TE Vfgh Beschluss 2020/10/7 E1652/2020 ua

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Veröffentlicht am 07.10.2020
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10/07 Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit

Norm

ZPO §148 Abs2
VfGG §7 Abs2, §35

Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde; Beginn des Fristlaufs bereits mit der Möglichkeit zur Aufklärung des Irrtums

Spruch

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

II. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1. Mit am 1. Oktober 2020 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebrachtem Schriftsatz begehren die Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde und erheben unter einem Beschwerde gegen die oben bezeichnete Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages führen sie im Wesentlichen aus, dass die Versäumung der Frist durch mehrere unvorhersehbare und unabwendbare Ereignisse ausgelöst worden sei. Die Rechtsanwältin, welche die Verfahrenshilfe substitutionsweise für den zum Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalt übernommen habe, habe ursprünglich die Frist für die Einbringung der Beschwerde richtig mit 9. September 2020 kalendiert. Sie sei in der Folge, nachdem ihre siebenjährige Tochter am 13. August 2020 erkrankt sei, selbst am 14. August 2020 erkrankt. Eine Behandlung durch ihre Hausärztin sei ihr auf Grund der COVID-19-Lage verwehrt geblieben; auch ihr Versuch, bei der Hotline 1450 durchzudringen, sei gescheitert. Während ihrer Erkrankung habe die Rechtsvertreterin bemerkt, dass auf Grund eines EDV-Problems verschiedene Fristen, darunter auch die in Rede stehende Beschwerdefrist, aus ihrem Outlook-Kalender unwiederbringlich gelöscht worden seien. Die Rechtsvertreterin habe die gelöschten Fristen sofort wieder kalendiert, habe dabei aber auf Grund ihres Krankheitszustandes, der Sorge um ihre Tochter und der Aufregung wegen des Datenverlustes die sechswöchige Frist zur Beschwerdeerhebung ab dem aktuellen Tag und nicht ab dem Einlangen des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes über die Bestellung als Verfahrenshelfer gezählt. Erst bei Ausarbeitung der Beschwerde am 24. September 2020 habe die Rechtsvertreterin den Irrtum bemerkt.

2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist ist nicht zulässig:

2.1. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 VfGG die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff. ZPO sinngemäß anzuwenden.

2.1.1. Nach §146 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s etwa VfSlg 9817/1983, 14.639/1996, 15.913/2000 und 16.325/2001 mwN).

Aus §39 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ergibt sich, dass das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist.

2.1.2. Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Zugleich mit dem Antrag ist dem §149 Abs1 ZPO zufolge auch die versäumte Prozesshandlung nachzuholen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu §148 Abs2 ZPO beginnt der Lauf der Frist zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages nicht zwingend erst mit der Aufklärung des Irrtums, sondern bereits mit seiner möglichen Aufklärung (zB OGH 30.4.2012, 9 Ob 43/11f mwN; vgl auch VfSlg 14.815/1997, 15.454/1999, wonach hinsichtlich des Wegfalls des Hindernisses auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in dem es dem Antragssteller hätte "auffallen müssen"; vgl auch VfGH 25.9.2018, WIV2/2018 ua).

2.2. Im vorliegenden Fall wurde die Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages nicht gewahrt, weil diese Frist nicht erst mit 24. September 2020 – an diesem Tag wurde laut Antrag das Rechtsmittel ausgearbeitet – zu laufen begann; das Hindernis, das die Versäumung verursachte, fiel nämlich schon früher weg: Am 11. September 2020 nahm die Rechtsvertreterin Einsicht in den vorliegenden Akt am Verfassungsgerichtshof; spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte ihr auffallen müssen, dass sie einem Irrtum hinsichtlich des Beginns der Beschwerdefrist unterlag. Aus diesem Grund endete die Frist für einen zulässigen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand am 25. September 2020.

2.3. Da der Antrag auf Wiedereinsetzung erst am 1. Oktober 2020 im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebracht wurde, ist er als verspätet zurückzuweisen.

3. Die Beschwerde wurde erst nach Ablauf der sechswöchigen Frist (§82 Abs1 VfGG), die am 9. September 2020 endete, eingebracht und ist somit als verspätet zurückzuweisen.

4. Diese Beschlüsse konnten gemäß §149 Abs2 ZPO iVm §35 VfGG und §19 Abs3 Z2 litb VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

VfGH / Wiedereinsetzung, VfGH / Fristen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E1652.2020

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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