TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/29 L511 2206338-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.09.2020
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Entscheidungsdatum

29.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L511 2206338-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a JICHA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion Vorarlberg vom 23.08.2018, Zahl: XXXX , nach mündlicher Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang

1.1.    Der Beschwerdeführer stellte am 09.08.2016 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz (Aktenseite des Verwaltungsverfahrensaktes [im Folgenden: As]5). Zu diesem wurde er am 10.08.2019 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt ([Ebfr] As3-11a) und nach Zulassung des Verfahrens am 07.08.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion Vorarlberg [BFA] niederschriftlich einvernommen ([EV] As113-127).

1.2.    Im durchgeführten Ermittlungsverfahren legte der Beschwerdeführer einen irakischen Staatsbürgerschaftsnachweis in Kopie (As13a, 116) und eine Deutschkursbestätigung (As118, 129) vor.

Das BFA fügte dem Verfahren die allgemein verfügbaren Länderinformationsquellen bei [LI], und gab dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zur Einsicht- und Stellungnahme in diese, worauf dieser verzichtete (As126).

1.3.    Das BFA wies mit im Spruch bezeichneten Bescheid den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 09.08.2016 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I) und gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II) ab. Das BFA erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV). stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V) und sprach aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI) (As173-309).

Mit Verfahrensanordnung vom 24.08.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt (As141.143).

1.4.    Der Beschwerdeführer hat gegen den am 24.08.2018 zugestellten Bescheid (AZ 313) am 19.09.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben (As321-325).

2.       Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 20.09.2018 die Beschwerde samt durchnummeriertem Verwaltungsakt vor (Ordnungszahl des hg Gerichtsaktes [im Folgenden:] OZ 1 [=As1-325]).

2.1.    Mit Schreiben vom 01.10.2018 erfolgte eine Beschwerdeergänzung (OZ 3).

3.       Am 03.06.2020 langte beim BVwG ein Fristsetzungsantrag des Beschwerdeführers ein (OZ 7).

3.1.    Mit verfahrensleitender Anordnung des Verwaltungsgerichtshofes vom 24.06.2020, Fr2020/01/0017-2, beim BVwG eingelangt am 01.07.2020, wurde der Fristsetzungsantrag dem BVwG gemäß § 38 Abs. 4 VwGG mit der Aufforderung zugestellt, binnen drei Monaten die Entscheidung (Erkenntnis/Beschluss) zu erlassen und eine Ausfertigung, Abschrift oder Kopie des selben, sowie eine Kopie des Nachweises über die Zustellung der Entscheidung (Erkenntnis/Beschluss) an die antragstellende Partei, dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen, oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege (OZ 10).

4.       Das Bundesverwaltungsgericht hielt unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch am 21.09.2020 eine mündliche Verhandlung ab, an der der Beschwerdeführer teilnahm, die belangte Behörde ist nicht erschienen (OZ 15).

In der Verhandlung wurden die Gründe des Verlassens des Herkunftsstaates, die aktuelle Situation im Herkunftsstaat und die bereits davor übermittelten Länderinformationsquellen (OZ 12) sowie die Integration in Österreich mit dem Beschwerdeführer ausführlich erörtert.

Der Beschwerdeführer legte eine Einstellungszusage vor (O15/A)

II.      zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen im Irak

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen, ist 1992 geboren und Staatsangehöriger des Irak. Er gehört der kurdischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Religionsgemeinschaft an. Er stammt aus XXXX , Provinz Dohuk, wo er bis zu seiner Ausreise auch mit seiner Mutter und einem Cousin im familieneigenen Haus der verstorbenen Großmutter gelebt hat, Geschwister hat er keine. Der Beschwerdeführer besuchte 10 Jahre lang die Schule und lebte im Irak bis zu seiner Ausreise von einer unregelmäßigen Tätigkeit als Friseur sowie der Pension seiner Mutter. Die Mutter des Beschwerdeführers verstarb vor ca. 6 Monaten in der Türkei, wo sie geboren wurde und als Kind lebte. Zum Vater und dessen Familie gab es bis auf einen Cousin des Vaters keinen Kontakt. Seit dem der Beschwerdeführer, und in weiterer Folge seine Mutter, den Irak verlassen hatten, hat der Beschwerdeführer keinen Kontakt mehr zu Verwandten im Irak (As3, 115, 117, VHS 8, 13-14).

Er hat keine gesundheitlichen Einschränkungen zu vergegenwärtigen, leidet jedoch unter der Belastungssituation durch den Tod seiner Mutter, insbesondere darunter sie vor ihrem Tod nicht mehr gesehen zu haben (VHS 7-8, 14).

1.2.    Zur Lebenssituation in Österreich

Der Beschwerdeführer reiste am 09.08.2016 illegal in Österreich ein und hält sich in Österreich gestützt auf das vorläufige Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz seit nunmehr vier Jahren ununterbrochen auf. Er ist derzeit nicht erwerbstätig und auf Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde angewiesen, hat jedoch eine Einstellungszusage als Friseur für den Fall des Erhalts einer Aufenthaltsberechtigung. Er verbringt seine Freizeit mit Freunden, insbesondere im Fitnesscenter. Er besuchte in Österreich Deutschkurse, hat jedoch keine zertifizierte Sprachprüfung abgelegt. Er versteht zum Teil einfache Fragen in der deutschen Sprache, wenn sie langsam und deutlich gestellt werden, teilweise jedoch auch nicht. Zu Situationen des täglichen Lebens kann er einfache Sätze in der deutschen Sprache bilden. Der eingeholte Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich weist keine Einträge auf und es wurde kein Einreiseverbot gegen ihn erlassen (As 3-7, VHS 5-8; OZ 13).

1.3.    Zur Begründung des Antrages auf internationalen Schutz

1.3.1.  Zu seinen Fluchtgründen und seiner Rückkehrbefürchtung erstattete der Beschwerdeführer nachfolgendes chronologisch zusammengefasste Vorbringen (EBFR As11, EV As119-125; VHS 9-14), welches als nicht glaubhaft erachtet wird:

Er sei bei seiner Mutter aufgewachsen, weil sein Vater die Familie kurz nach seiner Geburt verlassen habe. Zum Vater und dessen Familie habe er bis auf einen Cousin des Vaters keinen Kontakt gehabt. Seinen Vater habe er vor dem fluchtauslösenden Ereignis nur einmal im Alter von 18 Jahren zufällig bei diesem Cousin gesehen. Sein Vater habe mehrere Frauen geheiratet, welche er nicht gekannt habe. Er habe eine Beziehung mit einer Schulfreundin gehabt, welche, wie sich später herausstellte, eine Ehefrau seines Vaters gewesen sei, was sie ihm jedoch verschwiegen hatte. Ein Verwandter der Frau habe ihn mit ihr zusammen gesehen und davon ein Foto gemacht. In der Folge seien er und die Schulfreundin getrennt entführt, und in ein altes verlassenes Haus verschleppt worden. Dort habe er gehört, wie sein Vater mit dem Vater der Schulfreundin vereinbart habe, dass jeder seine eigene Ehre bereinigen werde. Er sei in das Haus seines Vaters gebracht worden, dort ca. 3 Tage lang festgehalten worden und der Cousin seines Vaters habe ihm dann zur Flucht aus dem Haus verholfen und ihn zu seiner Mutter nach Hause gebracht. Von ihm habe er auch erfahren, dass seine Schulfreundin bereits umgebracht worden war. In der Folge habe seine Mutter ein Visum und ein Flugticket besorgt, einen Reisepass habe er bereits gehabt. Er sei dann von Erbil in die Türkei geflogen, von wo aus ihn ein Schlepper, den seine Mutter besorgt habe, in die EU gebracht habe. Seine Mutter habe den Irak aus Angst um ihr Leben kurz darauf auch verlassen und sei zu ihrer Familie in die Türkei gezogen.

Vor einer Rückkehr in den Irak habe er Angst, weil sein Vater ein Offizier sei, der für die Polizei in Kirkuk tätig sei, und Macht habe. Er könne ihn daher überall ihm Irak aufspüren.

1.4.    Zur Lage im Herkunftsstaat Irak

1.4.1.  Die Sicherheitslage im Irak hat sich nach der dramatischen Verschlechterung (vor allem durch den Vormarsch des IS ab Mitte 2014) in den Jahren 2015 und 2016 seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert. Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren (LIB 14)

1.4.2.  zur aktuellen Lage insbesondere in der Kurdischen Region im Irak (KRI)

Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte. Das Verhältnis der Zentralregierung zur KRI hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der KRI und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil „umstrittener Gebiete“ ab 2017 deutlich verschlechtert. Im Oktober 2017 kam es sogar zu lokal begrenzten militärischen Auseinandersetzungen. Die „umstrittenen Gebiete“ umfassen Gebiete in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal Afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya and Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala. Der Konflikt zwischen Bagdad und Erbil hat sich im Lauf des Jahres 2018 wieder beruhigt.

Proteste in der KRI gehen auf das Jahr 2003 zurück. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind dabei gleich geblieben, und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption). Insbesondere in der nordöstlichen Stadt Sulaymaniyah kommt es zu periodischen Protesten, deren jüngste im Februar 2020 begannen. (LIB 7, 12-13, 26-27)

In Erbil bzw. Sulaymaniyah und unmittelbarer Umgebung erscheint die Sicherheitssituation vergleichsweise besser als in anderen Teilen des Irak. Allerdings kommt es immer wieder zu militärischen Zusammenstößen, in die auch kurdische Streitkräfte (Peshmerga) verwickelt sind, weshalb sich die Lage jederzeit ändern kann. Seit dem Abbruch des Friedensprozesses zwischen der Türkei und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Jahr 2015 kommt es regelmäßig zu türkischen Militäroperationen und Bombardements gegen Stellungen von PKK-Kämpfern in Qandil und in den irakischen Grenzgebieten. Im Kreuzfeuer solcher Angriffe werden immer wieder kurdische Dörfer evakuiert, da manchmal auch Zivilisten und deren Eigentum von den Kämpfen bedroht und bei türkischen Luftangriffen getroffen wurden.

Der Islamische Staat (IS) hat seine Präsenz in Ninewa durch Kräfte aus Syrien verstärkt und führte seine Operationen hauptsächlich im Süden und Westen des Gouvernements aus. Er verfügt aber auch in Mossul über Zellen. Es wird außerdem vermutet, dass der IS vorhat in den Badush Bergen, westlich von Mossul, Stützpunkte einzurichten. Im Juli 2019 führte der IS seine seit langem erste Attacke auf kurdischem Boden durch. (LIB 24-25, 27)

In einigen Städten, vor allem in Gebieten, die früher vom IS besetzt waren, dominieren Volksmobilisierungskräfte / Milizen [PMF] die lokale Sicherheit. In Ninewa stellen sie die Hauptmacht dar, während die reguläre Armee zu einer sekundären Kraft geworden ist. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt. Vertreter und Verbündete der PMF haben Parlamentssitze inne und üben Einfluss auf die Regierung aus. (LIB38-39)

Die kurdischen Sicherheitskräfte (Peshmerga) unterstehen formal der kurdischen Regionalregierung und sind bislang nicht in den Sicherheitsapparat der Zentralregierung eingegliedert. Sie bilden allerdings keine homogene Einheit, sondern unterstehen faktisch, voneinander getrennt, den beiden großen Parteien, der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), in ihren jeweiligen Einflussgebieten. Die Sicherheitsdienste der KRI halten in den von ihnen kontrollierten Gebieten bisweilen Verdächtige fest. Missbräuchliche Verhöre sollen unter bestimmten Bedingungen in einigen Haftanstalten der internen Sicherheitseinheit der KRI, der Asayish, und der Geheimdienste der großen politischen Parteien, der Parastin der KDP und der Zanyari der PUK stattfinden. Berichten zufolge kommt es in Gefängnissen der Asayish in der KRI zur Anwendung von Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige. Die Haftbedingungen sind insgesamt sehr schlecht. (LIB 46-47; 49-50; 55-56; 66)

Auch die Lage in der KRI ist von Defiziten der rechtsstaatlichen Praxis gekennzeichnet. Nach Angaben der Unabhängigen Menschenrechtskommission der KRI (IHRCKR) bleiben Häftlinge auch nach gerichtlicher Anordnungen ihrer Freilassung für längere Zeit in den Einrichtungen des internen Sicherheitsdienstes der KRI. für Regierungsbeamte und Sicherheitskräfte, einschließlich der Peshmerga und der PMF besteht hingegen quasi Straffreiheit. (LIB 36, 56)

Politische Meinungsäußerung kann in der Kurdischen Region im Irak (KRI) auch willkürliche Verhaftung oder andere Repressalien von staatlicher Seite auslösen. Laut Medienbeobachtern wurden 2019 über 200 Fälle von Drohungen, Schikanen und rechtlichen Schritten gegen Journalisten, die in der KRI tätig sind, bekannt. (LIB 59)

1.4.3.  Zur Lage der (arabischen) Sunniten

Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richteten sich 2017 vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger. Bei willkürlichen Verhaftungen meist junger sunnitischer Männer wird durch die Behörden auf das Anti-Terror-Gesetz verwiesen, welches das Recht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren vorenthält. Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger. Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, PMF und Peshmerga. Noch für das Jahr 2018 gibt es Hinweise auf außergerichtliche Hinrichtungen von sunnitischen Muslimen in und um Mossul. (LIB 79)

Insbesondere Sunniten beschweren sich über „schiitische Siegerjustiz“ und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen. Die Verurteilungsrate der im Schnelltempo durchgeführten Verhandlungen tausender sunnitischer Moslems, denen eine IS- Mitgliedschaft oder dessen Unterstützung vorgeworfen wurde, lag 2018 bei 98%. Menschenrechtsgruppen kritisierten die systematische Verweigerung des Zugangs der Angeklagten zu einem Rechtsbeistand und die kurzen, summarischen Gerichtsverfahren mit wenigen Beweismitteln für spezifische Verbrechen, abgesehen von vermeintlichen Verbindungen der Angeklagten zum IS. (LIB33-34)

Von ethnisch-konfessionellen Auseinandersetzungen sind auch Kurden betroffen, soweit sie außerhalb der KRI leben. Im Nachgang zum Unabhängigkeitsreferendum hat die zentral-irakische Armee die zwischen Kurden und Zentralregierung umstrittenen Gebiete größtenteils wieder unter die Kontrolle Bagdads gebracht (AA 12.1.2019). Insbesondere in diesen umstrittenen Gebieten waren und sind Kurden und andere Minderheiten mit Diskriminierung, Vertreibung und in einigen Fällen mit Gewalt seitens der Regierungstruppen, insbesondere der mit dem Iran verbündeten PMF-Milizen, konfrontiert (USDOS 11.3.2020). (LIB 79)

1.4.4.  Aufnahme von IDP, Bewegungsfreiheit in der KRI

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von IDPs und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen.

Die KRI schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten ein. Während die Einreise in die Gouvernements Erbil und Sulaymaniyah ohne Bürgen möglich ist, wird für die Einreise nach Dohuk ein Bürge benötigt. Insbesondere Araber aus den ehemals vom IS kontrollierten Gebieten, sowie Turkmenen aus Tal Afar im Gouvernement Ninewa benötigen einen Bürgen aus Dohuk, es sei denn, sie erhalten eine vorübergehende Reisegenehmigung vom Checkpoint in der Nähe des Dorfes Hatara. Diese Genehmigung wird für kurzfristige Besuche aus medizinischen oder ähnlichen Gründen erteilt. Die KRI-Behörden wenden Beschränkungen unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt. Checkpoints werden manchmal für längere Zeit geschlossen. Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise ist für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen. (LIB 134-135)

1.4.5.  zur Versorgungslage im Irak, insbesondere in der KRI

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Nachdem der Irak seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde laufen nunmehr Wiederaufbauprogramme und die Weltbank traf für das Jahr 2019 vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen. Iraks Wirtschaft erholt sich allmählich nach den wirtschaftlichen Herausforderungen und innenpolitischen Spannungen der letzten Jahre.

Die Arbeitslosenquote, die vor der IS-Krise rückläufig war, ist über das Niveau von 2012 hinaus auf 9,9% im Jahr 2017/18 gestiegen. Die Armutsrate im Irak ist aufgrund der Aktivitäten des IS und des Rückgangs der Öleinnahmen gestiegen. Die niedrigsten Armutsraten weisen die Gouvernements Dohuk (8,5%), Kirkuk (7,6%), Erbil (6,7%) und Sulaymaniyah (4,5%) auf. Diese regionalen Unterschiede bestehen schon lange und sind einerseits auf die Vernachlässigung des Südens und andererseits auf die hohen Investitionen durch die Regionalregierung Kurdistans in ihre Gebiete zurückzuführen. Laut Welternährungsorganisation sind im Irak ca. 1,77 Millionen Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Schätzungen zufolge hat der Irak in den letzten vier Jahren jedoch 40 Prozent seiner landwirtschaftlichen Produktion verloren. (LIB 133-136)

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt. Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen. (LIB 138-139)

1.4.6.  Ehrverbrechen

Sogenannte Ehrenverbrechen sind Gewalttaten, die von Familienmitgliedern gegen Verwandte ausgeübt werden, weil diese „Schande“ über die Familie oder den Stamm gebracht haben. Ehrenverbrechen werden oft in Form von Mord begangen, obwohl sie auch andere Arten der Gewalt umfassen können wie z.B. körperliche Misshandlung, Einsperren, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Entzug von Bildung, Zwangsverheiratung, erzwungener Selbstmord und öffentliche Schändung bzw. „Entehrung“. Ehrendelikte werden überwiegend von männlichen Familienmitgliedern gegen weibliche Familienmitglieder verübt, obwohl gelegentlich auch Männer Opfer solcher Gewalt werden können. Ehrenverbrechen werden meist begangen, nachdem eine Frau eines der folgenden Dinge getan hat bzw. dessen verdächtigt wird: Freundschaft oder voreheliche Beziehung mit einem Mann; Weigerung, einen von der Familie ausgewählten Mann zu heiraten; Heirat gegen den Willen der Familie; Ehebruch; Opfer einer Vergewaltigung oder Entführung geworden zu sein. Solche Verletzungen der Ehre werden als unverzeihlich angesehen. In den meisten Fällen wird die Tötung der Frau, manchmal auch die des Mannes, als der einzige Weg gesehen, die Ehrverletzung zu sühnen.

Der Ehrenmord ist eine geplante, größtmögliche Gewaltanwendung gegen eine Frau, ganz selten wird auch ein Mann Opfer eines Ehrenmordes, wenn z. B. seine homosexuellen Neigungen öffentlich bekannt geworden sind. Auch wenn eine Frau durch ein Verbrechen innerhalb der Familie schwanger wird (durch Inzest), ist die Folge in der Regel der Tod der Frau, nicht des Mannes.

In Ländern des Nahen und Mittleren Ostens scheint besonders häufig der Bruder der betroffenen Frau als Täter auserkoren zu werden, sodann auch ihr Vater, während in der Migration, vermutlich auch aufgrund des Fehlens kompletter Familienstrukturen, offensichtlich der Ehemann häufiger als Täter auftritt. Generell gilt die Verbindung des Ehemanns zur Ehefrau als weniger eng als zur Herkunftsfamilie, denn der Ehemann kann sich von der Frau, nach islamischem Recht relativ unkompliziert scheiden, die Herkunftsfamilie ist jedoch auf immer mit ihr verbunden. Aber auch ein Cousin oder Onkel kommen als Täter in Frage. Daraus wird deutlich, dass das “Verbrechen” der Frau nicht als individuelles Vergehen, sondern als Angriff auf die ganze Gemeinschaft verstanden wird, so dass auch die Gemeinschaft als Ganze zum Handeln aufgerufen ist. (LIB 111-112, IGFM)

Ehrenverbrechen finden in allen Gegenden des Irak statt und beschränken sich nicht auf bestimmte ethnische oder religiöse Gruppen. Sie werden gleichermaßen von Arabern und Kurden ausgeübt, von Sunniten und Schiiten, wie auch von einigen ethnischen und religiösen Minderheiten. Es ist schwer, das wahre Ausmaß von Ehrenverbrechen und Ehrenmorden im Irak zu erfassen, da viele Fälle nicht angezeigt werden bzw. oft als Selbstmord oder Unfall angeführt werden. Ehrenmorde bleiben auch weiterhin ein ernstes Problem im ganzen Land. Das Strafgesetzbuch sieht für Gewalttaten aus „ehrenhaften Motiven“, inklusive Ehrenmorde, milde, reduzierte Strafen vor. In der Regel werden Ehrenverbrechen nicht angezeigt und auch nicht strafrechtlich verfolgt. Von der Polizei und den zuständigen Behörden werden die Fälle in der Regel als Familiensache erachtet, die dem Ermessen männlicher Familienmitglieder obliegt. In Fällen von Gewalt gegen Frauen erlaubt das irakische Recht zudem den Grund der „Ehre“ als rechtmäßige Verteidigung. Wenn ein Mann des Mordes an einer Frau angeklagt wird, die er getötet haben soll, weil sie des Ehebruchs verdächtigt worden war, begrenzt das Gesetz seine mögliche Strafe auf maximal drei Jahre Gefängnis. Strafen für Ehrenverbrechen sind selten. Täter werden oft freigesprochen oder zu sehr milden Strafen verurteilt, selbst wenn eindeutige, belastende Beweise vorliegen. (LIB 111-112, AB Stigma)

2.       Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

2.1.    Die Beweisaufnahme erfolgt durch

?        Abhaltung einer mündlichen Verhandlung [VH] am 15.09.2020 (OZ 15)

?        Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsverfahrensakt (OZ 1, 2) beinhaltend insbesondere die Erstbefragung, die Niederschrift, den Bescheid und die Beschwerde

?        sowie Einsicht in folgende vorgelegte Unterlagen und Dokumente

?        Beschwerdeergänzung (OZ 3)

?        Kopie eines irakischen Staatsbürgerschaftsnachweises (As13a)

?        Deutschkursbestätigung (As129)

?        Einstellungszusage (OZ 15/A)

?        Einsicht in das Zentrale Melderegister (ZMR), das Strafregister der Republik Österreich (SA, SC), das Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister des Bundesministeriums für Inneres (IZR), sowie das Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich (GVS) (OZ 13)

?        Einsicht in folgende länderspezifische Berichte (OZ 12, VHS 15)

?        ACCORD: Anfragebeantwortung a-11232-1 Irak: Autonome Region Kurdistan: Sicherheitslage; Kampfhandlungen, Anschlagskriminalität; 27.03.2020

?        ACCORD: Anfragebeantwortung a-11232-2 (11233) Irak: Autonome Region Kurdistan: Menschrechtslage, insbesondere für sunnitische Kurden; 27.03.2020

?        ACCORD Anfragebeantwortung a-11232-3 (11234) Irak: Autonome Region Kurdistan: Lage von RückkehrerInnen aus dem Ausland: Schikanen, Diskriminierungen, Wohnraum, Kosten, Arbeitslosenrate, Erwerbsrestriktionen; Sozialsystem; 27.03.2020

?        Deutsches Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: März 2020), 02.03.2020 [AA]

?        Schweizer Flüchtlingshilfe: Irak Verfolgung sunnitischer tribes – al-Sadoun, Punkt 2.1, 26.06.2019 [SFH]

?        Staatendokumentation [SD]: Länderinformationsblatt Irak, 17.03.2020 [LIB]

?        SD-Anfragebeantwortung Irak: Verfolgung aufgrund eines sunnitischen Namens, 07.05.2018 [ABname]

?        UNHCR International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019 [UNHCR19]

?        UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Blood feuds, Februar 2020 [UKHO]

?        SD Anfragebeantwortung Irak: Stigmatisierung von Opfern sexuellen Missbrauchs, Tötungen/Steinigungen von missbrauchten Familienmitgliedern, 4. Dezember 2019 [ABStigma]

?        Internationale Gesellschaft für Menschenrechte [IGFM], Ehrenmorde unter Berücksichtigung rechtlicher, soziologischer, kultureller und religiöser Aspekte von Prof. Christine Schirrmacher, undatiert (abgerufen am 18.09.2020 https://www.igfm.de/ehrenmorde-zwischen-migration-und-tradition/) [IGFM]

2.2.    Beweiswürdigung

2.2.1.  Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensverhältnissen im Irak (Pkt. 1.1)

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Staatsangehörigkeit, Herkunft und Religionszugehörigkeit, die er im Zuge des Verfahrens vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, sind auf Grund seiner Orts- und Sprachkenntnisse nicht anzuzweifeln (As1, 3, 119-120). Mangels Vorlage amtlicher Identitätsdokumente im Original kann der Name und das Geburtsdatum des Beschwerdeführers jedoch nicht abschließend festgestellt werden.

Seine Ausführungen zu seinen Lebensumständen sowie seiner Lebensgrundlage, seinen Familienangehörigen im Irak waren sowohl vor dem BFA, als auch in der mündlichen Verhandlung kohärent, schlüssig und widerspruchsfrei. Zumal sich die Ausführungen auch vor dem festgestellten Länderhintergrund (OZ 12, VHS 15) als plausibel darstellen, werden diese als glaubhaft erachtet. Bei der Schilderung des Todes seiner Mutter war eine starke Emotionalisierung des Beschwerdeführers in der Verhandlung erkennbar, so dass dieser auch ohne diesbezügliche Urkunden festzustellen ist.

Soweit das BFA zu den Lebensumständen im Irak im Bescheid ausführt „Es ist nicht glaubhaft, dass Sie lediglich von der Pension Ihrer Mutter gelebt haben sollen. Sie haben angegeben, dass Sie die Schule 2008 beendet haben und bis zu Ihrer Ausreise im Jahr 2016 keiner Arbeit nachgegangen seien. Somit sind Sie in Ihrer Person nicht glaubwürdig. Es ist nicht nachvollziehbar, dass Sie acht Jahre lang keiner Tätigkeit nachgegangen sind.“ so kann dem angesichts der in den Länderfeststellungen festgehaltenen hohen Arbeitslosigkeit und schlechten wirtschaftlichen Situation im Irak nicht gefolgt werden. Ergänzend gab der Beschwerdeführer auf konkretes Nachfragen in der mündlichen Verhandlung auch an, gelegentlich auch als Friseur gearbeitet zu haben (VHS 13).

2.2.2.  Zu seinen Lebensverhältnissen in Österreich (Pkt. 1.2)

Die Feststellungen zur Lebenssituation des Beschwerdeführers in Österreich, ergeben sich aus seinen Angaben in der Verhandlung (VHS 5-8), welche sich mit den eingeholten Datenauszügen und der Einstellungszusage decken (OZ 13; VHS ./A), so dass kein Grund bestand, diese Angaben zu bezweifeln. Auch das BFA ist den Angaben nach Übermittlung der Verhandlungsschrift nicht entgegengetreten.

Die Feststellungen zu seinen Deutschkenntnissen gehen auf den persönlichen Eindruck der entscheidenden Richterin in der Verhandlung zurück (VHS 5-6).

Die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers und das Nichtbestehen eines Einreiseverbotes (Punkt 1.2.) ergeben sich aus behördlich geführten Datenregistern, an deren Richtigkeit kein Anlass an zu zweifeln bestand (OZ 13).

2.2.3.  Zur Begründung des Antrages und zu deren Glaubhaftigkeit (Pkt 1.3)

2.2.3.1. Zunächst ist festzuhalten, dass das BVwG die vom BFA im Bescheid, in der Verhandlung war das BFA nicht anwesend, herangezogenen Argumente zur Begründung der grundsätzlichen persönlichen Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers nicht teilt.

Das BFA leitet die persönliche Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers, aus dem, aus Sicht des BFA unglaubhaften, Vorbringen zur Lebens- und Arbeitssituation im Irak ab, was vom BVwG, wie bereits dargelegt nicht geteilt wird (siehe dazu bereits Pkt. 2.2.1). Auch die Ansicht des BFA, die persönliche Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers ergebe sich aus dem Umstand, „dass wer tatsächlich auf der Suche nach Schutz ist, einen Antrag auf internationalen Schutz im ersten Land stellt, welches ihm diesen Schutz bieten kann“ (Bs126), kann nicht nachvollzogen werden, zumal dem entgegensteht, dass es in Österreich trotz dessen innereuropäischer geografischen Lage zu Asylgewährungen kommt (https://www.bmi.gv.at/301/Statistiken/ files/Jahresstatistiken ).

2.2.3.2. Dennoch erachtet das BVwG das Vorbringen des Beschwerdeführers zu den Ereignissen vor seiner Ausreise und zu seiner Rückkehrbefürchtung – Bedrohung durch die Familie des Vaters und der Familie der getöteten Ehefrau des Vaters wegen unehrenhaftem Verhalten – aus folgenden Erwägungen als unglaubhaft:

Der Beschwerdeführer hat sein Vorbringen zwar im gesamten Verfahren stringent geschildert (EBFR As11; EV As119-120; VHS 9-14), es lässt sich aber mit den Feststellungen zum Ehrenmord nicht in Einklang bringen. So gehen etwa sowohl das LIB, als auch der Bericht des IGFM (siehe detaillierter Pkt. 1.4.6 „Ehrverbrechen“) davon aus, dass Ehrverbrechen zwar oft in Form von Mord begangen werden, sich diese jedoch hauptsächlich gegen Frauen richten. Nur ganz selten wird auch ein Mann Opfer eines Ehrenmordes, etwa wenn homosexuelle Neigungen öffentlich bekannt geworden sind. Selbst in Fällen von Inzest ist die Folge in der Regel der Tod der Frau, und nicht jener des Mannes. Konkret auf diese Widersprüche in der Verhandlung angesprochen, führte der Beschwerdeführer zunächst aus, er gehöre dem Stamm der „ XXXX “ an, deren Sippengesetzen zu Folge der Mann sogar zuerst getötet würde. Dies lässt sich jedoch mit dem vorgebrachten Geschehen, wonach seine Freundin zuerst getötet worden sein soll, nicht in Einklang bringen. Auch auf die übrigen Fragen antwortete der Beschwerdeführer ausweichend. Etwa auf die Frage, welchen Hintergrund es haben könnte, dass der Cousin seines Vaters, trotz dieser strengen Sippengesetze, ihm zur Flucht verhalf, verwies er lediglich darauf, dass dieser selbst dazu zu befragen wäre. Auf andere sich aus der Einvernahme ergebende Wiedersprüche hatte er ebenso keine Antwort (VHS 12).

2.2.3.3. Nicht plausibel ist aus Sicht des BVwG auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, sein Vater sei derart mächtig, dass er ihn überall im Irak finden und töten könnte (VHS 10, 13; As124-125). Zwar ist es vor dem festgestellten Länderhintergrund im Irak zweifellos möglich, dass ein Mitglied einer der uniformierten Gruppen seine Stellung für einen privaten Rachefeldzug ausnützt, dass dies jedoch zu einer landesweiten Fahndung nach einer einzelnen Person führen würden, lässt sich den Länderberichten nicht entnehmen, zumal als Veranlassung zu den kriminellen Handlungen die Geldbeschaffung und nicht Rachefeldzüge beschrieben sind. Ergänzend wird etwa in UNHCR19 ausgeführt, dass sich auf unbestätigt existierenden „hit lists“ der unterschiedlichen Milizen [zur jeweils eigenen Position] Oppositionelle, Protestanführer und Aktivisten der Zivilgesellschaft wiederfinden (UNHCR19 19-20). Dass der Beschwerdeführer eine derart exponierte Person des Öffentlichen Lebens wäre, ergibt sich aus dem Vorbringen jedoch nicht.

2.2.3.4. Zusammenfassend erachtet das BVwG daher sowohl das fluchtkausale Vorbringen als auch die geäußerten Befürchtungen im Zusammenhang mit einer Rückkehr in den Irak als nicht glaubhaft.

2.2.4.  Zur Lage im Herkunftsstaat Irak (Punkt 1.4.)

Die getroffenen länderspezifischen Feststellungen ergeben sich im Wesentlichen aus den Berichten und Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation (OZ 12, VHS 15). Die Staatendokumentation des BFA berücksichtigt im Länderinformationsblatt Irak [LIB] und den Anfragebeantwortungen [AB] Berichte verschiedener staatlicher Spezialbehörden, etwa des Deutschen Auswärtigen Amtes und des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder des US Department of State, ebenso, wie auch Berichte von Nichtregierungsorganisationen, wie etwa von ACCORD, Amnesty international, Human Rights Watch, oder der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Die herangezogenen Quellen sind aktuell, Großteils aus dem Jahr 2019, die spezielleren Anfragebeantwortungen sind aus den Jahren 2019 und 2020.

Angesichts der Ausgewogenheit und Seriosität der genannten Quellen sowie der Plausibilität der weitestgehend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht für das BVwG kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Auch die Parteien sind den in das Verfahren eingeführten Quellen nicht entgegengetreten (VHS 15, OZ 12).

3.       Rechtliche Beurteilung

3.1.1.  Die Zuständigkeit des BVwG und die Entscheidung durch eine Einzelrichterin ergibt sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm §7 BFA-VG und dem AsylG 2005. Das Verfahren des BVwG ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das BFA im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).

3.1.2.  Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig (§§ 7, 9 VwGVG).

3.2.    Zur Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG 2005

3.2.1.  Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 [Anmerkung: Drittstaatssicherheit, Schutz im EWR-Staat oder in der Schweiz oder Zuständigkeit eines anderen Staates] zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (§ 3 Abs. 1 AsylG 2005). Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht (§ 3 Abs. 3 Z 1 AsylG 2005) oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat (§ 3 Abs. 3 Z 2 AsylG 2005). Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt (§ 3 Abs. 5 AsylG 2005).
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, BGBl Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Jänner 1967, BGBl Nr. 78/1974 (GFK), ist als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.2.2.  Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht (VwGH 02.09.2015, Ra2015/19/0143). Nach der jüngeren Ansicht des UNHCR reicht es aus, dass der Konventionsgrund ein (maßgebender) beitragender Faktor ist, er muss aber nicht als einziger oder überwiegender Grund für die Verfolgung oder das Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen nachgewiesen werden (VwGH 23.02.2016, Ra2015/20/0113 mit Literaturnachweisen von UNHCR, Hathaway/Foster und Marx).

Zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 05.09.2016, Ra2016/19/0074). Unter Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt Verfolgung als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie, worunter (ua) Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 MRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 MRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 MRK niedergelegte Verbot der Folter (VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18/0083). Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 27.05.2019, Ra2019/14/0153).

3.2.3.  Wie im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, kommt dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund – Todesdrohung aufgrund einer Ehrverletzung – keine Glaubhaftigkeit zu, weshalb dieses entsprechend der VwGH-Judikatur (VwGH 20.10.2016, Ra2016/20/0260 mwN) einer rechtlichen Beurteilung nicht zu Grunde zu legen ist, da es von vorneherein nicht geeignet ist, eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen.

3.2.4.  Es liegt somit keine Verfolgung des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vor und braucht daher auf die Frage des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht mehr eingegangen werden und die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides des BFA ist als unbegründet abzuweisen.

3.3.    Zur Subsidiären Schutzberechtigung gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005

3.3.1.  Nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, 1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder 2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 leg.cit. mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 leg.cit. oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 leg.cit. zu verbinden. Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 leg.cit.) offen steht.

3.3.2.  Für die Gewährung des subsidiären Schutzstatus iSd § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist (über die Auslegung des Art. 15 lit. b der Statusrichtlinie iVm Art. 3 Statusrichtlinie hinausgehend) bereits jegliche reale Gefahr (real risk) einer Verletzung von Art. 3 MRK an sich, unabhängig von einer Verursachung von Akteuren oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat ausreichend (VwGH 27.05.2019, Ra2019/14/0153). Um von der realen Gefahr (real risk) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 MRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat ausgehen zu können, reicht es nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (VwGH 21.02.2017, Ra2016/18/0137). Der EGMR erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein real risk vorliegt, wenn stichhaltige Gründe (substantial grounds) dafür sprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art 3 MRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der EGMR in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Riskio iSd Art 3 MRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen (in the most extreme cases) diese Voraussetzung In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen (special distinguishing features), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137 uHa EGMR Sufi und Elmi / UK mwN). Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 orientiert sich an Art. 15 lit.c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) und umfasst eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des EuGH, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (VwGH 21.02.2017, Ra2016/18/0137 uHa EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji; 30.01.2014, C-285/12, Diakite).

3.3.3.  Die Deckung der existentiellen Grundbedürfnisse kann aus den Feststellungen zur Lage im Irak, insbesondere der KRI (siehe Punkt 1.4.5), als gesichert angenommen werden.

Der aus der KRI stammende Beschwerdeführer ist ein junger Mann ohne weitere gesundheitliche Einschränkungen, dem eine Beschäftigung etwa als Friseur auch zuzumuten ist. Wenngleich er keinen familiären Anschluss mehr im Irak hat, so ist dennoch nicht erkennbar, warum er in eine aussichtslose Lage geraten sollte oder ihm eine Existenzsicherung in seinem Herkunftsstaat nicht zumutbar sein sollte, zumal auch aus den Länderfeststellungen keinesfalls hervorgeht, dass die Lage für alle Personen (ohne Hinzutreten von besonderen Umständen) dergestalt wäre, dass das existentielle Überleben gefährdet wäre.

Es ergeben sich aus den Länderfeststellungen auch keine Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse). Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liegt somit nicht vor (vgl VwGH 08.09.2016, Ra2016/20/0063).

Das BVwG verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass sich die wirtschaftliche Lage des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat möglicherweise schlechter darstellen wird als in Österreich, aus den getroffenen Ausführungen ergibt sich aber eindeutig, dass der Schutzbereich des Art 3 EMRK nicht tangiert ist.

3.3.4.  Eine lebensbedrohende Erkrankung oder einen sonstigen auf seine Person bezogenen „außergewöhnlichen Umstand“, welcher ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK darstellen könnte, hat der Beschwerdeführer nicht behauptet oder bescheinigt.

3.3.5.  Wenngleich sich die aktuelle Situation im Irak als angespannt und konfliktträchtig darstellt, kann trotz der in manchen Landesteilen regional und temporär angespannten Sicherheitslage vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen noch nicht angenommen werden, dass sich der Irak im Zustand willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes befindet, und dass für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines solchen internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes besteht. Aufgrund der getroffenen Feststellungen kann ferner auch nicht davon gesprochen werden, dass praktisch jedem, der in den Irak abgeschoben wird, Gefahr für Leib und Leben in einem Maße drohen, dass die Abschiebung im Lichte des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene.

3.3.6.  Zusammenfassend finden sich somit keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat, mit der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Wahrscheinlichkeit, einer Gefährdungssituation im Sinne des § 8 AsylG 2005 ausgesetzt wäre, womit die Beschwerde gegen Spruchpunkt II des Bescheides des Bundesasylamtes abzuweisen ist.

3.4.    Zu einem Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG

3.4.1.  Fallbezogen liegen nach dem festgestellten Sachverhalt die gesetzlichen Voraussetzungen des § 57 AsylG für die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels nicht vor. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers ist weder seit einem Jahr geduldet noch ist eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen zu erteilen; schließlich hat der Beschwerdeführer auch nicht vorgebracht, Opfer von Gewalt geworden zu sein sowie, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

3.4.2.  Die Beschwerde gegen die in Spruchpunkt III ausgesprochene Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ist daher abzuweisen.

3.5.    Zur Rückkehrentscheidung (§ 10 AsylG 2005, § 9 BFA-VG, § 52 FPG) und Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak (§ 46 PFG)

3.5.1.  Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

Gemäß § 52 Abs 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Gemäß § 55 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. (Abs 1) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird. (Abs 1a) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. (Abs 2) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt. (Abs 3) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde. (Abs 4)

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG idgF die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war; 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens; 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; 4. der Grad der Integration; 5. die Bindungen zum Herkunftsstaat des Fremden; 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit; 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts; 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren; 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

3.5.2.  Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung dieser Maßnahme gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG 2014 (nur) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG 2014 genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0041). Folgende Umstände stellen in Verbindung mit anderen Aspekten Anhaltspunkte dafür dar, dass der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit zumindest in gewissem Ausmaß genützt hat, um sich zu integrieren: Erwerbstätigkeit des Fremden, das Vorhandensein einer Beschäftigungsbewilligung, eine Einstellungszusage, das Vorhandensein ausreichender Deutschkenntnisse, familiäre Bindungen zu in Österreich lebenden, aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen, ein Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich bzw. die Vorlage von Empfehlungsschreiben, eine aktive Teilnahme an einem Vereinsleben, freiwillige Hilfstätigkeiten, ein Schulabschluss bzw. eine gute schulische Integration in Österreich oder der Erwerb des Führerscheins (VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005 mwN).

3.5.3.  Fallbezogen reiste der Beschwerdeführer im August 2016 illegal in Österreich ein und verfügt ausschließlich über das vorläufige Aufenthaltsrecht nach dem Asylgesetz. Er hat eine Einstellungszusage ist jedoch auf Leistungen aus der Grundversorgung für hilfsbedürftige Fremde angewiesen. Er versteht einfache Fragen auf Deutsch und kann diese auch auf Deutsch beantworten, tiefergehende Sprachkenntnisse liegen jedoch nicht vor. Strafrechtlich ist er unbescholten.

3.5.4.  Der Beschwerdeführer hält sich somit zum Entscheidungszeitpunk knapp über vier Jahre in Österreich auf.

Der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgend kommt einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren jedoch für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zu (vgl. VwGH 5.6.2019, Ra2019/18/0078). Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in einem solchen Fall bei einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren eine "außergewöhnliche" Integration bzw. "

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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