TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/15 W205 1313346-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.10.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

15.10.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W205 1313346-4/2Z

Teilerkenntnis:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. SCHNIZER-BLASCHKA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen Spruchpunkt VII. des Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 09.06.2020, Zl. 406305903/190888607, zu Recht:

A)

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird Folge gegeben und dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben. Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG wird der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 30.08.2019 in Österreich den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er an, indischer Staatsangehöriger und am XXXX geboren zu sein. Seine Mutter, seine Ehefrau, seine zwei Kinder sowie die Schwester würden sich in Indien aufhalten. In Österreich habe er keine Familienangehörigen. Er sei im Juni 2006 aus seinem Herkunftsstaat ausgereist und habe als Zielland Österreich oder Deutschland gehabt. Seit Dezember 2006 würde er sich in Österreich aufhalten und wolle hierbleiben. Er habe in Indien Auseinandersetzungen mit Personen gehabt. Er suche jetzt wiederholt um Asyl an, da er schwer krank sei und diese Krankheit in Indien nicht behandelbar sei. Er habe eine Nierenkrankheit und sein Blut sei auch sehr dickflüssig und müsse gesäubert werden. Weitere Gründe für eine Asylantragstellung habe er nicht. Aufgrund seiner Krankheit würde er in Indien sterben, er würde das medizinische Gerät in seinem Körper nicht weiterverwenden können. In Indien laufe ein Verfahren wegen Grundstücksstreitigkeiten und deshalb würden ihm Strafen drohen.

Der EURODAC Abfrage nach stellte der Beschwerdeführer zuletzt am 29.10.2009 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Der Beschwerdeführer legte folgend medizinische Dokumente vor:

-        Kurzbrief Dialyse vom 06.08.2019 und 10.09.2019 mit der Diagnose: chronische, dialysepflichtige Niereninsuffizienz (1. Dialyse am 30.04.2019); hypertrophe Kardiomyopathie; arterielle Hypertonie; renale Anämie; sek. Hyperparathyreoidismus; Hypertensive Entgleisung bei terminaler Niereninsuffizienz; Pneumonie 4/18

-        Medikamentenlisten vom 13.09.2019, 13.08.2019, 27.08.2019 und 09.07.2019

-        Laborbefund vom 27.08.2019

-        Vorläufige Mitteilung über die Dialysezeiten vom 02.09.2019

Von den Vorverfahren des Beschwerdeführers, der bereits zwei Anträge auf internationalen Schutz in Österreich gestellt hat, befindet sich die Einvernahme vom 12.01.2007 und seine im Feber 2016 vorgelegte Geburtsurkunde im Akt.

2. Bei der Einvernahme beim Bundesamt am 22.10.2019 gab der Beschwerdeführer u.a. Folgendes an (unkorrigiert):

„LA: Gibt es einen Grund warum Sie die Einvernahme in Ihrem Asylverfahren am heutigen Tag nicht durchführen können?

VP: Mit geht es nicht gut. Ich bekomme keine Medikamente. Befragt gebe ich an, dass ich immer zum Lager gehen soll. Ich gehe aber nicht hin, ich gehe nach XXXX .

LA: Und was ist dort, bekommen Sie dort Medikamente oder Hilfe?

VP: Mein Blut wird dort gesäubert und danach werde ich entlassen.

LA: Wie oft müssen Sie zur Dialyse?

VP: Mein Blut wird drei Mal in der Woche gesäubert.

LA: Wann waren Sie das letzte Mal dort?

VP: Ich gehe immer Montag, Mittwoch und Freitag dorthin.

LA: Seit wann haben Sie die Probleme mit dem Blut?

VP: Ich glaube, dass habe ich schon seit 6-7 Jahre. Befragt gebe ich an, dass ich mich aber erst seit diesem Jahr behandeln lasse. Ich kann meine Befunde vorlegen.

Anm.: Die Befunde werden in Kopie dem Akt beigelegt.

LA: Welche Sprachen sprechen Sie?

VP: Ich spreche Punjabi als Erstsprache und da ich aus XXXX komme, spreche ich auch diese Sprache.

LA: Können Sie in der Sprache die Sie gerade sprechen lesen und schreiben?

VP: Ich bin nicht gebildet, ich kann nicht lesen und schreiben.

LA: Sie werden ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Sie im Fall von Verständigungsschwierigkeiten jederzeit rückfragen können. Ich möchte sicher sein können, dass alles, was Sie gesagt haben, auch so gemeint wurde. Bei Bedarf legen wir eine kurze Pause ein. Vom bereitgestellten Wasser können Sie sich bedienen.

VP: Danke, ich benötige derzeit kein Wasser.

LA: Werden Sie im Verfahren von jemanden rechtsfreundlich vertreten oder besteht für jemand eine Zustellvollmacht?

VP: Ich werde derzeit nicht vertreten.

LA: Haben Sie im Verfahren, insbesondere bei der Erstbefragung bis dato der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und wurden Ihnen diese jeweils rückübersetzt und korrekt protokolliert?

VP: Ich habe immer die Wahrheit gesagt.

LA: Bitte nennen Sie nun Ihren Namen und Ihr Geburtsdatum sowie Geburtsort.

VP: Mein Name ist XXXX . Ich wurde am XXXX im Distrikt XXXX im Dorf XXXX geboren.

LA: Haben Sie ein nationales Dokument, welches Ihre Daten beweisen?

VP: Nein.

LA: Sie befinden sich schon einige Zeit im Bundesgebiet, weshalb sind Sie nicht zu Ihrer Vertretung gegangen und haben sich einen Reisepass ausstellen lassen?

VP: Ich bin ungebildet.

LA: Das hat nichts damit zu tun.

VP: Ich habe um ein Visum angesucht, aber es wurde abgelehnt.

LA: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

VP: Nein.

LA: Haben Sie Kurse oder Veranstaltungen besucht, können Sie Beweismittel, z.B. Dokumente, Zeugnisse vorgelegt.

VP: Nein. Befragt gebe ich an, dass ich ungebildet bin, ich würde den Kurs nicht verstehen.

LA: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

VP: Ich bin XXXX .

LA: Wie ich bereits anführte, sind Sie schon lange im Bundesgebiet. Seit wann sind Sie in Österreich?

VP: Seit dem Jahr 2007.

LA: Nennen Sie mir bitte Ihren damaligen Fluchtgrund.

VP: Es handelte sich um Grundstückstreitigkeiten.

LA: Sie stellten bereits zweimal einen Antrag auf intern. Schutz, welcher jedes Mal abgewiesen wurde. Auch ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel wurde negativ entschieden. Weshalb haben Sie das Bundesgebiet nicht verlassen?

VP: Wohin kann ich gehen, meine Fingerabdrücke sind hier.

LA: Sie könnten nach Hause nach Indien gehen.

VP: Aber ich werde jetzt hier behandelt.

LA: Nennen Sie bitte all Ihre letzten Aufenthaltsorte in Indien, bevor Sie nach Österreich

gekommen sind?

VP: In Indien habe ich mich immer im Dorf aufgehalten.

LA: Wie würden Sie Ihre wirtschaftliche / finanzielle Situation zuletzt (vor der Flucht) im Herkunftsland gemessen am landesüblichen Durchschnitt bezeichnen?

VP: In Indien erging es mir sehr schlecht.

LA: Wie finanzieren Sie sich in Österreich Ihren Lebensunterhalt?

VP: Ich habe früher als Zeitungszusteller gearbeitet. Befragt gebe ich an, dass ich seit sechs Monaten nicht mehr fähig bin etwas zu arbeiten.

LA: Wovon leben Sie, wie können Sie sich Nahrung und eine Unterkunft leisten?

VP: Ein älterer Mann unterstützt mich finanziell. Befragt gebe ich an, dass es ein Landsmann von mir ist. Befragt gebe ich an, dass ich mit diesem Mann meine Unterkunft teile. Er lebt von der staatlichen Unterstützung. Sein Name ist XXXX .

LA: Haben Sie in Indien sonst noch Familienangehörige?

VP: Ich habe noch eine Schwester in Indien.

LA: In Ihrem Antrag gaben Sie an, dass Sie noch eine Ehefrau und zwei minderjährige Kinder haben. Was ist mit denen?

VP: Ja das stimmt.

LA: Wann hatten Sie letztmalig Kontakt zu Ihren Angehörigen?

VP: Ich habe telefonisch mit ihnen Kontakt, ich habe erst vorgestern mit ihnen Kontakt gehabt.

LA: Wie finanziert sich Ihre Familie in Indien das Leben.

VP: Meine Schwester unterstützt meine Ehefrau und die Kinder finanziell.

LA: Welches Glaubensbekenntnis haben Sie?

VP: Ich bin Sikh.

LA: Wurden Sie wegen Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder Religion in Ihrem Herkunftsland verfolgt?

VP: Nein. Es war wegen den Grundstückstreitigkeiten.

LA: Haben Sie Angehörige in Österreich?

VP: Nein.

LA: Welche Ausbildungen haben Sie wo in absolviert?

VP: Ich ging nie in die Schule und ich habe keine Ausbildung gemacht.

LA: Womit haben Sie in Indien den Lebensunterhalt bestritten?

VP: Ich habe als Hilfsarbeiter gearbeitet. Befragt gebe ich an, dass ich geholfen habe Boote zu bauen.

LA: Wie lange haben Sie diese Tätigkeit ausgeführt?

VP: Lange, bis zu meiner Ausreise im Jahr 2007.

LA: Sie suchten am 30.08.2019 neuerlich um intern. Schutz an. Dies ist nun Ihr 3. Antrag. Als Grund für Ihren Antrag geben Sie nun einzig Ihre Krankheit an. Ist das so richtig?

VP: Ich wollte mich eigentlich medizinisch behandeln lassen. Aber ich habe keine E-Card. Damit ich eine E-Card bekomme, habe ich um intern. Schutz angesucht.

LA: Sind Ihre damaligen Fluchtgründe noch aufrecht, haben Sie derzeit einen Fluchtgrund?

VP: Der Fluchtgrund ist nach wie vor ein wenig aufrecht.

LA: Wie kann ich das verstehen. Ihre Familie lebt in Indien.

VP: Sie werden nicht belästigt, nur ich werde verfolgt und belästigt.

LA: Woher wissen Sie, dass der Fluchtgrund noch aufrecht ist.

VP: Es ist ein Grundstückstreit. Dieser wird immer aufrecht bleiben.

LA: Wenn Ihre Krankheit in Indien behandelbar wäre, dann könnten Sie ohne Probleme in Indien, in einer größeren Stadt mit Ihrer Familie leben?

VP: Die Behandlung in Indien ist sehr teuer, ich habe kein Geld für diese Behandlung.

LA: Wenn Ihre Krankheit finanziert würde, könnten Sie dann in Indien leben.

VP: Ja.

LA: Hatten Sie jemals Probleme mit den Behörden in Indien?

VP: Nein.

LA: Den Grundstückstreit, haben Sie diesen damals bei den Behörden gemeldet?

VP: Ja, das habe ich, aber die Gegner waren in der Mehrzahl.

LA: Was hätten Sie im Fall einer Rückkehr nach Indien zu befürchten, von Ihrer Krankheit abgesehen?

VP: Nichts, ich könnte in Indien leben, aber die Behandlung in Indien ist sehr teuer.

LA: Wie verbringen Sie den Tag hier in Wien. Haben Sie schon kulturelle Veranstaltungen besucht? Konnten Sie schon Kontakt zu Österreicherinnen und Österreicher herstellen.

VP: Nichts, ich bin frei. Ich bin immer nur zu Hause und bete zu Gott. Befragt gebe ich an, dass ich mich mit keinen Landsleuten treffe.

Anmerkung: Ihnen wird nun die Möglichkeit eingeräumt, in das vom BFA zur Beurteilung Ihres Falles herangezogene Länderinformationsblatt zu Ihrem Heimatland samt den darin enthaltenen Quellen Einsicht und gegebenenfalls schriftlich Stellung zu nehmen. Diese Quellen berufen sich vorwiegend unter anderem auf Berichte von EU-Behörden von Behörde von EU-Ländern aber auch Behörden anderer Länder, aber auch Quellen aus Ihrer Heimat wie auch zahlreichen NGOs und auch Botschaftsberichten, die im Einzelnen auch eingesehen werden können.

Anm.: Das LIB wird nicht benötigt. Die VP telefoniert regelmäßig mit der Familie. Er benötigt das LIB nicht.

LA: Bezüglich Ihres Fluchtgrundes möchten Sie noch etwas sagen, wonach ich nicht gefragt habe? Konnten Sie Ihr Vorbringen ausführlich vorbringen?

VP: Ich würde gerne meine Familie und meine Kinder hierher nach Österreich holen.

(…)“

Der Beschwerdeführer legte folgende Unterlagen vor:

-        Ambulanzberichte vom 04.10.2019

-        Laborbericht vom 04.10.2019

Im Akt befinden sich eine Anfrage an die Staatendokumentation vom 22.10.2019 sowie eine Anfragebeantwortung vom 16.04.2020.

3. Das Bundesamt wies mit Bescheid vom 09.06.2020 den Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2°Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 6 AsylG (Spruchpunkt II.) ab, erkannte dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht zu (Spruchpunkt III.), erließ im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gewährte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von 14 Tagen für eine freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI). Gem. § 18 Abs. 1 Z 6 BFA-VG wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII).

Das Bundesamt führte im Wesentlichen begründend aus, dass das Krankheitsbild des Beschwerdeführers und auch Hämodialysen in öffentlichen und privaten Krankenhäusern in der Hauptstadt des Punjab verfügbar seien. Ebenfalls seien die vom Beschwerdeführer benötigten Medikamente bzw. alternative Wirkstoffe verfügbar. In Indien gebe es staatliche Programme, welche besonders für finanziell schwache Familien geschaffen worden seien. Aufgrund der Krankheit sei beim Polizeiamtsarzt betreffend die Transportfähigkeit Rücksprache gehalten worden und habe diese ergeben, dass einer Rückführung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat nichts im Wege stehe.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Der Beschwerdeführer führte in der Begründung im Wesentlichen aus, dass bei einer Rückkehr nach Indien dem Beschwerdeführer mit großer Wahrscheinlichkeit eine Gefahr aufgrund der nach wie vor bestehenden Grundstücksstreitigkeiten und insbesondere eine Verletzung seiner nach Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte aufgrund seiner schweren Krankheit drohe. Eine Unterbrechung seiner Behandlung wäre überdies auch eine Verletzung von Art. 8 EMRK. Der Beschwerdeführer sei mittellos und zudem Analphabet. Er könne sich die Inanspruchnahme privater Krankenbehandlungen nicht leisten, womit eine ausreichende medizinische Versorgung seiner Erkrankungen nicht gewährleistet sei. Es wäre Aufgabe der belangten Behörde gewesen, Recherchen zur aktuellen und vor allem konkret für den Fall des Beschwerdeführers relevanten Situation im Herkunftsland anzustellen. Es gehe aus den herangezogenen Länderberichten klar hervor, dass die gesundheitliche Grundversorgung in Indien keineswegs ausreichend sei. Unter Verweis auf ausgewählte Medienberichten, ua. Kurier vom 16.09.2020, Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei als Dialysepatient Teil jener Gruppe, die in Hinsicht auf die derzeitige Corona-Pandemie als Risikopatienten gelten würden. Nach der jüngeren Judikatur des EGMR liege eine Verletzung von Art. 3 EMRK vor, wenn für einen kranken Schutzsuchenden eine reale Gefahr einer schweren, rapiden und irreversiblen Gesundheitsverschlechterung im Herkunftsstaat drohen würde. Dies treffe auf den Beschwerdeführer zu.

Der Beschwerde beigelegt war ein Konvolut an medizinischen Unterlagen.

5. Die gegenständliche Beschwerde langte samt Verwaltungsakt am 09.10.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer stellte am 30.08.2019 in Österreich den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer ist Dialysepatient, es wurden bei ihm folgende Diagnosen gestellt: chronische, dialysepflichtige Niereninsuffizienz (1. Dialyse am 30.04.2019); hypertrophe Kardiomyopathie; arterielle Hypertonie; renale Anämie; sek. Hyperparathyreoidismus; Hypertensive Entgleisung bei terminaler Niereninsuffizienz; Pneumonie 4/18.

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung ist, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gab es mit Stand 14.10.2020, 56,591 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 869 Todesfälle; in Indien wurden zu diesem Zeitpunkt 7.239,389 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen und wurden bisher 110.586 Todesfälle bestätigt (WHO, https://covid19.who.int/region/searo/country 14.10.2020).

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen des Gerichts ergeben sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt, insbesondere aus den medizinischen Unterlagen, der Einvernahme, dem Bescheid des Bundesamtes vom 09.06.2020 und der Beschwerde, jene zur COVIS-19 Pandemie aus der in den Feststellungen angeführten Quelle bzw. sind die Tatsachen als notorisch anzusehen.

3. Rechtliche Beurteilung:

1. Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde, die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sind keine Feststellungen und keine Beweiswürdigung hinsichtlich der Krankheit des Beschwerdeführers in Verbindung mit der weltweiten COVIS-19 Pandemie insbesondere im Hinblick auf den Rückkehrbereich des Beschwerdeführers zu entnehmen. Es ist aktuell davon auszugehen, dass ein Dialysepatient, der zudem an einer speziellen Herzmuskelerkrankung (hypertrophe Kardiomyopathie) leidet, unter die Risikogruppe fällt. Der Annahme des Bundesamtes, wonach der Beschwerdeführer auch in Zeiten der Pandemie in Indien genauso medizinisch versorgt werden könne wie in Österreich, ist angesichts der hohen Fälle in Indien nicht zu folgen.

2. Gemäß § 58 Abs. 2 AVG sind Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen wird. Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (Feststellungen), die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Das Bundesamt hat jedoch im Bescheid weder Feststellungen zur Pandemie in Indien getroffen, noch die für die Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen hinsichtlich des Beschwerdeführers offengelegt, der für die endgültige Entscheidung maßgebliche Sachverhalt muss nach Durchführung eines tauglichen Ermittlungsverfahrens festgestellt werden.

3. Die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist nicht als Entscheidung in der Sache selbst zu werten, vielmehr handelt es sich bei dieser um eine der Sachentscheidung vorgelagerte Entscheidung, die nicht geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens vorwegzunehmen. Es ist in diesem Zusammenhang daher lediglich darauf abzustellen, ob es - im Sinne einer Grobprüfung - von vornherein ausgeschlossen scheint, dass die Angaben des Beschwerdeführers als "vertretbare Behauptungen" zu qualifizieren sind, die in den Schutzbereich der hier relevanten Bestimmungen der EMRK reichen.

Der Beschwerdeführer macht mit seinen Ausführungen, sowohl in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt, als auch in seiner Beschwerde, ein reales Risiko einer Verletzung von Art. 2 EMRK geltend und konnte diese Ausführungen auch mit medizinischen Unterlagen untermauern. Aufgrund der derzeit weltweiten Pandemie, die vor allem Indien sehr schwer getroffen hat, ist daher nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Beschwerde des Beschwerdeführers zumindest teilweise erfolgreich sein und eine gänzliche Abweisung der Beschwerde aktuell die in den Schutzbereich der hier relevanten Bestimmungen der EMRK eingreifen könnte. Jedenfalls bedarf es zur abschließenden Beurteilung des Beschwerdefalles eines geeigneten weiteren Ermittlungsverfahrens.

4. Der Beschwerde war daher hinsichtlich Spruchpunkt VII. statt zu geben und dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Soweit sich die Beschwerde gegen die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides richtet, wird darüber abgesondert entschieden werden.

5. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte zur Beurteilung der Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG entfallen.

6. § 18 Abs. 5 BFA-VG 2014 verpflichtet das Bundesverwaltungsgericht dazu, über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 1 BFA-VG 2014 bzw. gegen einen derartigen trennbaren Spruchteil eines Bescheides binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde mit (Teil-)Erkenntnis abzusprechen (VwGH vom 19.10.2017, Ra 2017/18/0278.). Es war daher mit Teilerkenntnis zu entscheiden.

Zu B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung eine Frage des Einzelfalles ist, der grundsätzlich keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung Gesundheitszustand Pandemie reale Gefahr Teilerkenntnis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W205.1313346.4.00

Im RIS seit

08.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten