haben sie zwar den Status einer religiösen Minderheit, gleichzeitig ist es ihnen aber ausdrücklich verboten, sich als Muslime zu bezeichnen oder auszugeben. Dieses Verbot ist im Pakistanischen Strafgesetzbuch (§ 298 c PPC) niedergelegt und mit einer Strafandrohung von maximal drei Jahren Freiheitsstrafe sanktioniert (AA 21.8.2018). Diese Gesetze und die Blasphemiegesetze werden regelmäßig gegen Ahmadis aller Gesellschafts- und Altersgruppen angewandt (UKHO 6.2018). Strafverfahren gegen Ahmadis werden in der Regel von islamistischen Gruppierungen der Khatm-e-Nabuwwat ("Siegel der Prophetenschaft") in Gang gebracht (AA 21.8.2018; vgl. UKHO 6.2018). Diese radikalen Gruppierungen werden mit Einschüchterungen, Drohungen und Gewalt gegen Ahmadis in Verbindung gebracht (MBZ NL 4.2017).

Ahmadis wird die Abhaltung von öffentlichen Veranstaltungen regelmäßig untersagt. Zwar gibt es für Ahmadis keine offiziellen Einschränkungen zum Bau von Glaubens- und Kultstätten, jedoch verweigern lokale Behörden regelmäßig notwendige Baubewilligungen (USDOS 29.5.2018). Vereinzelt kommen auch Maßnahmen staatlicher Stellen vor, wie z. B. die Durchsuchung des Hauptbüros der Ahmadis in Pakistan (AA 21.8.2018).

Die Blasphemie-Gesetzgebung wird dazu benutzt, die Angehörigen dieser Minderheit aus den verschiedensten Motiven unter Druck zu setzen, die nur zum Teil einen religiösen Hintergrund haben. Oft geht es auch um Streitigkeiten zwischen Nachbarn oder Geschäftsleuten und vor allem um Auseinandersetzungen um Grundbesitz (AA 21.8.2018).

Gemäß Angaben der Ahmadiya-Gemeinschaft wurden im Laufe des Jahres 2018 62 Ahmadis aus religiösen Gründen strafrechtlich belangt (persecutionofahmadis.org 2018). Im Laufe des Jahres 2017 wurden 77 Ahmadis in zehn verschiedenen Fällen wegen religiöser Delikte angezeigt und zum Jahresende 2017 befanden sich neun Ahmadis wegen solcher Delikte in Haft (USDOS 29.5.2018).

USDOS berichtet von sieben Todesopfern in fünf gezielten Angriffen auf Ahmadis im Jahr 2017 (USDOS 29.5.2018); PIPS berichtet für das Jahr 2018 über keine terroristischen Angriffe auf Ahmadis und von drei gezielten Angriffen auf Ahmadis mit einem Todesopfer (PIPS 7.1.2019). Die Polizei ist ineffektiv beim Schutz vor bzw. beim Ermitteln in Fällen von Gewalt gegen Ahmadis. Ahmadis zögern oft, Vorfälle der Polizei zu melden, aus Angst, wegen den Anti-Ahmadi- oder Blasphemiegesetzen selbst verfolgt zu werden. Der Staat scheint weder willig noch fähig, wirksamen Schutz zu bieten (UKHO 6.2018).

Gesellschaftliche Diskriminierung und Anti-Ahmadi-Propaganda sind weit verbreitet. Der Einsatz von Hassreden gegen Ahmadis wird von den Medien oftmals unkritisch behandelt. Gegen Ahmadi-Geschäftsleute aller gesellschaftlichen Klassen erfolgen auch Kampagnen zum wirtschaftlichen Ausschluss bis hin zu Morddrohungen (UKHO 6.2018). Im Vorfeld der Wahlen 2018 Menschenrechtsgruppen sehen die Ahmadis wegen der rechtlichen Diskriminierung und wachsenden religiösen Intoleranz als vulnerabelste Gruppe in Pakistan an. Gemäß Einschätzung des Australischen Ministeriums für Äußere Angelegenheiten und Handel (DFAT) sind Ahmadis einem hohen Risiko staatlicher Diskriminierung ausgesetzt, das ihre Möglichkeiten zur freien Religionsausübung und zur politischen und sozialen Partizipation einschränkt. Gemäß Einschätzung von DFAT ist das Risiko sozialer Diskriminierung und Gewalt gegen Ahmadis aufgrund großer Protestveranstaltungen der Khatm-e-Nabuwat-Bewegung in den Jahren 2017 und 2018 gestiegen (DFAT 20.2.2019)

Die scheck

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten