TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/9 W222 2235585-1

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Veröffentlicht am 09.11.2020
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Entscheidungsdatum

09.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


W222 2235585-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. OBREGON als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, vertreten durch den Verein LegalFocus, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.08.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10 und 57 Asylgesetz 2005 sowie §§ 52 und 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste illegal und schlepperunterstützt nach Österreich ein und stellte am 28.01.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag fand die Erstbefragung durch einen Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Zu seiner Person gab der Beschwerdeführer an, in Punjab/Indien geboren worden zu sein. Er sei ledig und spreche Punjabi. Er gehöre der Glaubensrichtung der Sikh und der Volksgruppe der Jat an. Er habe die Grundschule besucht und zuletzt als Landwirt gearbeitet. Im Heimatland würden seine Eltern und ein Bruder leben. Er habe Indien im Oktober 2016 erstmals verlassen und sei über Frankreich nach Österreich, dann weiter nach Italien gereist. Nach einem Monat sei er wieder nach Indien zurückgekehrt. Im November 2019 sei er nach Moskau geflogen und von dort mit einem LKW über unbekannte Länder nach Österreich gelangt. Zu seinem Fluchtgrund befragt, gab der Beschwerdeführer Folgendes an: „Im November 2020 findet ein Referendum für Khalistan in Punjab statt. Viele meiner Parteimitglieder wurden von der Polizei unschuldig festgenommen und eingesperrt. Die Regierung will nicht, dass wir bei der Wahl teilnehmen und tötet uns. Ich hatte Angst um mein Leben und darum flüchtete ich von meiner Heimat. Ich habe keine weiteren Gründe für eine Asylantragstellung.“

Bei der Einvernahme am 12.06.2020 vor dem BFA gab der Beschwerdeführer unter anderem Folgendes an:

„F: Können Sie Beweismittel – insb. auch heimatliche Personendokumente – in Vorlage bringen?

A: Kopie Bestätigung Mitgliedschaft Partei Sromite Akali-Dal der Stadt XXXX

Kopie Personalausweis

F: Haben Sie einen Reisepass?

A: Nein.

F: Welche Staatsangehörigkeit haben Sie?

A: Indien.

F: Wie heißt ihr Vater, wann ist er geboren und wo ist er aufhältig?

A: XXXX , ca. 60 Jahre alt, Aufenthalt Dorf: XXXX .

F: Wie heißt Ihre Mutter, wann ist sie geboren und wo ist sie aufhältig?

A: XXXX , ca. 50 Jahre alt, Aufenthalt Dorf: XXXX .

F: Haben Sie Geschwister? Wie viel Geschwister haben Sie, wo sind diese aufhältig?

A: Ja, ich habe einen Bruder namens XXXX , ca. 23 Jahre alt, Aufenthalt: Dorf XXXX .

F: Haben Sie Familienangehörige in Ihrem Herkunftsland zu welchen derzeit Kontakt besteht?

A: Ich habe Kontakt via Telefon jede Woche zu meinen Eltern. Wir haben ein gutes Verhältnis zueinander.

F: Beschreiben Sie mir bitte die Wohnverhältnisse Ihrer Eltern in Indien?

A: Meine Eltern und mein Bruder leben in einer Zweizimmerwohnung als Mieter im Dorf.

F: Wie sichern Ihre Eltern den Lebensunterhalt in Indien?

A: Mein Vater ist arbeitstätig, er ist Tagelöhner bzw. Arbeiter, er verdient monatlich Einkommen. Er bekommt ca. 6000 Rupien im Monat.

F: Welche Schul-/Berufsausbildungen haben Sie?

A: Ich habe die Grund- und Mittelschule in Ausmaß von 12 Jahren in Indien besucht.

F: Welche Arbeitserfahrung können Sie bisher vorweisen?

A: Nein, ich habe keine Arbeitserfahrung, ich war bisher nur als Landwirt im Dorf tätig, ich habe das jedoch nur als Aushilfe gemacht.

F: Wie haben Sie Ihren Aufenthalt in Ihrem Herkunftsland bisher finanziert?

A: Ich habe durch die Unterstützung meines Vaters gelebt.

F: Sind Sie verheiratet?

A: Nein, ich bin ledig.

F: Haben Sie Kinder?

A: Keine.

F: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?

A: Jat.

F: Welche Religion haben Sie?

A: Sikhismus.

F: Welche Sprachen sprechen Sie?

A: Ich spreche nur Punjabi.

F: Können Sie auf Ihrer Muttersprache lesen und schreiben?

A: Ja.

(…)

F: Wann haben Sie Ihren Herkunftsstaat verlassen? Wann sind Sie in Österreich eingereist? Geben Sie bitte Ihre Reiseroute an!

A: Ich hatte einen Reisepass mit Visum für Moskau und habe Indien legal verlassen. Ich bin dann schlepperunterstützt gereist und reiste illegal in den Schengenraum ein.

F: Wie konnten Sie die Ausreise finanzieren?

A: Ich habe das Geld von Verwandten erhalten.

F: Wo leben diese Verwandten derzeit? Besteht Kontakt zu diesen Personen?

A: Meine Großeltern mütterlicherseits leben in XXXX und sie haben mir auch finanziell geholfen und wir haben auch Grundstücke verkauft.

F: Waren Sie seit Ihrer Asylantragstellung in Österreich noch einmal in Ihrem Herkunftsland?

A: Nein.

F: Werden Sie von heimatlichen Behörden, Polizei, Gericht, Staatsanwaltschaft gesucht?

A: Ja, es gab Polizeiprobleme.

(…)

F: Warum stellen Sie einen Asylantrag? Nennen Sie mir bitte Ihre Fluchtgründe!

A: Ich wurde 2015 Mitglied der Sromik Akali-Dali Partei in XXXX . Es war unter der Führung von XXXX . Wir von Sikhismus haben die Khalistan Bewegung geführt. Es gab von der Regierung immer Belästigungen und Misshandlungen an unseren Leuten. Die Polizei wollte die Khalistan Bewegung hemmen und es wurden auch Schlagstöcke von der Polizei in Anwendung gebracht und auf ein Fahrzeug wurde geschossen. Es gab 1984 große Auseinandersetzungen von Behörden und den Leuten mit Schlagstöcken und Schießereien. Selbst jetzt versucht man die Bewegung einzudämmen indem man unsere Anhänger verfolgt und ihnen von der Polizei aus falsche Anzeigen anhängt. Selbst XXXX , der ein Khalistan Anhänger ist und die englische Staatsbürgerschaft hat, kam nach Punjab und wurde am Flughafen festgenommen und ist bis heute noch im Gefängnis. Die Regierung hat wieder begonnen falsche Anzeigen gegen unsere Anhänger einzubringen. Da ich in der Stadt deshalb in Gefahr war bin ich von dort geflohen. Es gibt nun 2020 ein Referendum für Khalistan und dieses wird von der Jugend geführt. Sobald das Referendum erfolgreich abgeschlossen wird, werde ich in mein Khalistan sodann zurückkehren.

F: Haben Sie noch weitere Fluchtgründe?

A: Nein.

V: Ihr Vorbringen ist vage und unkonkret. Machen Sie bitte umfassende Angaben zu Ihrem Ausreisegründen! Weshalb und von wem werden Sie verfolgt oder bedroht?

A: Ich werde von staatlicher Seite, also der Polizei verfolgt und auch vom radikalen Hindu Führer XXXX bedroht. Der Hauptmitarbeiter vom XXXX ist XXXX , er wurde getötet. XXXX hat nun die Beschuldigung aufgestellt, dass Khalistan Anhänger den XXXX getötet haben, deswegen soll man gegen sie vorgehen. Selbst ich wurde telefonisch bedroht mit dem Mord, alle Khalistan Anhänger werden mit Mord bedroht. Über die Umstände wurde in den Medien und auch auf Facebook benachrichtigt.

V: Ihr Vorbringen ist nicht nachvollziehbar. Wie konnten Sie denn aus Indien legal ausreisen, wenn Sie staatliche Stellen verfolgen würden?

A: Wie war die Frage bitte?

V: Wiederholung des Vorhalts.

A: Ich habe damals vom Aussehen wie ein Sardar ausgesehen, ich habe einen Turban getragen und die konnten mich nicht erkennen.

F: Wie sieht es mit Ihrem Reisepass aus? Sie sagten, dass Sie mittels Reisepass und Visum aus Indien ausgereist sind. Wie konnten Sie mittels Reisepass das Land legal mittels Flugzeug nach Moskau verlassen?

A: Ich bin über Mumbai geflogen und habe Punjab hinter mir gelassen.

F: Ihre Angaben sind nicht ganz nachvollziehbar. Schildern Sie mir bitte warum ausgerechnet Sie von der Polizei sowie von Dritten in Indien verfolgt werden?

A: Weil der XXXX behauptete, dass ich einer der Mörder von XXXX bin und ich auch im Komitee unserer Partei war als Parteimitglied und die Regierung war auch dessen Seite.

V: Weshalb haben Sie die Bedrohung durch Private bzw. Hrn. XXXX mit keinem Wort in der Erstbefragung erwähnt?

A: Ich habe ja über Khalistan gesprochen.

F: Seit wann sind Sie Mitglied der Sromik Akali-Dali Partei von Amriza?

A: Seit 2015.

F: Machen Sie mir bitte umfangreiche Angaben zum Parteiprogramm der Partei, wer ist derzeit Parteivorsitzender?

A: Der Führer ist XXXX ´, welcher pensioniert ist. Die Partei will weiterhin für Khalistan kämpfen und Unterstützung beim Referendum 2020 zu leisten, sei es auch wenn man Schläge durch die Polizei einkassieren würde.

F: Was können Sie mir zum indischen Wahlsystem erzählen, wie funktioniert dieses und wie werden die Abgeordneten in das Parlament gewählt?

A: Man wählt.

F: Wiederholung der Frage?

A: Man gibt die Stimmen in einem Wahllokal ab. Die Partei die mehr Stimmen bekommt, kommt auch in die Regierung.

V: Ihre Angaben sind sehr vage und unkonkret. Welche Mehrheit bedarf es um Abgeordnete in das Parlament zu wählen?

A: Das macht die Partei selbst, dadurch wird der Premierminister aufgestellt oder Chief Minister aufgestellt.

F: Wie ist die Legislative in Indien geregelt, wo ist diese verankert?

A: Alle Mitglieder können Gesetze beschließen und es gibt Kabinettstreffen.

F: Wie lange dauert die Legislaturperiode in Indien?

A: Fünf Jahre.

F: Unter dem von Ihnen angegebenen Parteinamen XXXX ist keine Partei für die Provinz Punjab gelistet, es gibt jedoch die Shiromani Akali Dal (SAD) als politische Partei im Bundesstaat Punjab. Welcher Partei gehören Sie konkret an?

A: Ich habe vorher XXXX Partei gesagt, ich meinte aber Shiromani Akali Dal.

F: Welche weiteren Fraktionen in Indien gehören der Shiromani Akali Dal Partei an?

A: Es gibt einen Zweig in Amerika und auch einen Zweig in Kanada, es gibt überall Fraktionen.

F: Wann wurde die Partei gegründet und wer war der Gründer der Partei?

A: Es ist eine ganz alte Partei, genaueres kann ich dazu nicht sagen. 1985 hat die Bewegung begonnen unter der Leitung von XXXX .

V: Der erste Präsident der Partei hieß BABAK KHARAK Singh, was können Sie dazu sagen? Nehmen Sie bitte Stellung.

A: Dazu kann ich nichts sagen.

F: Wurden Sie bisher persönlich bedroht oder verfolgt und von wem?

A: Von XXXX und seinen Anhängern. Da die Regierung auf Ihrer Seite war hat sie auch die Polizei auf ihrer Seite gehabt.

V: Ihre Angaben sind erneut sehr vage und unkonkret. Machen Sie bitte umfassende Angaben zu Ihrer Verfolgung in Indien!

A: Der XXXX , der Hauptmitarbeiter von XXXX , dieser beschuldigte Khalistan Anhänger. Deshalb wurden Khalistan Anhänger, auch ich telefonisch mit dem Mord bedroht. Sie hatten die Behörden auch an Ihrer Seite. Sie wollen generell gegen die Khalistan Anhänger vorgehen.

F: Wann wurden Sie bedroht und wann haben Sie Indien verlassen?

A: Ich wurde innerhalb von 2016 bedroht und innerhalb dieses Jahres habe ich Indien verlassen.

F: War die telefonische Bedrohung Ihr Hauptausreisegrund?

A: Ja, das war es.

F: Wieso wissen Sie dann nicht einmal wann Sie genau bedroht wurden? Das ist nicht nachvollziehbar.

A: Im Juli 2015 wurde ich Mitglied der Shiromani Akal Dal Partei und seit 2015 wurde ich immer Bedrohungen ausgesetzt, ich wurde mit dem Tod bedroht, wenn ich die Mitgliedschaft der Partei nicht zurücklege.

F: Was können Sie mir zur Khalistan Bewegung erzählen?

A: Die Shiromani Akal Dal Partei in Amriza setzt sich dafür ein, dass die Sikhs Ihre Rechte durchgesetzt bekommen und keine Diskriminierungen mehr erleiden müssen, man will deshalb für die Sikhs einen unabhängigen Staat. Das kann aber nur gelingen, wenn die Wahl im Refendum 2020 gewonnen wird. Man versucht auch von der Regierung, dass die Jugend von uns keine verantwortungsvollen Posten bekommt und versucht uns so unten zu halten.

V: Mehr können Sie mir zur Khalistan Bewegung nicht erzählen? Ihre Angaben sind allgemein und oberflächlich. Seit wann existiert diese Bewegung bereits und von welchen Parteien wird die Khalistan Bewegung im Kongress vertreten?

A: Es gibt auch eine gegnerische Partei, die Kongresspartei, die gegen uns arbeitet. Es gibt einen Chief Minister, so eine Art Landeshauptmann und der Premierminister ist XXXX .

F: Wurden Sie bis auf die telefonische Bedrohung im Jahr 2016 sonst bedroht oder verfolgt?

A: Nur von der Polizei mit dem Schlagstock, die Regierung will ja nicht, dass es zu Khalistan kommt.

F: Möchten Sie Ihr geschildertes Fluchtvorbringen ergänzen?

A: Nein. Ich bitte Sie mir Asyl zu gewähren bis die Situation um Khalistan geregelt ist, dann würde ich freiwillig zurückkehren und vom Staat keine Unterstützung in Anspruch nehmen.

F: Sie werden hiermit auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren aufmerksam gemacht. Haben Sie weitere Fluchtgründe, die Sie nunmehr benennen möchten?

A: Nein.

F: Können Sie an einem anderen Ort in Ihrem Herkunftsstaat Unterkunft beziehen?

A: Nein.

F: Was befürchten Sie im Falle Ihrer Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat?

A: Es gibt eine Gefahr für mein Leben solange es kein Khalistan gibt.“

Am 24.06.2020 wurde eine Stellungnahme zu den Länderberichten eingebracht. Dabei wurde vorgebracht, dass die Covid-19-Pandemie in den Länderberichten noch keine Berücksichtigung gefunden habe. Der Beschwerdeführer wäre bei einer Rückkehr nach Indien gefährdet, dort zu erkranken. Weiters würde er aufgrund des dort herrschenden Chaos in eine ausweglose Situation geraten. Die Gefährdung von Mitgliedern der Khalistan-Bewegung habe auch in diversen Berichten einen Niederschlag gefunden. Es werde daher beantragt, die notwendigen Recherchen nachzuholen.

Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 20.08.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführer s auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Weiters wurden gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Indien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das BFA hinsichtlich der konkreten Gründe für das Verlassen des Herkunftslandes unter anderem aus, dass das Fluchtvorbringen sowie die daraus resultierende Verfolgung nicht glaubhaft sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien und stammt aus Punjab/Indien. Er gehört der Religionsgemeinschaft der Sikh an. Er verfügt über eine zwölfjährige Schulbildung und hat zuletzt als Landwirt gearbeitet. Der Beschwerdeführer spricht Punjabi. In Indien lebt nach wie vor die Familie des BF, und zwar die Eltern und ein Bruder.
Im Bundesgebiet verfügt der Beschwerdeführer über keinerlei Familienangehörige, er lebt auch nicht in einer Lebensgemeinschaft. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer die deutsche Sprache beherrscht, einer regelmäßigen Beschäftigung nachgeht, sich sozial engagiert oder hier Freunde gefunden hat. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten und bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung. Er hat am 09.06.2020 ein freies Gewerbe (Botendienst) angemeldet, Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit hat der Beschwerdeführer jedoch nicht nachgewiesen.

Der Beschwerdeführer reiste im Jahr 2016 mit einem belgischen Visum der Kategorie C, ausgestellt von der belgischen Vertretungsbehörde in Indien, gültig von 12.10.2016 bis 10.11.2016, erstmals in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten ein und begab sich in das österreichische Bundesgebiet, wo er am 28.02.2017 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte. Dieser wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.07.2017, W205 2161734-1, rechtskräftig wegen Zuständigkeit Belgiens zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer reiste laut eigenen Angaben nach Italien, wo er sich einen Monat aufhielt, und kehrte dann nach Indien zurück. A 28.01.2020 stellte er nach erneuter, illegaler Einreise den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer hat Indien nicht aufgrund einer glaubwürdigen, ihn unmittelbar persönlich treffenden asylrelevanten Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen.

Der Beschwerdeführer wurde in Indien nicht asylrelevant bedroht oder auf anderer Weise einer relevanten psychischen oder physischen Gewalt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt.

Bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Indien besteht für diesen als arbeitsfähigen Mann im berufsfähigen Alter, mit angegeben mehreren familiären Bezugspunkten im Herkunftsstaat ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf, auch unter besonderer Berücksichtigung der gegenwärtigen Lage aufgrund der Corona-Pandemie, keine berücksichtigungswürdige Bedrohungssituation, bzw. läuft dieser dort auch nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in ihren Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Artikel 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK).

Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende – Indien, mit Stand 05.10.2020, 6 500 000 Erkrankungen und 100 000 Todesfällen – COVID-19-Pandemie kein Rückkehrhindernis darstellt. Der Beschwerdeführer ist gesund und gehört mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Indien eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

Quelle: WHO, Coronavirus disease (COVID-19), Weekly Epidemiological Update, 05.10.2020 (https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/situation-reports/20201005-weekly-epi-update-8.pdf)

Gemessen an den 1,3 Milliarden Einwohnern liegt das Land in einer Pro-Kopf Statistik noch immer hinter vielen europäischen Ländern, doch werden in Indien aber auch wesentlich weniger Tests durchgeführt. Die Regierung hat die Testkapazitäten in den vergangenen Wochen hochgefahren, was wohl einer der Gründe für den sprunghaften Anstieg der Zahlen darstellt. Die Lockddown-Maßnahmen wurden seit Ende Mai Schritt für Schritt gelockert. Geschäfte stehen wieder offen, Fabriken haben ihre Produktion erneut aufgenommen und der öffentliche Verkehr kommt wieder, wenn auch nur eingeschränkt ins Laufen. Das indische Gesundheitswesen war schon vor Corona überlastet und ist es nun noch mehr. Medien und der Kuznachrichtendienst Twitter berichten von Indern, die klagen, dass ihre an Covid-19 erkrankten Angehörigen von Krankenhäusern abgewiesen oder nicht entsprechend behandelt wurden (Quelle: www.wienerzeitung.at; „Corona trifft Indien immer härter“, vom 10.07.2020).

Der Subkontinent entwickelt sich immer mehr zu einem Brennpunkt der Pandemie. Derzeit kommen wöchentlich etwa 500 000 Neuinfektionen hinzu. Die Zahl der Neuninfektionen pro Woche sinkt derzeit aber leicht.

Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Indien wird Folgendes festgestellt:

1.       Politische Lage

Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 23.1.2019; vgl. AA 18.9.2018). Die Zentralregierung hat im indischen Föderalsystem deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten. Indien verfügt über 29 Bundesstaaten und sechs Unionsterritorien (AA 11.2018a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 20.4.2018). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 11.2018a).

Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 18.9.2018), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 11.2018a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 18.9.2018). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 3.2018a). Die Pressefreiheit ist von der Verfassung verbürgt, jedoch immer wieder Anfechtungen ausgesetzt (AA 9.2018a). Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 11.2018a).

Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 20.4.2018). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 18.9.2018).

Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 20.4.2018). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2017 ist Präsident Ram Nath Kovind indisches Staatsoberhaupt (AA 11.2018a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 3.2018a).

Wahlen zum Unterhaus finden nach einfachem Mehrheitswahlrecht („first-past-the-post“) alle fünf Jahre statt, zuletzt im April/Mai 2014 mit knapp 830 Millionen Wahlberechtigten (AA 18.9.2018). Dabei standen sich drei große Parteienbündnisse gegenüber: Die United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der Bharatiya Janata Party (BJP – Indische Volkspartei) und die so genannte Dritte Front, die aus elf Regional- und Linksparteien besteht sowie die aus einem Teil der India-Against-Corruption-Bewegung hervorgegangene Aam Aadmi Party (AAP) (GIZ 3.2018a; vgl. FAZ 16.5.2014). Abgesehen von kleineren Störungen, verliefen die Wahlen korrekt und frei (AA 18.9.2018). Als deutlicher Sieger mit 336 von 543 Sitzen löste das Parteienbündnis „National Democratic Alliance“ (NDA) mit der „Bharatiya Janata Party“ (BJP) als stärkste Partei (282 Sitze) die Kongress-Partei an der Regierung ab (AA 18.9.2018). Die BJP holte sie nicht nur die absolute Mehrheit, sie ließ auch den bislang regierenden Indian National Congress (INC) weit hinter sich. Der INC kam nur noch auf 46 Sitze und erlitt die schlimmste Niederlage seit der Staatsgründung 1947. Wie es mit dem INC mit oder ohne die Familie Gandhi weitergeht, wird abzuwarten sein. Die Gewinne der Wahlen im Punjab, Goa und Manipur sowie das relativ gute Abschneiden in Gujarat sind jedenfalls Hoffnungsschimmer, dass die Zeit der Kongresspartei noch nicht vorbei ist (GIZ 13.2018a). Die Anti-Korruptionspartei (AAP), die 2013 bei der Wahl in Delhi 28 von 70 Sitzen erringen konnte, errang 2014 landesweit nur vier Sitze (GIZ 3.2018; vgl. FAZ 16.5.2014). Der BJP-Spitzenkandidat, der bisherige Ministerpräsident von Gujarat, Narendra Modi, wurde zum Premierminister gewählt und steht seither einem 26-köpfigen Kabinett (mit zusätzlichen 37 Staatsministern) vor (AA 18.9.2018).

In Indien wird im Zeitraum zwischen April und Mai 2019 wiedergewählt. Der genaue Zeitplan ist jedoch noch unklar. In den Umfragen liegt der hindu-nationalistische Premier Narendra Modi mit seiner BJP vorne (DS 1.1.2019).

Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 3.2018b).

Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktive Außenpolitik. Der außenpolitische Kernansatz der „strategischen Autonomie“ wird zunehmend durch eine Politik „multipler Partnerschaften“ ergänzt. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und als aufstrebende Gestaltungsmacht die zunehmende verantwortliche Mitgestaltung regelbasierter internationaler Ordnung (AA 11.2018b). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 3.2018a). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an, wobei nicht zuletzt Alternativkonzepte zur einseitig sino-zentrisch konzipierten „Neuen Seidenstraße“ eine wichtige Rolle spielen. In der Region Südasien setzt Indien zudem zunehmend auf die Regionalorganisation BIMSTEC (Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation). Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft und Mitglied im „Regional Forum“ (ARF). Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. Die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) hat Indien und Pakistan 2017 als Vollmitglieder aufgenommen. Der Gestaltungswille der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) schien zuletzt abzunehmen (AA 11.2018b).

In den Beziehungen zum gleichfalls nuklear gerüsteten Nachbarn Pakistan haben sich in den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit wiederholt Phasen des Dialogs und der Spannungen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzung abgelöst. Größtes Hindernis für eine Verbesserung der Beziehungen ist weiterhin das Kaschmir-Problem (AA 11.2018b).

Indien ist durch das Nuklearabkommen mit den USA ein Durchbruch gelungen. Obwohl es sich bis heute weigert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, bedeutet das Abkommen Zugang zu Nukleartechnologie. Ebenfalls positiv hat sich das Verhältnis Indiens zu China entwickelt. Zwar sind die strittigen Grenzfragen noch nicht geklärt, aber es wurden vertrauensbildende Maßnahmen vereinbart, um zumindest in dieser Frage keinen Konflikt mehr herauf zu beschwören. Auch ist man an einer weiteren Steigerung des bilateralen Handels interessiert, der sich binnen eines Jahrzehnts mehr als verzehnfacht hat (GIZ 3.2018a).

Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 3.2018a).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

-        AA - Auswärtiges Amt (11.2018a): Indien, Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206048, Zugriff 23.1.2019

-        AA - Auswärtiges Amt (11.2018b): Indien, Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206046, Zugriff 23.1.2019

-        CIA - Central Intelligence Agency (15.1.2019): The World Factbook – India, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 23.1.2019

-        DS - Der Standard (1.1.2019): Was 2019 außenpolitisch bringt. Die US-Demokraten übernehmen die Mehrheit im Repräsentantenhaus, Großbritannien plant den Brexit – und in Indien, der größten Demokratie der Welt, sind Wahlen, https://www.derstandard.de/story/2000094950433/was-2019-aussenpolitisch-bringt, Zugriff 28.1.2019

-        FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.5.2014): Modi ist Mann der Stunde, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fruehaufsteher/wahlentscheid-in-indien-modi-ist-der-mann-der-stunde-12941572.html, Zugriff 11.10.2018

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2018a): Indien, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 23.1.2019

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmBH (3.2018b): Indien, Wirtschaftssystem und Wirtschaftspolitik, https://www.liportal.de/indien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 23.1.2019

-        USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018

2.       Sicherheitslage

Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven, die sich oft in kommunal begrenzten Ausschreitungen entladen (GIZ 3.2018a). Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 in Mumbai, September 2011 in New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 in Chennai und Dezember 2014 in Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Aber auch im Rest des Landes gab es Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des "Islamischen Staates" (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017).

Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 3.2018a). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der „Naxaliten“ in Frage gestellt (AA 18.9.2018).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 898 Todesopfer durch terrorismus-relevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 803 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 wurden 935 Menschen durch Terrorakte getötet. Bis zum 13.1.2019 wurden 12 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 13.1.2019).

Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie. Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 12.2018).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 18.9.2018).

2.1.    Punjab

Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.).

Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben das Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 12.2018).

Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in das indische Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Im Mai 2007 wurden dem indischen Geheimdienst Pläne des pakistanischen Geheimdienstes, Inter-Services-Intelligence (ISI) bekannt, welcher gemeinsam mit der in Indien verbotenen Sikh-Gruppierung Babbar Khalasa International (BKI) und anderen militanten Sikh- Gruppierungen Anschläge auf Städte im Punjab (Jalandhar, Ludhiana, Pathankot) beabsichtigten. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 12.2018). In Jammu und Kaschmir, im Punjab und in Manipur haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 20.4.2018; vgl. BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen insbesondere der Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 12.2018).

Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich 200-300 Beschwerden über Menschenrechtsverletzung und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind Unterkastige oder Kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 12.2018).

Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in den nördlichen Bundesstaaten Haryana und Punjab weiterhin ein Problem dar (USDOS 20.4.2018).

Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. Die Sikhs, 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, stellen dort einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 10.2017).

In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 10.2017).

Quellen:

-        AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1394309.html, Zugriff 6.11.2018

-        BBC - British Broadcasting Corporation (20.10.2015): Why are Indian Sikhs angry?, http://www.bbc.com/news/world-asia-india-34578463, Zugriff 18.10.2018

-        MoHA - Government of India, Ministry of Home Affairs, Office of the Registrar General & Census Commissioner, India (o.D.): C-1 Population By Religious Community, http://www.censusindia.gov.in/2011census/C-01.html, Zugriff 18.10.2018

-        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion

-        USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018
USDOS - US Department of State (29.5.2018): 2015 Report on International Religious Freedom – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436757.html, Zugriff 23.10.2018

3.       Rechtsschutz/Justizwesen

In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig überlange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 18.9.2018). Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Vorurteile z.B. gegenüber Angehörigen niederer Kasten oder Indigenen dürften zudem eine nicht unerhebliche Rolle spielen (AA 18.9.2018).

Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 27.1.2018). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberstes Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 12.2018).

Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet und verfügt nicht über moderne Systeme zur Fallbearbeitung. Der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums für 2015 bis 2016 ergab eine Vakanz von 43 Prozent der Richterstellen an den Obergerichten (USDOS 20.4.2018). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 18.9.2018).

Insbesondere auf unteren Ebenen der Justiz ist Korruption weit verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als es der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 27.1.2018). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei von Todstrafe bedrohten Delikten soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70 Prozent aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 18.9.2018).

In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 18.9.2018).

Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Diese Fristen werden regelmäßig überschritten. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit („National Security Act“, 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit („Jammu and Kashmir Public Safety Act“, 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem Jahr ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt. (AA 18.9.2018).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischen Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es gibt Fälle, in denen Häftlinge misshandelt werden. Ein im Mai 2016 von der renommierten National Law University Delhi veröffentlichter empirischer Bericht zur Situation der Todesstrafe in Indien zeichnet ein düsteres Bild des indischen Strafjustizsystems. So haben bspw. 80 Prozent aller Todeskandidaten angegeben, in Haft gefoltert worden zu sein. Nach glaubwürdigen, vertraulichen Schätzungen des IKRK Internationales Komitee des Roten Kreuz) kommt es weiterhin zu systematischer Folter in den Verhörzentren in Jammu und Kaschmir (AA 18.9.2018).

Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des „Unlawful Activities (Prevention) Amendment Bill“, und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen. Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt (USDOS 20.4.2018). Gerichte sind verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht schuldig zu bekennen (USDOS 20.4.2018).

Gerichtliche Ladungen in strafrechtlichen Angelegenheiten sind im Criminal Procedure Code 1973 (CrPC, Chapter 4, §§61-69), in zivilrechtlichen Angelegenheiten im Code of Civil Procedure 1908/2002 geregelt. Jede Ladung muss schriftlich, in zweifacher Ausführung ausgestellt sein, vom vorsitzenden Richter unterfertigt und mit Gerichtssiegel versehen sein.

Ladungen werden gemäß CrPC prinzipiell durch einen Polizeibeamten oder durch einen Gerichtsbeamten an den Betroffenen persönlich zugestellt. Dieser hat den Erhalt zu bestätigen. In Abwesenheit kann die Ladung an ein erwachsenes männliches Mitglied der Familie übergeben werden, welches den Erhalt bestätigt. Falls die Ladung nicht zugestellt werden kann, wird eine Kopie der Ladung an die Residenz des Geladenen sichtbar angebracht. Danach entscheidet das Gericht, ob die Ladung rechtmäßig erfolgt ist, oder ob eine neue Ladung erfolgen wird. Eine Kopie der Ladung kann zusätzlich per Post an die Heim- oder Arbeitsadresse des Betroffenen eingeschrieben geschickt werden. Falls dem Gericht bekannt wird, dass der Betroffene die Annahme der Ladung verweigert hat, gilt die Ladung dennoch als zugestellt. Gemäß Code of Civil Procedure kann die Ladung des Gerichtes auch über ein gerichtlich genehmigtes Kurierservice erfolgen (ÖB 12.2018).

Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die sozialen Regeln brechen - was besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten betrifft (FH 27.1.2018).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

-        FH - Freedom House (27.1.2018): Freedom in the World 2018 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1142635.html, Zugriff 22.10.2018

-        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion

-        USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018

4.       Sicherheitsbehörden

Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 12.2018) und untersteht den Bundesstaaten (AA 18.9.2018). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und die Bundesstaaten übergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 12.2018).

Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 12.2018). Die Polizei bleibt weiterhin überlastet, unterbezahlt und politischem Druck ausgesetzt, was in einigen Fällen zu Korruption führt (USDOS 20.4.2018). Polizeireformen verzögerten sich 2017 erneut (HRW 18.1.2018).

Die Effektivität der Strafverfolgung und der Sicherheitskräfte ist im gesamten Land sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während es einerseits Fälle von Polizisten/Beamten gibt, die auf allen Ebenen ungestraft handeln, so gab es andererseits auch Fälle, in denen Sicherheitsbeamte für ihre illegalen Handlungen zur Verantwortung gezogen wurden (USDOS 20.4.2018).

Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die „Beschützerin der Nation“, aber nur im militärischen Sinne (BICC 12.2018). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 18.9.2018; vgl. BICC 12.2018). Paramilitärischen Einheiten werden als Teil der Streitkräfte, vor allem bei internen Konflikten eingesetzt, so in Jammu und Kaschmir sowie in den nordöstlichen Bundesstaaten. Bei diesen Einsätzen kommt es oft zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen (BICC 12.2018).

Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der „Armed Forces Special Powers Act“ (AFSPA) zur Aufrechterhaltung von „Recht und Ordnung“ herangezogen (USDOS 20.4.2018). Der AFSPA gibt den Streitkräften weitgehende Befugnisse zum Gebrauch tödlicher Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl. Bei ihren Aktionen genießen die Handelnden der Streitkräfte weitgehend Immunität vor Strafverfolgung. Der AFSPA kommt zur Anwendung, nachdem Regierungen der Bundesstaaten ihre Bundesstaaten oder nur Teile davon auf der Basis des „Disturbed Areas Act“ zu „Unruhegebieten“ erklären. Das umstrittene Sonderermächtigungsgesetz für die Streitkräfte (AFSPA) wurde am 23.04.2018 für den Bundesstaat Meghalaya nach 27 Jahren aufgehoben und im Bundesstaat Arunachal Pradesh auf 8 Polizeidistrikte beschränkt. Unverändert in Kraft ist es in folgenden als Unruhegebiete geltenden Staaten: Assam, und Nagaland sowie in Teilen von Manipur. Für Jammu und Kaschmir existiert eine eigene Fassung (AA 18.9.2018).

Die unter anderem auch in den von linksextremistischen Gruppen (sog. Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium (AA 18.9.2018). Dazu zählen insbesondere die National Security Guard (Nationale Sicherheitspolizei NSG), aus Angehörigen des Heeres und der Polizei zusammengestellte Spezialtruppe für Personenschutz, auch als „Black Cat“ bekannt, die Rashtriya Rifles, eine Spezialtruppe zum Schutz der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen bei inneren Unruhen und zur Bekämpfung von bewaffneten Rebellionen, die Central Reserve Police Force (CRPF) - die Bundesreservepolizei, eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze - die Border Security Force (BSF - Bundesgrenzschutz) als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesch und Myanmar. Sie wird aber auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt. Weiters zählen die Assam Rifles - zuständig für Grenzverteidigung im Nordosten - die Indo-Tibetan Border Force (ITBP) als Indo-Tibetische Grenzpolizei sowie die Küstenwache, die Railway Protective Force zum Schutz der nationalen Eisenbahn und die Central Industrial Security Force zum Werkschutz der Staatsbetriebe dazu (ÖB 12.2018). Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 18.9.2018).

Die Grenzspezialkräfte („Special Frontier Force)“ unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sogenannten Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten im Grenzgebiet zu China eingesetzt werden. Sie agieren im Rahmen der Geheimdienste, des sogenannten Aufklärungsbüros ("Intelligence Bureau" - Inlandsgeheimdienst) und dem Forschungs- und Analyseflügel ("Research and Analysis Wing“ - Auslandsgeheimdienst) (War Heros of India, 16.9.2018).

Das Gesetz erlaubt es den Behörden auch, Häftlinge bis zu 180 Tage lang ohne Anklage in Gerichtsgewahrsam zu nehmen (einschließlich der 30 Tage in Polizeigewahrsam). Das Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (UAPA) gibt den Behörden die Möglichkeit, Personen in Fällen im Zusammenhang mit Aufständen oder Terrorismus festzuhalten (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien

-        BICC - Bonn International Centre for Conversion (12.2018): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2018_indien.pdf, Zugriff 29.1.2019

-        HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422455.html, Zugriff 23.10.2018

-        ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion

-        USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 – India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018

-        War Heros of India (16.9.2018): Special Forces of India Part 3: Special Frontier Force, https://gallantryawardwinners.blogspot.com/2017/01/Special-Frontier-Force.html, Zugriff 6.11.2018

5.       Folter und unmenschliche Behandlung

Indien hat im Jahr 1997 das VN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe unterzeichnet, jedoch bisher nicht ratifiziert (AA 18.9.2018). Es sind außerdem keine für die Ratifizierung notwendigen Änderungen der nationalen Gesetzgebung eingeleitet worden (BICC 12.2018). Ein Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Folter (Bill on the Prevention of Torture), welcher innerstaatliche Voraussetzung der Ratifizierung der VN Anti-Folterkonvention ist, wurde vom Parlament bisher nicht verabschiedet (AA 18.9.2018).

Folter ist in Indien jedoch verboten (AA 18.9.2018) und der indische Staat verfolgt Folterer grundsätzlich und veranstaltet Kampagnen zur Bewusstseinserhöhung der Sicherheitskräfte, doch bleiben Menschenrechtsverletzungen von Polizeibeamten und paramilitärischen Einheiten häufig ungeahndet und führen nicht einmal zu Ermittlungsverfahren. Besonders gefährdet sind Angehörige unterer Kasten und andere sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten (ÖB 12.2018). Aufgrund von Folter erlangte Aussagen sind vor Gericht nicht zur Verwertung zugelassen (AA 18.9.2018). Das Gesetz verbietet somit Folter, aber es gibt Berichte von NGOs, dass solche Praktiken verbreitet sind, speziell in Konfliktgegenden (USDOS 20.4.2018). Folter durch Polizeibeamte, Armee und paramilitärische Einheiten bleibt häufig ungeahndet, weil die Opfer ihre Rechte nicht kennen, eingeschüchtert werden oder die Folter nicht überleben (AA 18.9.2018).

Menschenrechtsexperten zufolge versuchte die Regierung auch weiterhin Personen festzunehmen und ihnen einen Verstoß nach dem - aufgehobenen - Gesetz zur Bekämpfung von Terrorismus, terroristischer Akte und zerstörenden Handlungen anzulasten. Dieses Gesetz besagte, dass Geständnisse, die vor einem Polizisten abgelegt wurden, als zulässige Beweise im Gericht behandelt werden (USDOS 20.4.2018).

Nach glaubwürdigen, vertraulichen Schätzungen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) kommt es weiterhin zu systematischer Folter in den Verhörzentren in Jammu und Kaschmir. Für den Zeitraum Januar bis August 2017 beziffert Amnesty International die Zahl der Todesfälle in Haftanstalten auf 894, in Polizeigewahrsam auf 74 (AA 18.9.2018).

Trotz der Trainings für senior police officers, bleiben willkürliche Verhaftungen, Folter und erzwungene Geständnisse durch Sicherheitskräfte verbreitet (ÖB 12.2018).

Es kommt immer wieder zu willkürlichen Übergriffen der Staatsorgane, insbesondere der Polizeikräfte, vor allem gegenüber Häftlingen in Polizeigewahrsam. In einigen Fällen wird von willkürlichen und nicht gemeldeten Verhaftungen berichtet, bei denen dem Verhafteten mitunter ausreichend Wasser und Nahrung vorenthalten werden. Von etlichen Ausnahmen abgesehen, werden gesetzeswidrige Handlungen in diesem Bereich geahndet. Die angerufenen Gerichte haben hierbei in den letzten Jahren verstärkt Verantwortung gezeigt, zumal NGOs und die Presse kritisch über die ihnen bekannt gewordenen Fälle berichten. Auch über Übergriffe der Militärs und der paramilitärischen Gruppen bei ihren Einsätzen im Inneren (vor allem in Jammu und Kaschmir sowie in Indiens Nordosten) berichten Menschenrechtsorganisationen und die Nationale Menschenrechtskommission. Auch diese werden vereinzelt (militär-) gerichtlich geahndet, Prozess und Prozessau

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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