TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/11 96/01/0391

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Veröffentlicht am 11.06.1997
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §37;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. O, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 1. Dezember 1995, Zl. 4.347.704/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "Jugosl. Föderation", der am 19. Oktober 1995 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am 20. Oktober 1995 die Gewährung von Asyl.

Der Beschwerdeführer gab anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme im Beisein seiner gesetzlichen Vertreterin am 25. Oktober 1995 an, er stamme aus dem Kosovo, gehöre der albanischen Volksgruppe an und sei moslemischen Religionsbekenntnisses. Es sei ihm am 9. Oktober 1995 im Wege seines Vaters ein Befehl zur militärischen Musterung zugestellt worden. Er habe dem Befehl keine Folge geleistet, weil er Angst gehabt habe. Er habe befürchtet, in den Krieg nach Bosnien-Herzegowina geschickt zu werden. Er habe auch befürchtet, daß man ihm anläßlich der Untersuchung bei der militärischen Musterung mehr Blut abnehmen würde, als jenen Rekruten, die nicht der albanischen Volksgruppe angehörten. Ihm seien aus dem Jahre 1995 mehrere Fälle aus seiner Heimatstadt bekannt, daß junge Kosovo-Albaner etwa einen Monat nach der militärischen Musterung erkrankt seien. Diese Männer seien erkrankt, weil ihnen bei der militärischen Musterung mehr Blut abgenommen worden sei als Rekruten andererer Volksgruppenzugehörigkeit. Es sei ihm bekannt, daß nicht nur Angehörige der albanischen Volksgruppe aus dem Kosovo in den Krieg nach Bosnien-Herzegowina geschickt würden, sondern auch Soldaten anderer Volksgruppenzugehörigkeit aus der "Jugoslawischen Föderation". Vorwiegend würden aber Kosovo-Albaner in den Krieg entsandt. Im Falle einer Rückkehr würde er von einem Militärgericht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden.

Zu seinem Fluchtweg gab der Beschwerdeführer an, er habe am 15. Oktober 1995 seine Heimatstadt verlassen, am selben Tag zu Fuß die Staatsgrenze nach Ungarn überschritten und sei dort drei Tage in einem unbekannten Dorf verblieben. Sodann habe er am 19. Oktober 1995 in Begleitung eines Ungarn zu Fuß die Grenze nach Österreich überschritten. Auf die Information, daß es sich bei Ungarn um einen Unterzeichnerstaat der Genfer Flüchtlingskonvention handle, wo die Möglichkeit bestehe, um Asyl anzusuchen, und er in diesem Staat sicher vor Verfolgung gewesen sei, gab er an, deshalb nicht um Asyl angesucht zu haben, da er von dieser Möglichkeit nicht gewußt habe.

Die Behörde erster Instanz wies den Antrag ab. Sie begründete ihre Entscheidung damit, daß den Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich eines drohenden Einsatzes auf einem Kriegsschauplatz und der "beabsichtigten Gesundheitsschädigung anläßlich der militärischen Musterung" die Glaubwürdigkeit abgesprochen werde. Zu letzterer führte die Behörde erster Instanz wörtlich aus:

"Ihre Ausführungen hinsichtlich einer absichtlichen Gesundheitsschädigung anläßlich der militärischen Musterung sind unglaubwürdig, weil mit Behördenerkenntnissen nicht vereinbar."

Darüber hinaus befaßte sie sich in rechtlicher Sicht mit dem Befehl zur militärischen Musterung.

Sie kam zum Schluß, daß im Fall des Beschwerdeführers ein Fluchtgrund im Sinne der Flüchtlingskonvention nicht erkennbar sei. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer bereits in Ungarn sicher vor Verfolgung gewesen. Ungarn sei Mitgliedstaat der EMRK und der Genfer Flüchtlingskonvention. Der UNHCR habe in diesem Staat einen Dienstsitz. Aufgrund der allgemeinen politischen und rechtsstaatlichen Verhältnisse drohe dem Beschwerdeführer in Ungarn keine Gefahr einer Verfolgung. Er sei in diesem Staat vor Rückstellung in seinen Heimatstaat ohne Prüfung seiner Fluchtgründe sicher. Es spreche nichts dafür, daß Ungarn die sich aus der Mitgliedschaft zur Genfer Konvention ergebenden Verpflichtungen, insbesondere das in deren Art. 33 verankerte Refoulement-Verbot, etwa vernachlässige. Er habe in seinen Ausführungen keine Beweggründe geltend gemacht, die ihn aus objektiver Sicht gehindert hätten, in Ungarn einen Asylantrag zu stellen.

Aufgrund der dagegen erhobenen Berufung erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid. Sie erhob die von der Behörde erster Instanz in deren Bescheid wiedergegebenen Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner niederschriftlichen Vernehmung zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides. Es liege kein Fall des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 vor, weshalb die belangte Behörde gemäß § 20 Abs. 1 leg. cit. ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen habe. Das Bundesasylamt habe in der Begründung seines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefaßt. Die belangte Behörde schließe sich diesen Ausführungen vollinhaltlich an und erhebe sie zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides. Darüber hinaus ergänzte sie, daß die in der Berufung angeführten allgemeinen Quellen nicht zur Glaubhaftmachung des Vorbringens führen könnten, da allgemeine Berichte nicht auf die individuelle Situation des Beschwerdeführers eingingen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes, sei es durch Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehles, sei es durch Desertion, rechtfertigt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling. Der Verwaltungsgerichtshof geht allerdings von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) angeführten Gründen erfolgt, in denen damit gerechnet werden müßte, daß ein Asylwerber hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu anderen Gruppierungen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung ausreichenden Weise benachteiligt würde, oder in denen davon auszugehen ist, daß eine dem Asylwerber wegen Wehrdienstverweigerung drohende Strafe aus diesen Gründen gegen diesen schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen verhängt würde (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377 = Slg. Nr. 14.089/A). Gleiches hat für die damit vergleichbaren Fälle des Ergehens eines Befehls zur militärischen Musterung (Stellung) zu gelten. Einen der genannten maßgeblichen Umstände hat der Beschwerdeführer bereits anläßlich seiner Ersteinvernahme behauptet, indem er die Abnahme von mehr Blut befürchtete als bei nichtalbanischen Rekruten und auf Erkrankungen anderer Albaner aufgrund dieser Blutabnahme hinwies. Die belangte Behörde hat lediglich die oben wörtlich wiedergegebenen Ausführungen der Behörde erster Instanz übernommen, mit denen die Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens verneint wurde. Zu Recht wendet der Beschwerdeführer ein, daß aus dem gesamten Verfahren nicht hervorgehe, weshalb ihm diesbezüglich die Glaubwürdigkeit versagt wurde. Auch der Verwaltungsgerichtshof kann die Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht als schlüssig nachvollziehen. Denn die belangte Behörde hat sich mit einer allgemeinen Aussage begnügt und die darin erwähnten "Behördenerkenntnisse" im Verwaltungsverfahren nicht offengelegt.

Für den Beschwerdeführer wäre aber nichts gewonnen, hielte der ebenfalls von der belangten Behörde herangezogene Ausschlußgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 einer Überprüfung stand. In Anwendung dieser Bestimmung vertrat die belangte Behörde die Ansicht, der Beschwerdeführer habe vor seiner Einreise in das Bundesgebiet bereits in Ungarn Verfolgungssicherheit erlangt. Bereits das Bundesasylamt hatte dem Beschwerdeführer diese Annahme sowohl in der Einvernahme als auch in seinem Bescheid entgegengehalten, ein Ermittlungsverfahren hat aber weder das Bundesasylamt noch die belangte Behörde durchgeführt. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, die Mitwirkungspflicht einer Partei gehe nicht soweit, daß sich die Behörde ein ordnungsgemäßes Verfahren ersparen könnte, zu dessen Durchführung sie (hier gemäß § 11 und § 16 Asylgesetz 1991 in Verbindung mit den §§ 39, 40 und 60 AVG) verpflichtet ist. Die Behörden des Verwaltungsverfahrens haben vielmehr von sich aus (und nicht nur aufgrund eines Verlangens des Asylwerbers) zum Vorliegen des Asylausschließungsgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 Ermittlungen anzustellen, die im besonderen auch den Rückschiebungsschutz zu umfassen haben. Die Frage, welche Vorgangsweise in bestimmten Drittstaaten in bezug auf den Schutz von Flüchtlingen vor einer Abschiebung in ihren Heimatstaat beobachtet wird, zählt nicht zu denen, bei deren Klärung der Mitwirkungspflicht des Asylwerbers Bedeutung zukäme (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0179, u. a.). Im angefochtenen Bescheid begründete die belangte Behörde durch Übernahme der diesbezüglichen Begründung des Bundesasylamtes ihre Annahme mit der nicht schlüssigen Folgerung, aus dem Beitritt Ungarns zur Genfer Flüchtlingskonvention sei auf die effektive Geltung des Refoulement-Verbotes zu schließen. Der Beschwerdeführer bringt in der Beschwerde unter anderem vor, daß "Ungarn die Asylwerber aus der Bundesrepublik Jugoslawien umgehend abschiebt". Damit zeigt der Beschwerdeführer die Relevanz des der belangten Behörde unterlaufenen Ermittlungsfehlers auf. Dieses Beschwerdevorbringen verstößt aus den im hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996 zitierten Gründen - auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - nicht gegen das Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der vom Beschwerdeführer beantragen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996010391.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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