TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/5 L519 2195234-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.10.2020
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Entscheidungsdatum

05.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55 Abs1a

Spruch


L519 2195234-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung-Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.9.2020, Zl. 1090711601-200672494, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 AVG 1991 idgF, §§ 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG idgF sowie §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 46, 55 Abs. 1a und 53 Abs. 1 iVm. Abs. 2 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte nach schlepperunterstützter unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 12.10.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes den 1. Antrag auf internationalen Schutz.

1.1. Im Rahmen der Erstbefragung am 01.05.2015 gab der Beschwerdeführer zum Ausreisegrund an, dass in XXXX ständig Anschläge stattgefunden haben. Menschen seien grundlos verhaftet worden und es gäbe dort keine Arbeit und keine normalen Lebensverhältnisse. Zu seinen Verwandten bestehe kaum mehr Kontakt, weil manche Sunniten und manche Schiiten seien. Er sei aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen geflüchtet, sonst habe er keine Fluchtgründe. Bei einer Rückkehr habe er Angst, getötet zu werden, aufgrund des Krieges sei die Infrastruktur zerstört und gebe es nichts mehr zum Leben.

1.2. Am 19.10.2015 und am 23.10.2017 stellte der BF Anträge zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr, welche er in der Folge wieder zurückzog.

2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 20.2.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich einvernommen. Zu seinem Ausreisegrund gab er im Wesentlichen an, dass er den Irak aufgrund seiner psychischen erkrankung und wegen des Krieges zwischen Sunniten und Schiiten verlassen habe. Zuletzt habe er keine Arbeit mehr gehabt und auf der Straße gelebt, weshalb er 2 Mal versucht habe, sich das Leben zu nehmen. Als Obdachloser sei er einmal von einer schiitischen Miliz bedroht worden, weil er Alkohol auf der Straße getrunken habe. Zum Ausreisezeitpunkt habe keine unmittelbare Gefahr für seine Person bestanden, aber wenn er länger dortgeblieben wäre, hätte er sich umgebracht. Vor einer Rückkehr habe er Angst, weil dies eine Rückkehr auf die Straße bedeuten würde.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.4.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, der Beschwerdeführer sei keiner konkret und gezielt gegen seine Person gerichteten Übergriffen maßgeblicher Intensität ausgesetzt gewesen. Der BF habe den Irak aufgrund persönlicher Beweggründe und seiner wirtschaftlichen Lage verlassen. Es seien auch keine Anhaltspunkte zu Tage getreten, welche darauf hindeuten würden, dass der BF bei einer Rückkehr in eine ausweglose und die Existenz bedrohende Lage gerät. Der BF habe zwar Depressionen, sei aber bei entsprechender Medikation arbeitsfähig und stelle sich sein Gesundheitszustand als stabil dar. Die Rückkehr in den Irak sei dem BF zumutbar und möglich, zumal er dort über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt und auch eine Berufsausbildung als Buchhalter abgeschlossen hat.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem Beschwerdeführer sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da er im Irak über genügend Anknüpfungspunkte verfüge und keine reale Gefahr einer Verletzung in elementaren Rechten sowie keine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Dem Beschwerdeführer sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen.

4. Gegen diesen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtete sich die im Wege der beigegebenen Rechtsberatungsorganisation fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wurden inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids, eine mangelhafte Beweiswürdigung sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen oder hilfsweise den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen und die Rückkehrentscheidung aufzuheben und einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen.

In der Sache brachte der Beschwerdeführer nach Wiederholung seiner bereits vorgebrachten Ausreisegründe im Wesentlichen vor, dass sich die belangte Behörde nicht ausreichend mit seinen Erkrankungen und deren Behandelbarkeit im Irak auseinandergesetzt habe. Der BF habe keinen tatsächlichen Zugang zu Behandlungen und ergebe sich die schlechte medizinische Versorgungslage auch aus den Länderberichten. Der BF sei nicht arbeitsfähig und sowohl psychisch schwer krank als auch psychisch und kognitiv beeinträchtigt. Zu seiner Familie habe er keinen Kontakt und würde er bei seiner Rückkehr in eine aussichtslose Lage geraten.

5. Mit Erkenntnis des BVwG vom 8.5.2020, G309 2195234-1, wurde die Beschwerde gegen diesen Bescheid als unbegründet abgewiesen.

Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das BVwG wie folgt aus:

„Der BF erstattete weder vor der belangten Behörde noch in der Beschwerde irgend ein hinreichend substantiiertes und schlüssiges Vorbringen, wonach er im Irak einer konkret gegen seine Person gerichteten Verfolgungsgefahr ausgesetzt gewesen wäre bzw. auch im Fall einer Rückkehr dorthin einer Verfolgungsgefahr oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt sein würde. Im Wesentlichen zusammengefasst beschränkte der BF sein Vorbringen darauf, den Irak aufgrund seiner Krankheit, der kriegerischen Auseinandersetzungen, persönlichen und wirtschaftlichen Problemen verlassen zu haben. Sofern der BF vor der belangten Behörde angab, einmal von Milizen bedroht worden zu sein, als er als Obdachloser auf der Straße Alkohol getrunken habe, so reicht dieses insgesamt als unsubstantiiert zu qualifizierende Vorbringen jedoch nicht aus, um eine mögliche Verfolgung des BF im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat für maßgeblich wahrscheinlich zu halten. Hinsichtlich des vom BF erstmals in der mündlichenm Verhandlung vorgebrachten Vorfalls im Jahr 2003, bei dem seine Familie von einem Mitglied der Baat-Partei angegriffen und mit Granaten und Waffen beschossen worden sei und seine Familie immer Probleme gehabt habe, ist festzuhalten, dass die Angaben zu diesem Vorfall vage und unsubstantiiert blieben und es ihm auch am zeitlichen Zusammenhang zur Ausreise des BF im September 2015 mangelt. Die vom BF vorgebrachten familiären Probleme und der Bruch mit seinen Eltern stellt ebensowenig wie andere persönliche und wirtschaftliche Probleme einen asylrelevanten Fluchtgrund dar.

Sofern der BF bei der Erstbefragung vorbrachte, den Herkunftsstaat aus wirtschaftlichen Gründen verlassen zu haben, ist festzuhalten, dass in allgemeinen schlechten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen keine Verfolgung gesehen werden kann. Hinsichtlich der vom BF vorgebrachten Obdach- und Arbeitslosogkeit ergeben sich Ungereimtheiten. In der Erstbefragung gab der BF an, zuletzt als kaufmännischer Angestellter gearbeitet zu haben und für seine Überfahrt nach Europa USD 1.300,- bezahlt zu haben. Bei der belangten Behörde gab er an, er sei die letzten 1 ½ Jahre vor seiner Ausreise arbeitslos gewesen, habe auf der Straße gelebt und haben ihn Leute, die er kenne, finanziell unterstützt etwa mit Geld für die Medikamente oder die Ausreise. Zuletzt habe er mehrere Jobs ausgeübt und LKWs beladen. Befragt dazu, wo er zuletzt gelebt habe und was er gearbeitet habe, gab der BF vor dem erkennenden Gericht an, dass er bis wenige Monate vor seiner Abreise beim Bürgermeisteramt in XXXX gearbeitet habe. Als Tellerwäscher und LKW-Belader habe er in den Sommerferien gearbeitet. In Zusammenschau der Angaben des BF erscheint es dem erkennenden Gericht als nicht glaubwürdig, dass der BF über einen Zeitraum von 1 ½ Jahren arbeits- und obdachlos gewesen sei.

Insofern vom BF vorgebracht wurde, Im Rückkehrfall in eine ausweglose Lage zu geraten bzw. in seinen Grundbedürfnissen nicht abgesichert zu sein und erneut auf der Straße leben zu müssen, so ist dem entegegenzuhalten, dass er von seiner Tante Unterstützung finden wird. In seinen Anträgen zur freiwilligen Rückkehr gab er seine Tante als Kontaktperson an und steht er auch aktuell mit ihr in regelmäßigem Kontakt, sodass insgesamt eine gesicherte Existenzgrundlage im Irak als erwiesen anzusehen ist. Es kann davon ausgegangen werden, dass der BF bei dieser Tante im Rückkehrfall vorübergehend Aufnahme und Unterstützung finden wird. Der BF verfügt über ein abgeschlossenes BWL-Studium und ist daher davon auszugehen, dass es dem gesunden und arbeitswilligen BF gelingen wird, für ein eigenes Auskommen zu sorgen.

Soweit hinsichtlich des Gesundheitszustandes die Feststellung getroffen wurde, dass der BF körperlich gesund und arbeitsfähig ist, gründet sich dies auf die glaubhaften Ausführungen des BF in der mündlichen Verhandlung und die Tatsache, dass er angab, bis wenige Monate vor seiner Ausreise berufstätig gewesen zu sein und trotz aller von ihm behaupteten Widrigkeiten in der Lage war, die für die Ausreise notwendigen Kosten in Höhe von USD 1.300,- aufzubringen. Der BF gab zudem an, dass er sofort eine Arbeit annehmen würde, wenn er arbeiten dürfte. Er habe sich beim AMS angemeldet und auch mehrere Angebote erhalten und würde gerne als Automechaniker oder in einem Sozialberuf arbeiten wollen.

Der Bestand einer akuten polymorphen psychotischen Störung mit schweren Episoden mit psychotischen Symptomen (F33.3) bzw. auch ohne psychotische Symptome (F33.2) und eine dahingehend psychotherapeutische und medikamentöse Behandlung ergibt sich aus den vom BF vorgelegten Arztbriefen und Befundberichten des LKH XXXX , des transkulturellen Zentrums XXXX vom 8.3.2018 und der Caritas XXXX . Daraus kann jedoch kein besonderer Schweregrad oder eine weitere intensive Behandlungsbedürftigkeit abgeleitet werden. Auch in der mündlichen Verhandlung traten keine weiteren Hinweise auf eine dauerhafte intensive Behandlungsnotwendigkeit zu Tage, zumal die vorgelegten Bestätigungen aus den Jahren 2016, 2017 und zuletzt vom 5.12.2018 datieren und keine weiteren Befunde oder tiefergreifenden Atteste vorgelegt wurden. Für das Fehlen einer gewissen, diesbezüglichen Intensität spricht der Umstand, dass der BF im Zuge seiner mündlichen Beschwerdeverhandlung angab, gesund geworden zu sein und sich fit zu fühlen. Er müsse noch Medikamente einnehmen, um einschlafen zu können, die anderen Medikamente habe er vor 3 Monaten abgesetzt und wäre es für ihn auch kein Problem, wenn er dieses Medikament zum Einschlafen nicht bekäme. Bei einem Psychiater bzw. Nervenarzt sei er zuletzt vor ca. 1 ½ Jahren gewesen. Er fühle sich arbeitsfähig und könne morgen zu arbeiten beginnen. Der positive Eindruck zum Gesundheitszustand des BF in der mündlichen Verhandlung sowie seine diesbezüglichen umfangreichen Ausführungen vermögen nicht durch die von seiner Rechtsvertretung vorgelegten Stellungnahmen getrübt werden.“

Dieses Erkenntnis erwuchs am 12.5.2020 in Rechtskraft.

6. Am 24.6.2020 brachte der BF in der Schweiz einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Am 3.8.2020 wurde der BF im Rahmen der Dublin III - Verordnung nach Österreich rücküberstellt.

7. Am 3.8.2020 brachte der BF den gegenständlichen 2. Antrag auf internationalen Schutz ein.

7.1. Im Rahmen der Erstbefragung gab er zu seinem nunmehrigen Fluchtgrund befragt an, dass seine damals angegebenen Fluchtgründe aufrecht bleiben. Er habe einige neue Gründe, die er beim BFA vorbringen möchte. Er werde sich auch einen Anwalt nehmen, der ihn vertritt. Dies seien alle Fluchtgründe, andere Gründe habe er nicht. Im Fall einer Rückkehr befürchte er, vom Soldaten XXXX getötet zu werden. Vor ca. 6 bis 7 Monaten habe es in der Heimatstadt des BF ( XXXX ) Demonstrationen gegeben. Danach habe der BF von seinem Bruder erfahren, dass er auf keinen Fall nach Hause reisen könne, weil ihn dieser Soldat suchen und töten würde.

7.2. Bei der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde gab der BF zum Fluchtgrund zusammengefasst an, dass er nach den Demonstrationen im Irak über seinen Bruder durch eine Person bedroht worden sei. Er wisse nicht genau, wann das war, er glaube es sei im März 2020 gewesen. Der Vater des BF sei für die Exregierung im Irak tätig gewesen und der Vater jener Person, welche den BF bedroht, sei vom Exregime, welches seit 2003 nicht mehr an der Macht ist, getötet worden. Jene Person, die den BF bedroht, arbeite aktuell beim irakischen Geheimdienst. Nach den Demonstrationen im Irak habe sich der BF auf Facebook dazu geäußert und die Regierung kritisiert. Dann habe diese Person gesagt, dass sie den BF töten würde, wenn er zurückkehrt. Das Posting gebe es nicht mehr, es seien nur Kommentare gewesen, welche schon lange weg seien. Die Demo sei Anfang dieses Jahres oder kurz vorher gewesen. Seit dieser Drohung durch XXXX habe es keine Vorfälle mehr gegeben. Der Bruder des BF, zu dem er regelmäßig Kontakt habe, sei nach wie vor in XXXX und werde ebenfalls bedroht. XXXX gehöre zu den Assab Milizen. Die Gründe aus dem ersten Verfahren würden ebenfalls aufrechterhalten. Der BF befinde sich in medizinischer Behandlung und nehme das Medikament Sequase XR 200mg. Der Gesundheitszustand habe sich verschlechtert, bei einem Arzt sei der BF deswegen nicht gewesen.

8. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde zudem gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.).

Gemäß § 55 Absatz 1a FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt VI.). Gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt hervorgekommen sei, zumal der BF sich auf jene Gründe stütze, die er im bereits rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren vorbrachte. Diesen Fluchtgründen kam keine Glaubhaftigkeit bzw. Asylrelevanz zu.

In Anbetracht des Vorbringens des BF und der von ihm getätigten Angaben werde diesem der glaubwürdige Kern abgesprochen, zumal sich der BF durchwegs auf vage und ungenaue Schilderungen bezieht und diesbezüglich lediglich oberflächliche Angaben machte. So habe nicht konkret festgestellt werden können, weshalb der Soldat den BF töten würde. In gesamtheitlicher Betrachtung sei anzuführen, dass dem BF sein Parteienbegehren im 2. Verfahren bereits vor Rechtskraft des ersten Verfahrens (12.5.2020) bekannt war. Er selbst habe bestätigt, dass sich an seinen Fluchtgründen nichts geändert habe, über welche bereits rechtskräftig im ersten Verfahren abgesprochen wurde.

Sofern der BF angab, erst nach der Verhandlung von der vermeintlichen Drohung erfahren zu haben, werde an dieser Stelle von amtswegen angeführt, dass das Erkenntnis des Vorverfahrens erst am 8.5.2020 erstellt wurde und somit eindeutig ersichtlich ist, dass der BF jederzeit die Möglichkeit gehabt hätte, eine schriftliche Eingabe dahingehend zu machen.

Das BFA konnte auch keine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung des BF im Falle einer Rückkehr in den Irak erkennen. Auch habe sich die allgemeine maßgebliche Lage im Irak seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung im ersten Asylverfahren nicht maßgeblich geändert.

Dass der BF an schweren, lebensbedrohenden Krankheiten leidet, habe er weder behauptet noch sei dies aus der Aktenlage ersichtlich. Soweit er angab, an psychischen Problemen zu leiden, werde an dieser Stelleauf die diesbezügliche Würdigung im Vorverfahren verwiesen, aus welcher eindeutig hervorgeht, dass keine außergewöhnliche Schwere der Erkrankung des BF festgestellt werden konnte. Sofern der BF nunmehr angab, sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert, werde dies von Seiten des BFA nicht geglaubt, zumal der BF selbst angab, sich nicht in ärztliche Behandlung begeben zu haben.

Zu Art 8 EMRK wurde ausgeführt, dass der BF keine familiären Bindungen in Österreich habe und gegenüber dem ersten Asylverfahren keine entscheidungsrelevante Änderung im Bereich des Privatlebens eingetreten ist.

In einer Gesamtabwägung würden daher jedenfalls die öffentlichen Interessen an einer Rückkehrentscheidung die privaten Interessen des BF überwiegen.

Zum Einreiseverbot führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass der BF seiner Ausreiseverpflichtung nicht fristgerecht freiwillig nachgekommen ist. Da der BF offensichtlich nicht bereit ist, die österr. Rechtsordnung und die daraus in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungen zu achten, stelle sein Aufenthalt in Österreich eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Außerdem lebe der mittellose BF seit seiner Einreise ausschließlich von Mitteln der öffentlichen Hand. Der BF gehe keiner Beschäftigung nach und könne auch in Hinkunft mangels Aufenthaltsrechtes nicht legal arbeiten, sodass die Gafahr einer illegalen Beschaffung der Mittel zum Unterhalt bestehe.

9. Mit Schriftsatz vom 29.9.2020 wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Im Wesentlichen wurde neben Wiederholungen und allgemeinen Ausführungen vorgebracht, dass das Ermittlungsverfahren und die Beweiswürdigung mangelhaft seien und Verfahrensvorschriften verletzt seien. Der BF habe eine psychische Erkrankung und musste bereits zum Zeitpunkt der Einvernahme beim BFA Sequase XR einnehmen. Dieses starke Medikament werde Patienten mit Schizophrenie und bipolaren Störungen verschrieben. Mittlerweile seien in der psychiatrischen Abt. des LKH XXXX eine Anpassungsstörung, Angst und Depression und eine akut polymorphe psychotische Störung mit Symptomen einer Schizophrenie in der Anamnese festgestellt worden. Der BF sei daher vulnerabel und würde ihm im Irak auch nicht die erforderliche medizinische Versorgung zur Verfügung stehen. Außerdem werde die Lage durch die Pandemie überschattet.

Der BF sei in 2 Wochen über 5 Jahre in Österreich, habe eine brasilianische Lebensgefährtin, welche zum Daueraufenthalt in der EU berechtigt ist und den BF auch finanziell unterstützen würde und wolle ihn ein XXXX Unternehmen einstellen. Er sei gerade dabei, einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag abzuschließen.

Die belangte Behörde habe sich nur ungenau mit dem Vorbringen des BF auseinandergesetzt und ihn nur oberflächlich befragt.

Der BF habe neue Fluchtgründe mit einem glaubhaften Kern vorgebracht, sodass inhaltlich zu ermitteln und zu entscheiden gewesen wäre. Die belangte Behörde habe sich nicht mit dem Profil des Verfolgers und seiner Gefährlichkeit auseinandergesetzt, wozu Ermittlungen vor Ort erforderlich gewesen wären.

Ein Einreiseverbot sei nicht gerechtfertigt, da der BF die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht gefährdet und als Asylwerber keinen Zugang zum Arbeitsmarkt habe.

Neben der zeugenschaftlichen Einvernahme der Lebensgefährtin wurden die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung beantragt. Der Beschwerde beigefügt wurde ein Ambulanzbereicht des LKH XXXX vom 21.9.2020.

10. Hinsichtlich des Verfahrensganges im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und bekennt sich zum schiitischen Islam. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in XXXX geboren und lebte zuletzt in der Stadt XXXX in der Provinz XXXX . Er ist ledig und hat keine Sorgepflichten. Der BF hält Kontakt zu einer Tante und zu seinem Bruder.

Der BF spricht arabisch und englisch und besitzt Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Er besuchte 6 Jahre die Grund- und je 3 Jahre die Mittelschule bzw. das Gymnasium und absolvierte ein zweijähriges Studium der Betriebswirtschaft. Er war bis wenige Monate vor seiner Ausreise als kaufmännischer Angestellter tätig.

Der BF hat eine Anpassungsstörung, Angst und depressive Reaktion, gemischt.

Am 23.9.2015 verließ der BF den Irak legal auf dem Luftweg via Istanbul nach Izmir und reiste schlepperunterstützt über die Balkanroute nach Österreich, wo er am 12.10.2015 den ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte. Er reiste rechtswidrig in das Bundesgebiet ein. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 10.4.2018 als unbegründet abgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG mit Erkenntnis vom 8.5.2020, G309 2195234-1, ebenfalls als unbegründet ab. Dieses Erkenntnis erwuchs am 12.5.2020 in Rechtskraft.

Am 24.6.2020 brachte der BF in der Schweiz einen Antrag auf internationalen Schutz ein, von wo er am 3.8.2020 im Rahmen der Dublinbestimmungen nach Österreich rücküberstellt wurde und wo er noch am selben Tag den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz einbrachte.

Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seines schiitischen Religionsbekenntnisses zu gewärtigen. Der Beschwerdeführer hatte außerdem vor seiner Ausreise keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften seines Herkunftsstaates zu gewärtigen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat von einem Soldaten namens XXXX mit dem Tod bedroht würde oder dass der BF sich via Facebook regierungskritisch geäußert hätte.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

Der Beschwerdeführer ist ein arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit grundlegender Ausbildung in der Schule und abgeschlossenem Betriebwirtschaftsstudium. Der Beschwerdeführer verfügt über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat sowie über familiäre Anknüpfungspunkte und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft. Dem Beschwerdeführer ist darüber hinaus die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

Der Beschwerdeführer verfügt über irakische Ausweisdokumente im Original (Reisepass).

Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 12.10.2015 nahezu durchgehend in Österreich auf. Lediglich im Zeitraum von 22.6.2020 bis 3.8.2020 hielt er sich in der Schweiz auf.

Er ist strafgerichtlich unbescholten. Der Beschwerdeführer ist nicht selbsterhaltungsfähig und es wurde ihm auch keine bestimmte Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt in verbindlicher Weise zugesichert. Der BF hat bislang keine Deutschprüfungen abgelegt.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich außer einem Cousin und einer Cousine keine Verwandten und pflegt im Übrigen normale soziale Kontakte. Er ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig. Nicht festgestellt werden kann, dass XXXX die Lebensgefährtin des BF wäre.

Im gegenständlichen Fall ergab sich weder eine maßgebliche Änderung bzw. Verschlechterung in Bezug auf die den BF betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in der Person des BF gelegenen Umständen.

Ebenso ergab sich keine sonstige aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation des BF.

Eine relevante Änderung der Rechtslage konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.

In Bezug auf die individuelle Lage des BF im Falle einer Rückkehr in den Irak konnte keine im Hinblick auf den Zeitpunkt, an dem letztmalig über den Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich geänderte oder gar verschlechterte Situation festgestellt werden.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass dem BF eine aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Gefährdung oder Verfolgung in seinem Heimatland Irak droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr in den Irak der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wäre.

Weiter konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in den Irak eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ nicht vor und ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten. Die Abschiebung des BF in den Irak ist zulässig und möglich.

Weitere Ausreisegründe und/oder Rückkehrhindernisse kamen bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen nicht hervor.

Zur Lage im Irak

Politische Lage

Letzte Änderung: 17.3.2020

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).

Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).

Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).

Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).

Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).

Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).

Quellen:

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- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020

- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020

- CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020

- DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020

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- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

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- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

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- NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020

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- Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020

- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020

- Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020

- ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 17.3.2020

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

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- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

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- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

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- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

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- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

Islamischer Staat (IS)

Letzte Änderung: 17.3.2020

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).

Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).

Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).

Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).

Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Baquba im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vgl. NINA 17.1.2020).

Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).

Quellen:

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview – Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june-2019/, Zugriff 13.3.2020

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- BBC News (23.12.2019): Isis in Iraq: Militants 'getting stronger again', https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50850325, Zugriff 13.3.2020

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Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Letzte Änderung: 17.3.2020

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).

Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).

Die folgende Grafik von ACCORD zeigt im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 26.2.2020).

(ACCORD 26.2.2020)

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 2.2020).

(IBC 2.2020)

Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Oktober 2019 361 zivile Todesopfer im Irak, im November 274 und im Dezember 215, was jeweils einer Steigerung im Vergleich zum Vergleichszeitraum des Vorjahres entspricht. Im Jänner 2020 wurden 114 zivile Todesopfer verzeichnet, was diesen Trend im Vergleich zum Vorjahr wieder umdrehte (IBC 2.2020).

(IBC 2.2020)

Quellen:

- ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020

- IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019,https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage Südirak

Letzte Änderung: 17.3.2020

Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich des Gouvernements Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen, bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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