TE OGH 2020/12/15 10Ob46/20t

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Veröffentlicht am 15.12.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen I*****, geboren ***** 2004, und A*****, geboren ***** 2008, beide in Pflege und Erziehung ihrer Mutter Mag. S*****, beide vertreten durch das Land Niederösterreich (Magistrat der Stadt St. Pölten, Jugendhilfe, 3100 St. Pölten, Rathausplatz 1) als Kinder- und Jugendhilfeträger, wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Vaters und Unterhaltsschuldners Mag. Dr. H*****, vertreten durch Urbanek & Rudolph, Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 27. August 2020, GZ 23 R 258/20v-62, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 29. Mai 2020, GZ 1 Pu 192/18s-56, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Aus Anlass des Revisionsrekurses wird der angefochtene Beschluss insoweit aufgehoben, als das Rekursgericht den Rekurs des Unterhaltsschuldners gegen die Abweisung des Antrags des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, (auch) die Mutter sowie den Kinder- und Jugendhilfeträger zum Rückersatz zu Unrecht gewährter Unterhaltsvorschüsse zu verpflichten, inhaltlich erledigt hat. Der Rekurs wird in diesem Umfang zurückgewiesen.

2. Im Übrigen wird dem Revisionsrekurs nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

[1]       Den 2004 und 2008 geborenen Kindern wurden beginnend ab 1. 10. 2016 Titelvorschüsse in Höhe von 600 EUR und 530 EUR gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG gewährt (ON 16 und 17 iVm ON 28).

[2]       Aufgrund des am 12. 9. 2018 eingebrachten, als Oppositionsantrag gewerteten Herabsetzungsantrags des geldunterhaltspflichtigen Vaters (ON 29) wurde die monatliche Unterhaltsverpflichtung ab 1. 1. 2017 herabgesetzt, zuletzt auf je 355 EUR (ON 38 und ON 39).

[3]       Mit Beschlüssen vom 19. 2. 2020 setzte das Erstgericht für die Zeit vom 1. 1. 2017 bis 31. 8. 2021 entsprechend der Minderung der Unterhaltspflicht die Unterhaltsvorschüsse für die beiden Kinder gestaffelt herab (ON 40 und ON 41).

[4]       Der Präsident des Oberlandesgerichts Wien beantragte am 25. 2. 2020, den Vater, den Kinder- und Jugendhilfeträger (KJHT), die Mutter als Pflegeperson, in eventu die Kinder gemäß §§ 22, 23 UVG zur Rückzahlung zu Unrecht ausbezahlter Unterhaltsvorschüsse von 3.565,60 EUR für das ältere Kind und 3.800 EUR für das jüngere Kind zu verpflichten (ON 45 und ON 46). Die eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners sei nicht oder verspätet mitgeteilt worden. Der Vater und der KJHT äußerten sich ablehnend (ON 53 und ON 55), die Mutter gab keine Stellungnahme ab.

[5]       Das Erstgericht verpflichtete den Unterhaltsschuldner zur Rückzahlung der zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschüsse und wies die weiteren auf eine Rückzahlungsverpflichtung der übrigen Personen gerichteten Anträge ab.

[6]       Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Unterhaltsschuldners nicht Folge und ließ nachträglich über dessen Antrag den Revisionsrekurs wegen einer ausschließlich für die Rückersatzpflicht des KJHT sowie der Mutter allenfalls relevanten Aktenwidrigkeit zu. Es bejahte eine grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht durch den Vater, weil er erst zwei Jahre nachdem ihm der KJHT aufgrund der finanziellen Situation die Einbringung eines Unterhaltsherabsetzungsantrags geraten hatte, einen derartigen Antrag gestellt hatte. Die Mutter und der KJHT hätten zwar von der schlechten wirtschaftlichen Lage des Unterhaltsschuldners, nicht aber von seinem schlechten – eine Anspannung auf das dem Unterhaltstitel zugrundegelegte Einkommen ausschließenden – Gesundheitszustand gewusst.

[7]       Der Unterhaltsschuldner bekämpft in seinem Revisionsrekurs seine Rückzahlungsverpflichtung sowie die Abweisung des auf eine Rückzahlungsverpflichtung der Mutter und des KJHT gerichteten Antrags. Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.

[8]       Der Revisionsrekurs, aus dessen Anlass eine Verletzung der funktionellen Zuständigkeit durch das Rekursgericht wahrzunehmen ist, ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[9]       1. Gesetzliche Grundlagen:

[10]     1.1 § 21 UVG verpflichtet den gesetzlichen Vertreter des Kindes und diejenige Person, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet, den Zahlungsempfänger sowie den Unterhaltsschuldner dem Gericht unverzüglich den Eintritt jedes Grundes für die Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse mitzuteilen.

[11]     1.2 Der gesetzliche Vertreter des Kindes, die Pflegeperson, der Zahlungsempfänger sowie der Unterhaltsschuldner haften nach § 22 Abs 1 UVG zur ungeteilten Hand für zu Unrecht gezahlte Vorschüsse, wenn er oder sie die Vorschussgewährung durch eine Verletzung der Mitteilungspflicht (§ 21 UVG) vorsätzlich oder grob fahrlässig veranlasst haben. Das Kind haftet nach § 22 Abs 2 UVG nur subsidiär für die Rückzahlung, soweit die zu Unrecht gewährten Vorschüsse nicht von den sonstigen Ersatzpflichtigen hereingebracht werden und nicht für seinen Unterhalt verbraucht worden sind.

[12]     2. Verletzung der funktionellen Zuständigkeit:

[13]     2.1 Soweit der Unterhaltsschuldner die Abweisung des Antrags auf Rückzahlungsverpflichtung der Mutter (Pflegeperson und Zahlungsempfängerin) sowie des KJHT (gesetzlicher Vertreter der Kinder) als nach § 22 Abs 1 UVG solidarisch haftende Personen in seinem Rekurs bekämpfte, fehlte ihm die Beschwer.

[14]     2.2 Auch im Außerstreitverfahren ist nur diejenige Partei rechtsmittellegitimiert, die durch die bekämpfte Entscheidung (formell oder materiell) beschwert ist. Formelle Beschwer liegt vor, wenn die Entscheidung von dem ihr zugrunde liegenden Antrag des Rechtsmittelwerbers zu seinem Nachteil abweicht. Materielle Beschwer liegt vor, wenn die rechtlich geschützten Interessen des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung beeinträchtigt werden (RIS-Justiz RS0041868; RS0006641). Es muss ein subjektives Recht betroffen sein, nicht nur wirtschaftliche, ideelle oder sonstige Interessen (RS0006497 [T2 und T7]). Das ist nicht abstrakt, sondern bezogen auf die konkrete Stellung einer Verfahrenspartei in dem einzeln zu entscheidenden Fall zu beurteilen (6 Ob 45/09z; 6 Ob 289/07d mwN).

[15]     2.3 Ein Anspruch auf Ersatz zu Unrecht gewährter Vorschüsse gegen die in § 22 Abs 1 UVG genannten Personen ist nach Rechtsprechung und Lehre inhaltlich ein Schadenersatzanspruch (10 Ob 23/20k; RS0110453 [T2]; RS0076903 [T2]; Neumayr in Schwimann/Kodek5 § 22 UVG Rz 2). Haften mehrere Schädiger iSd § 1302 ABGB solidarisch, richtet sich der Regress nach § 896 ABGB (RS0017514; Karner in KBB6 § 1302 Rz 14). Im Fall einer solidarischen Verpflichtung auch der Mutter und des KJHT hätte der Unterhaltsschuldner hypothetisch einen Regressanspruch, wenn er den gesamten zu Unrecht ausgezahlten Unterhaltsvorschuss zurückzahlt. Die Abweisung eines Schadenersatzbegehrens gegen andere, nach Auffassung des Ersatzpflichtigen ebenfalls solidarisch haftende Schädiger betrifft kein bestehendes subjektives Recht, sondern wirtschaftliche Interessen.

[16]     2.4 Dem Unterhaltsschuldner fehlt die Beschwer und damit die Rekurslegitimation in Bezug auf die Entscheidung des Erstgerichts, dass die übrigen, von § 22 Abs 1 UVG erfassten, Personen nicht zur Rückzahlung verpflichtet sind. Das Rekursgericht hat diese Unzulässigkeit des Rekurses nicht aufgegriffen, sondern auch insoweit meritorisch entschieden. Der Mangel der funktionellen Zuständigkeit des Rekursgerichts für eine solche Erledigung ist vom Obersten Gerichtshof aus Anlass des gegen eine unzulässige Sachentscheidung erhobenen Revisionsrekurses als Verfahrensmangel, der immer eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufwirft, wahrzunehmen. Der im beschriebenen Umfang unzulässige Rekurs gegen den Beschluss erster Instanz ist zurückzuweisen (RS0115201 [T4]; RS0042059 [T9]).

[17]     3. Zur Rückzahlungsverpflichtung des Unterhaltsschuldners:

[18]     3.1 Der Vater bestreitet nicht, dass er seine Mitteilungspflicht grob fahrlässig verletzte und dies zur unberechtigten Auszahlung von Unterhaltsvorschüssen führte. Sein einziges Argument gegen die Rückersatzpflicht ist § 22 Abs 3 UVG.

[19]     3.2 Diese Bestimmung schließt die Ersatzpflicht insoweit aus, als dadurch der laufende Unterhalt des Kindes gefährdet wird. Nach der – bereits vom Rekursgericht zitierten – Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bewirkt die Rückersatzverpflichtung des Unterhaltspflichtigen keine Gefährdung des laufenden Unterhalts des Kindes, wenn dieses laufend Unterhaltsvorschüsse erhält (RS0110452). Differenziert wird nur in dem – hier nicht verwirklichten – Fall einer Rückersatzpflicht des tatsächlich betreuenden, nur subsidiär geldunterhaltspflichtigen Elternteils: Reichen die vom nichtbetreuenden (geldunterhaltspflichtigen) Elternteil persönlich oder aufgrund einer Bevorschussung geleisteten Unterhaltszahlungen aus, um den laufenden Unterhalt des Kindes in angemessener Weise (etwa in Höhe des sogenannten Durchschnittsbedarfs) zu decken, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass eine Unterhaltsgefährdung durch eine Rückersatzverpflichtung des betreuenden Elternteils nicht eintritt. Erhält das Kind aber nur einen Bruchteil dessen, was zur Deckung seines Unterhaltsbedarfs erforderlich ist und sind zudem die finanziellen Mittel des betreuenden Elternteils so knapp, dass der erforderliche finanzielle Zuschuss selbst zur Deckung eines bescheidenen Bedarfs des Kindes nicht aufgebracht werden kann, ist mit einer weiteren Verringerung der finanziellen Mittel durch eine Rückersatzpflicht des betreuenden Elternteils nahezu zwangsläufig eine Gefährdung des Unterhalts des Kindes verbunden (6 Ob 119/05a, RS0110452 [T1]).

[20]     3.2 Hier wurde ausschließlich der geldunterhaltspflichtige Vater zum Rückersatz verpflichtet. Die Unterhaltsvorschüsse wurden aufgrund der verminderten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners herabgesetzt und nach Aufhebung der teilweisen Innehaltung mit Beschluss des Erstgerichts vom 24. 2. 2020 (ON 44) wieder fortlaufend ausgezahlt. Eine Gefährdung des laufenden Unterhalts der Kinder als Folge der mit Beschluss vom 29. 5. 2020 ausgesprochenen Ersatzpflicht des Unterhaltsschuldners hat das Rekursgericht somit zutreffend verneint.

Textnummer

E130555

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0100OB00046.20T.1215.000

Im RIS seit

08.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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